Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.06.2004
Aktenzeichen: 1Z BR 33/04
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 2247 Abs. 1
FGG § 12
FGG § 15
Überprüfung der Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Echtheit eines eigenhändigen Testaments bei sich widersprechenden Schriftgutachten.
Gründe:

I. Der im Alter von 63 Jahren am 16.3.2003 verstorbene Erblasser war geschieden. Aus seiner Ehe stammt eine Tochter, die Beteiligte zu 1. Die Beteiligte zu 2 ist seine Stieftochter. Die Beteiligte zu 3 ist seine Lebensgefährtin, mit der er in seinem Wohnanwesen in B. zusammenlebte. Der Erblasser war Reisegewerbekaufmann für Leder-, Pelz- und Textilwaren. Der Reinnachlass hat einen Wert von 51.743,01 DM.

Die Beteiligte zu 3 hat ein mit der Unterschrift des Erblassers versehenes handschriftliches Testament vom 30.12.2002 abgeliefert, in dem die Beteiligten zu 1 bis 3 jeweils zu 1/3 zu Erben eingesetzt sind. Außerdem enthält die Urkunde neben der Unterschrift des Erblassers die des Zeugen Georg S. und dessen handschriftlich hinzugefügte Adresse. Unter Bezugnahme auf den Inhalt dieses Testaments beantragte die Beteiligte zu 3, einen Erbschein zu erteilen, der sie und die Beteiligten zu 1 und 2 als Miterben zu je 1/3 ausweist. Die Beteiligte zu 1 erhob Einwendungen gegen die Echtheit des Testaments und beantragte einen Erbschein, der sie auf Grund gesetzlicher Erbfolge als Alleinerbin des Erblassers anführt.

Das Nachlassgericht holte ein Schriftsachverständigengutachten ein, das zu dem Ergebnis kam, der Testamentstext sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht vom Erblasser hergestellt worden, allerdings stamme mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Unterschrift von ihm. Das Nachlassgericht hörte die Beteiligten an und vernahm die Zeugen S. und K.; außerdem holte es eine ergänzende Stellungnahme des Schriftsachverständigen zu Einwendungen der Beteiligten zu 3 ein. Mit Vorbescheid vom 19.12.2003 kündigte das Nachlassgericht einen Alleinerbschein zu Gunsten der Beteiligten zu 1 an. Hiergegen legte die Beteiligte zu 3 unter Vorlage eines Privatgutachtens Beschwerde ein. In diesem war ausgeführt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Testamentstext und Unterschrift vom selben Urheber stammten und zwischen dem Testamentstext und einem Teil der Vergleichsproben Urheberidentität bestünde.

Das Landgericht wies mit Beschluss vom 10.2.2004 die Beschwerde der Beteiligten zu 3 zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3, mit der sie ein weiteres Privatgutachten vom 10.3.2004 vorlegte, das auf Grund weiterer Vergleichsschriften zu dem Ergebnis kommt, die Urheberschaft des Erblassers sei wahrscheinlicher als die einer anderen Person. Das Nachlassgericht hat am 5.3.2004 den im Vorbescheid angekündigten Erbschein zu Gunsten der Beteiligten zu 1 erteilt.

II. 1. Die weitere Beschwerde ist zulässig. Die zwischenzeitliche Erteilung des Erbscheins an die Beteiligte zu 1 hat das Rechtsschutzbedürfnis der Beteiligten zu 3 nicht entfallen lassen. Ihr Vorbringen ist nunmehr dahin aufzufassen, dass sie mit der weiteren Beschwerde das Ziel verfolgt, den erteilten Erbschein einzuziehen (vgl. BayObLG NJW-RR 1990, 1481; Keidel/Winkler FGG 15. Aufl. § 84 Rn. 4).

