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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 24.02.2000
Aktenzeichen: 1Z BR 40/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 2084
BGB § 2100
BGB § 2231
BGB § 2258
1. Hat ein Erblasser in einem späteren Testament nur die Erbeinsetzung wiederholt, dagegen nicht die in einem früheren Testament angeordnete Nacherbfolge, so kann ein derartiger Widerspruch zwischen nacheinander errichteten letztwilligen Verfügungen gemäß § 2258 Abs. 1 BGB zur Aufhebung der Nacherbfolge führen.

2. Ist nicht mehr aufklärbar, welches von mit demselben Datum versehenen inhaltsgleichen Testamenten früher errichtet wurde, gelten beide als gleichzeitig errichtet und sind nebeneinander wirksam. In einem solchen Fall beruht das Erbrecht auf beiden letztwilligen Verfügungen.


Bayerisches Oberstes Landesgericht BESCHLUSS

1Z BR 40/99 LG München I - 16 T 16840/98 AG München 63 VI 244/61

Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vizepräsidenten Gummer sowie der Richter Dr. Kahl und Sprau am 24. Februar 2000 in der Nachlaßsache

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Beschluß des Landgerichts München I vom 14. Januar 1999 aufgehoben.

II. Die Beschwerde des Beteiligte zu 2 gegen den Beschluß des Amtsgerichts München vom 18. August 1998 wird zurückgewiesen.

III. Der Beteiligte zu 2 hat die dem Beteiligten zu 1 im Verfahren der weiteren Beschwerde und im Verfahren der Erstbeschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

IV. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 100.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die verwitwete Erblasserin verstarb 1961 im Alter von 82 Jahren. Ihre 1940 vorverstorbene Tochter hatte zwei Kinder, den 1922 geborenen kinderlosen Sohn Franz (Beteiligter zu 1) und die 1921 geborene Tochter Gisela, die 1996 nachverstorben und von ihrem einzigen Abkömmling (Beteiligter zu 2) allein beerbt worden ist. Der Nachlaß besteht im wesentlichen aus einem Grundstück. Das darauf befindliche im Krieg zerstörte Anwesen ist mit Hilfe der Enkel der Erblasserin, dem Beteiligten zu 1 und der nachverstorbenen Mutter des Beteiligten zu 2, wieder aufgebaut worden.

Die Erblasserin hat drei letztwillige Verfügungen errichtet:

In einem handschriftlichen Testament vom 20.8.1951 bestimmte sie:

Zu Alleinerben meines gesamten Vermögens, insbesondere des mir gehörigen Hauses... setze ich meine Enkelkinder Gisela ... (nachverstorbene Mutter des Beteiligten zu 2) und Franz ... (Beteiligter zu 1) ein, letzteren mit der Einschränkung, daß ich ihn, falls er vor meiner Enkelin Gisela ... sterben sollte, diese als Nacherbin bestimme. Sollte mein Enkel Franz .... mit dieser durch vorstehende Nacherbschaft bedingten Einschränkung nicht einverstanden sein, so setze ich ihn auf den Pflichtteil ....

Am 26.1.1954 errichtete die Erblasserin ein notarielles Testament, in dem sie bestimmte:

Ich setze hiermit meine beiden Enkelkinder

a) Frau Gisela ...... (nachverstorbene Mutter des Beteiligten zu 2) b) Herrn Franz ... (Beteiligter zu 1) zu meinen Erben, nach gleichen Anteilen, ein. Als Ersatzerben für Gisela .... bestimme ich deren Abkömmlinge.

Bezüglich meines Erben Franz ordne ich hiermit eine Nacherbfolge an. Nacherbin ist Frau Gisela ..... Die Nacherbfolge tritt ein, wenn Franz ... ohne Hinterlassung von leiblichen Abkömmlingen vor oder nach mir verstirbt.

Ferner ordne ich an, daß die in meinem Anwesen befindlichen Wohnungen den jetzigen Inhabern unbeschränkt in der bisherigen Weise weiterhin zustehen sollen. Die jetzigen Inhaber dieser Wohnungen sind meine beiden Erben. Ausserdem bestimme ich noch, daß Frau Gisela ... auf Lebensdauer die Erträgnisse aus der Garage, die ich aus eigenen Mitteln auf meinem Anwesen ... errichtet habe, zustehen sollen.

