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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.03.2001
Aktenzeichen: 1Z BR 130/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 140
BGB § 2247
BGB § 2265
BGB § 2267
Zur Auslegung des in einem von einem Nichtehegatten testamentarisch bestimmten Satzes: "Sollte uns beiden ein Unglück zustoßen".
BayObLG Beschluss

LG Weiden i.d. OPf. 2 T 748/00; AG Weiden i.d. OPf. VI.0482/00

1Z BR 130/00

27.03.01

Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Präsidenten Gummer sowie der Richter Rojahn und Zwirlein am 27. März 2001

in der Nachlasssache

beschlossen:

Tenor:

I. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 23. August 2000 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren auf 20000 DM festgesetzt wird.

II. Der Beteiligte zu 1 hat die der Beteiligten zu 2 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 20000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der am 11.6.2000 im Alter von 64 Jahren verstorbene Erblasser war seit 1975 geschieden und hinterließ den Beteiligten zu 1 als einziges Kind. Seine langjährige Lebensgefährtin, die Mutter der Beteiligten zu 2, verstarb fünf Tage vor dem Erblasser an ihrem 86. Geburtstag.

Ein handschriftliches Testament vom 27.4.1989 hat folgenden Wortlaut:

"Mein letzter Wille.

Ich (Erblasser) bestimme, dass meine Lebensgefährtin M. Alleinerbin meines Ganzen Nachlasses ist. Bei meinem Ableben. Solte uns beiden ein Unglück mit tödlichem Ausgang zustoßen, so setzen wir die Tochter W. (Beteiligte zu 2) ein. Des gesamten Nachlasses einschließlich des ganzen Inventare der Sparbücher, Sparverträge, Versicherung und Bankonto (... ). Sie ist auch für meine Feuer Bestattung zuständig.

(Name des Erblassers)

(Name der Lebensgefährtin).

Das Testament wurde von beiden Beteiligten bei ihrer jeweiligen Anhörung am 23. und 30.6.2000 vor dem Nachlassgericht als vom Erblasser eigenhändig geschrieben und unterschrieben und von seiner Lebensgefährtin eigenhändig unterschrieben anerkannt.

Die Beteiligten haben gegensätzliche Erbscheinsanträge gestellt; sie behaupten jeweils, Alleinerbe zu sein. Die Beteiligte zu 2 leitet ihr Erbrecht aus dem Testament vom 27.4.1989 her. Der Beteiligte zu 1 beruft sich auf die gesetzliche Erbfolge, weil durch das Vorversterben der Lebensgefährtin des Erblassers das Testament gegenstandslos geworden und die im Testament angesprochene Konstellation des gemeinsamen Versterbens des Erblassers und seiner Lebensgefährtin durch ein "Unglück" nicht eingetreten sei.

Mit Beschluss vom 24.7.2000 kündigte das Amtsgericht an, der Beteiligten zu 2 den beantragten Erbschein zu erteilen. Gegen diesen Vorbescheid legte der Beteiligte zu 1 Beschwerde ein, die das Landgericht am 23.8.2000 zurückwies. Daraufhin erteilte das Amtsgericht am 6.9.2000 den angekündigten Erbschein, der die Beteiligte zu 2 als Alleinerbin ausweist. Mit der weiteren Beschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1 seinen Erbscheinsantrag weiter.

II.

Die nicht fristgebundene und formgerecht eingelegte weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 20, 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 und 4 FGG). Zwar ist der Vorbescheid vom 24.7.2000 mit der Erteilung des Erbscheins überholt und das auf seine Aufhebung gerichtete Verfahren damit gegenstandslos geworden. Gleichwohl kann die weitere Beschwerde mit dem Ziel der Einziehung des erteilten Erbscheins (§ 2361 BGB) fortgeführt werden (vgl. BayObLGZ 1982, 236/239 m.w.N.). Entsprechend dem vom Rechtsbeschwerdeführer erstrebten Ziel kann und muss sein Antrag in diesem Sinn ausgelegt werden (vgl. BayObLG aaO).

