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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.07.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 74/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 696 Abs. 1 Satz 1
Zur Frage Bindungswirkung einer Verweisung, wenn bei übereinstimmenden Abgabeanträgen der Parteien nach Abgabe der Sache gemäß § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO verfahren wird.
Gründe:

I.

Der Kläger hat aufgrund eines Werkvertrages in einem Haus des Beklagten in München Elektroarbeiten durchgeführt und einen Restwerklohnanspruch dafür zunächst im Mahnverfahren geltend gemacht. Im Mahnbescheidsantrag gab er als für ein streitiges Verfahren zuständiges Gericht das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. an, bei dem der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. An dieses gab das Mahngericht die Akten nach Widerspruch des Beklagten ab. In der Anspruchsbegründung stellte der Kläger den Antrag, den Rechtsstreit an das - nach § 29 ZPO zuständige - Amtsgericht München zu verweisen. Das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. wies den Beklagten mit Schreiben vom 26.3.2002 darauf hin, dass "der Kläger bereits mit der Anspruchsbegründung die Abgabe des Rechtsstreits an das Amtsgericht München beantragt" habe, die "nach § 696 Abs. 1 ZPO... nur stattfinden" könne, "wenn sie von beiden Parteien beantragt wird". Für den Fall, dass auch vom Beklagten die Abgabe an das Amtsgericht München gewünscht werde, bat es, "gegenüber dem Gericht den entsprechenden Antrag zu stellen... ". Daraufhin beantragte der Beklagte "die Abgabe des Rechtsstreits an das Amtsgericht München". Mit Beschluss vom 8.4.2002 erklärte sich das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das örtlich zuständige Amtsgericht München; zur Begründung führte es lediglich die Vorschrift des § 281 ZPO an. Das Amtsgericht München verfügte am 19.4.2002 die Rückleitung der Akten an das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. mit der Anregung, den Verweisungsbeschluss aufzuheben, da das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. nach §§ 12, 13 ZPO zuständig sei und der Kläger sein Wahlrecht im Mahnbescheidsantrag bindend ausgeübt habe; der Verweisungsbeschluss entfalte daher keine Bindungswirkung. Die Verfügung wurde den Parteien mitgeteilt. Das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. lehnte die Rücknahme der Akten mit der Begründung ab, der Verweisungsbeschluss sei in rechtmäßiger Weise ergangen und entfalte Bindungswirkung. "Die Abgabe an das Amtsgericht München" sei "übereinstimmend von beiden Parteien beantragt" worden. Die Rechtsprechung zur fehlenden Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses sei - nach Zöller (ZPO § 696 Rn. 9 a) - auf diesen Fall nicht anwendbar. Daraufhin erklärte sich das Amtsgericht München mit - den Parteien mitgeteiltem - Beschluss vom 28.5.2002 für nicht zuständig und legte die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung über die Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.

II.

Zu bestimmen war das Amtsgericht Weiden i. d. OPf.. Die nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dafür maßgebenden Voraussetzungen liegen vor.

1. Die beiden am negativen Kompetenzstreit beteiligten Gerichte liegen in den Bezirken verschiedener bayerischer Oberlandesgerichte. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in einem solchen Fall den Zuständigkeitsstreit als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht (§ 36.Abs. 1 ZPO) zu entscheiden (vgl. BGH NJW 1979, 2249; BayObLGZ 1988, 305; 1991, 240/241 f., 280/281; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 36 Rn. 4).

Deswegen kommt, obwohl die Entscheidung von der Stellungnahme zu einer in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedlich beantworteten Rechtsfrage abhängt (vgl. nachstehend unter 3 d), eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 36 Abs. 3 ZPO nicht in Betracht (BGH NJW 2000, 3214 f.; Zöller/Vollkommer aaO Rn. 4a, 10).

2. Die beiden am Kompetenzstreit beteiligten Amtsgerichte, von denen nach Rechtslage eines zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit jeweils durch unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO "rechtskräftig" für unzuständig erklärt. Obwohl das Amtsgericht München es nicht ausdrücklich ausgesprochen hat, ist sein Beschluss vom 28.5.2002 sinngemäß als Rückverweisung an das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. zu verstehen; denn nach der zu diesem Beschluss gegebenen Begründung sieht das Amtsgericht München das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. als das zuständige Gericht an.

3. Zuständig ist infolge der unabänderlich gewordenen Bindung des Klägers an die von ihm getroffene Wahl zwischen verschiedenen möglichen Gerichtsständen das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. als Wohnsitzgericht des Beklagten. Dessen Verweisungsbeschluss vom 8.4.2002 war willkürlich und bindet daher nicht.

a) Für die Entscheidung über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch waren ursprünglich sowohl das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. als Wohnsitzgericht (§§ 12, 13 ZPO) als auch das Amtsgericht München als Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 Abs. 1 ZPO; BGH NJW 1986, 935; 2001, 1936/ 1937; BayObLG MDR 1996, 903/904; OLG Schleswig MDR 2000, 1453; Zöller/Vollkommer § 29 Rn. 25 Stichwort "Bauwerkvertrag") zuständig. Gemäß § 35 ZPO stand dem Kläger insoweit ein Wahlrecht zu. Dieses Wahlrecht hat er jedoch bereits dadurch ausgeübt, dass er im Mahnbescheidsantrag gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO das Wohnsitzgericht als das für das Streitverfahren zuständige Gericht bezeichnet hat. Mit Zustellung des entsprechend ausgefertigten Mahnbescheids ist die einmal getroffene Wahl für den Kläger verbindlich und unwiderruflich geworden, vorbehaltlich eines übereinstimmenden abweichenden Verlangens beider Parteien nach § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO (BGH NJW 1993, 1273; BayObLGZ 1993, 317/318; Zöller/Vollkommer 35 Rn. 2, § 690 Rn. 16).

