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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 09.11.2001
Aktenzeichen: 1Z BR 31/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 2084
BGB § 2100
BGB § 2269
Zur Frage, wie ein gemeinschaftliches Testament mit Wiederverheiratungs- und Schlusserbenklausel auszulegen ist.
Gründe:

I.

Der 1999 im Alter von 69 Jahren verstorbene Erblasser war zweimal - jeweils ohne Ehevertrag - verheiratet. Aus der ersten Ehe entstammen die Kinder A, geboren 1958 (Beteiligte zu 2), B, geboren 1961 (Beteiligter zu 3), und C, geboren 1965.

Am 11.5.1974 verfassten die Eheleute - sie waren zu diesem Zeitpunkt 43 bzw. 40 Jahre alt - privatschriftlich folgendes gemeinschaftliche Testament:

Bei Ableben eines Ehepartners erhält der andere sämtliches Bargeld, Haus- und Platzbesitz, die Hälfte der Firma und 1/3 der Architektengemeinschaft.

Bei Wiederverheiratung bekommen die 3 Kinder die Hälfte des ganzen Vermögens zu gleichen Teilen.

Bei Ableben Beider fällt das ganze Vermögen den 3 Kindern zu gleichen Teilen zu.

Am 17.9.1977 verstarb die Ehefrau des Erblassers im Alter von 43 Jahren. Das Nachlassgericht erteilte dem Erblasser am 14.11.1977 einen Erbschein, nach dem er Alleinerbe seiner ersten Ehefrau geworden und hinsichtlich eines 1/2-Anteiles Nacherbfolge zugunsten der drei Kinder für den Fall der Wiederverheiratung angeordnet ist.

Am 18.7.1988 ging der Erblasser seine zweite Ehe mit der Beteiligten zu 1 ein, die kinderlos blieb. Sein Sohn C verstarb am 2.1.1997 ohne Hinterlassung von Abkömmlingen. Er selbst errichtete keine weitere letztwillige Verfügung.

Das Nachlassgericht erteilte den Beteiligten zu 2 und 3 auf ihren Antrag am 10.2.2000 einen Erbschein, wonach beide den Erblasser zu je 1/2 aufgrund des privatschriftlichen Testaments vom 11.5.1974 beerbt haben. Die Beteiligte zu 1 beantragte die Einziehung dieses Erbscheins und Erteilung eines Erbscheins, der sie als Miterbin zu 1/2 und die Beteiligten zu 2 und 3 als Miterben zu je 1/4 ausweisen sollte. Sie ist der Auffassung, die zweite Eheschließung habe nach der Heiratsklausel im Testament vom 11.5.1974 dazu geführt, dass der Erblasser am Nachlass seiner ersten Ehefrau nur mehr zu 1/2 als Vollerbe beteiligt war und seine Kinder bezüglich der anderen Hälfte Nacherben ihrer Mutter geworden sind. Damit sei im Zeitpunkt der Wiederverheiratung eine der gesetzlichen Erbfolge entsprechende Vermögensverteilung erzielt worden. Da der Fall der Wiederverheiratung eingetreten sei, habe die im Schlusssatz des Testaments vom 11.5.1974 vorgenommene Schlusserbeneinsetzung der Kinder nach Ableben beider Eheleute keine Geltung erlangt. Daher stehe ihr aufgrund gesetzlicher Erbfolge 1/2 und den Beteiligten zu 2 und 3 je 1/4 des Nachlasses zu.

Mit Beschluss vom 25.4.2000 wies das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 zurück und führte aus: Die Beteiligte zu 1 sei von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, weil das Testament vom 11.5.1974 auch die Erbfolge des Erblassers durch Schlusserbeneinsetzung seiner Kinder regle. Diese Anordnung könnte nur dann aufgrund der Heiratsklausel als gegenstandslos angesehen werden, wenn der überlebende Ehegatte bei Wiederverheiratung vollständig enterbt worden wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall, weil die Nacherbschaft nur für die Hälfte des Vermögens des erstversterbenden Ehegatten angeordnet und die zweite Hälfte dem Erblasser bei Wiederverheiratung verblieben sei.

Gegen diese Entscheidung legte die Beteiligte zu 1 Beschwerde ein. Mit am 4.10.2000 eingegangenem Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten ließ sie das gemeinschaftliche Testament vom 11.5.1994 wegen Irrtums und Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten anfechten.

Mit Beschluss vom 29.3.2001 hob das Landgericht den Beschluss des Nachlassgerichts vom 25.4.2000 auf und ordnete an, den Erbschein zugunsten der Beteiligten zu 2 und 3 vom 10.2.2001 einzuziehen. Weiter wies es das Nachlassgericht an, der Beteiligten zu 1 einen Erbschein zu erteilen, in dem sie als Miterbin zu 1/2 und die Beteiligten zu 2 und 3 als Miterben zu je 1/4 ausgewiesen sind. Gegen diese Entscheidung haben die Beteiligten zu 2 und 3 weitere Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat die Ausführung seiner Anordnungen bis zum Abschluss des Verfahrens der weiteren Beschwerde ausgesetzt.

II.

