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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 13.03.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 18/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 38 Abs. 1
ZPO § 690 Abs. 1 Nr. 5
Zur Frage der Bindung an die im Mahnbescheidsantrag getroffene Gerichtsstandswahl.
Gründe:

I.

Die Klägerin hat einen Restwerklohnanspruch für an einem Bauvorhaben des Beklagten in Erfurt durchgeführte Außen- und Innenputzarbeiten zunächst im Mahnverfahren geltend gemacht, wobei sie im Mahnbescheidsantrag als für ein streitiges ,Verfahren zuständiges Gericht das Landgericht München I angegeben hat. Nach Widerspruch des Beklagten beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 17.4.2001 die Durchführung des streitigen Verfahrens. Der Schriftsatz enthielt auch die Anspruchsbegründung sowie die Erklärung, die Parteien hätten als Gerichtsstand das Landgericht Erfurt vereinbart. Weiter heißt es darin:

"Wir gehen deshalb von dem Einverständnis des Beklagten aus. Sobald die Einverständniserklärung des Beklagten dem Gericht vorliegt, werden wir beantragen, im Beschlusswege den Rechtsstreit an das Landgericht Erfurt zu verweisen."

Gleichwohl gab das Amtsgericht, das den Mahnbescheid erlassen hatte, den Rechtsstreit am 25.4.2001 an das Landgericht München I ab. Dieses ordnete ein schriftliches Vorverfahren an. Der Beklagte ging in seiner Erwiderung auf das oben wiedergegebene Vorbringen zur Zuständigkeit nicht ein. In einem weiteren Schriftsatz vom 2.11.2001 trug die Klägerin noch vor, dass gemäß Ziffer 18.6 der zwischen den Parteien geschlossenen Bauverträge Erfüllungsort und Gerichtsstand der Ort des Bauvorhabens sei.

Mit Beschluss vom 8.11.2001 erklärte sich das Landgericht München I für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO "auf Antrag der Klagepartei" an das Landgericht Erfurt. Die Begründung lautet, die Parteien hätten gemäß dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 17.4.2001 als Gerichtsstand das Landgericht Erfurt vereinbart. Dort befinde sich das streitgegenständliche Bauvorhaben.

Der Beklagte stellte mit an das Landgericht München I gerichtetem Schriftsatz vom 14.11.2001 den Antrag, diesen Beschluss wieder aufzuheben. Er sei fehlerhaft. Es gebe keine Gerichtsstandsvereinbarung. Auf eine solche könne aus dem Vortrag in der Anspruchsbegründung nicht geschlossen werden; denn die Klägerin sei dort selbst davon ausgegangen, dass eine Einverständniserklärung des Beklagten erforderlich sei. Das Landgericht München I sei zuständig. Die Verweisung entbehre der gesetzlichen Grundlage. In einer Erwiderung auf den Schriftsatz vom 2.11.2001 wies der Beklagte noch darauf hin, dass er kein Kaufmann sei.

Das Landgericht Erfurt beschloss am 30.11.2001, den Rechtsstreit auf die außerordentliche Beschwerde des Beklagten (gemeint ist der Schriftsatz vom 14.11.2001) nicht anzunehmen, vielmehr an das Landgericht München I zur erneuten Entscheidung zurückzureichen, weil die Verweisung willkürlich erfolgt sei. Das Landgericht München I sei als Wohnsitzgericht des Beklagten örtlich zuständig. Die Klägerin habe ihre Wahl ausgeübt. Von einem ausschließlichen Gerichtsstand Erfurt habe nicht ausgegangen werden können. Durch die unangekündigte Verweisung sei der Beklagte zudem in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.

Das Landgericht München I lehnte die Rückübernahme unter Hinweis auf die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses ab.

Das Landgericht Erfurt hat daraufhin mit Beschluss vom 5.2.2002 die Übernahme abgelehnt und die Akten zur Bestimmung der Zuständigkeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Oberlandesgericht München vorgelegt, das sie zuständigkeitshalber an das Bayerische Oberste Landesgericht weitergereicht hat.

II.

Zu bestimmen war das Landgericht München I. Die nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dafür maßgebenden Voraussetzungen liegen vor.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem - zuerst mit der Sache befassten - Landgericht München I und dem Landgericht Erfurt berufen."

2. Beide Landgerichte, von denen nach Sachlage eines zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt. Die rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung des Landgerichts München I liegt in seinem - grundsätzlich unanfechtbaren und bindenden (§ 281 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO) - Verweisungsbeschluss. Das Landgericht Erfurt hat zwar mit dem - den Parteien mitgeteilten - Beschluss vom 30.11.2001 den Rechtsstreit nicht zurückverwiesen, sondern - ausdrücklich - nur zur erneuten Entscheidung zurückgereicht, um dem Landgericht München I Gelegenheit zu geben, seinen Verweisungsbeschluss vom 8.11.2001 gemäß dem Antrag des Beklagten vom 14.11.2001 selbst aufzuheben (vgl. BGH NJW 1995, 403, 2497; 2000, 590). Nachdem das Landgericht München 1 es aber abgelehnt hatte, seinen Verweisungsbeschluss zu korrigieren, hat das Landgericht Erfurt mit - den Parteien wiederum mitgeteiltem - Beschluss vom 5.2.2002 die Übernahme des Rechtsstreits förmlich abgelehnt und die Akten zur Bestimmung der Zuständigkeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Jedenfalls darin kann eine rechtskräftige Unzuständigkeitserklärung im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO gesehen werden.