Zuletzt hat die Erblasserin in zwei wörtlich übereinstimmen den handschriftlichen Testamenten, jeweils vom 20.3.1958, folgendes verfügt:

Zu Universalerben setze ich meine Enkeln Franz ... (Beteiligter zu 1) und Gisela ... (verstorbene Mutter des Beteiligten zu 2) ein. Von geringfügigen Kleidungs- und Wäschestücken sowie Einrichtungsgegenständen abgesehen, besteht mein Nachlaß aus dem Ruinengrundstück im Grundbuch für G .... Das darauf erbaute Wohnhaus ... mit Garage gehört jedoch, nicht zu meinem Nachlaß; da es aus einem aufgenommenen Darlehen von 7.000 M... und sonst ausschließlich aus Mitteln meiner vorgenannten Enkelkinder erbaut worden ist. Dafür, daß dieselben mich seit der Währungsumstellung im Jahr 1948 völlig erhalten und mit Bargeld unterstützt haben steht denselben eine Forderung gegen meinen Nachlaß zu, die ich hiermit ausdrücklich anerkenne. Dies ist mein letzter Wille, dem ich eigenhändig niedergeschrieben und mit Datum versehen, sowie eigenhändig unterschrieben habe ...

Das Nachlaßgericht hat am 27.1.1961 einen Erbschein erteilt, der den Beteiligten zu 1 sowie die nachverstorbene Enkelin Gisela - wie von beiden beantragt - als Miterben je zur Hälfte auswies mit dem Zusatz, daß für den Anteil des Enkels Franz Nacherbfolge angeordnet ist für den Fall, daß dieser ohne Hinterlassung von leiblichen Abkömmlingen stirbt und die Enkelin Gisela Nacherbin ist, ersatzweise deren Abkömmlinge.

Nach dem Tod der Enkelin Gisela im Jahr 1996 hat der Beteiligte zu 1 mit Schriftsatz vom 8.1.1997 die Einziehung des Erbscheins angeregt und einen neuen Erbschein beantragt, der ihn und die verstorbene Gisela jeweils zur Hälfte als Vollerben ausweisen soll. Er ist der Auffassung, die Erblasserin habe durch die Testamente vom 20.3.1958 die Nacherbfolge widerrufen und die Erbfolge abschließend ohne Nacherbfolge neu geregelt.

Der Beteiligte zu 2 ist dem Antrag entgegengetreten; er ist der Auffassung, ein zu erteilender Erbschein müsse hinsichtlich des Erbteils des Beteiligten zu 1 einen Nacherbenvermerk enthalten, da das Testament vom 20.3.1958 lediglich eine Ergänzung der früheren letztwilligen Verfügungen der Erblasserin darstelle.

Das Nachlaßgericht hat mit Beschluß vom 14.1.1997 den Erbschein vom 27.1.1961 als unrichtig eingezogen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beteiligten zu 2 hat das Landgericht am 20.8.1997, die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2 hat der Senat am 28.1.1998 zurückgewiesen. Mit Beschluß vom 22.6.1998 hat das Nachlaßgericht den Erbschein vom 27.1.1961 für kraftlos erklärt.

Nach Durchführung von Ermittlungen hat das Nachlaßgericht mit Beschluß vom 18.8.1998 die Erteilung eines Erbscheins angekündigt, der den Beteiligten zu 1 und die nachverstorbene Gisela als Erben zu je 1/2 - ohne Nacherbenvermerk - ausweisen soll. Zur Begründung hat es ausgeführt, durch das Testament vom 20.3.1958 sei die Anordnung der Nacherbfolge entfallen. Das Weglassen der Nacherbfolge spreche für eine inhaltliche Änderung gegenüber den früheren Testamenten. Dies sei von der durch einen Rechtsanwalt beratenen Erblasserin auch gewollt gewesen. Sie habe ihre beiden Enkel erbrechtlich gleichstellen wollen.

Der Beteiligte zu 2 hat Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat mit Beschluß vom 14.1.1999 den Vorbescheid des Amtsgerichts vom 18.8.1998 aufgehoben. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts und zur Wiederherstellung der nachlaßgerichtlichen Entscheidung.

