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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 03.08.2005
Aktenzeichen: 1Z AR 147/05
Rechtsgebiete: ZPO, EuGVVO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 689 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 698 Abs. 3
ZPO § 703d
ZPO § 703d Abs. 2
ZPO § 703d Abs. 2 Satz 2
EuGVVO § 16 Abs. 1
EuGVVO § 60 Abs. 1
Eine nach englischem Recht gegründete Limited hat nur dann einen allgemeinen Gerichtsstand im Inland, wenn sie entweder ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung im Inland hat. Ob dies zutrifft, bedarf im Einzelfall näherer Prüfung. Es kann nicht unterstellt werden, dass eine Auslandsgesellschaft, die überwiegend oder vollständig im Inland Geschäfte betreibt, automatisch ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung im Inland hat.
Gründe:

I.

Am 26.4.2005 ging bei dem Amtsgericht Coburg der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids gegen eine als Limited bezeichnete Gesellschaft ein, die ein Geschäftslokal im Bezirk des Oberlandesgerichts München besitzt. Die Antragstellerin hat ihren Wohnsitz in Hessen. Gegenstand des Verfahrens ist die Rückzahlung eines Kaufpreisteils aus einem Versandgeschäft. Mit Beschluss vom 9.6.2005 erklärte sich das Amtsgericht Coburg für örtlich unzuständig und gab das Verfahren an das Amtsgericht Hünfeld ab. Mit Verfügung vom 6.7.2005 erklärte sich dieses Gericht für örtlich unzuständig. Als Begründung hierfür gab es an, dass nach § 703d ZPO wegen des fehlenden Gerichtsstands der Antragsgegnerin im Inland das Amtsgericht Coburg für die Bearbeitung des Mahnverfahrens zuständig sei. Das Amtsgericht Hünfeld legte das Verfahren dem Oberlandesgericht Bamberg zur Zuständigkeitsbestimmung vor. Dieses leitete es an das Bayerische Oberste Landesgericht weiter.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem zuerst befassten bayerischen Amtsgericht Coburg und dem Amtsgericht Hünfeld berufen (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO).

2. Das Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO findet auch in Mahnsachen Anwendung (BGH NJW 1993, 2752; BayObLG Rpfleger 2002, 528; Zöller/Vollkommer ZPO 25. Aufl. § 36 Rn. 2 und 23). Eine Zuständigkeitsbestimmung kann in solchen Fällen auch dann erfolgen, wenn keine rechtskräftigen Unzuständigkeitserklärungen vorliegen. Denn Zweck von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist es, einen Zuständigkeitsstreit möglichst schnell zu beenden (BayObLG Rpfleger 2002, 528/529).

3. Angesichts der fehlenden Bindungswirkung des Beschlusses des Amtsgerichts Coburg ist das Mahngericht zu bestimmen, das tatsächlich zuständig ist (vgl. BayObLG aaO).

Zuständig ist das Amtsgericht Hünfeld.

a) Die deutschen Gerichte sind international zuständig. Die internationale Zuständigkeit ergibt sich aus § 16 Abs. 1 EuGVVO.

Die Antragsgegnerin hat als englische Limited ihren Sitz in einem Mitgliedstaat (Vereinigtes Königreich). Für sie gilt die EuGVVO.

Art. 16 Abs. 1 EuGVVO regelt in seiner ersten Alternative die internationale und in seiner zweiten Alternative die internationale und die örtliche Zuständigkeit. Nachdem die Antragstellerin einen Anspruch aus einem Verbrauchergeschäft geltend macht, hat sie ein Wahlrecht zwischen der Erhebung der Klage im Mitgliedstaat des Sitzes des Unternehmens oder am Wohnort des Verbrauchers. Die Antragstellerin hat ihr Wahlrecht mit der Stellung des Antrags auf Erlass eines Mahnbescheids im Inland ausgeübt. Nachdem die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für ein streitiges Verfahren eröffnet ist, gilt dies auch für das Mahnverfahren (Zöller/Vollkommer § 703d Rn. 1).

b) § 689 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestimmt, dass für das Mahnverfahren das Gericht ausschließlich zuständig ist, bei dem der Antragsteller seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Unstreitig wäre dies das Amtsgericht Hünfeld. Hat jedoch der Antragsgegner keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland, so gelten besondere Vorschriften (§ 703d Abs. 1 ZPO). Das ist hier der Fall.

Eine nach englischem Recht gegründete Limited hat hier nur in eng umrissenen Ausnahmefällen einen allgemeinen Gerichtsstand. Nach Art. 2 Abs. 1 EuGVVO bestimmt der Wohnsitz den allgemeinen Gerichtsstand. Gesellschaften und juristische Personen haben ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich entweder ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet (§ 60 Abs. 1 Buchst. a - c EuGVVO). Nach den vorliegenden Erkenntnissen trifft auf die in Anspruch genommene Limited keine der in § 60 Abs. 1 EuGVVO beschriebenen Alternativen zu. Die Eintragung einer Haupt- oder Zweigniederlassung im Handelsregister ist nicht feststellbar. Es kann jedenfalls im Bestimmungsverfahren dafür, ob ein inländischer Gerichtsstand gegeben ist, nicht ohne nähere Prüfung unterstellt werden, dass eine Auslandsgesellschaft, die im Inland Geschäfte betreibt, automatisch ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung im Inland hat (a.A. offenbar Altmeppen/Wilhelm DB 2004, 1083/1087; vgl. auch Reck StuB 2004, 989/990). Im Übrigen dürfte es nicht selten schwierig sein festzustellen, wo im Inland sich eine solche Hauptverwaltung oder Niederlassung befindet.

c) Nachdem davon auszugehen ist, dass die Antragsgegnerin als englische Limited keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, gilt § 703d Abs. 2 ZPO. Danach ist für das Mahnverfahren das Amtsgericht zuständig, das für das streitige Verfahren zuständig sein würde, wenn die Amtsgerichte im ersten Rechtszug sachlich unbeschränkt zuständig wären (§ 703d Abs. 2 Satz 1 ZPO). Landesrechtliche Konzentrationen der Mahnsachen bei einem Gericht sind wegen § 703d Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 698 Abs. 3 ZPO zu berücksichtigen (vgl. Thomas/Putzo ZPO 26. Aufl. § 703d Rn. 2). Für das streitige Verfahren zuständig ist hier nach Art. 16 Abs. 1 EuGVVO nach Ausübung des Wahlrechts durch die Antragstellerin ein hessisches Gericht, da sie ihren Wohnsitz in Hessen hat. Aufgrund der erfolgten Zuständigkeitskonzentration der Mahnverfahren für Hessen beim Amtsgericht Hünfeld ist dieses Gericht für das Mahnverfahren zuständig.

Ende der Entscheidung

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