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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.01.2003
Aktenzeichen: 1Z BR 42/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 2088
BGB § 2089
BGB § 2192
Zur Auslegung eines Testaments hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Auflage.
Gründe:

I.

Die 1909 geborene Erblasserin war verwitwet und hatte keine Kinder. Die Beteiligte zu 3 ist ihre 1911 geborene Schwester, die Beteiligten zu 1 und 2 sind deren Töchter, die Nichten der Erblasserin. Der Reinnachlass hat einen Wert von 311803 DM (159.422 EUR).

Die Erblasserin hinterließ folgendes (mit Streichungen versehene) privatschriftliche Testament:

Ich bestimme hiermit letztwillig nachstehend aufgeführte Personen als meine Erben:

1. Meine Stieftochter, Tochter meines erstverstorbenen Mannes, Frau Ingrid ...; (diese Zeile ist gestrichen)

2. meine leibliche Nichte... (Beteiligte zu 2);

3. meine leibliche Nichte... (Beteiligte zu 1);

(alle 3 genannten Personen sollen je 30 % meines Nachlassvermögens erhalten)(auch gestrichen)

alle 2 genannten Personen sollen je 40 % meines Nachlaßvermögens erhalten!

Die restlichen (10%) 20 % des Wertes sollen für Grabpflege verwendet bzw. angelegt werden.

3. Februar 1980

31.12.1980

Ingrid erklärt mir, nichts erben zu wollen!

Deshalb habe ich sie als Erbin (s. oben) gestrichen!

Auf Antrag der Beteiligten zu 2 erteilte das Amtsgericht aufgrund Beschlusses vom 21.1.2001 am 26.6.2001 einen Erbschein, der die Beteiligten zu 1 und 2 als Erben der Erblasserin zu je 1/2 auswies. Hiergegen legte die Beteiligte zu 1 Beschwerde ein mit der Begründung, sie und die Beteiligte zu 2 seien nur zu je 2/5 Erben geworden, während die Beteiligte zu 3 zu 1/5 Erbin geworden sei. Letztere sei Nutzungsberechtigte einer Grabstelle in Dresden. Mit Einverständnis der Beteiligten zu 3 habe die Erblasserin 1992 die in Offenbach beigesetzte Urne ihres verstorbenen Ehemannes in diese Grabstelle umbetten lassen. 1995 habe die Erblasserin mit Einverständnis der Beteiligten zu 3 festgelegt, dass sie auch dort bestattet werden möchte. Da die Beteiligte zu 3 alleinige Nutzungsberechtigte dieser Grabstelle sei und die Erblasserin 20 % ihres Vermögens für Grabpflege vorgesehen habe, sei die Beteiligte zu 3 auch ohne ausdrückliche namentliche Benennung zu dem entsprechenden Bruchteil Miterbin geworden.

Das Landgericht hat der Beschwerde der Beteiligten zu 1 stattgegeben und mit Beschluss vom 28.1.2000 den Erbschein des Amtsgerichts vom 26.6.2001 eingezogen und das Nachlassgericht angewiesen, einen neuen Erbschein mit den Quoten zu je 2/5 für die Beteiligten zu 1 und 2 und zu 1/5 für die Beteiligte zu 3 zu erteilen. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben daraufhin die ihnen ausgereichten Ausfertigungen des Erbscheins vom 26.6.2001 zurückgegeben. Gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet sich die Beteiligte zu 2 mit der weiteren Beschwerde.

II.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 20 Abs. 2, § 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 FGG). Es ist insbesondere in der erforderlichen Form eingelegt worden (§ 29 Abs. 1 Satz 2 FGG). Die weitere Beschwerde ist auf die Neuerteilung eines dem Erbschein vom 26.6.2001 entsprechenden Erbscheins gerichtet, nachdem dieser Erbschein durch die landgerichtliche Entscheidung eingezogen worden ist und die Beteiligten zu 1 und 2 die ihnen erteilten Ausfertigungen an das Nachlassgericht zurückgegeben haben.

2. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg.

a) Das Landgericht hat die Beschwerdeberechtigung der Beteiligten zu 1 zu Recht angenommen. Die Beteiligte zu 1 hat geltend gemacht, zu einem geringeren Bruchteil Miterbin geworden zu sein, als der Erbschein vom 26.6.2001 ausweist. Eine Rechtsbeeinträchtigung im Sinne des § 20 Abs. 1 FGG liegt auch vor, wenn der Beschwerdeführer geltend macht, er sei nur zu einem geringeren Bruchteil, als in der angefochtenen Entscheidung angegeben, Miterbe geworden. Maßgeblich ist hier, dass die Beschwerdeführerin vorgetragen hat, der Erbschein gebe ihre erbrechtliche Stellung nicht richtig wieder (vgl. BGH NJW 1959, 1730; BayObLG FamRZ 1984, 1268/1269; Keidel/ Kahl FGG 14. Aufl. § 20 Rn. 73; Jansen FGG 2. Aufl. § 20 Rn. 54).

b) Aus Rechtsgründen ist auch nichts dagegen einzuwenden, dass das Landgericht von der Formgültigkeit des Testaments vom 3.2.1980 mit Zusatz vom 31.12.1980 ausgegangen ist, obwohl es Durchstreichungen und Korrekturen enthält. Diese beziehen sich auf die Stieftochter Ingrid der Erblasserin und werden von der Erblasserin im Testamentszusatz vom 31.12.1980 damit erklärt, dass diese nichts erben wolle und daher als Erbin gestrichen worden sei. Die Streichung ist grundsätzlich geeignet, einen formwirksamen Teilwiderruf des Testaments nach § 2255 BGB herbei zu führen. Die Veränderung des Testaments nach § 2255 BGB kann sich auf einzelne Teile des Testaments beschränken, etwa indem einzelne Verfügungen gestrichen werden, und bedarf nicht der Form des § 2247 BGB (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 246/247; MünchKomm BGB/Burkart 3. Aufl. § 2255 Rn. 7; Staudinger/Baumann BGB 13. Aufl. § 2255 Rn. 11; Voit in Dittmann/Reimann/Bengel Testament und Erbvertrag 3. Aufl. § 2255 Rn. 13). Die Veränderung der Zahl der als Erben genannten Personen von drei auf zwei und die Erhöhung der auf sie treffenden Anteile am Nachlassvermögen von 30 % auf 40 % und des für die Grabpflege vorgesehenen Anteils von 10 % auf 20 % sind von der die Testamentsurkunde abschließenden Unterschrift der Erblasserin gedeckt (§ 2247 Abs. 1 BGB).

c) Zur Sache hat das Landgericht ausgeführt: Die Auslegung des Testaments und die seine Errichtung begleitenden Umstände ergäben nicht mit letzter Sicherheit, ob die Erblasserin die Beteiligten zu 1 und 2 als alleinige Erben oder nur auf Bruchteile habe einsetzen wollen, um im Übrigen gesetzliche Erbfolge eintreten zu lassen. Für die erste Alternative spreche, dass außer den Beteiligten zu 1 und 2 keine weiteren Erben namentlich genannt würden, obwohl das Testament im Übrigen klare Regeln enthalte. Für die zweite Alternative sprächen die Gründe, welche die Beteiligte zu 1 zugunsten der Erbberechtigung der Beteiligten zu 3 geltend gemacht habe. Die Auflage, einen bestimmten Anteil des Nachlassvermögens für die Grabpflege zu verwenden, deute auf eine entsprechend anteilige Erbenstellung der Beteiligten zu 3 hin, um mit dem ihr zugewandten Vermögen die Auflage zu erfüllen. Eine Festlegung auf eine der beiden Alternativen sei aber mangels ausreichender Anhaltspunkte im bzw. außerhalb des Testaments nicht möglich, so dass die Auslegungsregel des § 2088 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB eingreife und hinsichtlich des verbleibenden Anteils von 1/5 die gesetzliche Erbfolge eintrete.

d) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG § 546 ZPO).

