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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 12.05.2004
Aktenzeichen: 1Z BR 27/04
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1697
BGB § 1779
BGB § 1886
BGB § 1915 Abs. 1
FGG § 20 Abs. 1
FGG § 57 Abs. 1 Nr. 9
FGG § 59
1. Auslegung einer Beschwerde gegen die Auswahl des Ergänzungspflegers als Antrag auf Entlassung des Pflegers.

2. Eltern, denen die Vermögenssorge für ihre minderjährigen Kinder entzogen wurde, können die Kinder im Verfahren der Beschwerde gegen die Weigerung des Vormundschaftsgerichts, den Vermögenssorgepfleger zu entlassen, vertreten.

3. Prüfung der Kindesinteressen bei einem Antrag auf Entlassung des Pflegers.


Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 14.1.2003 hat das Amtsgericht - Familiengericht - den sorgeberechtigten Eltern das Recht der Vermögenssorge für ihre minderjährigen Kinder (Beteiligte zu 1 bis 3) entzogen, insoweit Pflegschaft angeordnet und die Vermögenssorge dem Beteiligten zu 4, einem Rechtsanwalt, als Ergänzungspfleger übertragen. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Eltern hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Mit Beschluss vom 16.1.2003 hat das Vormundschaftsgericht den Beteiligten zu 4 zum Ergänzungspfleger förmlich bestellt. Die Eltern als gesetzliche Vertreter ihrer Kinder haben mit an das Vormundschaftsgericht gerichtetem Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 2.9.2003 Beschwerde eingelegt und erläutert, diese richte sich "gegen die Auswahl des Ergänzungspflegers" mit dem Ziel seiner Entlassung. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen vorgetragen, dass der Ergänzungspfleger verschiedene fällige Rechnungen nicht beglichen habe. Ferner habe sich der Ergänzungspfleger nicht um den Schadensersatzprozess der Beteiligten zu 1 und 2 gegen einen Architekten gekümmert; auch habe er den anwaltlichen Prozessbevollmächtigten der Kinder gekündigt, wodurch unnötige Anwaltshonorar-Mehrkosten in Höhe von 6.000 EURO entstanden seien. Bei der Verwaltung des den Beteiligten zu 1 und 2 gehörenden Anwesens seien massive Probleme aufgetreten. Schließlich weigere sich der Ergänzungspfleger, einen Anspruch der Mutter gegen den Beteiligten zu 3 auf Rückübertragung von Immobilieneigentum anzuerkennen und zu erfüllen.

Das Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 23.1.2004 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Pfleglinge, mit der sie ihr Ziel, die Entlassung des Pflegers, weiterverfolgen.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Verfahrensgegenstand ist allerdings nicht, wie die Vorinstanzen gemeint haben, die Auswahl des Ergänzungspflegers. Die dem Wortlaut nach gegen die Auswahl des Ergänzungspflegers gerichtete Beschwerde ist der Sache nach als Antrag auf Entlassung des Ergänzungspflegers auszulegen.

a) Mit dem Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Auswahl des Ergänzungspflegers (§§ 1779, 1909, 1915 BGB; vgl. BayObLG FamRZ 1984, 205) kann geltend gemacht werden, dass das auswählende Gericht gegen Auswahlvorschriften verstoßen und sein Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Die Beschwerde trägt keine Umstände vor, die das Gericht zum Zeitpunkt der Auswahl etwa fehlerhaft nicht berücksichtigt oder falsch gewürdigt hätte. Tatsächlich hatte das Vormundschaftsgericht, an das die Beschwerde gerichtet ist, keine Auswahl zu treffen, da die Person des Ergänzungspflegers bereits vom Familiengericht - in Ausübung der ihm nach § 1697 BGB fakultativ zustehenden Auswahlkompetenz - ausgewählt worden war. Richtigerweise hat sodann das Vormundschaftsgericht die förmliche Bestellung des (vom Familiengericht ausgewählten) Ergänzungspflegers vorgenommen (§§ 1789, 1915 BGB; vgl. zur Zuständigkeitsverteilung zwischen Familiengericht und Vormundschaftsgericht BayObLG FamRZ 2000, 568). Bei dieser Sachlage wären Einwendungen gegen die Auswahl des Ergänzungspflegers durch Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Familiengerichts im Instanzenzug der Familiengerichte geltend zu machen gewesen (vgl. BayObLGZ 2000, 216).

