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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.02.2001
Aktenzeichen: 1Z BR 70/00
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 2084
BGB § 2087
Zur Frage, wie ein Testament auszulegen ist, wenn der Erblasser seiner Tochter aus erster Ehe den Hauptnachlassgegenstand und seiner zweiten Ehefrau den gesamten übrigen Nachlass vermacht hat.
BayObLG Beschluss

LG Bamberg 3 T 97/99, AG Forchheim VI 0421/98

1Z BR 70/00

22.02.01

Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Präsidenten Gummer sowie der Richter Rojahn und Zwirlein am 22. Februar 2001

in der Nachlasssache

beschlossen:

Tenor:

I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Landgerichts Bamberg vom 4. August 1999 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 2 hat die der Beteiligten zu 1 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 111000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1998 im Alter von 62 Jahren verstorbene Erblasser war zweimal verheiratet. Aus der 1985 geschiedenen ersten Ehe ist die Beteiligte zu 2 als einziges Kind hervorgegangen. Die Beteiligte zu 1 ist die zweite Ehefrau des Erblassers, die er am 12.10.1985 geheiratet hat.

Am 15.6.1986 verfügte der Erblasser handschriftlich wie folgt:

"Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte errichte ich hiermit das nachfolgende Testament und verfüge: Im Falle meines Ablebens soll meine Tochter A.... (Beteiligte zu 2) meinen Anteil an der Eigentumswohnung in M...., nebst meinem Anteil an der zugehörigen Garage, erhalten. Aus meinem nachgelassenen Barvermögen soll meine Tochter A.... den Anteil erhalten, der zur Abdeckung einer etwa noch auf der Eigentumswohnung entsprechend meinem Besitzanteil lastenden Hypothek oder Grundschuld erforderlich ist. Ferner erhält meine Tochter A. als Vermächtnis meine Briefmarkensammlung, die ich von meinem Vater ererbt habe. Meinen gesamten übrigen Nachlass, insbesondere Bargeld und Kapitalvermögen, soll meine Ehefrau M.... (Beteiligte zu 1) erhalten."

Mit Beschluss vom 8.4.1999 lehnte das Amtsgericht den Antrag der Beteiligten zu 2 ab, ihr einen gemeinschaftlichen Erbschein auszustellen, der auf sie und die Beteiligte zu 1 als Miterbin zu je 1/2 lautet. Am 9.4.1999 erteilte das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 1 einen Erbschein, der die Beteiligte zu 1 als Alleinerbin ausweist.

Gegen den Beschluss vom 8.4.1999 legte die Beteiligte zu 2 Beschwerde ein, die das Landgericht mit Beschluss vom 4.8.1999 zurückwies. Mit der am 5.4.2000 eingegangenen weiteren Beschwerde beantragt die Beteiligte zu 2 die Aufhebung dieses Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Sie macht nunmehr auch geltend, Alleinerbin zu sein.

II.

Die nicht fristgebundene und formgerecht eingelegte weitere Beschwerde ist zulässig. Der Rechtsbeschwerdeführerin fehlt auch nicht deswegen das Rechtsschutzbedürfnis, weil zwischen den Beteiligten eine Feststellungsklage über das Erbrecht anhängig ist.

Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht ist durch Auslegung des Testaments zu dem Ergebnis gekommen, dass der Erblasser die Beteiligte zu 1 zur Alleinerbin eingesetzt und die Beteiligte zu 2 mit Vermächtnissen bedacht hat. Die Wortwahl spreche dafür, dass der Erblasser der Beteiligten zu 2 genau festgelegte Gegenstände, nämlich den Hälfteanteil an der Eigentumswohnung, den für die Lastenfreistellung dieser Wohnung notwendigen Geldbetrag und die Briefmarkensammlung habe zuwenden wollen. Die Wortwahl, dass die Ehefrau den gesamten übrigen Nachlass erhalten solle, spreche dafür, dass der Erblasser von erheblichem weiteren Nachlass ausgegangen sei, der seiner Ehefrau zufallen sollte und nicht seiner Tochter. Der Erblasser habe das Testament kurz nach seiner Scheidung und Wiederverheiratung im Alter von 49 Jahren errichtet. Zum damaligen Zeitpunkt habe die Tochter des Erblassers bei ihrer Mutter in der Eigentumswohnung gelebt. Es liege nahe davon auszugehen, dass der Erblasser für den Fall seines Todes habe sicherstellen wollen, dass die Wohnung in seiner "früheren Familie" verbleibe und sich an diesen Lebensumständen nichts ändere. Mit der Zuwendung seines Hälfteanteils an der Wohnung und der zur Lastenfreistellung notwendigen Geldmittel habe er dies erreicht und nach seiner Vorstellung die Tochter abgesichert. Im übrigen dürfte der Erblasser damit gerechnet haben, mit seiner zweiten Ehefrau weiteres Vermögen zu erwerben. Tatsächlich sei weiteres Vermögen hinzugekommen, ohne dass der Erblasser bis zu seinem Lebensende zwölf Jahre später sein Testament geändert habe. Dies spreche dafür, dass nach dem Willen des Erblassers die Beteiligte zu 2 am gesamten übrigen Nachlass nicht beteiligt sein sollte. Diesem Erblasserwillen werde die Auslegung, dass die Beteiligte zu 1 Alleinerbin und die Beteiligte zu 2 Vermächtnisnehmerin ist, am ehesten gerecht; einer Ermittlung der Vermögenswerte des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung bedürfe es nicht.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Die Testamentsauslegung (§§ 133, 2084 BGB) ist Sache der Tatsacheninstanz. Sie ist vom Gericht der weiteren Beschwerde nur daraufhin zu überprüfen, ob sie nach den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung möglich ist, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln in Einklang steht, dem Sinn und Wortlaut des Testaments nicht widerspricht und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (st.Rspr.; vgl. BGHZ 121, 357/363; BayObLG NJWE-FER 2000, 93).

Die vom Landgericht in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht vorgenommene Auslegung des Testaments im Sinne einer Alleinerbenstellung der Beteiligten zu 1 weist einen solchen Fehler nicht auf. Sie ist möglich und hat alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt.

a) Zutreffend hat das Landgericht erkannt, dass der Inhalt des Testaments nicht eindeutig ist und deshalb der Auslegung bedarf. Hat ein Erblasser wie hier seinen gesamten Nachlass an zwei Personen verteilt, ohne ausdrücklich eine oder beide Personen zum Erben einzusetzen, so kann die Auslegung ergeben, dass eine Person zum Erben eingesetzt ist, während der anderen lediglich Vermächtnisse zugewendet sind. Hier konnte das Landgericht zu Recht schon in der Wortwahl, d.h. der Zuwendung einzelner Gegenstände an die Beteiligte zu 2 einerseits und der Zuwendung des "gesamten übrigen Nachlasses" an die Beteiligte zu 1 andererseits, einen Anhaltspunkt dafür sehen, dass der Erblasser eine Alleinerbenstellung der Beteiligten zu 1 wollte. In die gleiche Richtung weisen die vom Landgericht herangezogenen Lebensumstände des Erblassers und der Beteiligten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Für den Erblasser hatte beruflich mit seiner Versetzung nach Hongkong wie privat mit seiner Wiederverheiratung ein neuer Lebensabschnitt begonnen; die frühere Restfamilie, Mutter und Tochter, lebten zusammen in der Eigentumswohnung, die dem Erblasser und seiner geschiedenen Ehefrau je zur Hälfte gehörte. Die Schlussfolgerungen, die das Landgericht aus der Gesamtheit dieser Lebensumstände zieht, sind durchaus naheliegend.

Die weitere Beschwerde hält dem im wesentlichen entgegen: Der hälftige Miteigentumsanteil an der Wohnung des Erblassers habe zur Zeit der Testamentserrichtung nahezu das gesamte Vermögen des Erblassers ausgemacht. Wenn der zugewendete Gegenstand nahezu das gesamte Vermögen ausmacht, sei nicht von einem Vermächtnis auszugehen. Dies hätten die Vorinstanzen versäumt zu untersuchen.