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet. Der landgerichtliche Beschluss hält der rechtlichen Überprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) stand.

1. Das Landgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Die letztwillige Verfügung vom 27.4.1989 sei ein rechtswirksames Testament des Erblassers. Soweit in dieser Urkunde durch Unterschrift bestätigte Willenserklärungen der Lebensgefährtin enthalten sind, seien diese Erklärungen rechtsunwirksam, weil der Erblasser und seine Lebensgefährtin kein gemeinschaftliches Testament hätten errichten können. Diese Teilunwirksamkeit führe aber nicht zur Unwirksamkeit der in der Urkunde enthaltenen Verfügungen insgesamt (§ 2085 BGB). Es sei weder ersichtlich noch dargetan, dass der Erblasser, hätte er die Teilunwirksamkeit gekannt, nicht letztwillig verfügt hätte. Die Auslegung ergebe, dass der Erblasser in erster Linie seine Lebensgefährtin und als Letztversterbender die Beteiligte zu 2 zur Alleinerbin habe einsetzen wollen. Dem Testament sei zu entnehmen, dass auf jeden Fall auch eine Regelung für den Fall habe getroffen werden sollen, dass keiner von beiden Partnern mehr lebe. Dem Testament könne aber nicht entnommen werden, dass die Einsetzung der Beteiligten zu 2 als Alleinerbin ausschließlich für den Fall habe gelten sollen, dass der Erblasser und seine Lebensgefährtin gleichzeitig tödlich verunglücken.

2. Diese Würdigung und Auslegung des Testaments durch das Landgericht ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

a) Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass eine wirksame letztwillige Verfügung des Erblassers vorliegt. Sie entspricht den Formerfordernissen des § 2247 Abs. 1 BGB und ist auch nicht deshalb unwirksam, weil in derselben Urkunde die Lebensgefährtin des Erblassers ebenfalls eine Verfügung getroffen hat, die den Formerfordernissen nicht genügt und deshalb unwirksam ist.

(1) Die Vorinstanzen haben verneint, dass die vom Erblasser und seiner Lebensgefährtin am 27.4.1989 errichtete Urkunde ein gemeinschaftliches Testament darstellt. Als solches wäre sie unwirksam, da diese Möglichkeit des Testierens nur Ehegatten offen steht (§ 2265 BGB). In diesem Fall käme nur für diejenige letztwillige Verfügung, die den sonstigen Formerfordernissen genügt, eine Umdeutung (§ 140 BGB) in ein wirksames Einzeltestament in Betracht. Für die rechtliche Einordnung als gemeinschaftliches Testament ist entscheidend, ob ein Wille zur gemeinschaftlichen Testamentserrichtung, der im Inhalt der Urkunde selbst zum Ausdruck kommen muss, festgestellt werden kann (vgl. BayObLGZ 1959, 199/208; FamRZ 1991, 1485/1486; Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 3. Aufl. vor §§ 2265 ff. BGB Rn. 22 ff.). Auch Nichtehegatten können, etwa in Unkenntnis der Rechtslage, einen solchen Willen gehabt haben; doch sind insoweit an den Nachweis des Willens zum gemeinschaftlichen Testieren höhere Anforderungen zu stellen (vgl. Staudinger/Kanzleiter Vorbem. zu §§ 2265 ff. BGB Rn. 23 a.E.).