1. Die weitere Beschwerde ist mit dem Ziel der Wiederherstellung der nachlassgerichtlichen Entscheidung zulässig, weil der den Beteiligten zu 2 und 3 erteilte Erbschein noch nicht eingezogen und ein neuer Erbschein noch nicht erteilt ist. Das nicht fristgebundene Rechtsmittel (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) ist formgerecht eingelegt worden (§ 29 Abs. 1 Satz 2 FGG). Die Beteiligten zu 2 und 3 sind beschwerdeberechtigt (§ 29 Abs. 4, § 20 FGG), weil das Landgericht zu ihren Ungunsten die Entscheidung des Nachlassgerichts abgeändert hat, das allein die Beteiligten zu 2 und 3 - und nicht auch die Beteiligte zu 1 - als Miterben des Erblassers angesehen hatte. In der Sache hat die weitere Beschwerde aber keinen Erfolg.

2. Das Landgericht hat ausgeführt, die Heiratsklausel im Testament vom 11.5.1974, nach der "die Hälfte des ganzen Vermögens" bei Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten an die Kinder gehen solle, sei dahin auszulegen, dass es sich dabei um die Hälfte des Nachlasses des Erstversterbenden handeln solle. Diese Auslegung habe der Erblasser selbst bei erstmaliger Testamentseröffnung als zutreffend angegeben; auch die damals bereits volljährige Beteiligte zu 2 sei damit einverstanden gewesen. Die Regelung hätte zur Folge, dass die Kinder vom Augenblick der Wiederverheiratung an dieselbe erbrechtliche Stellung erhalten hätten, wie sie sie bei gesetzlicher Erbfolge gehabt hätten: Mit der Wiederverheiratung sei die Bevorzugung des überlebenden Ehegatten im Verhältnis zur gesetzlichen Erbfolge weggefallen. Die Klausel "Bei Ableben Beider fällt das ganze Vermögen den 3 Kindern... zu gleichen Teilen zu" sei nicht als Schlusserbenregelung auch für den Fall der Wiederverheiratung zu verstehen. Vielmehr behandelten die beiden Klauseln zwei getrennte Alternativen: Für den Fall der Wiederverheiratung werde das Ergebnis wie bei gesetzlicher Erbfolge wiederhergestellt; komme es nicht zur Wiederverheiratung, gelte die letzte Klausel: Die drei Kinder seien dann Schlusserben zu gleichen Teilen. Es sei nicht anzunehmen, dass die Ehegatten auch für den Fall der Wiederverheiratung eine solche Schlusserbeneinsetzung unter Zurücksetzung des neuen Ehegatten gewollt hätten; dagegen spreche die Rückkehr zu dem Ergebnis wie bei gesetzlicher Erbfolge im Falle der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten.

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) stand.

a) Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der Erblasser kraft Gesetzes beerbt worden ist und die Beteiligte zu 1 Miterbin zu 1/2 (§ 1931 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 1371 Abs. 1 BGB) und die Beteiligten zu 2 und 3 Miterben zu je 1/4 (§ 1924 Abs. 1, Abs. 4 BGB) geworden sind. Es ist dabei davon ausgegangen, dass das gemeinschaftliche Testament des Erblassers und seiner ersten Ehefrau vom 11.5.1974 für diesen zweiten Erbfall keine Bedeutung hat. Nach der Auslegung des Landgerichts haben die Ehegatten eine Regelung der Erbfolge des überlebenden Ehegatten im Falle seiner Wiederverheiratung nicht getroffen.

Die Auslegung des Testaments durch das Landgericht ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nur angreifbar, wenn sie auf Rechtsfehlern beruht. Sie kann daher vom Gericht der weiteren Beschwerde nur daraufhin überprüft werden, ob sie nach den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung möglich ist, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln in Einklang steht, dem Sinn und Wortlaut des Testaments nicht widerspricht und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt. Ist die danach vom Tatsachengericht gefundene Auslegung möglich, kann sie nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass eine andere Auslegung auch möglich ist (st. Rspr.; vgl. BGHZ 121, 357/363; BayObLG NJWE-FER 2000, 93). Die landgerichtliche Entscheidung genügt diesen Anforderungen.

b) Das Landgericht hat angenommen, dass die Eheleute im gemeinschaftlichen Testament vom 11.5.1974 sich gegenseitig zum Alleinerben eingesetzt haben und für die weitere Erbfolge eine alternative Regelung getroffen haben, nämlich eine, die nur gelten sollte, wenn der überlebende Ehegatte wieder heiratet, und eine, die nur dann Geltung erlangen sollte, wenn der überlebende Ehegatte nicht mehr heiratet. Das Landgericht durfte diese Auslegung darauf stützen, dass die Eheleute für den Fall der Wiederverheiratung eine der gesetzlichen Erbfolge entsprechende Regelung getroffen haben. Es hat zutreffend erkannt, dass der Wortlaut der Heiratsklausel, nach dem "die Hälfte des ganzen Vermögens" an die Kinder gehen sollte, in seiner rechtlichen Tragweite nicht eindeutig ist und deswegen der Auslegung bedarf; da die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand gelebt haben, konnte jeder Ehegatte nur über sein eigenes Vermögen letztwillig verfügen, nicht aber über einen möglicherweise darüber hinausgreifenden Hälfteanteil am Gesamtvermögen. Das Landgericht hat daher unter Zugrundelegung der Auslegungsregel des § 2084 BGB den von den Eheleuten gemeinten Sinn der Klausel darin gesehen, dass bei Wiederverheiratung die Kinder die Hälfte des Nachlasses des Erstversterbenden erhalten sollten. Das Landgericht konnte sich auch darauf stützen, dass der Erblasser nach dem ersten Erbfall einen entsprechenden Erbscheinsantrag gestellt hat, der auch Erfolg hatte. Die Beteiligten zu 2 und 3 haben sich bis zum Tod des Erblassers gegen diese Auslegung nicht gewandt.

