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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.10.2003
Aktenzeichen: 1Z AR 115/03
Rechtsgebiete: HGB, ZPO


Vorschriften:

HGB § 1 Abs. 2
HGB § 105 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 38 Abs. 1
Zur Frage, ob ein Verweisungsbeschluss auf Willkür beruht, wenn das Gericht eine Gerichtsstandsvereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer GmbH, auf die in den Bestellformularen ausdrücklich hingewiesen wurde und die auf der Rückseite abgedruckt waren, mit einer Vertragspartnerin, die als Mitinhaberin eines Jeansgeschäfts aufgetreten ist, als wirksam ansieht.
Gründe:

I.

Die Klägerin vertreibt Mode der Marke B als Rechtsnachfolgerin der Firma A. Diese stand in Geschäftsbeziehung zu einem Geschäft in Hof, das unter der Bezeichnung "C" auftrat. Nach dem Briefpapier dieses Geschäfts waren "Inhaber: D, E". Die Klägerin hat aus Bestellungen, die noch die Firma A entgegengenommen und bestätigt, die Klägerin aber ausgeliefert hatte, Kaufpreisforderungen in Höhe von 17.968,83 EUR im Mahnverfahren gegen eine "Firma C Inh. E" unter der Geschäftsadresse geltend gemacht. Gegen den Mahnbescheid, der E persönlich zugestellt worden war, wurde kein Widerspruch eingelegt. Der Vollstreckungsbescheid wurde am 22.11.2002 wiederum unter der Geschäftsadresse durch Übergabe an D als "einer dort Beschäftigten" zugestellt. Mit Schreiben vom 14.3.2003 legte E Einspruch ein mit der Begründung, sie sei nicht Inhaberin des Geschäfts; dies sei vielmehr ihre Mutter D. Über deren Vermögen wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 26.3.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Klägerin hat in der Anspruchsbegründung beantragt, den Rechtsstreit an das ausschließlich zuständige Landgericht Düsseldorf zu verweisen. Sie hat - unter Vorlage ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen, nach deren § 8 Nr. 3 "als ausschließlicher Gerichtsstand ... Düsseldorf vereinbart" wird, "sofern eine solche Gerichtsstandsvereinbarung zulässig ist", ferner einer Reihe von Bestellungen, die teils von D, zum größeren Teil von E unterzeichnet sind und in denen jeweils ein Hinweis "auf unsere auf der Rückseite dieses Blattes abgedruckten Allgemeinen Geschäftsbedingungen" enthalten ist - behauptet, gemäß ihren AGB sei Düsseldorf als ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart worden. Die Beklagte habe unter der Bezeichnung "C" ein vollkaufmännisches Textileinzelhandelsgeschäft gemeinsam mit ihrer Mutter D betrieben. Da D insolvent sei, sei diese nicht mit in Anspruch genommen worden. Die AGB mit der Vereinbarung des ausschließlichen Gerichtsstandes Düsseldorf seien Gegenstand aller streitgegenständlichen Bestellungen gewesen.

Die Beklagte ist dem mit der Behauptung entgegengetreten, sie sei lediglich Angestellte ihrer Mutter, der alleinigen Inhaberin des Geschäfts, gewesen; Verträge seien daher nur zwischen der Klägerin und ihrer Mutter D zustande gekommen. Ferner hat sie "darauf hingewiesen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung unwirksam und ausschließlicher Gerichtsstand gemäß § 13 ZPO Hof ist".

Das Landgericht Hof, das im Mahnbescheidsantrag als für ein streitiges Verfahren zuständig benannt und an das das Verfahren nach dem Einspruch der Beklagten abgegeben worden war, hat zunächst ein schriftliches Vorverfahren durchgeführt, dann einen Haupttermin angesetzt, diesen aber mit Verfügung vom 19.8.2003 wieder aufgehoben. Mit Beschluss vom 20.8.2003 hat es sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das Landgericht Düsseldorf verwiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, zuständig sei auf Grund der Gerichtsstandsvereinbarung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht das Landgericht Hof, sondern das Landgericht Düsseldorf. Die Beklagte sei als Kaufmann prorogationsbefugt im Sinne des § 38 Abs. 1 ZPO. Die Vermutung der Kaufmannseigenschaft, die sich aus § 1 Abs. 2 HGB ergebe, sei nicht erschüttert. Bei der Frage, wer letztlich Inhaber des Unternehmens sei, handle es sich um eine Frage der Begründetheit; im Rahmen der Beurteilung der Zuständigkeit bedürfe sie keiner Entscheidung.