1. Der Senat ist an die Auffassung des Nachlaßgerichts, das den Erbschein vom 27.1.1961 erteilt hat, im vorliegenden Verfahren nicht gebunden. Durch den Antrag des Beteiligten zu 1 vom 8.1.1997 ist ein neues Erbscheinserteilungsverfahren eingeleitet worden, auch wenn es um die Erbfolge nach derselben Erblasserin geht. Das mit dem Erbscheinsantrag vom 19.1.1961 eingeleitete Erbscheinsverfahren war mit der Erbscheinserteilung vom 27.1.1961 beendet. Das Nachlaßgericht hat den Erbschein am 14.1.1997 als unrichtig eingezogen und später für kraftlos erklärt. Das Erbscheinseinziehungsverfahren ist durch den Senatsbeschluß vom 28.1.1998 abgeschlossen worden. Auch insoweit ist keine Bindungswirkung (vgl. BayObLGZ 1991, 323 und BayObLG NJW-RR 1998, 789; KG Rpfleger 1999, 542/543) eingetreten.

2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 550 ZPO) nicht stand.

a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, daß die Erblasserin am 20.8.1951, 26.1.1954 und 20.3.1958 jeweils formgültige (§§ 2231, 2230, 2247 Abs. 1 BGB) und inhaltlich wirksame letztwillige Verfügungen errichtet hat.

Es besteht kein Zweifel daran, daß die beiden eigenhändig geschriebenen und unterzeichneten, mit der Überschrift "Testament !" und dem abschließenden Satz "Dies ist mein letzter Wille" versehenen inhaltsgleichen Schriftstücke vom 20.3.1958 als letztwillige Verfügungen gemäß § 2247 BGB wirksam sind. Da nicht mehr aufklärbar ist, welches von ihnen früher errichtet wurde, gelten beide Testamente vom 20.3.1958 als gleichzeitig errichtet und sind nebeneinander wirksam. In einem solchen Fall beruht das Erbrecht auf jeder einzelnen Verfügung (vgl. MünchKomm/Burkart BGB 3. Aufl. Rn. 8, Staudinger/Baumann BGB 13. Bearb. Rn. 19 m.w.N., jeweils zu § 2258).

b) Sind wie hier bei Eintritt des Erbfalls mehrere, zeitlich aufeinanderfolgende wirksame Testamente der Erblasserin vorhanden, so beeinträchtigt ein späteres Testament die Wirksamkeit eines früheren Testaments zwar regelmäßig nicht, da mehrere Testamente grundsätzlich nebeneinander gültig sind (vgl. Soergel/Harder BGB 12. Aufl. § 2258 Rn. 2), wenn wie hier ein Widerruf von der Erblasserin weder gemäß § 2254 BGB erklärt noch gemäß §§ 2255, 2256 BGB vorliegt.

Soweit sich aber die letztwilligen Verfügungen inhaltlich widersprechen, ordnet § 2258 Abs. 1 BGB die Aufhebung des früheren durch das spätere Testament und insoweit den Vorrang der zuletzt getroffenen Verfügung an. Die Rechtsfolge der Testamentsaufhebung folgt gemäß § 2258 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes, soweit ein "Widerspruch" der späteren zu der früheren Verfügung von Todes wegen vorliegt (vgl. BGH NJW 1987, 901/902; Staudinger/Baumann Rn. 5, Soergel/Harder Rn. 2, jeweils zu § 2258). Die Aufhebung kann sich auf einen Teil der letztwilligen Verfügung beschränken (BGH NJW 1985, 969; BayObLG NJW-RR 1987, 267; MünchKomm/Burkart § 2258, Rn. 6).

c) Das Beschwerdegericht hat einen Widerspruch gemäß § 2258 Abs. 1 BGB verneint; dem folgt der Senat nicht.

aa) Ein Widerspruch gemäß § 2258 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn die letztwilligen Verfügungen sachlich nicht miteinander vereinbar sind, die getroffenen Anordnungen also nicht nebeneinander Geltung erlangen können, sondern sich gegenseitig ausschließen (vgl. BGH FamRZ 1985, 175/176 und NJW 1981, 2745/2746; Staudinger/Baumann Rn. 10, Soergel/Harder Rn. 2, jeweils zu § 2258). Das ist jedenfalls dann der Fall, soweit eine in dem späteren Testament enthaltene ausdrückliche Anordnung von einer in dem früheren Testament getroffenen Anordnung inhaltlich abweicht. Auch im Weglassen einer früheren Verfügung kann ein Widerspruch im Sinn von § 2258 Abs. 1 BGB liegen (vgl. OLG Köln NJW-RR 1992, 1418/1419; Staudinger/Baumann § 2258 Rn. 10).