b) Was die Beschwerdeführer der Sache nach vorbringen, sind Einwendungen gegen die Amtsführung des Ergänzungspflegers, die ihrer Auffassung nach die Interessen der Kinder gefährdet. Der richtige Rechtsbehelf ist insoweit der Antrag auf Entlassung des Ergänzungspflegers. Ein solcher Antrag gibt dem Vormundschaftsgericht Anlass, gemäß §§ 1886, 1915 BGB von Amts wegen zu prüfen, ob ein Entlassungsgrund vorliegt. Die mit dem Ziel der Entlassung des Ergänzungspflegers eingelegte Beschwerde kann - im Interesse der Beschwerdeführer, deren eigentliches Begehren und Rechtsschutzziel aus dem Beschwerdevorbringen ersichtlich ist - in diesem Sinn ausgelegt werden. Es ist daher im Ergebnis zutreffend, dass die Vorinstanzen das Rechtsschutzbegehren nach dem Maßstab des § 1886 BGB geprüft haben, von dem auch die Beschwerdeführer selbst ausgehen.

2. Die von den Eltern namens der betroffenen Kinder eingelegte Beschwerde war zulässig. Den Kindern steht gegen die Weigerung des Vormundschaftsgerichts, den Ergänzungspfleger zu entlassen, ein Beschwerderecht nach § 20 Abs. 1 FGG zu. Sie bedürfen allerdings, da sie das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zur Ausübung des Beschwerderechts der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters (§ 59 Abs. 1 und 3 FGG). Die Eltern können hier ihre Kinder wirksam vertreten (§§ 1626, 1629 Abs. 1 BGB), ohne dass der Entzug der Vermögenssorge und der damit verbundene Verlust der Vertretungsmacht auf diesem Gebiet (§ 1630 Abs. 1 BGB) dem entgegenstünde. Denn bei der Frage, ob der die Vermögenssorge ausübende Ergänzungspfleger zu entlassen ist, handelt es sich nicht unmittelbar um eine die Vermögenssorge betreffende Angelegenheit, sondern um die Vorfrage, wer anstelle der Eltern die Kinder in Angelegenheiten der Vermögenssorge vertreten soll. Insoweit ist den Eltern das Vertretungsrecht zuzubilligen (vgl. BayObLGZ 1977, 105/109 m.w.N.), zumal ihnen in solchen Fällen der entzogenen Vermögenssorge ein eigenes Beschwerderecht regelmäßig nicht - weder nach § 20 Abs. 1 FGG noch nach § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG - zusteht (vgl. BayObLGZ 1986, 412/415 f.; 1999, 59/61; Soergel/Zimmermann BGB 13. Aufl. § 1909 Rn. 21).

3. In der Sache hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:

Der Vorwurf, der Ergänzungspfleger habe im Schadensersatzprozess gegen den Architekten unnötigerweise Anwaltshonorar-Mehrkosten verursacht, weil er den Prozessvertretern der Kinder gekündigt und den Prozess selbst an sich gezogen habe, sei unzutreffend. Die Prozessvertreter seien weiter mandatiert; es seien daher auch keine unnötigen Mehrkosten entstanden.

Was den die Immobilie des Beteiligten zu 3 betreffenden Rückübertragungsanspruch anbelangt, den die Mutter zwischenzeitlich beim Landgericht anhängig gemacht habe, so sei ein pflichtwidriges Verhalten des Ergänzungspflegers nicht erkennbar. Dem beklagten Kind sei Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Die Mutter sei wiederholt aufgefordert worden, Rechnung zu legen. Die angebotene Freistellung des Kindes von der Haftung sei unerheblich, weil die Mutter vor nicht langer Zeit die Offenbarungsversicherung über ihr Vermögen abgegeben habe. Soweit die Mutter die Übertragung der Immobilie an eine Tante statt an sie selbst angeboten habe, habe sie keinen notariellen Vertragsentwurf vorgelegt. Der Ergänzungspfleger habe sein Vorgehen mit dem Vormundschaftsgericht abgestimmt.

Auch hinsichtlich der Verwaltung des Anwesens sei ein pflichtwidriges Verhalten des Ergänzungspflegers nicht zu erkennen. Der Vater habe völlig eigenmächtig den Strombezug umgemeldet, die diesbezüglichen Unterlagen aber dem Ergänzungspfleger auch auf Aufforderung hin nicht vorgelegt.

Die übrigen Vorwürfe der Beschwerdeführer seien von untergeordneter Art. Es sei verständlich, dass bei der Bezahlung von Rechnungen Schwierigkeiten aufgetreten seien, da die Begleichung laufender Kosten zunächst dem Zwangsverwalter oblegen habe; der später bestellte Ergänzungspfleger habe offene Forderungen erst mit Verzögerungen, abhängig von den zur Verfügung stehenden Geldmitteln, begleichen können. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sich der Ergänzungspfleger erst in die von den Eltern hinterlassenen verworrenen Vermögensverhältnisse habe einarbeiten müssen und nicht ungeprüft angebliche Verbindlichkeiten der Pflegebefohlenen habe bedienen dürfen.

4. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Nach §§ 1886, 1915 Abs. 1 BGB hat das Vormundschaftsgericht den Ergänzungspfleger (§ 1909 BGB) zu entlassen, wenn die Fortführung des Amtes, insbesondere wegen pflichtwidrigen Verhaltens des Pflegers, das Interesse des Pfleglings gefährden würde. Ein Verschulden des Pflegers ist nicht Voraussetzung für seine Entlassung; es genügt vielmehr die objektive Gefährdung der Interessen des Pfleglings (vgl. BayObLG FamRZ 1988, 874/875; 1990, 205/206; 1991, 1353/1354). Die Entlassung darf aber als äußerste Maßnahme nur Platz greifen, wenn andere Mittel oder mildere Eingriffe nicht zum Erfolg führen.

b) Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht zutreffend ausgegangen. Die Sachverhaltsermittlung und die Würdigung des Sachverhalts durch das Landgericht sind frei von Rechtsfehlern. Das Landgericht hat im Einzelnen dargelegt, dass die Fortführung des Amtes durch den Beteiligten zu 4 die Interessen der Pfleglinge nicht gefährden würde. Seine Darlegungen sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Ausführungen der weiteren Beschwerde geben ergänzend nur zu folgenden Bemerkungen Anlass:

aa) Soweit das Landgericht nicht ausdrücklich auf den Vorwurf eingegangen ist, der Beteiligte zu 4 habe sich nicht um den Schadensersatzprozess der Kinder gegen den Architekten gekümmert und dadurch die Interessen der Kinder gefährdet, kann dies der weiteren Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Der Vorwurf ist unbegründet. Die Kinder waren und sind im Schadensersatzprozess anwaltlich vertreten; eine Kündigung des Mandats hat nicht stattgefunden. Der Prozess war auf Veranlassung der Beschwerdeführer ausgesetzt, was die Prozessbevollmächtigten der Kinder auch für sachgerecht hielten. Eine Einarbeitung des Beteiligten zu 4 in den Prozessstoff war also keineswegs eilbedürftig. Im Übrigen hat der Beteiligte zu 4 sowohl zu den Prozessbevollmächtigten der Kinder als auch zum Gericht Kontakt aufgenommen und die Akten eingesehen.

bb) Ob der von der Mutter gegen den Beteiligten zu 3 geltend gemachte Rückübertragungsanspruch besteht, ist Gegenstand eines Zivilrechtsstreits, den die Mutter nunmehr in erster Instanz verloren hat. Schon dies zeigt, dass die Weigerung des Beteiligten zu 4, den Anspruch zu erfüllen, im hier erörterten Zusammenhang nicht zu beanstanden ist; denn die Handlungsweise des Beteiligten zu 4 kann objektiv sehr wohl im Interesse des Kindes gelegen haben. Eine weitere Prüfung des Anspruchs, über dessen Berechtigung die damit befassten Streitgerichte zu befinden haben, ist im vorliegenden Verfahren nicht veranlasst.

cc) Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der weiteren Beschwerde, dem Beschluss sei nicht zu entnehmen, ob das Landgericht anstelle der von ihm abgelehnten Entlassung des Pflegers die Möglichkeit weniger einschneidender Maßnahmen geprüft habe. Hierzu hatte das Landgericht nach dem Ergebnis seiner rechtsfehlerfrei vorgenommenen Sachverhaltswürdigung keinen Anlass.

dd) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für die minderjährigen Kinder war nicht erforderlich. Selbst wenn man § 50 FGG im vorliegenden Fall einer Vermögenssorgepflegschaft für anwendbar hielte, war die Bestellung eines Verfahrenspflegers hier schon deshalb entbehrlich, weil die Kinder durch ihre anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten angemessen vertreten waren (vgl. § 50 Abs. 3 FGG). Die von der weiteren Beschwerde zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken (FGPrax 1998, 57) ist nicht einschlägig.

5. Das Verfahren der weiteren Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 3 KostO). Die Erstattungsanordnung beruht auf der zwingenden Vorschrift des § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG. Die Festsetzung des Geschäftswerts hat ihre Rechtsgrundlage in § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 2 Satz 1, § 31 Abs. 1 Satz 1 KostO, wobei der Senat die Anzahl der Pfleglinge berücksichtigt hat.

Ende der Entscheidung

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