Das Landgericht Düsseldorf hat sich seinerseits mit Beschluss vom 12.9.2003 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Hof zurückverwiesen. Es vertritt darin die Meinung, der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Hof entfalte keine Bindungswirkung, weil er unter Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs zustande gekommen, im Übrigen auch objektiv willkürlich sei. Die Klägerin habe im Mahnbescheidsantrag das Landgericht Hof als Streitgericht benannt und damit ihr Wahlrecht ausgeübt. Die Beklagte habe die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Hof nicht gerügt, sondern sich zur Sache eingelassen. Feststellungen dazu, dass der Gerichtsstand Düsseldorf als ausschließlicher zwischen den Parteien vereinbart worden sei, habe das Landgericht nicht getroffen. Es habe auch nicht festgestellt, dass die Beklagte sich der Geltung der AGB der Klägerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin unterworfen hätte; es lasse vielmehr die Frage der Inhaberschaft des Unternehmens ausdrücklich offen.

Das Landgericht Hof hat die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO für die Entscheidung des Zuständigkeitsstreits zwischen dem - zuerst mit der Sache befassten - Landgericht Hof und dem Landgericht Düsseldorf zuständig.

2. Beide Landgerichte, von denen nach Sachlage eines zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit durch den Parteien mitgeteilte, gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO "rechtskräftig" für unzuständig erklärt.

3. Örtlich zuständig ist auf Grund des bindenden Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Hof das Landgericht Düsseldorf.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluss grundsätzlich unanfechtbar und für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO tritt auch dann ein, wenn der Verweisungsbeschluss auf Rechtsirrtum beruht oder sonst fehlerhaft ist (Thomas/Putzo/Reichold ZPO 25. Aufl. § 281 Rn. 11). Die Bindungswirkung entfällt ausnahmsweise, wenn die Verweisung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht oder wenn sich die Verweisung so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht mehr hingenommen werden kann (vgl. BGHZ 71, 69/72; 102, 338/341; BayObLGZ 1986, 285/287; 1993, 317/319; 2003 Nr. 32; Zöller/Greger ZPO 23. Aufl. § 281 Rn. 17 und 17 a).

Die Bindungswirkung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Als zuständig ist daher dasjenige Gericht zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluss gelangt ist, wenn diesem die Bindungswirkung nicht ausnahmsweise fehlt (vgl. BayObLGZ 1989, 235/238; 1991, 387/389; NJW-RR 2001, 646/647; Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 28).

b) Entgegen der Meinung des Landgerichts Düsseldorf liegt kein Grund vor, dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts Hof die Bindungswirkung ausnahmsweise abzusprechen.

aa) Der Beschluss beruht nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die Anspruchsbegründung, die den Verweisungsantrag enthält, wurde der Beklagten zugestellt; sie hatte Gelegenheit, sich hierzu zu äußern und hat sich (im Schriftsatz vom 14.7.2003) zur Gerichtsstandsvereinbarung geäußert. Die Behauptung der ausschließlichen Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf enthielt implizit die Behauptung der Unzuständigkeit des Landgerichts Hofs. Das Gericht war nicht verpflichtet, sich dazu zu äußern, ob es diese Behauptung für zutreffend halte oder nicht. Der mit der Abladung gegebene Hinweis, dass das Gericht seine Zuständigkeit nicht für gegeben halte und dem Verweisungsantrag stattgeben werde, war unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs nicht geboten. Dies wäre dann der Fall gewesen, wenn das Gericht zunächst den Eindruck erweckt hätte, es komme auf bestimmte tatsächliche oder rechtliche Fragen (im Zusammenhang mit der Zuständigkeit) nicht an und dadurch die Parteien veranlasst hätte, von (weiterem) Vortrag hierzu abzusehen, danach aber seine Meinung geändert hätte, ohne die Parteien auf diese Meinungsänderung hinzuweisen (vgl. Stein/Jonas/Leipold ZPO 21. Aufl. vor § 128 Rn. 42). Das Gericht hatte durch die Terminierung unter Ladung der Mutter der Beklagten D als Zeugin zum Beweisthema "Inhaberverhältnisse der Firma C" umgekehrt den Eindruck erweckt, es komme auf die Klärung dieser Frage in tatsächlicher Hinsicht an. Es musste, nachdem es später zu der Erkenntnis kam, dass es hierauf aus rechtlichen Gründen nicht ankomme - vielmehr lediglich auf die Behauptungen der Klägerin - die Parteien nicht vor einer Entscheidung über den Verweisungsantrag auf die Meinungsänderung hinweisen; ein solcher Hinweis konnte keiner Partei Anlass zu bisher im Vertrauen auf die Meinung des Gerichts zurückgehaltenem Vortrag geben.

