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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 09.09.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 109/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 29 Abs. 1
ZPO § 35
ZPO § 690 Abs. 1 Nr. 5
ZPO § 696 Abs. 1
Auch nach der Neuregelung der §§ 690 Abs. 1 Nr. 5, 696 Abs. 1 ZPO ist im Mahnverfahren die gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nach Widerspruch mehrerer Antragsgegner vor dem Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens zulässig.
Gründe:

I.

Die Antragstellerin, eine Bank, verlangt von der Antragsgegnerin zu 1 die Rückzahlung eines gekündigten Kontokorrentkredits. Für diesen hatten die Antragsgegner zu 2 und 3 und der verstorbene Ehemann der Antragsgegnerin zu 4 als Gesellschafter und Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 1 gebürgt. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegner zu 2 und 3 sowie die Antragsgegnerin zu 4 als Erbin ihres verstorbenen Ehemanns als Gesamtschuldner in Anspruch. Die Antragsgegnerin zu 1, 3 und 4 haben ihren allgemeinen Gerichtsstand beim Landgericht Regensburg, der Antragsgegner zu 2 hat seinen allgemeinen Gerichtsstand beim Landgericht Hof.

Die Antragstellerin hat zunächst Mahnbescheide gegen die Antragsgegner zu 1 bis 3 erwirkt. In diesen ist als für das streitige Verfahren zuständiges Gericht jeweils das Gericht angegeben, bei dem die Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand haben. Nach Widerspruch der Antragsgegner zu 1 bis 3 will die Antragstellerin nun den bislang nicht gestellten Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens stellen und die Klage dabei auf die Antragsgegnerin zu 4 erweitern. Mit Schriftsatz vom 8.8.2002 hat sie zuvor gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beantragt, für die vier Antragsgegner als gemeinsam zuständiges Gericht das Landgericht Regensburg zu bestimmen.

Die Antragsgegner zu 1 bis 4 haben erklärt, mit einer Bestimmung gemäß dem Antrag einverstanden zu sein.

II.

Die Voraussetzungen für eine Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist als "das im Rechtszug zunächst höhere Gericht" für die Bestimmung zuständig, da die Landgerichte, bei denen die Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, verschiedenen bayerischen Oberlandesgerichtsbezirken angehören (BayObLGZ 1980, 1149/150; Thomas/Putzo ZPO 24. Aufl. § 36 Rn. 7).

2. Die Antragsgegner sollen als Streitgenossen verklagt werden (§ 60 ZPO; Thomas/Putzo § 60 Rn. 2).

Ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand besteht nicht. Der als Bürge in Anspruch genommene Antragsgegner zu 2 hat seine Verpflichtung, da die Bürgschaft einen gegenüber der Hauptschuld selbständigen Erfüllungsort hat (BGHZ 134, 127/133; RGZ 73, 262; Palandt/Sprau BGB 61. Aufl. § 765 Rn. 26; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 29 Rn. 25 Stichwort "Bürgschaft"; Vollkommer Rechtspfleger 1974, 365), gemäß der allgemeinen Regel des § 269 Abs. 1 BGB an seinem Wohnort zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses zu erfüllen; dieser liegt im Bezirk des Landgerichts Hof.

3. Der Bestimmung steht auch nicht die durch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz vom 17.12.1990 (BGBl. I S. 2847) neu gefasste Vorschrift des § 696 Abs. 1 ZPO entgegen.

a) Danach gibt das Mahngericht, wenn die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragt wird, den Rechtsstreit an das Gericht ab, das im Mahnbescheid als für das streitige Verfahren zuständig bezeichnet worden ist, oder, wenn die Parteien übereinstimmend die Abgabe an ein anderes Gericht verlangen, an dieses. Diese Regelung steht im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Änderung des § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Während nach der früheren Fassung des § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO zwingend das jeweilige Wohnsitzgericht des Schuldners als für das streitige Verfahren zuständiges Gericht anzugeben war, ist der Gläubiger nach der Neufassung nicht mehr auf die Angabe des Wohnsitzgerichts beschränkt, sondern kann nach seiner Wahl auch ein im Einzelfall zuständiges anderes Gericht angeben. Damit übt er ein nach § 35 ZPO gegebenen Wahlrecht mit (nach Zustellung des Mahnbescheids) bindender Wirkung aus (Zöller/Vollkommer § 690 Rn. 16). Eine Korrektur des angegebenen Gerichtsstands ist nach dem Wortlaut des § 696 Abs. 1 ZPO nur aufgrund eines übereinstimmenden Verlangens beider Parteien möglich.

