Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 21.08.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 86/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 60
Zur Frage der Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO.
Gründe:

I.

Die Klägerin und Antragstellerin hat sich an der in Göttingen ansässigen Beklagten zu 2, einer Aktiengesellschaft, mit einer sofort zahlbaren Einlage von 42000 DM und einer in monatlichen Raten zahlbaren weiteren Einlage von insgesamt 113400 DM als atypisch stille Gesellschafterin beteiligt. Die Kapitalanlage wurde ihr durch die Beklagte zu 1 vermittelt, die ihren Sitz in München hat. Am 7.5.2002 hat sie die außerordentliche Kündigung des Gesellschaftsverhältnisses erklärt. Mit der beim Landgericht München I eingereichten, noch nicht zugestellten Klage nimmt sie die Beklagten als Gesamtschuldner auf Rückgewähr der gezahlten Einlage bzw. Schadensersatz in dieser Höhe in Anspruch. Ferner will sie die Wirksamkeit ihrer außerordentlichen Kündigung festgestellt haben. Sie hat außerdem beantragt, das Landgericht München I als für die Klage zuständiges Gericht zu bestimmen.

Die Beklagten halten es demgegenüber für zweckmäßig, das Landgericht Göttingen zu bestimmen, da bei einer atypisch. stillen Gesellschaft das Schwergewicht der Beteiligung am Sitz der Inhaberin liege und vor diesem Gericht auch schon eine Vielzahl gleichartiger Verfahren anhängig sei.

II.

Zu bestimmen war das Landgericht Göttingen.

1. Da die allgemeinen Gerichtsstände der beiden Beklagten in den Bezirken eines bayerischen und eines nichtbayerischen Oberlandesgerichts liegen, ein bayerisches Gericht aber bereits mit der Sache befasst wurde, ist das Bayerische Oberste Landesgericht nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO für die Bestimmung zuständig.

2. Die Voraussetzungen einer Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

a) Die Klägerin will die Beklagten als Streitgenossen verklagen. Das über den Bestimmungsantrag entscheidende Gericht hat zu prüfen, ob die Voraussetzungen eines Tatbestands der Streitgenossenschaft schlüssig vorgetragen sind, auch wenn die Schlüssigkeit der Klage darüber hinaus nicht geprüft wird (BayObLG MDR 1998, 180/181; Beschluss vom 26.4.2002 Az. 1Z AR 30/02 unter 11. 3.; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. § 36 Rn. 18).

b) Der Gesetzgeber hat in § 60 ZPO den Begriff der Streitgenossenschaft im Interesse der Prozessökonomie weit gefasst. Neben dem in § 59 ZPO geregelten Fall, dass der tatsächliche und rechtliche Grund der gegen die Beklagten erhobenen Ansprüche identisch ist, lässt er in § 60 ZPO auch schon die Gleichartigkeit von Ansprüchen aufgrund eines im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grundes genügen (BGH NJW 1975, 1228). Auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend gemachten Ansprüche ist daher Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH NJW-RR 1991, 381; KG MDR 2000, 1394).

c) In diesem Sinne sind die gegen die beiden Beklagten geltend gemachten Ansprüche im wesentlichen gleichartig, obwohl die gegen die Beklagte zu 2 geltend gemachten Ansprüche auf der Verletzung der durch den Gesellschaftsvertrag - und durch die Verhandlungen über den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages - begründeten Verpflichtungen beruhen, die gegen die Beklagte zu 1 erhobenen Ansprüche dagegen auf der Verletzung der den Vermittler einer Kapitalanlage treffenden Verpflichtungen; denn der innere Zusammenhang der Ansprüche wird dadurch begründet, dass die Pflichtverletzungen beider Parteien zum selben Ergebnis - dem Verlust der Einlage geführt haben, und die Ansprüche daher auf dasselbe Ziel die Rückerstattung der verlorenen Einlage - gerichtet sind.

d) Dass die Klägerin gegen die Beklagte zu 2 auch einen Feststellungsantrag stellen will, ist unter den hier gegebenen Umständen unbeachtlich (vgl. BayObLG NJW-RR 1990, 742, 1020; Zöller/Vollkommer § 60 Rn. 7), zumal der zusätzliche Feststellungsantrag gegen diejenige Beklagte gestellt wird, die ihren allgemeinen Gerichtsstand bei dem vom Senat bestimmten Gericht hat.

e) Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für die Klage. Insbesondere kommt § 22 ZPO nicht in Betracht. Der Bundesgerichtshof hat diese Vorschrift zwar erweiternd dahingehend ausgelegt, dass Mitglieder von Anlagegesellschaften Ansprüche gegen den der Prospekthaftung unterliegenden Personenkreis - zu dem nicht nur Gesellschafter gehören können - in diesem besonderen Gerichtsstand geltend machen können (BGHZ 76, 231/234 f.; Zöller/Vollkommer Rn. 8; MünchKomm/Patzina ZPO 2. Aufl. Rn. 5; Wieczorek/Schütze/Hausmann ZPO 3. Aufl. Rn. 13 jeweils zu § 22). Die Anwendung des § 22 ZPO kann jedoch nicht auch auf selbständige Werbeunternehmen, die den Beitritt neuer Anleger vermitteln, im übrigen aber der Anlagegesellschaft fern stehen, erstreckt werden (BGH aaO S. 236; MünchKomm/Patzina aaO).

3. Das Landgericht Göttingen wird als gemeinsam zuständiges Gericht bestimmt, weil dort das Schwergewicht der Klage liegt. Dies ergibt sich aus den Überlegungen, die der erweiternden Auslegung des § 22 ZPO durch den Bundesgerichtshof (vgl. oben unter 2. e) zugrunde liegen. In derartigen Fällen handelt es sich häufig um eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten, die von enttäuschten Gesellschaftern gegen die Gesellschaft oder gesellschaftsnahe Personen anhängig gemacht werden, die in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht gleich oder ähnlich liegen und die meist ohne Aufklärung und Würdigung der inneren Verhältnisse der Anlagegesellschaft nicht sachgerecht beurteilt werden können. Daher besteht im Sinne einer vernünftigen Rechtspflege und im Interesse der beteiligten Parteien ein Bedürfnis für eine prozessrechtliche Möglichkeit, über Lebenssachverhalte dieser Art durch ein und dasselbe - ortsnahe - Gericht entscheiden lassen zu können (BGHZ 76, 231/235). Aus diesen Überlegungen heraus hat der Senat auch schon in einem Falle, in dem Prospekthaftungsansprüche gegen den der Prospekthaftung unterliegenden Personenkreis und zugleich gegen den Vermittler geltend gemacht wurden, aus Zweckmäßigkeitsgründen nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als gemeinsames Gericht das Gericht des Sitzes der Publikumsgesellschaft bestimmt (Beschluss vom 18.7.2002 Az. 1Z AR 62/02). Entsprechend gebührt auch im vorliegenden Fall dem Gericht, in dessen Bezirk der Sitz der Anlagegesellschaft liegt, der Vorzug.

Ende der Entscheidung

Zurück