(2) Nach diesen Grundsätzen ist die Verneinung eines gemeinschaftlichen Testaments durch die Vorinstanzen im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Zwar kann die Wahl der von § 2267 BGB (für Ehegatten) ermöglichten Formerleichterung ein Indiz für einen gemeinschaftlichen Testierwillen sein. Die vom Amtsgericht herangezogenen Umstände sprechen jedoch dagegen: Die Überschrift "Mein letzter Wille" sowie der Beginn des Testaments "Ich... " deuten auf ein Einzeltestament des Erblassers hin. Auch verfügt der Erblasser zunächst nur über "seinen" Nachlass und setzt insoweit seine Lebensgefährtin zur Alleinerbin ein, ohne dass dieser Verfügung eine entsprechende Verfügung der Lebensgefährtin über ihren Nachlass gegenüberstünde. Nur für den Fall, dass beide nicht mehr leben, wird eine Verfügung in der "wir"-Form getroffen. Insgesamt gesehen ist der von den Vorinstanzen gezogene Schluss, dass kein gemeinschaftliches Testament vorliegt, jedenfalls möglich.

(3) Mit der Feststellung, dass kein gemeinschaftliches Testament vorliegt, kommt eine Wechselbezüglichkeit der getroffenen Verfügungen von vornherein nicht in Betracht. Die gemäß §§ 2247 Abs. 1 BGB formwirksam errichtete letztwillige Verfügung des Erblassers ist als Einzeltestament wirksam. Die Vorinstanzen haben auch richtig erkannt, dass die Unwirksamkeit der Verfügung der Lebensgefährtin als solche nicht die Unwirksamkeit der Verfügung des Erblassers zur Folge hat; auf den vom Landgericht herangezogenen § 2085 BGB kommt es insoweit nicht an.

(4) Die Überprüfung durch den Senat erstreckt sich nicht auf neue Tatsachen und Beweismittel, die im Rechtsbeschwerdeverfahren unzulässig sind. Soweit der Rechtsbeschwerdeführer erstmals im dritten Rechtszug bestreitet, dass der Erblasser die Verfügung vom 27.4.1989 selbst geschrieben und selbst unterschrieben hat, hat dies als neuer Sachvortrag außer Betracht zu bleiben.

b) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist auch die Auslegung des Landgerichts, dass der Erblasser als Letztversterbender in jedem Fall - und nicht etwa nur für den Fall eines gleichzeitigen tödlichen Unglücks der beiden Lebenspartner - die Beteiligte zu 2 zur Alleinerbin einsetzen wollte. Die Formulierung "Sollte uns beiden... ein Unglück mit tödlichem Ausgang zustoßen" lässt diese Auslegung zu.

(1) Für die Auslegung der in einem Testament enthaltenen Willenserklärungen ist gemäß § 133 BGB der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften; es ist also zu ermitteln, was als Inhalt jeder einzelnen Erklärung anzusehen ist. Hierzu muss der gesamte Inhalt der Erklärungen, einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Testamentsurkunde liegen, als Ganzes gewürdigt werden; auch die allgemeine Lebenserfahrung ist zu berücksichtigen (BayObLGZ 1981, 79/82 m.w.N.).

(2) Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung trägt diesen Grundsätzen Rechnung. Die Worte "Sollte uns beiden... ein Unglück mit tödlichem Ausgang zustoßen" sind auslegungsbedürftig. Eine solche Formulierung in einem Testament ist nicht zwangsläufig dahin zu verstehen, dass ein plötzliches, etwa unfallbedingtes, Versterben gemeint sein soll. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass ältere Leute die .Worte "Tod" und "Sterben" gerne mit der Redewendung "falls uns etwas zustößt" oder auf ähnliche Weise umschreiben und dass ihnen auch dann "etwas zustößt" oder "ein Unglück zustößt", wenn sie etwa wegen einer schweren Erkrankung versterben (vgl. BayObLGZ 1981, 79/86). Die gewählte Formulierung muss auch nicht bedeuten, dass der Erblasser nur den Fall des gleichzeitigen Versterbens oder des Versterbens beider Partner aufgrund desselben Unglücksfalles regeln wollte.