Diese Rüge greift nicht durch. Das Landgericht konnte von einer Ermittlung des Wertes zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung absehen. Ohne Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht ist das Landgericht nämlich davon ausgegangen, dass das Verhältnis des den Beteiligten jeweils Zugewendeten zum Wert des Gesamtnachlasses unter den hier gegebenen Umständen zur Auslegung des Testaments keinen entscheidenden Beitrag leisten kann.

(1) Zwar gibt das Wertverhältnis in der Regel ein Indiz für den Willen des Erblassers. Denn es ist naheliegend, als Alleinerben die Person anzusehen, der wertmäßig der Hauptnachlassgegenstand zugewiesen ist, und als Vermächtnisnehmer die Person oder Personen, die mit Gegenständen von verhältnismäßig geringerem Wert bedacht sind. Das gilt insbesondere, wenn ein Hausgrundstück seinem Wert nach den wesentlichen Teil des Vermögens bildet (BayObLG FamRZ 1999, 1392/1394 m.w.N.).

(2) Dieser von der Rechtsprechung entwickelten Auslegungsregel liegt die Annahme zugrunde, dass der Erblasser in seiner Vorstellung sein bei Testamentserrichtung vorhandenes Vermögen verteilt und zu diesem Zeitpunkt im Hauptnachlassgegenstand praktisch seinen Nachlass erblickt. Auszugehen ist von den Vorstellungen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung, weshalb bei der Beurteilung des Wertes der zugewendeten Gegenstände in der Regel die Vermögensverhältnisse zur Zeit der Testamentserrichtung zugrunde zu legen sind (BayObLG FamRZ 1997, 1177/1178). Das ist jedoch im Einzelfall nicht zwingend. Auch die Vorstellungen des Erblassers über die weitere Entwicklung seines Vermögens sind einzubeziehen. Deshalb können Änderungen in der Vermögenszusammensetzung oder Wertverschiebungen sowie entsprechende Erwartungen, die der Erblasser bereits bei Testamentserrichtung in seine Überlegungen einbezogen hat, berücksichtigt werden (BayObLG FamRZ 1995, 246/248 m.w.N.).

(3) Hier hat es das Landgericht als naheliegend angesehen, dass der Erblasser in seiner neuen Lebenssituation im Alter von 49 Jahren auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine Zukunft vor sich gesehen, mit einer Vermehrung seines "gesamten übrigen Nachlasses" gerechnet und dies in seine Vorstellungen bei Testamentserrichtung einbezogen hat. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Erblasser in jedem Fall, unabhängig vom Wertverhältnis im einzelnen, seine neue Ehefrau als Alleinerbin einsetzen wollte. Diese Erwägungen und Schlussfolgerungen lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Unter diesen Umständen durfte das Landgericht von einer auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung bezogenen Wertermittlung absehen.

c) Zutreffend weist die Beschwerde allerdings darauf hin, dass die Beteiligte zu 2 damals nicht, wie das Landgericht schreibt, zwölf Jahre, sondern 22 Jahre alt war. Dieser Einzelumstand spielt bei den Erwägungen des Landgerichts aber ersichtlich keine entscheidende Rolle. Es erscheint ausgeschlossen, dass das Landgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es seiner Entscheidung das richtige Alter zugrunde gelegt hätte. Auch diese Rüge kann der weiteren Beschwerde daher nicht zum Erfolg verhelfen.

3. Im Hinblick auf die sich aus dem Gesetz ergebende Kostenfolge bedarf es keiner Entscheidung über die Gerichtskosten im Verfahren der weiteren Beschwerde. Die Erstattungsanordnung beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG.

Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde entspricht dem Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens und wird in Übereinstimmung mit dem Landgericht auf 111000 DM festgesetzt. Der Geschäftswert erhöht sich nicht dadurch, dass die Rechtsbeschwerdeführerin nunmehr in erster Linie eine Alleinerbenstellung geltend macht, da sie in diesem Fall mit einem Vermächtnis zugunsten der Beteiligten zu 1 in beträchtlicher Höhe belastet wäre und sich daher im Ergebnis wertmäßig nicht besser stünde als bei der von ihr hilfsweise geltend gemachten hälftigen Erbenstellung.

Ende der Entscheidung

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