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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 13.06.2003
Aktenzeichen: 1Z BR 24/03
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1886
FGG § 59 Abs. 1
FGG § 59 Abs. 3
FGG § 60 Abs. 1 Nr. 3
FGG § 63
1. Sofortige weitere Beschwerde eines Mündels, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, im Verfahren der Entlassung eines Vormunds.

2. Zu den Voraussetzungen der Entlassung eines Vormunds.


Gründe:

I.

Cornelia (Beteiligte zu 1) ist 1988 geboren. Ihre Mutter ist 1999 an einem Krebsleiden verstorben. Ihren Vater hat Cornelia nie kennen gelernt. Sie hat noch zwei 1980 geborene Halbbrüder, zu denen kein Kontakt besteht, und eine Halbschwester, die 1971 geborene K. (Beteiligte zu 2). Diese ist kinderlos verheiratet und wohnt mit ihrem Ehemann in einer Drei-Zimmer-Wohnung. K. und ihr Ehemann haben Cornelia im August 1999 bei sich aufgenommen, weil die erkrankte Mutter sie nicht mehr hat betreuen können. Auch nach deren Tod ist Cornelia bei K. und ihrem Ehemann geblieben.

Mit Beschluss vom 24.11.1999 hat das Vormundschaftsgericht das Stadtjugendamt (Beteiligte zu 3) vorläufig und mit Beschluss vom 14.4.2000 endgültig zum Vormund für Cornelia bestimmt. Auf Beschwerde von K. hat das Vormundschaftsgericht sie am 8.12.2000 zum neuen Vormund für Cornelia bestimmt und das Stadtjugendamt als Vormund entlassen. Dieses ist aber weiterhin mit der Vermögenssorge für Cornelia betraut worden.

Erkenntnisse des Stadtjugendamtes und eigene Ermittlungen haben das Vormundschaftsgericht veranlasst, mit Beschluss vom 11.7.2002 K. aus ihrem Amt als Vormund zu entlassen und wiederum das Stadtjugendamt zum Vormund zu bestellen. Gegen diese ihr am 25.7.2002 zugestellte Entscheidung hat Cornelia, die seit 12.7.2002 in einem Heim untergebracht ist, am 8.8.2002 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat Berichte über die Entwicklung Cornelias seit dem 12.7.2002 sowie den Erziehungshilfeplan vom Stadtjugendamt eingeholt, eine Augenscheinnahme der Wohnung von K. vorgenommen und Cornelia im Beisein ihres Verfahrensbevollmächtigten und der für sie zuständigen Betreuerin des Stadtjugendamtes persönlich angehört. Mit Beschluss vom 26.2.2003 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Gegen diese ihr am 3.3.2003 zugestellte Entscheidung hat Cornelia am 17.3.2003 durch Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Eine Begründung des Rechtsmittels wurde nicht abgegeben.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Das Rechtsmittel von Cornelia, mit dem sie sich gegen die Entlassung von K. als Vormund wendet, ist als sofortige weitere Beschwerde gemäß § 63, § 60 Abs. 1 Nr. 3, § 29 Abs. 2 FGG statthaft. Es ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere rechtzeitig (§ 29 Abs. 4, § 22 Abs. 1 Satz 2 FGG) und in der erforderlichen Form (§ 29 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 199 Abs. 1 FGG) eingelegt worden. Antrag und Begründung sind nicht erforderlich (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 364). Da Cornelia bereits das 14. Lebensjahr vollendet hatte, ist sie gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 FGG selbst beschwerdeberechtigt.

2. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Entlassung von K. als Vormund sei im Interesse Cornelias notwendig, auch wenn dies nicht ihrem Wunsch entspreche. Ihre eigenen Angaben zu den Lebensverhältnissen bei K. könnten nur mit größter Vorsicht herangezogen werden. Sie beschönige ihre Lebensumstände im Haushalt von K. und widerspreche eigenen früheren Angaben und den Aussagen der als Zeugen einvernommenen Schulkameraden, Schullehrer und mit ihr befassten Betreuungspersonen. Ihre Angaben seien nur davon bestimmt, wieder in den Haushalt von K. aufgenommen zu werden. Cornelia übernehme kritiklos deren Meinung und sehe alle Personen, die das familiäre System in Frage stellten, als Lügner an, weil K. und ihr Ehemann nach dem Tod der Mutter die einzigen Personen gewesen seien, zu denen Cornelia vor der Unterbringung in dem Heim überhaupt noch eine persönliche Beziehung unterhalten habe.

