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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 14.12.2004
Aktenzeichen: 1Z BR 65/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1945
BGB § 1947
BGB § 1949
BGB § 1950
BGB § 2069
BGB § 2094
BGB § 2306
1. Hat der Erblasser in einem notariellen Testament ausdrücklich verfügt, eine Ersatzerbenbestimmung nicht treffen zu wollen, so fehlt es an Zweifeln, welche die Anwendung der Auslegungsregel des § 2069 BGB voraussetzen würde.

2. Zu den möglichen Folgen einer Ausschlagung der Erbschaft unter dem Vorbehalt, durch die Ausschlagung gemäß § 2306 BGB den Pflichtteil erlangen zu können.


Gründe:

I.

Die verwitwete Erblasserin ist am 27. oder 28.4.2002 im Alter von 76 Jahren verstorben. Ihr leiblicher Sohn ist kinderlos vorverstorben. Die 1946 geborene Beteiligte zu 1 ist ihre Adoptivtochter, die Annahme als Kind wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 8.7.1994 ausgesprochen. Die 1967 geborene Beteiligte zu 2 ist die Tochter der Beteiligten zu 1, die minderjährige Beteiligte zu 3 ihre Enkeltochter, die gesetzlich allein durch die Beteiligte zu 2 vertreten wird. Die 1959 geborene Beteiligte zu 4 war der Erblasserin durch eine enge freundschaftliche Beziehung verbunden; die Erblasserin hatte beabsichtigt, sie zu adoptieren.

Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einem Einfamilienhaus im Wert von rund 210.000 EUR, Bankguthaben und Wertpapieren im Wert von rund 75.000 EUR sowie einer Darlehensforderung gegen die Beteiligte zu 4 in Höhe von rund 53.000 EUR.

Mit notariellem Testament vom 23.8.2001 setzte die Erblasserin die Beteiligte zu 1 und die Beteiligte zu 4 als Erben zu gleichen Teilen ein, ferner ordnete sie im Wege des Vorausvermächtnisses zu Gunsten der Beteiligten zu 4 ein lebenslanges unentgeltliches dingliches Wohnrecht in dem Wohnhaus an. Weiter ist im Testament bestimmt: " Ersatzerbbestimmungen werden nicht getroffen."

Die Beteiligte zu 1 hat am 24.6.2002 zur Niederschrift des Nachlassgerichts nach Belehrung über die Wirkung und Unwiderruflichkeit der Erbschaftsausschlagung erklärt: "Die angefallene Erbschaft schlage ich aus, soweit sie auf dem notariellen Testament vom 23.8.2001 beruht". Eine gleich lautende Erklärung gab die Beteiligte zu 2 im selben Termin ab, sowohl für sich selbst als auch als alleinige gesetzliche Vertreterin der Beteiligten zu 3.

Mit notarieller Urkunde vom 25.7.2002 hat die Beteiligte zu 2 die Anfechtung der Erbausschlagung für sich und ihre Tochter mit der Begründung erklärt, sie habe geglaubt, dass die Ausschlagung mit Wirkung für sie und ihre Tochter notwendig sei, damit ihre Mutter den unbeschwerten Pflichtteil geltend machen könne.

Mit Beschluss vom 26.11.2002 hat das Amtsgericht die Erteilung eines Erbscheins angekündigt, der die Beteiligte zu 4, entsprechend ihrem Antrag, als Alleinerbin ausweist. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Ausschlagungserklärungen seien wirksam; ein Anfechtungsgrund liege nicht vor: Die Fehlvorstellungen bezüglich des Pflichtteilsanspruchs stellten einen unbeachtlichen Motivirrtum dar. Auf die von den Beteiligten zu 1 bis 3 gegen diesen Beschluss des Amtsgerichts eingelegte Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 17.12.2003 den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und das Nachlassgericht angewiesen, der Beteiligten zu 2 einen Erbschein zu erteilen, der sie als Miterbin zu 1/2 ausweist. Mit Beschluss vom 28.1.2004 hat das Amtsgericht der Beteiligten zu 2 einen gemeinschaftlichen Erbschein erteilt, der sie und die Beteiligte zu 4 als Miterben zu je 1/2 ausweist. Gegen die Entscheidung des Landgerichts hat die Beteiligte zu 4 am 17.6.2004 weitere Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Beschluss vom 17.12.2003 aufzuheben, ferner den inzwischen der Beteiligten zu 2 erteilten Erbschein einzuziehen und das Nachlassgericht anzuweisen, der Beteiligten zu 4 einen Alleinerbschein zu erteilen

II.

Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der zwischenzeitlich erteilte Erbschein ist unrichtig und daher vom Amtsgericht einzuziehen. Im Übrigen wird die Sache zur anderen Behandlung und neuen Entscheidung über die gestellten Erbscheinsanträge an das Landgericht München I zurückverwiesen.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die von den Beteiligten zu 1 und 2 zu Protokoll des Nachlassgerichts vom 24.6.2002 abgegebenen Ausschlagungserklärungen seien wirksam. Insbesondere seien sie nicht unter einer unzulässigen Bedingung (§ 1947 BGB) abgegeben worden. Die Beteiligte zu 2 habe ihre Ausschlagung jedoch fristgerecht und wirksam wegen Irrtums angefochten. Sie habe irrig angenommen, mit ihrer Ausschlagungserklärung verschaffe sie ihrer Mutter einen Pflichtteilsanspruch; in Wahrheit habe sie mit ihrer Erklärung aber lediglich die eigene (Ersatz)-Erbenstellung vernichtet, nicht jedoch einen Pflichtteilsanspruch (der Mutter) begründet. Die Beteiligte zu 2 sei gemäß § 2069 BGB Miterbin zu 1/2. Dabei geht das Landgericht ersichtlich davon aus, dass die Beteiligte zu 1 infolge ihrer (nicht angefochtenen) Ausschlagung nicht Erbin sei, und dass - ohne dies näher darzulegen - ihre Tochter als Ersatzerbin an ihre Stelle trete.

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Die - nicht näher begründete - Annahme des Landgerichts, die Beteiligte zu 2 sei als Ersatzerbin an Stelle ihrer Mutter, die die Erbschaft ausgeschlagen habe, Erbin geworden, trifft nicht zu. Die Erblasserin hat im notariellen Testament vom 23.8.2001, das das Landgericht der Bestimmung der Erbfolge zugrunde legt, ausdrücklich verfügt, "Ersatzerbbestimmungen werden nicht getroffen". Dies bedeutet, dass die Erblasserin - notariell beraten - keine Ersatzerbfolge anordnen wollte. Die Erblasserin hat in der Vorbemerkung des notariellen Testaments festgehalten, dass die eingesetzte Beteiligte zu 1 ihre Adoptivtochter sei und dass sie zur Urkunde des amtierenden Notars vom gleichen Tag Antrag auf Ausspruch der Annahme als Kind bezüglich der zur anderen Hälfte eingesetzten Beteiligten zu 4 gestellt habe. Wenn es auch zur Annahme der Beteiligten zu 4 nicht mehr kam, ging die Erblasserin bei der Errichtung des Testaments doch davon aus, ihre beiden Abkömmlinge zu Erben einzusetzen. Die Erklärung, dass Ersatzerbbestimmungen nicht getroffen werden, enthält daher bewusst und gewollt den Ausschluss der Ersatzerbfolge nach Stämmen, wie sie nach der Auslegungsregel des § 2069 BGB im Zweifel anzunehmen ist. Hätte die Erblasserin nämlich für den Fall des Wegfalls ihrer Adoptivtochter oder der Beteiligten zu 4, die sie adoptieren wollte, eine Erbfolge nach Stämmen gewünscht, hätte es gängiger notarieller Praxis entsprochen, diese ausdrücklich anzuordnen. Da hier das Gegenteil verfügt wurde, fehlt es an Zweifeln, welche die Anwendung der Auslegungsregel des § 2069 BGB voraussetzt. Es liegt auch kein tatsächlicher Anhaltspunkt für die im Übrigen fern liegende Annahme vor, dass der ausdrücklichen Erklärung, dass keine Ersatzerbbestimmungen getroffen werden, die Annahme zugrunde lag, die Abkömmlinge der eingesetzten Erben würden kraft gesetzlicher Auslegungsregel nachrücken. Es ist somit davon auszugehen, dass die Erblasserin entsprechend ihrer ausdrücklichen Erklärung Ersatzerbfolge nicht anordnen wollte. Dies hat das Landgericht verkannt.

Bei der Beurteilung der Erbfolge wäre demnach - ein Wegfall der als Miterbin eingesetzten Beteiligten zu 1 infolge Ausschlagung unterstellt - von den Regelungen über die Anwachsung gemäß § 2094 BGB auszugehen.

b) Der Senat kann aber insoweit schon deshalb nicht selbst entscheiden, weil auch die Annahme des Landgerichts, die Ausschlagung der Beteiligten zu 1 sei wirksam, Zweifeln begegnet und eine weitere Aufklärung des Sachverhalts möglich ist.

(1) Das Landgericht geht bei der Beurteilung der am 24.6.2002 erklärten Ausschlagung davon aus, dass ein "Vorbehalt des Pflichtteils" von keiner der Beteiligten erklärt worden sei. Die von den Beteiligten zu 1 und 2 unterzeichneten Erklärungen enthielten keine derartige Bedingung, sondern lediglich die Beschränkung auf die testamentarische Erbeinsetzung. Außerhalb der förmlichen Ausschlagungserklärung abgegebene Erklärungen seien nicht geeignet, deren Rechtswirksamkeit in Frage zu stellen.