Das Privatgutachten vom 10.3.2004, auf das sich die Beteiligte zu 3 zur Begründung der weiteren Beschwerde stützt, kann nicht berücksichtigt werden. Neue Tatsachen und Beweismittel können vom Gericht der weiteren Beschwerde gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG i.V.m. § 559 ZPO nicht berücksichtigt werden, da es nur nachzuprüfen hat, ob die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht; dabei ist es an die verfahrensfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen des Beschwerdegerichts gebunden (BayObLGZ 1984, 184/191 f.; Keidel/Meyer-Holz § 27 Rn. 42). Der Umstand, dass die weitere Beschwerde insoweit keine berücksichtigungsfähige Begründung enthält, ist aber für ihre Zulässigkeit unschädlich. Es genügt, das sie den Willen zur Nachprüfung durch die Rechtsbeschwerdeinstanz zum Ausdruck bringt. Dann ist die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung vom Gericht der weiteren Beschwerde von Amts wegen sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in sachlich rechtlicher Hinsicht zu prüfen (vgl. BayObLGZ 1972, 29/37; Keidel/Meyer-Holz § 27 Rn. 4).

2. Die weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

a) Das Landgericht hat Bezug nehmend auf die Entscheidung des Nachlassgerichtes ausgeführt, dass auf Grund des eingeholten Schriftsachverständigengutachtens davon auszugehen sei, dass das Testament vom 30.12.2002 gefälscht sei und - wie im Vorbescheid angekündigt - gesetzliche Erbfolge durch die Beteiligte zu 1 eingetreten sei. Dem von der Beteiligten zu 3 beigebrachten Privatgutachten sei nicht zu folgen, weil es nicht die Originalurkunden zugrunde gelegt und Störungsmerkmale im Testamentstext im Vergleich zu den Schriftproben auf zwischenzeitliche Gesundheitsbeeinträchtigungen zurückgeführt habe, für die es keine Anhaltspunkte gebe. Das gerichtliche Sachverständigengutachten berücksichtige die Einwendungen der Beteiligten zu 3; zur Einholung eines Obergutachtens habe kein Anlass bestanden. Die Voraussetzungen für die förmliche Einvernahme der Beteiligten zu 3 hätten nicht vorgelegen.

b) Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 546 ZPO).

aa) Gemäß § 2359 BGB ordnet das Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins an, wenn es nach freier Überzeugung (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 63. Aufl. § 2359 Rn. 1) die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Das Landgericht hat auf Grund der vom Nachlassgericht durchgeführten Ermittlungen die Überzeugung gewonnen, dass das Testament vom 30.12.2002 nicht vom Erblasser geschrieben worden ist. Die Erbeinsetzung ist aber nur dann rechtswirksam, wenn das Testament vom Erblasser stammt.

bb) Die Frage, ob ein handschriftliches Testament vom Erblasser geschrieben und unterschrieben wurde, liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Die tatsächlichen Feststellungen des Beschwerdegerichts sind - wie schon oben ausgeführt - für das Gericht der weiteren Beschwerde bindend, wenn sie rechtsfehlerfrei getroffen sind (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 559 Abs. 2 ZPO). Das Gericht der weiteren Beschwerde kann die Beweiswürdigung nur daraufhin überprüfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend erforscht wurde (§ 12 FGG, § 2358 Abs. 1 BGB), ob die Beweiswürdigung alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat, widerspruchsfrei ist und nicht den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwiderläuft, ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind. Stützt sich der Tatrichter auf ein Gutachten, so muss die Beweiswürdigung weiter ergeben, dass das Gericht selbständig und eigenverantwortlich geprüft hat, ob es dem Gutachten folgen kann (st. Rspr., vgl. BayObLGZ 1995, 383/388; Keidel/Schmidt § 15 Rn. 65). Die Entscheidung des Landgerichts wird diesen Kriterien gerecht.

