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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 10.04.2003
Aktenzeichen: 1Z AR 32/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 696 Abs. 1 Satz 1
Zur Frage der Bindungswirkung einer Verweisung auf Grund einer nach Rechtshängigkeit abgeschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung.
Gründe:

I.

Die Klägerin mit Wohnsitz im Amtsgerichtsbezirk Soest macht gegen die in Coburg ansässige Beklagte, eine Haftpflichtversicherung, Schadensersatzansprüche aus einem Autounfall geltend, den eine Versicherungsnehmerin der Beklagten verursacht haben soll. Die Klägerin erwirkte gegen die Beklagte beim Mahngericht (AG Hagen) einen Mahnbescheid über 605,17 EUR, gegen den die Beklagte Widerspruch einlegte. Das Mahngericht gab am 19.12.2002 das Verfahren an das Amtsgericht Coburg ab, das im Mahnbescheidsantrag als für das Streitverfahren zuständiges Gericht bezeichnet worden war. Die Akten gingen beim Amtsgericht Coburg am 30.12.2002 ein.

Mit der beim Amtsgericht Hagen am 16.12.2002 eingegangenen Anspruchsbegründung beantragte die Klägerin die Abgabe an das Amtsgericht Soest gemäß § 32 ZPO, weil im dortigen Bezirk der Unfall stattgefunden haben soll. Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss des Amtsgerichts Coburg vom 21.1.2003 erklärte sich dieses für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das Amtsgericht Soest; zur Begründung nannte es lediglich die §§ 281, 694 Abs. 5, 38 ZPO. Mit Beschluss vom 14.2.2003, ebenfalls den Parteien mitgeteilt, erklärte sich das Amtsgericht Soest für unzuständig und gab die Sache an das Amtsgericht Coburg zurück. Dieses legte mit Verfügung vom 17.3.2003 die Akten dem Oberlandesgericht Bamberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor, das die Akten zuständigkeitshalber an das Bayerische Oberste Landesgericht zuleitete.

Mit am 21.2.2003 eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten stimmte die Klägerin einer von der Beklagten am 20.1.2003 vorgeschlagenen Gerichtsstandsvereinbarung zu. Am 26.2.2003/3.3.2003 schlossen die Parteien eine schriftliche Gerichtsstandsvereinbarung, nach der das Amtsgericht Soest ausschließlich zuständig sein soll.

II.

Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits berufen, weil die beteiligten Gerichte zu einem bayerischen und einem außerbayerischen Oberlandesgerichtsbezirk (OLG Bamberg, OLG Hamm) gehören und das Amtsgericht Coburg zuerst mit der Sache befasst war (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO).

2. Die beiden am Kompetenzstreit beteiligten Amtsgerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit jeweils durch unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse vom 21.1.2003 und 14.2.2003 (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO "rechtskräftig" für unzuständig erklärt.

3. Zuständig ist infolge der unabänderlich gewordenen Bindung der Klägerin an die von ihr getroffene Wahl zwischen verschiedenen möglichen Gerichtsständen das Amtsgericht Coburg als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten (§§ 12, 17 ZPO). Dessen Verweisungsbeschluss vom 21.1.2003 war willkürlich und bindet daher nicht.

a) Für die Entscheidung über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch waren ursprünglich sowohl das Amtsgericht Coburg als Sitzgericht der Beklagten (§§ 12, 17 ZPO) als auch das Amtsgericht Soest als Gerichtsstand bei unerlaubter Handlung (§ 32 ZPO, § 20 StVG) zuständig. Gemäß § 35 ZPO stand der Klägerin insoweit ein Wahlrecht zu. Dieses Wahlrecht hat sie jedoch bereits dadurch ausgeübt, dass sie im Mahnbescheidsantrag gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO das Gericht des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten (§ 17 ZPO) als das für das Streitverfahren zuständige Gericht bezeichnet hat. Mit Zustellung des entsprechend ausgefertigten Mahnbescheids ist die einmal getroffene Wahl für den Kläger verbindlich und unwiderruflich geworden, weil ein übereinstimmend abweichendes Verlangen beider Parteien nach § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO (BGH NJW 1993, 1273; BayObLGZ 1993, 317/318; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 35 Rn. 2, § 690 Rn. 16) nicht rechtzeitig geltend gemacht worden ist.

