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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 12.08.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 100/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 17
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Zur Frage der wirksamen Verweisung an ein Amtsgericht in Berlin, wenn die Bezeichnung als "Amtsgericht Berlin" unzutreffend ist, aber sich das gemeinte zuständige Amtsgericht in Berlin leicht und eindeutig durch Auslegung ermitteln lässt.
Gründe:

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte eine Werklohnforderung über damals rund 8522 DM aus Dachdeckerarbeiten an einem Bauvorhaben in Berlin geltend. Sie gab im Mahnverfahren eine Adresse der Beklagten in Schweinfurt und als Prozessgericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abgegeben werden soll, das Landgericht Schweinfurt an. Der erste Versuch, den Mahnbescheid unter dieser Anschrift zuzustellen, scheiterte. Daraufhin gab die Klägerin eine Adresse der Beklagten in Würzburg an. Auch unter dieser Anschrift schlug der Zustellungsversuch fehl. Ein erneuter Zustellungsversuch unter der Schweinfurter Adresse war am 1.6.2001 erfolgreich. Nach Widerspruch gegen den Mahnbescheid wurde der Rechtsstreit vom Mahngericht an das Landgericht Schweinfurt abgegeben und von dort wegen sachlicher Unzuständigkeit des Landgerichts antragsgemäß an das Amtsgericht Schweinfurt verwiesen. Die Anspruchsbegründung wurde der Beklagten unter der Schweinfurter Adresse im Oktober 2001 durch Übergabe an die Geschäftsführerin der Beklagten zugestellt. Mit Schreiben vom 28.10.2001 beantragte die Beklagte auf ihrem Geschäftsbrief mit Berliner Adresse die Verweisung des Rechtsstreits "an das Amtsgericht Berlin", da sie dort ihren Sitz habe. Beigefügt war eine Gewerbeanmeldung in Berlin vom 26.5.2000 sowie ein Handelsregisterauszug des Amtsgerichts Charlottenburg; aus diesem ergibt sich die Eintragung der Beklagten am 11.5.2000 mit Sitz Berlin aufgrund Beschlusses der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29.11.1999 über die Sitzverlegung von Würzburg nach Berlin. Nunmehr beantragte die Klägerin ihrerseits Verweisung des Rechtsstreits "an das örtlich zuständige Amtsgericht Berlin".

Mit Beschluss vom 19.11.2001, der den Parteien mitgeteilt wurde, erklärte sich das Amtsgericht Schweinfurt für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit "an das Amtsgericht Berlin". In Berlin sind mehrere Amtsgerichte errichtet. Die Akten gingen beim - für die Anschrift der Beklagten nicht zuständigen - Amtsgericht Schöneberg ein, das die Akten in der Annahme, für diese Anschrift sei das Amtsgericht Mitte zuständig, an dieses Amtsgericht weiterleitete. Das Amtsgericht Mitte schickte die Akten dem Amtsgericht Schöneberg mit dem Hinweis zurück, dass die Anschrift der Beklagten zum Bezirk des Amtsgerichts Lichtenberg gehört. Das Amtsgericht Lichtenberg lehnte die Übernahme ab, da ein Verweisungsantrag an das Amtsgericht Lichtenberg nicht gestellt sei, eine Berliner Zuständigkeit aus § 29 ZPO auch am für den Ort des Bauwerks zuständigen Amtsgericht Pankow/Weißensee bestehe und eine Zuständigkeit beim Amtsgericht Schweinfurt als Ort der Klagezustellung und damit Sitz der Beklagten gegeben und nach § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO verfestigt sei. Gemäß richterlicher Verfügung wurden die Akten dem - in jedem Fall unzuständigen - Amtsgericht Schöneberg zurückgesandt. Dieses sandte die Akten mit Schilderung des Verfahrensablaufs und Ausführungen zur möglichen Zuständigkeit der Amtsgerichte Schweinfurt, Lichtenberg und Pankow/Weißensee an das Amtsgericht Schweinfurt zurück mit der Anregung, falls der Verweisungsbeschluss nicht aufgehoben werde, diesen um das entsprechende Amtsgericht zu ergänzen und die Akten dorthin zu schicken.