Entgegen ihrer eigenen Einlassung habe sie vor ihrer Heimunterbringung Vernachlässigungs- und Verwahrlosungstendenzen gezeigt. Ihre psychische Verfassung sei bestimmt durch traumatische Erlebnisse wie die sexuelle Belästigung durch einen ihrer Halbbrüder im Alter von 7 oder 8 Jahren sowie durch den Tod der Mutter (im Alter von 11 Jahren). Ihr Verhalten sei nicht altersentsprechend; in der Schule sei sie isoliert. Dementsprechend ziehe sie sich zurück. Sie habe kein Körperbewusstsein entwickelt und ihre Kleidung und Körperhygiene vernachlässigt. Cornelia sei bei ihrer Aufnahme in das Heim untergewichtig gewesen. Sie bedürfe einer Betreuung mit einem klar strukturierten Tagesablauf, um mit ihren Problemen fertig zu werden und ihre inzwischen rückständige Entwicklung zu fördern; sie müsse altersentsprechende Verhaltensweisen, soziale Wahrnehmungs- und Konfliktstrategien unter Gleichaltrigen lernen, um weitere Isolation und Verwahrlosung zu vermeiden. Weiterhin müsse sie unterstützt werden, den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten. K. sei, wenn überhaupt, nur eingeschränkt in der Lage, diesen erhöhten Anforderungen an einen Vormund gerecht zu werden und einer weiteren Verwahrlosung und Isolation Cornelias entgegenzuwirken. Cornelia habe im Haushalt von K. kein geordnetes Umfeld zu erwarten, nachdem diese an den Verhältnissen wie vor der Heimunterbringung Cornelias festhalten wolle. Im Hinblick darauf sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Bindungen Cornelias, des mutmaßlichen Willens ihrer Mutter und ihres eigenen Wunsches die Entlassung von K. als Vormund notwendig. Mangels einer als Einzelvormund geeigneten Person sei das Stadtjugendamt als Amtsvormund zu bestellen gewesen.

3. Die Beschwerdeentscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) Nach § 1886 BGB hat das Vormundschaftsgericht den Einzelvormund zu entlassen, wenn die Fortführung des Amtes, insbesondere wegen pflichtwidrigen Verhaltens des Vormunds, das Interesse des Mündels gefährden würde. Ein Verschulden des Vormunds ist nicht Voraussetzung für seine Entlassung; es genügt vielmehr die objektive Gefährdung der Interessen des Mündels, die schon dann vorliegt, wenn eine Schädigung möglich oder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. BayObLG FamRZ 1988, 874/875; 1990, 2051206; 1991, 1353/1354). Die Entlassung darf aber als äußerste Maßnahme nur Platz greifen, wenn andere Mittel oder mildere Eingriffe (vgl. §§ 1837, 1796 BGB) nicht zum Erfolg führen. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Gericht stets versuchen muss, mit dem mildesten Mittel die Gefahr vom Mündel abzuwenden; es muss vielmehr, je nach Grad der Gefährdung und bedrohtem Gut, das geeignete Mittel wählen (vgl. Soergel/Zimmermann BGB 13. Aufl. § 1886 Rn. 12).