b) Nach der früheren Rechtslage wurde es als zulässig angesehen, ein Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vor und sogar noch nach Abgabe des Rechtsstreits an das jeweilige Wohnsitzgericht der Schuldner durchzuführen (BGH NJW 1978, 1982; BayObLGZ 1980, 149/151 ff.; Zöller/ Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 696 Rn. 10). Dies hing mit der "Abgabeautomatik" (Zöller/Vollkommer § 690 Rn. 16) der früheren Regelung zusammen, nach der es nicht möglich war, ein im Einzelfall gegebenes Wahlrecht nach § 35 ZPO bereits mit dem Mahnbescheidsantrag auszuüben. Der Bundesgerichtshof nahm an, dass der wichtige Grundsatz des § 35 ZPO dadurch nicht für das Mahnverfahren abgeschafft werden sollte, und dass daher die durch die zwingende Regelung der §§ 690 Abs. 1 Nr. 5, 692 Abs. 1 Nr. 1, 696 Abs. 1 ZPO a.F. veranlasste Abgabe nach Widerspruch an das im Mahnbescheidsantrag anzugebende Wohnsitzgericht des Antragsgegners nicht nur dann nicht endgültig war, wenn das Gericht, an das abgegeben wurde, wegen unrichtiger Angaben oder aus sonstigen Gründen nicht zuständig war, sondern auch dann, wenn im konkreten Fall ein Wahlgerichtsstand bestand (BGH NJW 1979, 984). Die Abgabe hatte daher nach früherem Recht nicht die Bedeutung, zudem in aller Regel bereits endgültig zuständigen Gericht zu führen. Deswegen war es auch nicht systemwidrig, einen Bestimmungsantrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch noch nach der Abgabe zuzulassen, da der Antragsteller "andernfalls... in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise benachteiligt" würde (BGH NJW 1978, 1982).

c) Den in der Entscheidung NJW 1979, 984 vertretenen Standpunkt hat der Bundesgerichtshof als durch die Neufassung des § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO "überholt" bezeichnet, weil nunmehr die Möglichkeit bestehe, die Wahl bereits mit dem Mahnbescheidsantrag auszuüben (BGH NJW 1993, 1273). In der Kommentarliteratur wird dennoch - unter Berufung auf die zum früheren Rechtszustand ergangene Rechtsprechung - die Meinung vertreten, hinsichtlich der Zulässigkeit eines Bestimmungsverfahrens vor oder nach Abgabe verbleibe es beim Alten (Zöller/Vollkommer Rn. 10; Stein/Jonas/Schlosser ZPO 21. Aufl. Rn. 10; Wieczorek/Schütze/Olzen ZPO 3. Aufl. Rn. 13; MünchKomm/Holch ZPO 2. Aufl. Rn. 11; Musielak/Voit ZPO 3. Aufl. Rn. 3 jeweils zu § 696; MünchKomm/Patzina § 36 Rn. 30).