aa) Die Auslegung eines Testaments ist Sache des Tatsachengerichts. Die Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz ist auf Rechtsfehler beschränkt. Dabei kommt es insbesondere darauf an, ob die Auslegung der Tatsacheninstanz gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt, ob in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten nicht in Erwägung gezogen worden sind, ob ein wesentlicher Umstand übersehen wurde oder ob dem Testament ein Inhalt gegeben wurde, der dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist und auch nicht auf verfahrensfehlerfrei getroffene Feststellungen anderer Anhaltspunkte für den im Testament zum Ausdruck gekommenen Erblasserwillen gestützt werden kann (BGHZ 121, 357/363, BayObLG NJWE-FER 2000, 93; MünchKomm/Leipold BGB 3. Aufl. § 2084 Rn.. 84).

bb) Die Auslegung durch das Landgericht hält diesen Kriterien nicht stand, weil es eine nach Wortlaut und Sinn des Testaments vom 3.2.1980/31.12.1980 nahe liegende Auslegungsmöglichkeit nicht in Betracht gezogen hat.

(1) Das Landgericht hat im Hinblick auf die Prozentangaben im Testament erwogen, dass entweder der Fall des § 2088 BGB gegeben sein könnte (Beschränkung der namentlich benannten Erben auf Bruchteile, die das Ganze nicht erschöpfen) oder der § 2089 BGB (die auf Bruchteile eingesetzten Erben sollen alleinige Erben sein). Von diesem Ausgangspunkt aus hat es - ohne sich auf einen der Fälle festzulegen - § 2088 BGB angewandt mit der Folge, dass als Erblasserwillen die Beschränkung der Erben auf Bruchteile und gesetzliche Erbfolge für den übrigen Teil unterstellt wird (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 62. Aufl. § 2088 Rn. 1). Beide Vorschriften - und somit auch die Anwendung des § 2088 BGB im Zweifelsfalle - setzen aber voraus, dass der Erblasser keine erschöpfende Erbeinsetzung gewollt hat.

(2) Das Landgericht hat nicht in Erwägung gezogen, ob nicht der Erblasserwille dahin gegangen ist, über das gesamte Vermögen zugunsten der Beteiligten zu 1 und 2 zu verfügen, ohne einen Erbteil offen zu lassen. Das Landgericht hatte hierzu Anlass, weil die Erblasserin als Erben ausdrücklich nur die Beteiligten zu 1 und 2 bestimmt hatte, nachdem sie die Erbeinsetzung der als dritte Erbin vorgesehenen Ingrid mit Testamentsnachtrag vom 31.12.1980 gemäß § 2255 BGB widerrufen hatte. Dieser Widerruf war keineswegs mit einer ersatzweisen namentlichen Erbeinsetzung einer dritten Person verbunden, sondern hat nur zur wertmäßigen Erhöhung der Anteile der Beteiligten zu 1 und 2 und des für die Grabpflege vorgesehenen Wertanteils geführt. Im Hinblick darauf hätte sich das Landgericht damit auseinander setzen müssen, ob die Erblasserin überhaupt von der Teilhabe weiterer Personen am Erbe ausgegangen ist, als sie einen Anteil des Nachlasswertes von 20 % für Grabpflege vorgesehen hat, oder ob der entsprechenden Klausel eine andere Bedeutung zukommt als die einer Erbeinsetzung. Nach der Lebenserfahrung geht der Erblasserwille regelmäßig dahin, dass die Grabpflege von den eingesetzten Erben wahrgenommen wird (vgl. BayObLG FamRZ 2001, 1174/1175; Palandt/Edenhofer § 2087 Rn. 2). Deshalb durfte das Landgericht nicht von der Erörterung absehen, ob es sich bei der Klausel "Die restlichen 20 % des Wertes sollen für Grabpflege verwendet bzw. angelegt werden" nicht lediglich um eine Auflage handelt, die gemäß §§ 2192, 2147 BGB die Beteiligten zu 1 und 2 als Erben trifft und nur zur Minderung des Wertes ihres Erbanteils (auf 40 %), nicht aber zur Minderung ihrer Erbquote (50 %) führt. Auf diesem Rechtsfehler beruht die landgerichtliche Entscheidung. Sie muss aufgehoben werden, da sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 563 ZPO).