Das Landgericht hat aber andererseits - im Zusammenhang mit der rechtlichen Beurteilung der von der Beteiligten zu 2 erklärten Anfechtung ihrer Ausschlagung - folgende Feststellung zugrunde gelegt:

"Die Beteiligte zu 2) hat das Zustandekommen ihrer Ausschlagungserklärung ... bei ihrer Anhörung im Termin vom 19.11.2003 geschildert: Ihre Mutter habe sich entschlossen, die Erbschaft auszuschlagen, um den unbelasteten Pflichtteil zu erlangen, und deshalb an einem Freitag einen Termin bei der zuständigen Rechtspflegerin vereinbart. Dieser habe wegen des bevorstehenden Urlaubs der Rechtspflegerin bereits am darauf folgenden Montag stattfinden müssen. Nach Vereinbarung des Termins habe ihre Mutter sie angerufen und ihr mitgeteilt, sie müsse mitkommen, da "es sonst nicht gehe". Sie sei deshalb am Montag mit ihrer Mutter zu dem Termin vor der zuständigen Rechtspflegerin gegangen. Ihre Mutter habe der Rechtspflegerin mehrfach erläutert, sie schlage nur aus, um den Pflichtteil zu erlangen. Die Rechtspflegerin habe ein Schriftstück aufgesetzt und zunächst der Mutter, dann ihr selbst zum Unterzeichnen vorgelegt."

(2) Der die Ausschlagung der Beteiligten zu 1 betreffende Text der Niederschrift des Nachlassgerichts vom 24.6.2002 lautet:

" Die angefallene Erbschaft schlage ich, die Erschienene zu 1, aus, soweit sie auf dem notariellen Testament vom 23.08.2001 beruht.

Ich habe nur eine Tochter, die Erschienene zu 2, die durch meine Ausschlagung evtl. gemäß § 2069 BGB an meiner Stelle als Erbin berufen ist."

(3) Das Landgericht hat - an sich zutreffend - ausgeführt, dass außerhalb der förmlichen Ausschlagungserklärung abgegebene Erklärungen nicht geeignet sind, die Rechtswirksamkeit der Erklärung in Frage zu stellen (vgl. BayObLGZ 1992, 64/68 ff.). Es hat aber übersehen, dass der nach der Schilderung der Beteiligten zu 2 bei ihrer Anhörung am 19.11.2003 geschilderte Inhalt der Erklärungen der Beteiligten zu 1 zu Protokoll des Nachlassgerichts am 24.6.2002 nicht außerhalb, sondern bei der Erklärung der Ausschlagung abgegeben worden sind. Allerdings wurde die zur Niederschrift gemäß § 1945 Abs. 1 1. Alternative BGB abgegebene Ausschlagungserklärung insoweit - die vorgenannten Feststellungen unterstellt - unvollständig beurkundet. Weil die beurkundete Erklärung so nicht abgegeben, die tatsächlich abgegebene Ausschlagungserklärung nicht - vollständig - beurkundet worden ist, könnte schon die Anwendung des § 125 BGB in Betracht kommen.

(4) War die Erklärung, mit der die Beteiligte zu 1 gegenüber dem Nachlassgericht ausgeschlagen hat, unter dem Vorbehalt abgegeben worden, den Pflichtteil verlangen zu können (vgl. § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB), so kann diesem Vorbehalt rechtliche Bedeutung nicht von vornherein abgesprochen werden. Da tatsächlich ein Fall des § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gegeben war, vielmehr von vornherein die Anwendung des § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht gekommen wäre, könnte die Ausschlagungserklärung als unwirksame Teilausschlagung (vgl. Soergel/Stein BGB 13. Aufl. § 1950 Rn. 1) oder als zwar als uneingeschränkte bedingte Ausschlagung anzusehen sein, deren Unwirksamkeit sich aber daraus ergeben könnte, dass die Bedingungsfeindlichkeit der Ausschlagungserklärung nach § 1947 BGB entgegensteht (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 63 Aufl. § 1950 Rn. 1). Ferner könnte in Betracht kommen, dass der Pflichtteilsvorbehalt nicht als unzulässige Bedingung, sondern als zulässiger rechtlicher Vorbehalt einer Ausschlagung angesehen werden kann, so dass § 1947 BGB auf ihn nicht Anwendung finden würde (vgl. MünchKomm/Frank BGB 3. Aufl. § 2306 Rn. 11).

(5) Zunächst wird das Landgericht aber aufzuklären haben, ob - und gegebenenfalls in welcher Weise - die Beteiligte zu 1 bei Erklärung der Ausschlagung gegenüber dem Nachlassgericht die Pflichtteilsfrage einbezogen hat. Im Rahmen der Pflicht zur Amtsermittlung wird das Landgericht insbesondere die Rechtspflegerin zu vernehmen haben, die die Ausschlagungserklärung vom 24.6.2002 entgegengenommen und die entsprechende Niederschrift errichtet hat.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; das Verfahren der weiteren Beschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§131 Abs. 1 Satz 2 KostO). Über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten wird die wieder mit der Sache befasste Vorinstanz zu befinden haben (vgl. Keidel/Zimmermann FGG 15.Auflage § 13a Rn. 36, 37).



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