b) Die Vorinstanzen haben den für die Frage die Echtheit des Testaments vom 30.12.2002 maßgeblichen Sachverhalt ausreichend ermittelt (§ 12, § 15 FGG, § 2358 Abs. 1 BGB). Das Nachlassgericht hat einen öffentlich bestellten und vereidigten Schriftsachverständigen, Mitglied der Gesellschaft für Forensische Schriftuntersuchung, der Amerikanischen Akademie für Forensische Wissenschaften und des Instituts für Schrift- und Urkundenuntersuchung an der Universität Mannheim, beauftragt, gegen dessen fachliche Qualifikation die Beteiligten keine Einwendungen erhoben haben. Dieser hat die Testamentsschrift vom 30.12.2002 mit den von den Beteiligten und von dritter Seite (Sparkasse, Krankenhaus) eingereichten Vergleichsschriftproben überprüft und ist in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass sich auf Grund der physikalisch technischen Prüfung kein Fälschungsbefund ergeben habe, aber nach den schriftvergleichenden Untersuchungen die Unterschrift unter dem Testamentstext mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vom Erblasser stamme, nicht aber - mit ebenso sehr hoher Wahrscheinlichkeit - der Testamentstext. Dem Inhalt der Entscheidung ist zu entnehmen, dass das Landgericht das Sachverständigengutachten auf seinen sachlichen Gehalt, seine Vollständigkeit und Plausibilität sowie darauf überprüft hat, ob der Sachverständige von denselben Tatsachengrundlagen ausgegangen ist, die das Gericht selbst für erwiesen erachtet. Es hat dabei die Angaben der Beteiligten sowie die Aussagen der Zeugen S. und K. berücksichtigt und die Vereinbarkeit der so gewonnenen Ergebnisse mit den Befunderhebungen und -bewertungen des Sachverständigen geprüft.

(1) Entgegen dem Rechtsbeschwerdevorbringen war sich das Landgericht bewusst, dass möglicherweise nicht alle Vergleichsschriften zum Testamentstext vom Erblasser stammten. Es hat insoweit auf das Ergänzungsgutachten des gerichtlichen Sachverständigen Bezug genommen. Dieser hatte dort aufgeführt, dass nicht eindeutig zu klären sei, ob die Vergleichsschriften VT 5 und 6 mit den Vergleichsschriften VT 2 bis 4 urheberidentisch seien. Letztlich kommt es aber auf die Urheberidentität der Vergleichsschriften VT 2 bis 4 einerseits und VT 5 bis 6 andererseits nicht an. Denn nach der graphischen Vergleichsanalyse stimmt keine der von der Beteiligten zu 3 (VT 1 bis 5) und der Beteiligten zu 1 (VT 6) eingereichten Vergleichsunterlagen mit der Testamentsschrift überein. Zu diesem Ergebnis ist der gerichtliche Sachverständige anhand einer der forensischen Methodik entsprechenden Untersuchung gekommen, bei der er jede der Vergleichsschriften (VT 2 bis VT 6; VT 1 stammt offensichtlich von der Beteiligten zu 3) anhand der Merkmalsbereiche Strichbeschaffenheit, Druckgebung, Bewegungsfluss, Bewegungsführung und Formgebung, Bewegungsrichtung, vertikale und horizontale Ausdehnung sowie Flächengliederung unter Gegenüberstellung sich entsprechender Schriftzeichen mit der Testamentsschrift abgeglichen und das Ergebnis im Einzelnen dokumentiert hat. Dabei hat der Sachverständige durchaus in einzelnen Merkmalsbereichen geringfügige Übereinstimmungen festgestellt, die allerdings bei der Zusammenfassung der Einzelbefunde zu einem Gesamtbild keine Rolle spielen. Dieses ist so sehr von Diskrepanzen geprägt, dass - auch wenn VT 2 bis 4 vom Erblasser stammen - eine Urheberidentität zwischen den Vergleichsschriften und dem Testamentstext mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.

(2) Das Landgericht musste entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 3 nicht der von ihr beigebrachten gutachtlichen Stellungnahme des von ihr beauftragten Privatgutachters folgen. Es hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung damit auseinandergesetzt und darauf abgestellt, dass sich das Privatgutachten nicht auf eine umfassende Tatsachengrundlage (Originale) hat stützen können und von möglichen Schreibbeeinträchtigungen ausgegangen ist, für die die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte erbracht hat. Es hätte noch anführen können, dass der Privatgutachter selbst seine Befundbewertung unter dem Vorbehalt der gegebenen Material- und Informationsbeschränkungen gestellt hat und eine vergleichende Einzelanalyse vermissen lässt. Danach begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn das Landgericht dem Gutachten des gerichtlich beauftragten Sachverständigen den Vorzug gegeben und von der mündlichen Anhörung des Privatgutachters abgesehen hat.

