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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 12.07.2004
Aktenzeichen: 1Z BR 45/04
Rechtsgebiete: PStG


Vorschriften:

PStG § 61
Zu den Voraussetzungen der Einsichtnahme in die Sterbebücher des Standesamts zum Zwecke einer zeitgeschichtlichen Dokumentation.
Gründe:

I.

1. Herr H., ein Bürger der Stadt A. (Beteiligte zu 1), hat ein Gedenkbuch für die Opfer von Krieg und Gewalt erstellt. Er beantragte zum Zwecke der Abgleichung der Daten der Kriegsopfer der Stadt A. Einsicht in die Sterbebücher des Standesamts der Stadt A.

Der Standesbeamte wies diesen Antrag unter Hinweis auf § 61 PStG zurück. Den daraufhin an das Amtsgericht gerichteten Antrag des Herrn H., den Standesbeamten anzuweisen, seinem Einsichtsersuchen stattzugeben, wies das Amtsgericht am 13.6.2001 zurück. Zur Begründung führte das Amtsgericht im Wesentlichen aus, nach § 61 Abs. 1 PStG hätten Privatpersonen nur insoweit ein Recht auf Einsichtnahme in die Personenstandsbücher, als sich der Eintrag auf sie selbst, ihre Ehegatten, Vorfahren oder Abkömmlinge beziehe. Andere Personen hätten nur dann ein Recht auf Einsicht, wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machten. Ein solches rechtliches Interesse bestehe jedoch nicht; private Forschungszwecke begründeten kein rechtliches Interesse.

2. Die Beteiligte zu 1, in deren Besitz sich mehrere Exemplare des von Herrn H. erstellten Gedenkbuches befanden, beantragte nach Ablehnung des Einsichtsantrags des Herrn H. bei dem Standesamt A., Bediensteten des Städtischen Archivs zwecks Vervollständigung und Aktualisierung der von Herrn H. in Form eines Gedenkbuches für die Opfer von Krieg und Gewalt erstellten zeitgeschichtlichen Dokumentation Einsicht in die Sterbebücher des Standesamts A. für den Zeitraum vom 1.9.1939 bis 31.12.1956 zu gewähren. Diesen Antrag lehnte der Standesbeamte der Stadt A. am 12.8.2003 ab.

Die Beteiligte zu 1 beantragte daraufhin bei dem Amtsgericht, den Standesbeamten anzuweisen, die erbetene Einsicht zu gewähren. Mit Beschluss vom 21.10.2003 hat das Amtsgericht den Standesbeamten angehalten, den Bediensteten des Städtischen Archivs der Beteiligten zu 1 zum Zwecke der Vervollständigung und Aktualisierung der von Herrn H. in Form eines Gedenkbuchs für die Opfer von Krieg und Gewalt erstellten zeitgeschichtlichen Dokumentation sowie der Erfassung der bisher unbekannten Opfer und der in Gefangenschaft Verstorbenen Einsicht in die Sterbebücher des Standesamts A. für den Zeitraum vom 1.9.1939 bis 31.12.1956 zu gewähren.

Gegen diesen Beschluss des Amtsgerichts hat die Standesamtsaufsichtsbehörde (Beteiligte zu 2) sofortige Beschwerde eingelegt. Auf die sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 18.3.2004 den Beschluss des Amtsgerichts vom 21.10.2003 aufgehoben und den Antrag auf Anweisung des Standesbeamten zurückgewiesen.

Gegen die ihr am 16.4.2004 zugestellte Entscheidung des Landgerichts hat die Beteiligte zu 1 mit Schreiben vom 26.4.2004, bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht eingegangen am 27.4.2004, sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Die Beteiligte zu 2 hat Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt.

II.

1. Die sofortige weitere Beschwerde der Standesamtsaufsichtsbehörde ist zulässig (§ 45 Abs. 1, § 49 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 48 Abs. 1 PStG; § 27 Abs. 1, § 29 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 2 und 4, § 22 Abs. 1 FGG).

2. Der Standesbeamte ist im Verfahren der weiteren Beschwerde ebenso wie im Beschwerdeverfahren nicht formell oder materiell Beteiligter (vgl. Johansson/Sachse Anweisung- und Berichtigungsverfahren in Personenstandssachen Rn. 1054 und 1447).

3. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der Standesbeamte sei nicht verpflichtet, der Beteiligten zu 1 die beantragte Einsicht zu gewähren. Nach § 61 PStG könne Einsicht in die Personenstandsbücher bzw. Durchsicht dieser Bücher von Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit verlangt werden. Der Zweck der Einsichtnahme im vorliegenden Fall bewege sich jedoch nicht innerhalb der Zuständigkeit der Beteiligten zu 1. Zwar gehöre die Kultur-. und Archivpflege gemäß Art. 57 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (GO) zu den Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Gemeinde; dementsprechend sehe Art. 13 Bayerisches Archivgesetz (BayArchivG) auch kommunale Archive vor. Zum Aufgabenbereich der Gemeinde gehöre jedoch nicht der vorliegende Fall einer Vervollständigung und Aktualisierung von Daten eines Privatmanns, auch wenn dessen Arbeit letztlich im Interesse der Gemeinde liege. Das Personenstandsgesetz sehe eine Einsichtnahme privater Dritter in die Personenstandsbücher zu wissenschaftlichen Zwecken nicht vor. Die von der Beteiligten zu 1 angestrebte Einsichtnahme zum Zwecke der Herausgabe von Daten an Herrn H. wäre eine unzulässige Umgehung des Gesetzes.

4. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) stand.

a) In Personenstandssachen geht § 61 PStG dem § 34 FGG vor (Keidel/Kahl FGG 15. Aufl. § 34 Rn. 6). Mit den Regelungen des § 61 PStG hat der Gesetzgeber die in den Personenstandsbüchern enthaltenen Daten dadurch abgeschirmt, dass Einsicht bzw. Auskunft strengeren gesetzlichen Anforderungen unterliegen als etwa die Einsicht in Gerichtsakten nach § 34 Abs. 1 FGG (vgl. BayObLGZ 1998, 119/122). Als besondere Rechtsvorschriften im Sinne des Art. 2 Abs. 7 Bayerisches Datenschutzgesetz (BayDSG) gehen die Regelungen des § 61 PStG den Bestimmungen des BayDSG über die Datenübermittlung an öffentliche Stellen vor (vgl. Hepting/Gaaz PStG § 61 Rn. 5).

b) Einschlägig für das Einsichtsbegehren der Beteiligten zu 1 ist § 61 Abs. 1 Satz 1 PStG. Nach dieser Vorschrift kann Einsicht in die Personenstandsbücher, zu denen das Sterbebuch gehört, von Behörden im Rahmen ihrer Zuständigkeit verlangt werden. Die Beteiligte zu 1 ist Behörde im Sinne dieser Vorschrift (Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG; vgl. Hepting/Gaaz § 61 Rn. 24).

c) Die Entscheidung des Landgerichts, dass die von der Beteiligten zu 1 verlangte Einsicht für die Bediensteten des Städtischen Archivs zum Zwecke der Vervollständigung und Aktualisierung der von Herrn H. in Form eines Gedenkbuches für die Opfer von Krieg und Gewalt erstellten zeitgeschichtlichen Dokumentation und der Erfassung der bisher unbekannten Opfer und der in Gefangenschaft Verstorbenen angesichts der eingeschränkten Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 1 PStG nicht gewährt werden kann, gibt zu Beanstandungen keinen Anlass.

aa) Voraussetzung für das Einsichtsrecht einer Behörde ist, dass sie die Einsicht im Rahmen ihrer Zuständigkeit, d.h. zur Erfüllung ihrer behördlichen Aufgaben, begehrt. Die Zuständigkeit kann nicht allgemein, sondern nur anhand des konkreten Einsichtsbegehrens festgestellt werden (vgl. Hepting/Gaaz § 61 Rn. 27). Die anfragende Behörde muss daher gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 PStG den Zweck der Benutzung angeben.

bb) Zutreffend ist das Landgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass das mit dem Einsichtsantrag verfolgte Ziel, die Vervollständigung und Aktualisierung der von einer Privatperson ermittelten Daten einer zeitgeschichtlichen Dokumentation zu fördern, von der Zuständigkeit der Gemeinde für Kultur- und Archivpflege (Art. 57 Abs. 1 Satz 1 GO) nicht erfasst wird und somit ein Einsichtsrecht aus § 61 Abs. 1 Satz 1 PStG nicht hergeleitet werden kann. Die Beteiligte zu 1 erfüllt mit der Vervollständigung und Aktualisierung der Daten einer privaten Dokumentation keine eigene behördliche Aufgabe, sondern unterstützt private Nachforschungen. Dass die als Ergebnis dieser privaten Nachforschungen erstellte Dokumentation für die Gemeinde ebenso wie für die Mitbürgerinnen und Mitbürger des Herrn H. von Interesse sein kann, macht die Einsichtnahme in die vom Gesetzgeber grundsätzlich abgeschirmten Daten der Sterbebücher nicht zu einer behördlichen Aufgabe. Ob eine vom Stadtarchiv der Beteiligten zu 1 selbst erstellte oder zu erstellende Dokumentation der Beteiligten zu 1 ein Recht zur Einsichtnahme in die Sterbebücher geben könnte (so LG Paderborn NJW-RR 1992, 248 für den Fall einer Dokumentation über die Geschichte der jüdischen Bevölkerung in einer Stadt) kann offen bleiben, da Gegenstand des hier zu entscheidenden Falles die Vervollständigung und Aktualisierung der Dokumentation einer Privatperson ist.

cc) Dem Einsichtsbegehren der Beteiligten zu 1 kann auch nicht im Wege einer einfachen Information über offensichtlich nicht geheimhaltungsbedürftige Tatsachen Rechnung getragen werden (vgl. hierzu BayObLGZ 1998, 119/123). Nach Auskunft des Standesamtes A. liegen für die Zeit vom 1.9.1939 bis 31.12.1956, auf die sich das Einsichtsgesuch bezieht, 11.836 Sterbeeinträge vor. Diese Datendimension schließt die Erteilung einfacher Informationen im Interesse des Einsichtsbegehrens aus und belegt zugleich die Notwendigkeit, bei der Gewährung von Einsicht in die Personenstandsbücher unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber in § 61 Abs. 1 PStG festgelegten Einschränkungen zurückhaltend vorzugehen.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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