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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 10.11.2004
Aktenzeichen: 1Z AR 137/04
Rechtsgebiete: ZPO, Luganer Übereinkommen, EuGVVO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 59
ZPO § 60
Luganer Übereinkommen Art. 6 Nr. 3
Luganer Übereinkommen Art. 17
Luganer Übereinkommen Art. 54b Abs. 2 Buchst. a
EuGVVO Art. 6 Nr. 1
EuGVVO Art. 6 Nr. 3
1. Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts für die Widerklage und parteierweiternde so genannte Drittwiderklage eines in Deutschland verklagten Beklagten mit Wohnsitz in Norwegen.

2. Zur Streitgenossenschaft beim Prätendentenstreit um einen hinterlegten Geldbetrag, wenn zweifelhaft ist, ob der Kläger zur Auszahlung des Betrages an ihn die Einwilligung mehrerer Beklagter kumulativ oder nur alternativ benötigt.


Gründe:

I.

Der Antragsteller hatte aufgrund eines rechtskräftigen Zahlungstitels gegen den später insolvent gewordenen Zahnarzt Z dessen Honoraransprüche gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns (KZVB) pfänden lassen. Diese erhielt eine Abtretungsanzeige, wonach die Honoraransprüche schon zuvor in einem näher bezeichneten Umfang an die Antragsgegner zu 2 bis 5 abgetreten worden seien. Der Antragsteller hält diese Abtretungen für unwirksam. Auf sein Anraten hinterlegte die KZVB Teile des von ihr geschuldeten Honorarbetrags beim Amtsgericht unter Verzicht auf das Recht zur Rücknahme. Als Hinterlegungsbeteiligte werden beim Amtsgericht der Antragsteller und die Antragsgegner zu 2 bis 5 geführt.

Der Antragsgegner zu 1 ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Z. Nach seiner Auffassung ist das hinterlegte Geld der Insolvenzmasse zuzuführen. Er erzielte mit den Antragsgegnern zu 2 bis 5 wegen Insolvenzanfechtung eine außergerichtliche Einigung dahin, dass diese ihre durch Abtretung erworbenen Ansprüche auf das hinterlegte Geld an ihn abgetreten und ihre Einwilligung erklärt haben, dass der hinterlegte Geldbetrag an ihn ausgezahlt wird.

Vor dem Landgericht München I erhob der Antragsgegner zu 1 Klage gegen den Antragsteller auf Einwilligung in die Auszahlung des hinterlegten Betrages an den Kläger. Der Antragsteller erhob Widerklage mit dem Antrag, dass der Kläger seinerseits in die Auszahlung an den Beklagten (Antragsteller) einwilligt. Er beabsichtigt, die Widerklage auf die bisher am Rechtsstreit nicht beteiligten Antragsgegner zu 2 bis 5 auszudehnen, und hat insoweit die Bestimmung des Landgerichts München I als gemeinsam zuständiges Gericht beantragt.

Der Antragsteller (Beklagter) hat seinen Wohnsitz in Norwegen. Der Antragsgegner zu 1 ist geschäftsansässig am Sitz des Insolvenzgerichts in München. Die Antragsgegner zu 2 bis 5 sind im Bezirk des Landgerichts Darmstadt wohnhaft. Antragsteller und Antragsgegner zu 1 haben nach Entstehen der Streitigkeit schriftlich die internationale und ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I vereinbart. Der Antragsgegner zu 1 hält die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung nicht für gegeben, da die Antragsgegner zu 2 bis 5 ihre Rechtsstellung als Hinterlegungsbeteiligte auf ihn, den Insolvenzverwalter, übertragen hätten; er und die Antragsgegner zu 2 bis 5 seien nicht kumulativ, sondern allenfalls alternativ Hinterlegungsbeteiligte.

II.