Es war auch nicht gehalten, ein weiteres Gutachten durch einen anderen Sachverständigen erstatten zu lassen. Dies kommt gemäß § 15 Abs. 1 FGG, § 412 ZPO nur ausnahmsweise in Betracht, so u.a. bei groben Mängeln des vorliegenden Gutachtens, Widersprüchen, unzutreffender Tatsachengrundlage oder zweifelhafter Sachkunde des bisherigen Gutachtens oder, wenn ein neuer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel verfügt (vgl. BayObLG NJW-RR 1991, 1098/1101; Keidel/Schmidt § 15 Rn. 46). Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht diese Voraussetzungen nicht für gegeben erachtete, und insbesondere der mit der Beschwerdeschrift der Beteiligten zu 3 vorgelegten Stellungnahme des Privatgutachters nicht entnehmen konnte, dass dieser über bessere Erkenntnisse und eine bessere Methodik verfüge als der gerichtlich bestellte Sachverständige.

cc) Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht nicht von der Echtheit des Testamentstextes ausgeht und dem gerichtlichen Sachverständigengutachten maßgebliches Gewicht beimisst und nicht den Angaben der Beteiligten zu 3. Das Landgericht hat nicht versäumt, die Aussagen der Zeugen S. und K. zu würdigen. Diese haben die von der Beteiligten zu 3 in ihr Wissen gelegte Behauptung, sie seien bei der Abfassung des Testaments dabei gewesen, im entscheidenden Punkt nicht bestätigt: Beide haben nämlich ausgesagt, nicht gesehen zu haben, wie der Erblasser das Testament geschrieben habe. Auch hieraus durften die Vorinstanzen Zweifel an der Echtheit des Testaments herleiten, umso mehr, als sich die Zeugen S. und K. zum fraglichen Zeitpunkt im selben Zimmer wie der Erblasser aufgehalten haben, von diesem als "Testamentszeugen" herangezogen worden sein sollen und dennoch nicht den Schreibvorgang beobachtet haben. Im Übrigen trägt die Feststellungslast für die Echtheit und Eigenhändigkeit eines Testaments derjenige, der aus dieser Urkunde Rechte herleiten will (BayObLGZ 1985, 937/938; vgl. Palandt/Edenhofer § 2247 Rn. 20, § 2358 Rn. 6).

c) Das Beschwerdegericht hat zu Recht den Vorbescheid bestätigt, nachdem gesetzlich Erbfolge durch die Beteiligte zu 1 (§ 1924 Abs. 1 BGB) eingetreten ist und die Annahme, das Testament vom 30.12.2002 sei nicht vom Erblasser eigenhändig geschrieben, der rechtlichen Nachprüfung stand hält. Folglich erweist sich die weitere Beschwerde auch insoweit als unbegründet, soweit sie auf die Einziehung des nunmehr der Beteiligten zu 1 erteilten Erbscheins vom 5.3.2004 abzielt.

3. Für eine Entscheidung über die Gerichtskosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde besteht kein Anlass, da sich die Kostenfolge aus der Kostenordnung ergibt. Die Entscheidung über die Erstattung der Kosten der Beteiligten zu 1 durch die Beteiligte zu 3 beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG. Die Beteiligte zu 2 ist im Rechtsmittelverfahren nicht hervorgetreten.

Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Landgerichts entsprechend dem Interesse der Beteiligten zu 3 am Erfolg des Verfahrens der weiteren Beschwerde auf 8.818,59 EUR festgesetzt (§ 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1, § 107 Abs. 2 Satz 1 KostO).



Ende der Entscheidung

Zurück