Mit Beschluss vom 9.4.2002 berichtigte das Amtsgericht Schweinfurt den Verweisungsbeschluss vom 19.11.2001 dahin, dass hinter das Wort "Berlin" der Text "-Lichtenberg" tritt. Der Beschluss ist damit begründet, dass von beiden Parteien Verweisung an das Amtsgericht Berlin wegen des dortigen Sitzes der Beklagten beantragt wurde. Die Verweisung betreffe dasjenige Amtsgericht in Berlin, in dessen Bezirk die Beklagte ihren Sitz habe, also das Amtsgericht Lichtenberg. In der richterlichen Zuleitungsverfügung an das Amtsgericht Lichtenberg ist ferner ausgeführt, dass der Sitz der Beklagten seit 1999 in Berlin sei, was zwischen den Parteien unstreitig und durch die Eintragung im Handelsregister belegt sei. Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Schweinfurt könne nicht daraus hergeleitet werden, dass in den Räumlichkeiten eines anderen Unternehmens der Familie Z. in Schweinfurt eine an die Beklagte adressierte Zustellung entgegengenommen worden sei. Mit Beschluss vom 21.5.2002 lehnte das Amtsgericht Lichtenberg die Übernahme ab und verfügte Rücksendung der Akten an das Amtsgericht Schweinfurt. Die Akten wurden aber nicht dem Amtsgericht Schweinfurt, sondern dem Amtsgericht Schöneberg zugeleitet und von dort nach erneuter richterlicher Befassung mit der Angelegenheit an das Amtsgericht Schweinfurt weitergeschickt. Dieses verfügte am 4.7.2002 die Rückleitung der Akten an das Amtsgericht Lichtenberg, unter Hinweis auf die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses und nochmaliger Darlegung seiner Rechtsauffassung. Mit Beschluss vom 17.7.2002 erklärte sich das Amtsgericht Lichtenberg für örtlich unzuständig und legte den Rechtsstreit dem Oberlandesgericht Bamberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Das Amtsgericht Lichtenberg hält den Verweisungsbeschluss nicht für bindend, da sich das verweisende Gericht mit den die eigene örtliche Zuständigkeit unzweifelhaft begründenden Tatsachen nicht auseinandergesetzt habe. Auch sei eine Verweisung an das Amtsgericht Lichtenberg nicht beantragt gewesen. Schließlich habe es das Amtsgericht Schweinfurt unterlassen, der Beklagten vor dem Berichtigungsbeschluss und der Verweisung an ein konkretes Gericht rechtliches Gehör zu gewähren.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dein zuerst mit der Sache befassten Amtsgericht Schweinfurt und dem Amtsgericht Lichtenberg berufen (§ 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO). Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.

2. Örtlich zuständig ist jedenfalls aufgrund des bindenden Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Schweinfurt vom 19.11.2001 das Amtsgericht Lichtenberg.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 5 (jetzt: Satz 4) ZPO ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Diese Bindung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten, so dass der erste mit verfahrensrechtlicher Bindungswirkung erlassene Verweisungsbeschluss im Bestimmungsverfahren fortwirkt (BayObLG NJW-RR 1991, 187/188; KG-Report 1999, 394/395; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 36 Rn. 28). Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich der Nachprüfung (BGH NJW 1988, 1794/1795; BGH FamRZ 1990, 1226/1227; BayObLGZ 1985, 397/401). Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn die Verweisung offensichtlich gesetzwidrig ist, so dass sie als objektiv willkürlich erscheint, oder wenn sie auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (BGHZ 102, 338/341; BayObLGZ 1991, 280/281 f.; Zöller/Greger § 281 Rn. 17 und 17a).

b) Mit gut vertretbarer Begründung hat das Amtsgericht Schweinfurt seine Zuständigkeit verneint. Die Beklagte hat die Rechtsform einer GmbH; ihr allgemeiner Gerichtsstand wird durch den Sitz bestimmt (H 12, 17 ZPO). Dieser ist satzungsmäßig festgelegt (§ 3 Abs. 1, § 4a GmbHG) und befand sich ausweislich des vorgelegten Handelsregisterauszugs schon vor dem Jahr 2001, in dem der für die Zuständigkeitsprüfung maßgebliche Zeitpunkt liegt (vgl. § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO; BayObLG NJW-RR 1995, 636; Zöller/Vollkommer § 696 Rn. 6, 7), in Berlin. Für § 17 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich dieser Satzungssitz maßgebend (vgl. Wieczorek/Schütze/Hausmann ZPO 3. Aufl. § 17 Rn. 8, 20; MünchKommZPO/Patzina 2. Aufl. § 17 Rn. 13; Stein/Jonas/Schumann ZPO 21. Aufl. 5 17 Rn. 9, 12). Die Zustellung in Schweinfurt, soweit sie erfolgreich war, hat das Amtsgericht Schweinfurt als damit plausibel erklärt angesehen, dass die Familie der Geschäftsführerin der Beklagten unter der Schweinfurter Adresse andere Firmen betreibt; hierfür finden sich in der Tat Hinweise in den Akten (vgl. Schweinfurter Anschrift und identischer Geschäftsführername auf dem von der Beklagten vorgelegten Schreiben der Z.-GmbH). Die Rechtsmeinung, dass dadurch der für § 17 ZPO maßgebliche satzungsmäßige Sitz der Beklagten in Berlin nicht in Frage gestellt wird, ist naheliegend. Davon, dass das Amtsgericht Schweinfurt unzweifelhaft zuständig sei und sich mit den seine Zuständigkeit begründenden Tatsachen nicht auseinandergesetzt habe, wie das Amtsgericht Lichtenberg meint, kann keine Rede sein.