In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, daß - trotz sachlicher Vereinbarkeit mehrerer letztwilliger Verfügungen ein Widerspruch im Sinn von § 2258 Abs. 1 BGB gegeben sein kann, wenn nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen des Erblassers die spätere Verfügung allein und ausschließlich gelten soll (vgl. BGH NJW 1981, 2745/2746; BayObLG FamRZ 1989, 441/442 und FamRZ 1992, 607; MünchKomm/Burkart § 2258 Rn. 4), wenn der Erblasser mit dem späteren Testament seine Erbfolge insgesamt oder hinsichtlich eines Teilbereichs abschließend und umfassend, also ausschließlich regeln wollte (BGH FamRZ 1985, 175/176; BayObLG FamRZ 1989, 441/442; Soergel/Harder § 2258 Rn. 3).

bb) Das Beschwerdegericht ist von inhaltlicher Vereinbarkeit und "gleichem Inhalt" der nacheinander errichteten letztwilligen Verfügungen vom 26.1.1954 und 20.3.1958 ausgegangen, hat damit eine inhaltliche Abweichung verneint und sodann aus seiner Sicht folgerichtig geprüft, ob die Erblasserin in dem späteren Testament vom 20.3.1958 ihre Erbfolge habe abschließend regeln wollen. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Um festzustellen, ob ein Widerspruch vorhanden ist oder nicht, ist der Inhalt der beiden Testamente zu vergleichen. Dieser Inhalt ist, soweit erforderlich, zunächst nach den allgemeinen Grundsätzen der Testamentsauslegung gemäß §§ 133, 2084 BGB zu ermitteln (vgl. BGB-RGRK/Kregel 12. Aufl. Rn. 4, Erman/Schmidt BGB 9. Aufl. Rn. 2, jeweils zu § 2258). Dies hat das Beschwerdegericht nicht hinreichend beachtet. Da bereits die Auslegung der Testamente vom 20.3.1958 einen inhaltlichen Widerspruch zum Testament vom 26.1.1954 ergibt, kommt es auf die Frage einer abschließenden Geltung nicht mehr an.

cc) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts kann den Testamenten vom 20.3.1958 nach den allgemeinen Grundsätzen der Testamentsauslegung die Beschränkung der Einsetzung des Beteiligten zu 1 auf die Stellung als Vorerbe oder gar die Einsetzung der Enkelin Gisela als Nacherbin nicht entnommen werden.

(1) Die Erblasserin hat ihre beiden Enkel in dem Testament zu "Universalerben" eingesetzt. Dieser Begriff enthält nach allgemeinem Verständnis regelmäßig die umfassende Einsetzung zum Vollerben. Diese Wortwahl schließt zwar für sich genommen im Einzelfall die Einsetzung als Vorerbe nicht aus. Eine solche Auslegung im Sinn einer Vorerbeneinsetzung würde jedoch die Feststellung eines entsprechenden Willens der Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung und dessen Andeutung im Testament voraussetzen. Dies ist hier nicht der Fall.

(2) Auch für die Berufung eines Nacherben (§ 1937 BGB; vgl. MünchKomm/Grunsky § 2100 Rn. 5) und damit die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft gelten die allgemeinen Regeln über die Auslegung letztwilliger Verfügungen. Deshalb ist nicht entscheidend, ob die Erblasserin den Ausdruck Nacherbe verwendet hat; es kommt vielmehr darauf an, ob nach ihrem erkennbaren Willen die Erbschaft zunächst einem Erst- und anschließend einem Zweitberufenen zugewendet werden sollte (vgl. Münch-Komm/Grunsky Rn. 7 und 8, Soergel/Harder Rn. 2 und 5, Staudinger/Behrends Rn. 19, jeweils zu § 2100). Im Hinblick auf die gesetzliche Testamentsform (§ 2231 BGB) bedarf auch ein stillschweigend erklärter Wille zur Anordnung einer Nacherbfolge eines wenn auch noch so geringen Anhaltspunkts in der letztwilligen Verfügung (vgl. BGHZ 86, 41/47, Palandt/Edenhofer BGB 59. Aufl. § 2084 Rn. 4). Einen solchen Anhaltspunkt enthalten die Testamente vom 20.3.1958 nicht.