bb) Ein Verweisungsbeschluss kann insbesondere dann den Charakter einer willkürlichen Maßnahme haben, wenn sich das Gericht - bewusst oder unbewusst - darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung die eigene Unzuständigkeit voraussetzt, bei offensichtlich gegebener eigener Zuständigkeit also nicht möglich ist (vgl. BGH NJW 1993, 1273; NJW 2002, 3634/3635; BayObLGZ 1993, 317/319). Ein derartiger Fall liegt jedoch - entgegen der Meinung des Landgerichts Düsseldorf, wonach die Klägerin durch die Bestimmung des Landgerichts Hof als Streitgericht ihr Wahlrecht ausgeübt habe und daran gebunden gewesen sei - nicht vor.

(1) Das Landgericht Hof hat ersichtlich die Behauptung der Klägerin, Düsseldorf sei als ausschließlicher Gerichtsstand vereinbart worden - für den der Wortlaut der (vorgelegten) Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin spricht - übernommen und in dem Sinne verstanden, dass der vereinbarte Gerichtsstand für beide Parteien bindend sein sollte, so dass es der Klägerin nicht frei stand, statt des als zuständig vereinbarten Landgerichts Düsseldorf das für den Sitz der Beklagten zuständige Landgericht Hof zu wählen. Unter Zugrundelegung dieser jedenfalls vertretbaren, nicht willkürlichen Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung hat die Klägerin mit der Angabe des Landgerichts Hof im Mahnbescheidsantrag nicht eine Wahl zwischen mehreren zuständigen Gerichten getroffen (§ 35 ZPO), sondern ein unzuständiges Gericht benannt, das auf Grund des Antrags der Klägerin an das zuständige Gericht verweisen musste (vgl. Zöller/Vollkommer § 696 Rn. 7). Auf die Rüge der Beklagten kam es dabei schon deswegen nicht an, weil die Zuständigkeit des Landgerichts Hof auch nicht durch rügeloses Verhandeln der Beklagten begründet werden konnte (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 ZPO).

(2) Auf den Bestellformularen war auf die (rückseitigen) Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin hingewiesen worden. Das Einverständnis hiermit konnte auch schlüssig erklärt werden; es ist in der Regel zu bejahen, wenn es - wie hier - nach Erfüllung der Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB zum Vertragsschluss kommt (Palandt/Heinrichs BGB 62. Aufl. § 305 Rn. 43). Auch nach § 38 Abs. 1 ZPO genügt eine "ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung"; einer Form bedarf es nicht (Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 38 Rn. 17).

(3) Hinsichtlich der Kaufmannseigenschaft der Beklagten ist das Landgericht Hof von der Behauptung der Klägerin ausgegangen, die Beklagte sei Mitinhaberin des Ladengeschäfts gewesen, sie habe sich jedenfalls als solche geriert. Auch in letzterem Fall war es zumindest vertretbar, anzunehmen, dass sie als (Schein-)Gesellschafterin einer OHG (§ 105 Abs. 1, § 1 Abs. 2 HGB; letztere Vorschrift begründet eine widerlegbare Vermutung für das Bestehen eines Handelsgewerbes, Baumbach/Hopt HGB 31. Aufl. § 1 Rn. 5, 25) zu dem prorogationsbefugten Personenkreis gehörte (vgl. Stein/Jonas/Bork § 38 Rn. 10; Baumbach/Hopt § 5 Rn. 16, § 105 Rn. 11). Abgesehen davon, dass die Beklagte nur bestritten hat, tatsächlich Mitinhaberin gewesen zu sein, nicht auch, dass "fälschlich auf dem Briefbogen zwei Inhaberinnen angegeben" waren (Schriftsatz vom 14.7.2003), konnte sich das Landgericht Hof mit der schlüssigen Behauptung der Kaufmannseigenschaft begnügen, weil von der (Schein-)Mitinhaberschaft der Beklagten zugleich die Begründetheit des Klageanspruchs abhängt (doppeltrelevante Tatsache, vgl. Stein/Jonas/Roth § 1 Rn. 24). Die Frage der Unwirksamkeit der Zustellung des Vollstreckungsbescheids hängt nicht von der Frage der Mitinhaberschaft der Beklagten ab (vgl. Zöller/Stöber § 178 Rn. 17, 18 a.E.).



Ende der Entscheidung

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