c) Der Senat kann die Auslegung vornehmen, da weitere Ermittlungen nicht geboten sind. Er legt nach den oben dargelegten Grundsätzen das Testament vom 3.2.1980/31.12.1980 dahin aus, dass die Erblasserin über ihr gesamtes Vermögen testamentarisch verfügt hat, die Beteiligten zu 1 und 2 zu ihren Erben eingesetzt (§ 1937 BGB) und ihnen die Auflage gemacht hat, 20 % des Nachlasswertes zur Grabpflege zu verwenden (§§ 2192, 2147 BGB). Die Zuordnung von Prozentanteilen betrifft nicht die Erbquoten, sondern den jeweiligen Wertanteil am Nachlassvermögen nach Abzug des für die Grabpflege aufzuwendenden Vermögenswertes. Die vom Landgericht in Betracht gezogene Möglichkeit, die Erblasserin habe die gesetzliche Erbfolge zu einer Quote eintreten lassen wollen, die dem für die Grabpflege vorgesehenen Betrag entspricht, findet weder in noch außerhalb des Testaments einen Anknüpfungspunkt. Dass die Grabpflegekosten die eingesetzten Erben treffen sollten, hat die Erblasserin dadurch zum Ausdruck gebracht, dass ihnen nach Abzug der Grabpflegekosten jeweils 40 % des Nachlasswertes erhalten bleiben sollten. Demgegenüber wäre mit Inhalt und Zweck des Testaments nicht vereinbar, wenn die Auflage nicht die eingesetzten Erben, denen nach Auflagenerfüllung erhebliches Restvermögen verbleibt, treffen sollte, sondern einen gesetzlichen Bruchteilserben, dessen Erbgut durch die Erfüllung der Auflage gänzlich aufgebraucht werden würde.

Eine solche Auslegung des Erblasserwillens widerspräche auch den bei Testamentserrichtung obwaltenden Umständen. Zu diesem Zeitpunkt (1980) war ein Ende der deutschen Teilung und die Aufhebung der innerdeutschen Grenze nicht absehbar. Die damals in Offenbach/Main ansässige Erblasserin konnte daher mangels Freizügigkeit im innerdeutschen Rechts- und Verwaltungsverkehr nicht damit rechnen, ihre letzte Ruhestätte in Dresden zu finden, wo ihre Schwester, die Beteiligte zu 3, ein Grabnutzungsrecht hatte. Erst nach der deutschen Einheit ließ sie die in Offenbach bestattete Urne ihres vorverstorbenen Ehemannes nach Dresden umbetten (1992). 1995 äußerte sie den Wunsch, auch dort bestattet zu werden, ohne dies zum Anlass einer Testamentsänderung zu nehmen.

Da das Nachlassgericht den der Auslegung des Senats entsprechenden Erbschein vom 26.6.2001 bereits eingezogen hat, war die Neuerteilung mit gleichem Inhalt anzuordnen (vgl. Palandt/Edenhofer § 2361 Rn. 14).

3. Gerichtskosten sind im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht angefallen (§ 131 Abs. 1 Satz 2 KostO). Da die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2 Erfolg hat und sich damit die Erstbeschwerde der Beteiligten zu 1 in vollem Umfang als unbegründet erweist, hat die Beteiligte zu 1 die der Beteiligten zu 2 im Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht erwachsenen Kosten zu erstatten (vgl. Keidel/Zimmermann FGG 14. Aufl. § 13a Rn. 41 a.E.). Dagegen ist eine Kostenentscheidung gemäß § 13a Abs. 1 Satz 1 FGG für das Verfahren der weiteren Beschwerde nicht veranlasst; insoweit wird von der Anordnung einer Kostenerstattung abgesehen.(vgl. BayObLG FamRZ 1976, 49/50). Eine Geschäftswertfestsetzung für das Verfahren der weiteren Beschwerde ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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