3. Örtlich zuständig ist nach §§ 13, 35, 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO das Landgericht München I. Es hat seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht verneint. Seinem Verweisungsbeschluss fehlt die Bindungswirkung.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO n.F. ist ein Verweisungsbeschluss grundsätzlich unanfechtbar und für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Diese Bindung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten (Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 36'Rn. 28). Eine Bindung tritt aber ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisung offensichtlich gesetzwidrig ist, so dass sie als objektiv - willkürlich erscheint, oder wenn sie auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (BGHZ 71, 69/72; 102, 338/341; BAG NJW 1997, 1091; BayObLGZ 1986, 285/287; 1991, 280/281 f.; Zöller/Greger § 281 Rn. 17, 17 a).

b) Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München I beruht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Da die Klägerin - entgegen der Annahme des Landgerichts München I - keinen Verweisungsantrag gestellt hatte, war mit einer Verweisung nicht zu rechnen (vgl. Zöller/Greger Vor § 128 Rn. 6a). Im Schriftsatz vom 17.4.2001 hat die Klägerin einen Verweisungsantrag nicht gestellt, sondern lediglich angekündigt und von der entsprechenden Einverständniserklärung des Beklagten abhängig gemacht. Da der Beklagte diese Einverständniserklärung dem Gericht gegenüber nicht abgab, die Klägerin deswegen auch in der Folge keinen Verweisungsantrag stellte, war die Verweisung für den Beklagten nicht vorhersehbar. Bei einer Verweisung ohne entsprechenden Antrag des Klägers (vgl. § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO) entfällt die Bindungswirkung nur dann nicht (vgl. BGH FamRZ 1984, 774; NJW 1979, 551), wenn trotzdem rechtliches Gehör in vollem Umfang gewährt wurde (BGH FamRZ 1998, 360/361). Die Kammer hätte daher die Parteien, um rechtliches Gehör zu gewähren, darauf hinweisen müssen, dass sie - entgegen dem Wortlaut des Schriftsatzes vom 17.4.2001 - von einem bereits gestellten Verweisungsantrag ausgehe.

c) Das Landgericht München I ist als Wohnsitzgericht des Beklagten (§ 13 ZPO) zuständig. Der Behauptung einer Gerichtsstandsvereinbarung kommt auch abgesehen von dem fehlenden Verweisungsantrag keine rechtliche Bedeutung zu.

aa) Zu bestimmen ist das wirklich zuständige Gericht ohne Rücksicht auf den Verweisungsbeschluss, dem keine Bindungswirkung zukommt (vgl. Z611er/Vollkommer § 36 Rn. 28). Dabei kommt es auf den jetzigen Streitstand an, nicht auf den zum Zeitpunkt des Erlasses des fehlerhaften Verweisungsbeschlusses.

bb) Die Klägerin hat ihre Behauptung einer Gerichtsstandsvereinbarung inzwischen konkretisiert. Sie beruft sich allein auf eine Bestimmung ihrer - nach ihrer Behauptung - in die Bauverträge der Parteien einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die lautet:

"Erfüllungsort für die Verpflichtungen des Auftragnehmers aus diesem Vertrag sowie Gerichtsstand für Streitigkeiten darüber ist der Ort des Bauvorhabens"

(Schriftsatz vom 28.11.2001).

Die Klausel bezieht sich also lediglich auf die Verpflichtungen des "Auftragnehmers" (Werkunternehmers) und Streitigkeiten "darüber", also nicht auf die Verpflichtung des Auftraggebers (Bestellers) zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung, die Gegenstand des Rechtsstreits ist. Selbst wenn der Beklagte Kaufmann wäre - was die Klägerin auch jetzt nicht behauptet -, wäre damit der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten für eine Klage gegen ihn auf Zahlung der Vergütung nicht ausgeschlossen. Dann aber ist und bleibt das Landgericht München I nach § 13 ZPO zuständig (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Die mit der Angabe des für ein streitiges Verfahren zuständigen Gerichts im Mahnbescheidsantrag getroffene Wahl ist bindend (§§ 35, 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO; Thomas/Putzo ZPO 23. Aufl. § 35 Rn. 2). Darauf, dass auch der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsorts beim Landgericht Erfurt gegeben gewesen wäre (§ 29 Abs. 1 ZPO), kommt es daher nicht an. Das Mahngericht hätte zwar nach § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO - zweite Alternative - die Möglichkeit gehabt, den Rechtsstreit noch an ein anderes Gericht abzugeben, wenn die Parteien dies übereinstimmend verlangt hätten. Hierzu ist es aber nicht gekommen. Von dieser - nicht mehr gegebenen Möglichkeit abgesehen, könnte die Klägerin nur dann noch durch Stellung eines Verweisungsantrags - wählen, wenn das im Mahnbescheidsantrag benannte Gericht, an das der Rechtsstreit abgegeben wurde, von vornherein unzuständig gewesen wäre (Zöller/Vollkommer § 35 Rn. 3). Dies ist nicht der Fall, weil keine den allgemeinen Gerichtsstand ausschließende Gerichtsstandsvereinbarung für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch getroffen wurde (vgl. Zöller/Vollkommer § 38 Rn. 14).

Ende der Entscheidung

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