(3) Allerdings wäre ein solcher Anhaltspunkt auch dann gegeben, wenn die Erblasserin im Testament vom 20.3.1958 auf ihre früheren Testamente oder auf die Nacherbfolge in irgend einer Weise Bezug genommen hätte und wenn die zeitlich aufeinanderfolgenden Testamente als Einheit aufzufassen wären (vgl. Bay-ObLGZ 1997, 59/64). So ist es hier aber nicht. Den Erklärungen der Erblasserin über die Zusammensetzung ihres Nachlasses und über Nachlaßverbindlichkeiten läßt sich kein Anhaltspunkt für die Anordnung einer Nacherbfolge für den Erbteil des Beteiligten zu 1 entnehmen. Die durch Einsetzung als "Universalerben" getroffene Verfügung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Erblasserin im weiteren Text des Testaments möglicherweise steuerliche Gesichtspunkte im Auge hatte, wie das Landgericht vermutet.

dd) Das Testament vom 26.1.1954 enthält die Einsetzung des Beteiligten zu 1 lediglich zum Vererben und damit einen direkten Widerspruch zu der Vollerbeneinsetzung, die wie dargelegt in den Testamenten vom 20.3.1958 angeordnet worden ist. Denn die uneingeschränkte Erbeinsetzung vom 20.3.1958 ist mit der Beschränkung durch eine Nacherbfolge inhaltlich unvereinbar. Nach seiner Rechtsstellung ist der Vererbe zwar wahrer Erbe des Erblassers und damit Inhaber der zum Nachlaß gehörenden Rechte, aber nur auf Zeit, nämlich bis zum Eintritt des Nacherbfalls, und er ist - soweit wie hier keine Befreiung vorliegt - in der Verfügungsmöglichkeit über Nachlaßgegenstände beschränkt (§§ 2113 - 2115 BGB). Damit entspricht die wirtschaftliche Stellung des Vorerben weitgehend der eines Nießbrauchers (MünchKomm/Grunsky § 2100 Rn. 3; Soergel/Harder vor § 2100 Rn. 3), nicht der eines Vollerben.

ee) Der Erblasserin - die an ihre frühere Nacherbeneinsetzung nicht gebunden war - stand es im Rahmen der Testierfreiheit (vgl. Muscheler JR 1995, 309/313) frei, ohne Bezugnahme auf frühere letztwillige Verfügungen die Erbfolge ohne Anordnung einer Nacherbfolge zu regeln. Es kommt auch nicht darauf an, ob ein "Bedürfnis" für die abweichende Verfügung bestand. Vielmehr kann der Wille, daß eine früher angeordnete Nacherbfolge nicht mehr gelten soll, gerade dadurch zum Ausdruck kommen, daß die im früheren Testament verfügte Einsetzung zweier Erben zu gleichen Anteilen durch deren Einsetzung als Universalerben wiederholt, die Nacherbeneinsetzung aber weggelassen wird.

d) Liegen somit am 20.3.1958 einerseits und am 26.1.1954 andererseits Verfügungen vor, die - jeweils für sich betrachtet - objektiv nicht miteinander in Einklang zu bringen sind, so greift die Aufhebungswirkung des § 2258 Abs. 1 BGB ein. Ein Aufhebungswille der Erblasserin (vgl. § 2254 BGB) braucht weder erklärt zu sein, noch ist es erforderlich, daß sie sich der sachlichen Unvereinbarkeit der letztwilligen Verfügungen bewußt war (vgl. BayObLG NJW-RR 1990, 203 m.w.N.; Staudinger/Baumann § 2258 Rn. 12; MünchKomm/Burkart § 2258 Rn. 5).

Auf die Frage, ob die Erblasserin mit der letztwilligen Verfügung die Erbfolge abschließend habe regeln wollen, kommt es somit nicht mehr an.

e) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist aufzuheben. Der vom Nachlaßgericht angekündigte Vorbescheid entspricht der materiellen Erbrechtslage. Deshalb ist die (Erst)Beschwerde des Beteiligten zu 2 als unbegründet zurückzuweisen. Das Nachlaßgericht hat den vom Beteiligten zu 1 beantragten gemeinschaftlichen Erbschein als Miterbe zu 1/2 - ohne Nacherbenvermerk - zu erteilen.

3. Für die Gerichtskosten ergibt sich die Kostenfolge unmittelbar aus dem Gesetz. Nach § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG hat der Beteiligte zu 2 die dem Beteiligten zu 1 im Verfahren der weiteren Beschwerde sowie im Verfahren der Erstbeschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wurde gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1, § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 2 KostO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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