1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

a) Die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I für die gegen den in Norwegen wohnhaften Beklagten gerichtete Klage ergibt sich aus Art. 17, 54b Abs. 2 Buchst. a) des Luganer Übereinkommens (LugÜ) in Verbindung mit der zwischen Kläger und Beklagtem getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung. Für die Widerklage gegen den Kläger ist, falls sich die Gerichtsstandsvereinbarung hierauf nicht beziehen sollte, das Landgericht München I jedenfalls nach Art. 6 Nr. 3 LugÜ oder nach Art. 6 Nr. 3 EuGVVO zuständig. Wie im nationalen Recht (vgl. Art. 33 ZPO) gilt der Gerichtsstand der Widerklage nach den genannten internationalen bzw. gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen aber grundsätzlich nicht für die parteierweiternde Widerklage - so genannte Drittwiderklage -, durch die eine oder mehrere neue Parteien in den anhängigen Rechtsstreit hineingezogen werden (vgl. MünchKommZPO/Gottwald 2. Aufl. Art. 6 EuGVÜ Rn. 16; Kropholler Europäisches Zivilprozessrecht 7. Aufl. Art. 6 EuGVVO Rn. 40; Schlosser EU-Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 6 EuGVVO Rn. 9). Daher ist, wenn die sonstigen Voraussetzungen vorliegen, § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO anwendbar. Die Bestimmung erfolgt in diesen Fällen unter dem Vorbehalt, dass das mit der Widerklage befasste Gericht über die Sachdienlichkeit der Drittwiderklage gemäß § 263 ZPO selbst zu befinden hat (vgl. BGH NJW 1991, 2838; 1992, 982; 1993, 2120).

b) Auch im Fall der Widerklage setzt die Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO voraus, dass für den Rechtsstreit - das heißt hier für die prozessualen Ansprüche gegen die Widerbeklagten - ein gemeinschaftlicher allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist (BGH NJW 2000, 1871). Diese Voraussetzung ist erfüllt. Insbesondere greift für die Widerbeklagten der gemeinschaftsrechtliche Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO nicht ein, da sämtliche Widerbeklagten ihren Wohnsitz im Gerichtsstaat Deutschland haben (vgl. Gottwald Rn. 4; Kropholler Rn. 2; Schlosser Rn. 2).

c) Der Antragsteller hat - was im Bestimmungsverfahren ausreicht - schlüssig dargetan, dass die Widerbeklagten als Streitgenossen nach §§ 59 ff. ZPO in Anspruch genommen werden sollen. Er verlangt von allen Widerbeklagten die Einwilligung in die Auszahlung des hinterlegten Betrages. Der Umstand, dass der Antragsgegner zu 1 (Kläger) bei der Hinterlegungsstelle nicht als Hinterlegungsbeteiligter geführt wird, steht der Annahme einer Streitgenossenschaft zwischen ihm und den Antragsgegnern zu 2 bis 5 nicht entgegen; denn er selbst macht geltend, wahrer Hinterlegungsberechtigter zu sein. Die Antragsgegner zu 2 bis 5 sind nach wie vor formell Hinterlegungsbeteiligte; sie haben nur der Auszahlung des hinterlegten Betrages an den Antragsgegner zu 1, nicht aber an den Antragsteller zugestimmt. Es ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Antragsteller, um die begehrte Auszahlung des hinterlegten Betrages an sich zu erreichen, Einwilligungen sowohl vom Antragsgegner zu 1 als auch von den Antragsgegnern zu 2 bis 5 vorlegen muss. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist im Bestimmungsverfahren ebenso wenig zu prüfen wie die sonstige Begründetheit der Klage.

d) Der Rechtsstreit ist noch nicht so weit gediehen, dass eine Gerichtsstandsbestimmung auszuscheiden hätte (vgl. BGHZ 88, 331/333; BayObLGZ 1993, 170/171 m.w.N.). Eine mündliche Verhandlung hat noch nicht stattgefunden.

2. Als örtlich zuständig bestimmt der Senat das Landgericht München I, das, wie oben ausgeführt, für die dort bereits rechtshängige Klage und Widerklage örtlich zuständig ist. Den Drittwiderbeklagten kann zugemutet werden, den Rechtsstreit vor diesem Gericht zu führen.

Ende der Entscheidung

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