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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 10.11.2003
Aktenzeichen: 1Z AR 129/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 269
ZPO § 29 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Bauwerkvertrag ist regelmäßig der Ort des Bauwerks (Bestätigung von BayObLGZ 1983, 64).
Gründe:

I.

Die Klägerin trägt vor, ihr stünde gegen die Beklagte für Verputzarbeiten an einem Gebäude in Kempten eine Werklohnforderung zu. Sie hat deshalb bei dem Amtsgericht Kempten gegen die Beklagte in der Hauptsache Klage auf Zahlung von 3.699,45 EUR erhoben und zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Kempten auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 ZPO hingewiesen. Vorsorglich hat die Klägerin die "Abgabe" an das für den Sitz der Beklagten örtlich zuständige Amtsgericht Forchheim beantragt.

Mit Schriftsatz 26.5.2003 hat die Beklagte die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Kempten gerügt und zur Begründung ausgeführt, der geltend gemachte Zahlungsanspruch sei grundsätzlich am Wohnsitz des Schuldners geltend zu machen. Das Amtsgericht Kempten hat sich daraufhin - ohne den Schriftsatz der Beklagten vom 26.5.2003 der Klägerin zuvor mitzuteilen - mit Beschluss vom 27.5.2003 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit "gemäß § 281 ZPO" an das Amtsgericht Forchheim verwiesen. Über die zitierte gesetzliche Vorschrift hinaus enthält der Verweisungsbeschluss keine Begründung.

Das Amtsgericht Forchheim hat sich mit Beschluss vom 30.10.2003 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Zur Begründung hat das Amtsgericht Forchheim unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1986, 935) ausgeführt, Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Bauwerkvertrag sei regelmäßig der Ort des Bauwerks. Es liege im wohlverstandenen Interesse beider Vertragsparteien, dass eine gerichtliche Auseinandersetzung dort geführt werden könne, wo aufgrund der räumlichen Nähe zum Bauwerk eine Beweisaufnahme - z.B. über das Aufmaß oder über behauptete Mängel - regelmäßig wesentlich einfacher und kostengünstiger durchgeführt werden könne als an dem auswärtigen Wohnsitz des Auftraggebers. So lägen die Gegebenheiten auch in dem anhängigen Rechtsstreit. Zu den zwischen den Parteien streitigen Massen sei Beweis durch Sachverständigengutachten und durch einen Zeugen in Sonthofen angeboten; ein Augenschein müsste gegebenenfalls in Kempten durchgeführt werden. Unter den in Betracht kommenden Gerichtsständen des Erfüllungsorts nach § 29 ZPO und des Sitzes der Beklagten nach § 17 ZPO habe die Klägerin durch Klageerhebung bei dem gemäß § 29 ZPO zuständigen Gericht die Wahl ausgeübt. Die getroffene Wahl sei unwiderruflich und bindend. Demgegenüber könne der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Kempten vom 27.5.2003 keine Bindungswirkung entfalten.

II.

Als zuständiges Gericht war das Amtsgericht Kempten zu bestimmen. Die nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dafür maßgebenden Voraussetzungen liegen vor.

1. Die beiden am negativen Kompetenzstreit beteiligten Gerichte liegen in den Bezirken verschiedener bayerischer Oberlandesgerichte. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in einem solchen Fall den Zuständigkeitsstreit als das im Rechtszug zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht (§ 36 Abs. 1 ZPO) zu entscheiden.

2. Als zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Kempten zu bestimmen.

Erfüllungsort (§ 29 Abs. 1 ZPO, § 269 Abs. 1 BGB) für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Bauwerkvertrag ist regelmäßig der Ort des Bauwerks (BGH NJW 1986, 935; BayObLGZ 1983, 64/66; Palandt/Heinrichs BGB 62. Aufl. § 269 Rn. 14; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 29 Rn. 25 Stichwort "Bauwerkvertrag"). Da der Ort des Bauwerks in Kempten gelegen ist, besteht bei dem Amtsgericht Kempten der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach § 29 Abs. 1 ZPO. Diesen Gerichtsstand hat die Klägerin durch Klageerhebung bei dem zuständigen Amtsgericht Kempten gewählt (§ 35 ZPO); die getroffene Wahl ist unwiderruflich und bindend (vgl. Zöller/Vollkommer § 35 Rn. 2 m.w.N.).

Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Forchheim folgt nicht aus einer Bindung an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Kempten gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Diese Bindungswirkung gilt nicht, wenn die Verweisung sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht hingenommen werden kann oder wenn sie auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht (vgl. BGHZ 71, 69/72; 102, 338/341; BayObLGZ 1986, 285/287; 1991, 280/281; 1993, 317/319; Zöller/Greger § 281 Rn. 17).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Kempten vom 27.5.2003 entbehrt jeder gesetzlichen Grundlage, weil das als Gericht des Erfüllungsorts (§ 29 Abs. 1 ZPO) unzweifelhaft örtlich zuständige Amtsgericht Kempten sich darüber hinwegsetzte, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt (BGH NJW 1993, 1273; 2002, 3634; BayObLGZ 1993, 317).



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