b) Die Abgabe an ein "anderes Gericht" (§ 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO) scheidet nämlich aus, wenn die Abgabe an das im Mahnbescheid bezeichnete Gericht vollzogen ist (BayObLG aaO; Zöller/Vollkommer § 696 Rn. 3). Der Sonderfall eines vom Mahngericht nicht beachteten übereinstimmenden Abgabeverlangens (vgl. BayObLG NJW-RR 1995, 635) ist vorliegend nicht gegeben. Die Klägerin hat zwar die "Abgabe" an das Amtsgericht Soest schon am 16.12.2002 beantragt, die Beklagte hat jedoch erst am 20.1.2003 die entsprechende "Verweisung" an das Amtsgericht Soest beantragt, nachdem die Akten bereits am 30.12.2002 beim Amtsgericht Coburg nach Widerspruch eingegangen waren. Zu diesem Zeitpunkt lag daher kein übereinstimmendes Abgabeverlangen vor; eine Abgabe an ein "anderes Gericht" nach § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO war danach nicht mehr zulässig.

c) Das Amtsgericht Coburg hat dies auch nicht verkannt; denn es hat nicht eine "Abgabe" verfügt, sondern die Verweisung des Rechtsstreits nach § 281 ZPO beschlossen. Auch eine Verweisung war jedoch nicht zulässig, weil sich durch den Abgabeantrag der Klägerin und den Verweisungsantrag der Beklagten an der bei Rechtshängigkeit gegebenen örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Coburg ebenso wenig ändern konnte wie durch die nach Eintritt der Rechtshängigkeit getroffenen Gerichtsstandsvereinbarungen vom 20.1.2003/21.2.2003 bzw. 26.2.2003/ 3.3.2003 (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Das Amtsgericht Coburg durfte daher nicht seine Unzuständigkeit aussprechen, wie es Voraussetzung einer Verweisung nach § 281 Abs. 1 ZPO ist (vgl. BGHNJW 1993, 1273; BayObLGZ 1993, 317/319).

d) Grundsätzlich bindet auch ein fehlerhafter Verweisungsbeschluss; diese Bindungswirkung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten (Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 28). Eine Bindung tritt aber ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisung willkürlich ist oder auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (BGHZ 102, 338/341; BayObLGZ 1991, 280/281 f.; Zöller/Greger § 281 Rn. 17, 17a).

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Coburg ist objektiv willkürlich; er entbehrt der gesetzlichen Grundlage, weil das als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständige Amtsgericht Coburg sich darüber hinweggesetzt hat, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt. Angesichts der in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Coburg zweifelsfreien rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten besteht auch kein Anhaltspunkt für einen Rechtsirrtum des Gerichts, der Willkür ausschließen würde. Dem Verweisungsbeschluss ist keinerlei Begründung dafür zu entnehmen, warum das Amtsgericht Coburg örtlich nicht zuständig sein sollte. Weder die übereinstimmenden Verweisungsanträge beider Parteien noch die nach Eintritt der Rechtshängigkeit abgeschlossenen Gerichtsstandsvereinbarungen sind geeignet, die bei Eintritt der Rechtshängigkeit gegebene örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Coburg wieder zu beseitigen ( § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO; BGH NJW 1976, 626; Zöller/Greger § 261 Rn. 12; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 24. Aufl. § 261 Rn. 16). In einem solchen Fall tritt die Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO nicht ein (BGH NJW 1993, 1273). Die dem noch nicht folgende Entscheidung des Senats vom 8.2.1993 (Rpfleger 1993, 411; vgl. Zöller/Vollkommer § 696 Rn. 9a) ist im Hinblick auf die zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung noch nicht veröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.1.1993 (NJW 1993, 1273) überholt (vgl. BayObLGZ 1993, 317 = NJW-RR 1994, 891; OLG Schleswig NJW-RR 2001, 646).

Ende der Entscheidung

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