b) Die Abgabe an ein "anderes Gericht" (§ 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO) scheidet jedoch aus, wenn die Abgabe an das im Mahnbescheid bezeichnete Gericht vollzogen ist (BayObLG aaO; Zöller/Vollkommer § 696 Rn. 3; zum - hier nicht gegebenen - Sonderfall eines vom Mahngericht nicht beachteten übereinstimmenden Abgabeverlangens vgl. BayObLG NJW-RR 1995, 635). Der Kläger hat die Verweisung und der Beklagte die "Abgabe" an das Amtsgericht München erst nach der Abgabe des Rechtsstreits an das im Mahnbescheid bezeichnete und als Wohnsitzgericht zuständige Amtsgericht Weiden i. d. OPf. beantragt; zu diesem Zeitpunkt war eine Abgabe an ein" anderes Gericht" nach § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht mehr zulässig.

c) Das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. hat dies auch nicht verkannt; denn es hat nicht eine "Abgabe" verfügt, sondern die Verweisung des Rechtsstreits nach § 281 ZPO beschlossen. Auch eine Verweisung war jedoch nicht zulässig, weil sich durch den Verweisungsantrag des Klägers und den Abgabeantrag des Beklagten an der bei Eintritt der Rechtshängigkeit gegebenen örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Weiden i. d. OPf. ebenso wenig ändern konnte wie im Falle einer nach Eintritt der Rechtshängigkeit getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) und das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. daher nicht seine Unzuständigkeit aussprechen durfte, wie es Voraussetzung einer Verweisung nach § 281 Abs. 1 ZPO ist (vgl. BGH JZ 1963, 754; NJW 1976, 626; 1993, 1273; BayObLGZ 1993, 317/319).

d) Grundsätzlich bindet zwar auch ein fehlerhafter Verweisungsbeschluss, und diese Bindungswirkung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten (Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 28). Eine Bindung tritt aber ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisung offensichtlich gesetzwidrig ist, so dass sie als objektiv willkürlich erscheint, oder wenn sie auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (BGHZ 71, 69/72; 102, 338/341; BAG NJW 1997, 1091; BayObLGZ 1986, 285/287; 1991, 280/281 f.; Zöller/Greger § 281 Rn. 17, 17 a).

Der Verweisungsbeschluss vom 8.4.2002 ist objektiv willkürlich; er entbehrt der gesetzlichen Grundlage, weil das als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständige Amtsgericht Weiden i. d. OPf. sich darüber hinwegsetzte, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt. Angesichts der in bezug auf die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Weiden i. d. OPf. zweifelsfreien rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten besteht auch kein Anhaltspunkt für einen Rechtsirrtum des Gerichts, der Willkür ausschließen würde. Dem Verweisungsbeschluss ist keinerlei Begründung dafür zu entnehmen, warum das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. örtlich nicht zuständig sein sollte. Sie lässt sich auch nicht dem - nachträglich gegebenen - Hinweis darauf entnehmen, dass "die Abgabe an das Amtsgericht München ... übereinstimmend von beiden Parteien beantragt" worden sei und die Rechtsprechung zur fehlenden Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses in einem solchen Fall nicht anwendbar sei.

Abgesehen davon, dass der Kläger eine Verweisung beantragt und das Amtsgericht i. d. OPf. auch eine Verweisung ausgesprochen hat, während der Beklagte die - gemäß der (falschen) Belehrung durch das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. angeblich noch zulässige - "Abgabe" nach § 696 Abs. 1 ZPO beantragt hatte, wären auch übereinstimmende Verweisungsanträge beider Parteien ebenso wenig wie eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Eintritt der Rechtshängigkeit geeignet, die bei Eintritt der Rechtshängigkeit gegebene örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Weiden i. d. OPf. wieder zu beseitigen (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO; BGH JZ 1976, 754; NJW 1976, 626; Zöller/Greger Rn. 12; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 24. Aufl. Rn. 16 jeweils zu § 261). Das Amtsgericht Weiden i. d. OPf. beruft sich auf eine Kommentarstelle, wonach in einem derartigen Fall der Verweisungsbeschluss - obwohl rechtswidrig, weil das verweisende Gericht nicht unzuständig ist - nicht willkürlich und daher nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend sei (Zöller/Vollkommer § 696 Rn. 9 a). Diese Meinung führt eine Entscheidung des Senats vom 8.2.1993 (Rpfleger 1993, 411) an, die vor der Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.1.1993 (NJW 1993, 1273) ergangen ist. Die Entscheidung des Senats vom 9.9.1993 (BayObLGZ 1993, 317 = NJW-RR 1994, 891) hat dagegen in einem derartigen Fall - im Anschluß an die genannte BGH-Entscheidung - Willkür angenommen (vgl. auch OLG Schleswig NJW-RR 2001, 646).

Willkür ist in einem derartigen Fall jedenfalls dann anzunehmen, wenn das verweisende Gericht keine Begründung für die Rechtmäßigkeit der Verweisung gibt, sondern nur mit der bindenden Wirkung des - rechtswidrigen - Verweisungsbeschlusses rechnet, wie hier.

Ende der Entscheidung

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