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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.06.2004
Aktenzeichen: 1Z AR 76/04
Rechtsgebiete: UmwG, ZPO


Vorschriften:

UmwG § 20 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
Fortgeltung einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Verschmelzung der prorogationsbefugten Vertragspartei.
Gründe:

I. Die im Amtsgerichtsbezirk München ansässige Klägerin verlangt von der im Amtsgerichtsbezirk Eberswalde ansässigen Beklagten Vergütung für Software-Wartungsleistungen in Höhe von 491,68 EUR nebst Zinsen und Nebenkosten. Die Beklagte hatte mit der im Amtsgerichtsbezirk Osterholz-Scharnbeck ansässigen E.S. Software GmbH & Co. KG und deren Rechtsvorgängerin S. Software GmbH am 29.1.2002 bzw. am 6.2.1996 Software-Wartungsverträge geschlossen, in denen entsprechend den Geschäftsbedingungen der S. Software GmbH deren Firmensitz als Gerichtsstand vereinbart worden war. Die E.S. Software GmbH & Co. KG wurde aufgrund Vertrages vom 18.12.2002 und der Beschlüsse der Gesellschafterversammlungen vom selben Tag mit der Klägerin verschmolzen; die Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister erfolgte am 27.3.2003.

Die Klägerin beruft sich auf die Wartungsverträge vom 6.2.1996 und 29.1.2002 und hat gegen die Beklagte einen Mahnbescheid erwirkt, gegen den die Beklagte Widerspruch eingelegt hat. Das Mahngericht hat die Sache an das im Mahnbescheidsantrag für das Streitverfahren als zuständig bezeichnete Amtsgericht München abgegeben. Dort hat die Klägerin beantragt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Eberswalde zu verweisen. Nach Anhörung der Beklagten hat das Amtsgericht München mit Beschluss vom 11.5.2004 sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Eberswalde verwiesen mit der Begründung, dieses sei "Wohnsitzgericht des Schuldners" gemäß §§ 12, 13 ZPO. Das Amtsgericht Eberswalde erklärte sich seinerseits nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 25.5.2004 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit zurück an das Amtsgericht München. Dieses hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts beantragt.

II. 1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem zuerst befassten Amtsgericht München in Bayern und dem Amtsgericht Eberswalde in Brandenburg berufen (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO).

2. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Beide Amtsgerichte haben sich rechtskräftig im Sinne dieser Vorschrift mit Beschlüssen vom 11.5.2004 und 25.5.2004, die den Parteien bekannt gemacht worden sind, für unzuständig erklärt.

3. Als zuständiges Gericht ist das Amtsgericht München zu bestimmen.

a) Das Amtsgericht München ist für die Klage als Gericht des nach § 38 Abs. 1 ZPO vereinbarten Gerichtsstandes zuständig, weil die zwischen der E.S. Software GmbH & Co. KG und ihrer Rechtsvorgängerin S. Software GmbH getroffene Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien fortgilt. Die Vertragsverhältnisse der E.S. Software GmbH & Co. KG sind aufgrund der Verschmelzung mit der Klägerin mit Wirkung vom 27.3.2003 auf diese übergegangen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG); die E.S. Software GmbH & Co. KG ist zu diesem Zeitpunkt erloschen (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Die zwischen der E.S. Software GmbH & Co. KG und der Beklagten geschlossene Zuständigkeitsvereinbarung gilt im Verhältnis zur Klägerin als Rechtsnachfolgerin der E.S. Software GmbH & Co. KG fort (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 24. Aufl. § 38 Rn. 10). Sie besagt, dass die Klägerin wie zuvor die E.S. Software GmbH & Co. KG berechtigt ist, an ihrem Firmensitz die Beklagte zu verklagen. Diese Vereinbarung wird den Anforderungen an die Bestimmbarkeit eines prorogierten Gerichtsstandes gerecht. Da die Parteien nicht an ein näher bezeichnetes Gericht, wie etwa das für den Sitz der untergegangenen E.S. Software GmbH & Co. KG zuständige Amtsgericht Osterholz-Scharnbeck, sondern an das durch den Firmensitz bestimmbare Gericht angeknüpft haben, ist der Sitz der im Amtsgerichtsbezirk München ansässigen Klägerin als Rechtsnachfolgerin der E.S. Software GmbH & Co. KG maßgeblich, so als ob die E.S. Software GmbH & Co. KG ihren Sitz verlegt hätte.

Die Beklagte hatte zwar im Zeitpunkt der Anhängigkeit der Streitsache beim Amtsgericht München am 26.4.2004 (§ 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO; vgl. Zöller/Vollkommer § 696 Rn. 5) ihren allgemeinen Gerichtsstand beim Amtsgericht Eberswalde (§ 17 ZPO). Dies gewinnt aber im vorliegenden Fall keine Bedeutung, da die Klägerin ihr Wahlrecht gemäß § 35 ZPO zugunsten des Amtsgerichts München dadurch verbindlich ausgeübt hat, dass sie im Antrag auf Erlass des Mahnbescheids das Amtsgericht München als das Gericht bezeichnet hat, das für das streitige Verfahren zuständig ist (§ 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO; vgl. BGH NJW 1993, 1273).

b) Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Eberswalde folgt nicht aus einer Bindung an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 11.5.2004. Die Bindungswirkungen eines Verweisungsbeschlusses (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) tritt ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisung sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundsatzes nicht hingenommen werden kann (vgl. BGHZ 102, 338/341; BayObLGZ 2003, 187/190; Zöller/Greger § 281 Rn. 17).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 11.5.2004 entbehrt der gesetzlichen Grundlage, weil das als Gericht des gemäß § 38 Abs. 1 ZPO vereinbarten Gerichtsstands örtlich zuständige Amtsgericht München sich darüber hinweggesetzt hat, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt.



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