Selbst mit den Worten "gleichzeitiger Tod" oder "gleichzeitiges Versterben" - was im Wortsinn nur den seltenen Fall bedeutet, dass mehrere Personen im gleichen Bruchteil einer Sekunde den Tod gefunden haben (vgl. BayObLGZ 1996, 243/246 f. NJW-RR 1997, 329; OLG Hamm NJW-RR 1996, 70) - werden in einem Testament auch Fallgestaltungen umschrieben, in denen beide Partner in einem kurzen zeitlichen Abstand nacheinander versterben, sei es aufgrund desselben äußeren Ereignisses, sei es aufgrund verschiedener Ursachen (vgl. BayObLG NJW-RR 1997, 327/328). Die im vorliegenden Fall gebrauchte Formulierung ist weniger eng und lässt erst recht unterschiedliche Deutungen zu. Sie kann, wie die Rechtsprechung zu solchen und inhaltsähnlichen Wendungen zeigt, sowohl den gleichzeitigen Tod als auch das Nacheinanderversterben der Partner meinen (vgl. BayObLG aaO mit Zusammenstellung von Fallbeispielen; OLG Köln FamRZ 1996, 310/311).

Ein Erblasser kann sich allerdings von der Erwägung leiten lassen, er müsse nur für den Fall Vorsorge treffen, dass er nach dem Tode des zunächst eingesetzten Erben nicht mehr in der Lage ist, eine neue Erbeinsetzung vorzunehmen, und dass insoweit ein gemeinsamer Unglücksfall im Sinne eines beide treffenden Unfalls im Vordergrund seiner Vorstellung steht. Selbst dann wäre jedoch die Auslegung möglich, dass jedenfalls ein kurzzeitiges Nacheinanderversterben wie hier - zwischen beiden Todesfällen lagen nur vier Tage - von der Erbeinsetzung mit umfasst sein soll, auch wenn die beiden Todesfälle auf natürliche Todesursachen zurückzuführen sind.

(3) Die weitere Beschwerde steht demgegenüber auf dem Standpunkt, der Erblasser habe nur zwei Fälle geregelt: den Fall seines Vorversterbens und den Fall des gleichzeitigen Versterbens mit seiner Lebensgefährtin; beide Fälle seien nicht eingetreten, weshalb der Beteiligte zu 1 als gesetzlicher Erbe zum Zuge komme.

Damit ersetzt der Rechtsbeschwerdeführer aber nur die Auslegung des Landgerichts durch seine eigene, andere Auslegung. Das kann der weiteren Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Die Auslegung des Testaments ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerdegericht hat nur zu überprüfen, ob die Auslegung alle wesentlichen Umstände berücksichtigt, nach den Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln in Einklang steht und dem klaren Sinn und Wortlaut des Testaments nicht widerspricht (st.Rspr.; vgl. BayObLG FamRZ 1999, 1388/1389 m.w.N.). Die Schlussfolgerungen des Tatrichters müssen hierbei nicht zwingend sein (vgl. BayObLG aaO).

So liegt der Fall hier. Wie dargelegt, ist der Wortlaut des Testaments nicht eindeutig. Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung widerspricht dem Wortlaut nicht; sie ist naheliegend, jedenfalls möglich. Ohne Rechtsfehler konnte das Landgericht auch zur Stützung seiner Auslegung den von ihm als glaubhaft gewürdigten Sachvortrag der Beteiligten zu 2 heranziehen, wonach sie es war, die sich in den ganzen Jahren um ihre Mutter und deren Partner, den Erblasser, gekümmert hat.

3. Für eine Kostenentscheidung besteht kein Anlass; sie folgt unmittelbar aus dem Gesetz. Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG. Die Entscheidung über den Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde beruht auf § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1 KostO. Dabei hat der Senat die Wertangaben im Nachlassverzeichnis vom 20.9.2000 unter Abzug des Pflichtteilsanspruchs des Beteiligten zu 1 zugrunde gelegt. Die Geschäftswertfestsetzung im Beschwerdeverfahren war entsprechend zu berichtigen.

Ende der Entscheidung

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