Die Annahme des Landgerichts, die Eheleute hätten für den Fall der Wiederverheiratung eine der gesetzlichen Erbfolge entsprechende Regelung gewollt, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Mit der Wiederverheiratung des Erblassers am 18.7.1988 sind die Beteiligten zu 2 und 3 und ihr Bruder Nacherben bezüglich eines Hälfteanteils des Nachlasses ihrer Mutter geworden (§ 2106 Abs. 1, § 2100 BGB), während die andere Hälfte weiterhin beim Erblasser verblieben ist. Dies entspricht der gesetzlichen Erbfolge, die bei Tod eines von in gesetzlichem Güterstand lebenden Ehegatten und Hinterlassung von Abkömmlingen gemäß § 1931 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 1371 Abs. 1, § 1924 Abs. 1, Abs. 4 BGB eintritt. Die vom Landgericht daraus gezogene Schlussfolgerung, die Ehegatten hätten dadurch zu erkennen gegeben, die Privilegierung des überlebenden Ehegatten und die zum Ausgleich daran geknüpfte Schlusserbeneinsetzung bei Wiederverheiratung aufheben zu wollen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Wenn man aber davon ausgehen wollte, die Schlusserbenklausel habe auch Bedeutung im Wiederverheiratungsfall, würde dies am Ergebnis nichts ändern. Nach herrschender Meinung entfällt bei Wiederverheiratung unter Geltung der Heiratsklausel regelmäßig die Bindung des überlebenden Ehegatten an seine eigenen Verfügungen, soweit er der Beteiligung am Nachlass des Erstverstorbenen verlustig geht (BayObLGZ 1962, 137; KG FamRZ 1968, 331/332; OLG Köln FamRZ 1976, 552; OLG Hamm NJW-RR 1993, 1225/1226; FamRZ 1995, 250/251). Haben die Ehegatten verfügt, dass sich der Überlebende Ehegatte bei Wiederheirat mit den erstehelichen Abkömmlingen nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge auseinandersetzen muss und dabei offengelassen, inwieweit der Überlebende an die Schlussserbeneinsetzung der Abkömmlinge gebunden ist, wäre durch ergänzende Auslegung festzulegen, was sie bei Bedenken dieser Frage entschieden hätten. Liegen außer dem Wortlaut der Heiratsklausel keine weiteren Anhaltspunkte für die Auslegung vor, wird unter Berücksichtigung aller Interessen davon auszugehen sein, dass den Kindern auch beim Tod des Zweitversterbenden ein Anteil in Höhe ihres gesetzlichen Erbteils verbleiben soll (vgl. Staudinger/Kanzleiter BGB [19981 § 2269 Rn. 49). Eine weitergehende Bindung besteht nicht. Die ergänzende Auslegung führte demnach zu dem Ergebnis der Auslegung des Landgerichts.

c) Das Landgericht war nicht gehalten, die Beteiligten zu 2 und 3 persönlich anzuhören. Die in ihr Wissen gestellten Äußerungen ihrer Eltern, das gesamte Vermögen solle in der Linie der Kinder verbleiben, entspricht insoweit dem gemeinschaftlichen Testament vom 11.5.1974, als es eine Schlusserbenklausel enthält. Jedoch geben die wiedergegebenen Äußerungen keinen Aufschluss darüber, ob die Eheleute für den Fall des Eintritts der Wiederverheiratungsklausel die Schlusserbenklausel als gegenstandslos angesehen haben oder nicht.

d) Das Landgericht hat zu Recht davon abgesehen, auf die von der Beteiligten zu 1 erklärte Testamentsanfechtung (§ 2078 Abs. 2, § 2079 Abs. 1 BGB) einzugehen, weil bereits die Auslegung des Testaments vom 11.5.1974 ergeben hat, dass es keine Auswirkung auf die kraft Gesetzes eintretende Erbfolge des Erblassers hat.

4. Für eine Kostenentscheidung besteht kein Anlass. Wer die Gerichtskosten zu tragen hat, ergibt sich aus dem Gesetz. Nach § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG haben die Beteiligten zu 2 und 3 die der Beteiligten zu 1 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu tragen. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird in Übereinstimmung mit der Festsetzung durch das Landgericht auf DM 100000,-- festgesetzt (§ 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 Satz 1 KostO).

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