c) Der Verweisung liegt auch ein wirksamer Verweisungsantrag der Klagepartei zugrunde. Mit der Angabe von Schweinfurt im Mahnverfahren hatte die Klägerin ein etwa bestehendes Wahlrecht zwischen mehreren Gerichtsständen (§ 35 ZPO) allerdings zunächst zugunsten von Schweinfurt ausgeübt (vgl. BGH NJW 1993, 1273; Zöller/Vollkommer § 690 Rn. 16). Die Wahl kann aber wirksam nur zwischen mehreren zuständigen Gerichten getroffen werden. Legt man die vertretbare Rechtsansicht des Amtsgerichts Schweinfurt zugrunde, dass dort kein Gerichtsstand gegeben ist, so konnte die von der Klägerin im Mahnverfahren getroffene Wahl bezüglich dieses Gerichts keine Bindungswirkung entfalten (vgl. BayObLG NJW-RR 2001, 646/647; Zöller/ Vollkommer § 35 Rn. 3). Die Klägerin konnte, wie geschehen, ihr etwa bestehendes Wahlrecht durch Stellung eines Verweisungsantrags erneut ausüben.

d) Der Verweisungsantrag der Klägerin zielte ersichtlich auf das für den Sitz der Beklagten in Berlin - und nicht für ein möglicherweise ebenfalls in Berlin gelegenen Erfüllungsort - örtlich zuständige Amtsgericht. Denn der Antrag wurde als Reaktion auf die Klageerwiderung gestellt, in der sich die Beklagte auf die infolge ihres Sitzes in Berlin bestehende Zuständigkeit "des Amtsgerichts Berlin" berufen hatte. Im übrigen hatte die Klägerin bereits im Mahnbescheidsantrag Schweinfurt angegeben, weil sie dort den Sitz der Beklagten - und nicht etwa einen Erfüllungsort - annahm. Sie hat somit von Anfang an und durchgängig die Beklagte immer nur an ihrem Sitz verklagen wollen. Wenn sie sodann, die ungenaue Angabe der Beklagten aufgreifend, Verweisung an das "Amtsgericht Berlin" beantragte, so kann dies - da es ein für ganz Berlin zuständiges Amtsgericht Berlin nicht gibt, sondern Berlin in mehrere Amtsgerichtsbezirke aufgeteilt ist - sinnvoller Weise nur als Antrag auf Verweisung an dasjenige Amtsgericht in Berlin ausgelegt werden, das im Hinblick auf den Berliner Sitz der Beklagten zuständig ist. Das ist das Amtsgericht Lichtenberg.

e) Im Hinblick auf den vorstehend dargelegten Inhalt des Verweisungsantrags der Klagepartei war auch der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Schweinfurt - schon vor seiner "Berichtigung" - als Verweisung an das Amtsgericht Lichtenberg zu verstehen. Das verweisende Gericht kann zwar das zuständige Gericht nicht offen lassen; es kann nur an ein bestimmtes Gericht verweisen. Dieses war hier aber unschwer durch Auslegung zu ermitteln. Da das verweisende Gericht an die von der Klagepartei im Verweisungsantrag getroffene Wahl gebunden ist (§ 281 Abs. 1 Satz 2 ZPO), konnte auch das Amtsgericht Schweinfurt nur das für den Sitz der Beklagten zuständige Amtsgericht in Berlin gemeint haben. Für die vom Amtsgericht Lichtenberg angestellte Erwägung, es kämen zwei Berliner Amtsgerichte in Betracht, nämlich auch dasjenige des Erfüllungsortes, ist kein Raum. Bei dieser Sachlage war schon der Verweisungsbeschluss vom 19.11.2001, der dem übereinstimmenden Willen der Parteien entsprach, wirksam und bindend, ohne dass es eines Berichtigungsbeschlusses überhaupt bedurft hätte. Auf die Frage einer erneuten Gehörsgewährung nach Erlass des Beschlusses vom 19.11.2001 kommt es nicht an; im übrigen dienten alle nachfolgenden Handlungen des Amtsgerichts Schweinfurt einzig dazu, dem übereinstimmenden Antrag der Parteien auf Verweisung an das in Berlin für den Sitz der Beklagten zuständige Amtsgericht Rechnung zu tragen.

Ende der Entscheidung

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