Dagegen spricht, dass es das ausdrückliche Ziel der Neuregelung war, eine mehrfache Weiterverweisung bzw. Abgabe durch frühzeitige endgültige Festlegung des zuständigen Streitgerichts zu vermeiden (BGH NJW 1993, 1273), das dadurch erreicht werden sollte, dass "im Mahnantrag das Gericht bezeichnet werden" sollte, "bei dem das Verfahren endgültig durchgeführt werden soll", und dass in § 696 Abs. 1 ZPO auch ein Verfahren zur Berichtigung der Angabe des für das streitige Verfahren zuständigen Gerichts im Mahnbescheid vorgesehen wurde: Wenn beide Parteien es übereinstimmend verlangen, "soll das Mahngericht ... den Rechtsstreit ausnahmsweise auch an ein im Mahnbescheid nicht bezeichnetes Gericht abgeben können" (BT-Drs. 11/3621 S. 46). Dies könnte dahingehend zu verstehen sein, dass ein Abrücken von dem im Mahnbescheid bezeichneten Gericht auf keinem anderen Weg möglich sein sollte.("eine einseitige Erklärung soll für das Gericht unbeachtlich sein"; aaO S. 48), auch nicht auf dem Weg eines erst nach Widerspruch gegen den Mahnbescheid durchgeführten Gerichtsstandsbestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Dies würde aber bedeuten, dass ein Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bereits vor der Einleitung des Mahnverfahrens durchgeführt werden müsste, um das bestimmte Gericht im Mahnbescheidsantrag benennen und die Abgabe an dieses (auch ohne übereinstimmendes Verlangen des Antragsgegners) sicherstellen zu können. Das aber wäre unzweckmäßig, da gerade derjenige, der einen Mahnbescheidsantrag stellt, mit der Möglichkeit rechnet, dass kein Widerspruch eingelegt wird, es also gar nicht zum streitigen Verfahren kommen wird. Die mit der Gesetzesänderung verfolgten Zwecke der Vereinfachung des Verfahrens sprechen daher für eine Zulassung des Gerichtsstandsbestimmungsverfahrens nach Einlegung des Widerspruchs, da es ansonsten zu sich letztlich als überflüssig herausstellenden Bestimmungsverfahren vor Einleitung des Mahnverfahrens kommen würde. Wenn das Bestimmungsverfahren vor der Abgabe durchgeführt wird, wie hier, kollidiert es auch nicht mit den Zwecken der Neuregelung und anderen Verfahrensgrundsätzen. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO wird eine Bestimmung nur dann vorgenommen, wenn es keinen gemeinsamen allgemeinen oder besonderen Gerichtsstand für die Streitgenossen gibt, also eine Wahlmöglichkeit (§ 35 ZPO), die durch den Mahnbescheidsantrag ausgeübt hätte werden können, (noch) nicht bestand. Sie entsteht in diesem Fall erst nach Einlegung des Widerspruchs infolge der dann erst beantragten Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts, und wird ausgeübt dadurch, dass nunmehr die Abgabe an das nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bestimmte Gericht beantragt wird. Dies ist vereinbar mit dem Grundsatz, dass ein Wahlrecht nach § 35 ZPO (nur) bis zur Rechtshängigkeit ausgeübt werden kann (Wieczorek/ Schütze/Hausmann § 35 Rn. 4, 7); denn die Rechtshängigkeit tritt nach h. M. erst durch die Abgabe ein (BayObLG NJW-RR 1995, 635/636; Zöller/Vollkommer § 696 Rn. 5 und 6). Der erst in diesem Stadium des Verfahrens getroffenen Wahl muss daher Bindungswirkung - auch gegenüber dem Mahn- und Streitgericht - zuerkannt werden. Wenn das Mahngericht trotzdem, dem Wortlaut des § 696 Abs. 1 ZPO folgend, den Rechtsstreit an das noch im Mahnbescheid benannte Gericht abgibt, kann dieses den Antrag als Verweisungsantrag behandeln und den Rechtsstreit an das durch die Bestimmung zuständig gewordene und bindend gewählte Gericht verweisen (vgl. KG NJW-RR 2001, 62 f.).

4. Es erscheint zweckmäßig, auch für den Antragsgegner zu 2 das Landgericht Regensburg als für das streitige Verfahren zuständiges Gericht zu bestimmen, da drei der vier Streitgenossen dort ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, insbesondere auch die Hauptschuldnerin, für deren Schuld der Antragsgegner zu 2 als ihr Gesellschafter und Geschäftsführer gebürgt hat.

Ende der Entscheidung

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