Die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht hat sich darauf zu erstrecken, ob auf Grund der getroffenen Feststellungen das Landgericht eine zumindest mögliche Gefährdung der Interessen des Mündels Cornelia zu Recht bejaht hat, da es sich insoweit um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt (vgl. BayObLG FamRZ 1988, 874/875; Soergel/Zimmermann § 1886 Rn. 3).

b) Das Landgericht hat die angeführten Grundsätze seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

aa) Es hat beachtet, dass gemäß § 1886 Alternative 1 BGB schon die objektive Gefährdung der Interessen des Mündels durch den Vormund zu seiner Entlassung führen muss. Das bedeutet, dass nicht etwa erst pflichtwidrige Handlungen des Vormunds, wie es die Vorschrift als Beispielsfall vorsieht, feststehen müssen. Es genügt vielmehr, dass auch ohne schon eingetretene Schädigung des Mündels, ohne ein Verschulden des Vormunds und gegebenenfalls unabhängig von der eigenen Einschätzung des Mündels ein Zustand evident ist, der eine Schädigung des Mündels bei Belassung des Vormunds in seinem Amt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwarten lässt (vgl. BayObLG FamRZ 1988, 874; Staudinger/Engler § 1886 Rn. 10). Es ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht aus dem äußeren Erscheinungsbild, dem Verhalten und den Wohn- und Lebensverhältnissen Cornelias Vernachlässigungs- und Verwahrlosungstendenzen für die Zeit abgeleitet hat, in der Cornelia noch im Haushalt von K. untergebracht gewesen ist. Das Landgericht hat auch die deutliche Besserung des physischen und psychischen Zustandes Cornelias in Rechnung stellen dürfen, nachdem sie aus dem Haushalt von K. herausgenommen und in einem Heim untergebracht wurde, in dem ihr Erziehungshilfe zuteil wird.

Das Landgericht hat nicht versäumt, sich mit dem ausdrücklichen Wunsch des Mündels Cornelia auseinander zu setzen, es bei der Vormundschaft durch K. zu belassen. Es hat diesem Wunsch unter Hinweis auf die gesetzliche Wertung in § 1779 Abs. 2 BGB, wonach bei der Auswahl des Vormunds die persönlichen Bindungen des Mündels und die Verwandtschaft zu ihm zu berücksichtigen sind, durchaus erhebliche Bedeutung beigemessen. Diese familiäre Bindung kann aber dann nicht ausschlaggebend sein, wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat, wenn erneut eine negative Entwicklung wahrscheinlich ist, falls Cornelia wieder unter Vormundschaft durch K. gestellt und in deren Haushalt wieder aufgenommen werden würde.

bb) Das Landgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Entlassung des Vormunds nur dann anzuordnen ist, wenn andere vormundschaftsgerichtlichen Maßnahmen (§ 1837 Abs. 2, § 1837 Abs. 4 i. V. m. §§ 1666, 1666a, § 1696 BGB) nicht ausreichen. Allerdings ist die Entlassung des Vormunds nicht davon abhängig, dass zuvor andere vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen zur Behebung der eingetretenen oder zur Vermeidung drohender Missstände eingesetzt worden sind; vielmehr ist die Entlassung auszusprechen, wenn sie notwendig ist, um die Gefährdung der Mündelinteressen zu beseitigen (vgl. Staudinger/Engler § 1886 Rn. 12; Soergel/Zimmermann § 1886 Rn. 2). Das Landgericht hat mildere Maßnahmen als die Entlassung des Vormunds nicht weiter in Erwägung gezogen, weil Vorhaltungen gegenüber K. nur zu kurzfristigen Verbesserungen geführt hatten und diese an den Zuständen und dem Erziehungsverhalten wie vor Herausnahme Cornelias aus ihrem Haushalt festhalten will. Das Landgericht hat daraus rechtsfehlerfrei abgeleitet, dass K. nicht die erforderliche Eignung hat, um als Vormund die Personensorge und die Erziehungsaufgabe für Cornelia wahrzunehmen (vgl. Staudinger/Engler § 1886 Rn. 13 m. w. N.; Soergel/ Zimmermann § 1886 Rn. 4).

4. Da das Landgericht die Entscheidung des Vormundschaftsgericht, K. als Vormund für Cornelia zu entlassen, zu Recht bestätigt hat, war mangels einer als Einzelvormund geeigneten Person das Jugendamt zum Vormund zu bestellen (§ 1791 EGBGB).

5. Eine Kostenentscheidung und die Festsetzung eines Geschäftswertes sind nicht veranlasst (§ 131 Abs. 3 KostO).

Ende der Entscheidung

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