Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.01.2001
Aktenzeichen: 1Z BR 89/00
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 28 Abs. 2
FGG § 29 Abs. 1 Satz 1
Ein in Haft befindlicher Beteiligter kann generell auch zu Protokoll des Amtsgerichts des Haftorts weitere Beschwerde einlegen kann (Vorlage an den BGH gemäß § 28 Abs. 2 FGG im Hinblick auf BGH NJW 1965, 1182).
Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts ha unter Mitwirkung des Präsidenten Gummer sowie der Richter Kenklies und Seifried

am 22. Januar 2001

in der Adoptionssache

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Landgerichts Landshut vom 3. Mai 2000 wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 1 ist der Vater des 1996 geborenen Kindes (Beteiligter zu 2). Er hat seine Ehefrau, die Mutter des Kindes, 1997 getötet und wurde deswegen rechtskräftig wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die derzeit in der Justizvollzugsanstalt Straubing vollstreckt wird. Mit Beschluss vom 27.5.1998 hat das Landgericht festgestellt, dass die elterliche Sorge des Beteiligten zu 1 ruht. Das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - hat mit Beschluss vom 29.6.1998 die Beteiligte zu 3 - eine Schwester der verstorbenen Mutter des Kindes und ihren Ehemann, den Beteiligten zu 4, zu Vormündern mit dem Aufgabenkreis Personensorge sowie einen weiteren Vormund mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge bestellt. Das Kind lebt seit dem Tod seiner Mutter bei den Beteiligten zu 3 und 4. Diese wollen das Kind adoptieren; sie haben die Adoption mit notarieller Urkunde vom 29.9.1998 beantragt.

Der Beteiligte zu 1 hat seine Einwilligung verweigert. Auf Antrag des durch die Beteiligten zu 3 und 4 vertretenen Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht Landshut diese mit Beschluss vom 29.1.1999 ersetzt.

Die Zustellung dieses Beschlusses an den Beteiligten zu 1 war am gleichen Tage verfügt und nach dem Erledigungsvermerk der Geschäftsstelle und der Zustellungsurkunde vom 5.2.1999 auch bewirkt worden. Der Beteiligte zu 1 bestritt jedoch, dass in dem ihm am 5.2.1999 ausgehändigten verschlossenen Umschlag - neben anderen Schriftstücken - auch eine Ausfertigung des Beschlusses vom 29.1.1999 enthalten gewesen sei; er bat mit Schreiben vom 3.3.1999, ihm diesen Beschluß, von dessen Existenz er aus einer Stellungnahme des Jugendamts in einem anderen Verfahren erfahren hatte, zuzusenden. Das Landgericht erblickte hierin die (verspätete) Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 29.1.1999, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsgesuch. Es verwarf das Wiedereinsetzungsgesuch und das Rechtsmittel mit Beschluss vom 18.5.1999. Diesen Beschluss hob der Senat am 7.10.1999 (BayObLGZ 1999, 330) zur Klarstellung seiner Unwirksamkeit auf, weil das Landgericht eine Beschwerdeentscheidung erlassen hatte, obwohl keine Beschwerde vorlag. Er wies für das weitere Verfahren darauf hin, dass die Zustellungsurkunde keinen Beweis dafür erbringe, dass der am 5.2.1999 dem Beteiligten zu 1 zugestellte verschlossene Umschlag auch eine Ausfertigung des Beschlusses vom 29.1.1999 enthalten habe.

Der Vormundschaftsrichter verfügte erneut die Zustellung des Beschlusses vom 29.1.1999 an den Beteiligten zu 1. Der Beschluss wurde dem Beteiligten zu 1 am 10.11.1999 in der Justizvollzugsanstalt Straubing zugestellt. Am 22.11.1999 ging die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1 dagegen beim Amtsgericht ein. Mit Beschluss vom 3.5.2000 hat das Landgericht die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen und dem Beteiligten zu 1 "die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beteiligten zu 2, 3 und 4 auferlegt".

Gegen diesen ihm am 25.5.2000 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 1 zur Niederschrift des Rechtspflegers des Amtsgerichts Straubing am 31.5.2000 das Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde eingelegt.

II.

Gegen den Beschluss des Landgerichts ist die sofortige weitere Beschwerde statthaft (§ 1748 Abs. 1 BGB i.V.m. § 29 Abs. 2, § 53 Abs. 1, § 60 Abs. 1 Nr. 6 FGG). Der Beschwerdeführer ist auch beschwerdeberechtigt (§ 20 Abs. 1 FGG). Die sofortige weitere Beschwerde ist jedoch zu Protokoll der Geschäftsstelle des für den Haftort zuständigen Amtsgerichts eingelegt worden, das nicht als Gericht erster Instanz mit der Sache befaßt war. § 29 Abs. 1 Satz 1 FGG gestattet seinem Wortlaut nach die Einlegung der weiteren Beschwerde nur zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle der für die Sache im Instanzenzug zuständigen Gerichte. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs kann davon auch dann nicht abgegangen werden, wenn sich der Beschwerdeführer wie hier in Haft befindet (BGH FamRZ 1965, 319 = NJW 1965, 1182 = Rpfleger 1965, 140; BayObLGZ 1965, 2). Nur wenn sich der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel gegen eine Freiheitsentziehung wendet, haben das Bayerische Oberste Landesgericht und der Bundesgerichtshof eine Einschränkung des § 29 Abs. 1 FGG und eine entsprechende Anwendung des § 7 Abs. 4 FEVG im Unterbringungs- und Verwahrungsverfahren für geboten erachtet, weil dieses Rechtsmittel nicht durch die Freiheitsentziehung, die bekämpft werden soll, erschwert werden dürfe (BGH NJW 1970, 804/805; BayObLGZ 1957, 233; 1964, 330). Mit dem durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18.7.1979 (BGBl 1 1061) in das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit neu eingefügten § 64h Abs. 2 FGG und nunmehr mit den durch das Betreuungsgesetz vom 12.9.1990 (BGBl 1 2002) eingefügten § 69g Abs. 3, § 70m Abs. 3 FGG hat der Gesetzgeber für das Unterbringungsverfahren eine entsprechende gesetzliche Regelung geschaffen.

Der Senat hält unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Rechtsentwicklung entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung eine Einschränkung des § 29 Abs. 1 Satz 1 FGG generell für geboten, wenn sich der die weitere Beschwerde einlegende Beschwerdeführer - hier in Vollzug einer Freiheitsstrafe - in Haft befindet, auch wenn er sich mit der weiteren Beschwerde nicht gegen die Freiheitsentziehung zur Wehr setzt. Die Regelung des § 29 Abs. 1 Satz 1 FGG bringt für den Inhaftierten eine wesentliche Erschwerung des Zugangs zur Rechtsbeschwerdeinstanz mit sich (vgl. BGH NJW 1970, 804/805). Nach §§ 35, 36 StVollzG besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit, dem Gefangenen Urlaub oder Ausgang zu gewähren oder ihn ausführen zu lassen, wenn er bei einem nicht für den Haftort zuständigen Amts- oder Landgericht die weitere Beschwerde zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einlegen will. Abgesehen davon, dass der Gefangene hierauf keinen Anspruch hat, die Entscheidung über seinen Antrag vielmehr in das Ermessen des Anstaltsleiters gestellt ist, liegt schon in diesem Verfahren eine wesentliche Erschwerung des Zugangs zum Rechtsbeschwerdegericht. Die Möglichkeit, einen Dritten mit der Einlegung des Rechtsmittels zu beauftragen (vgl. BGH FamRZ 1965, 319/321), setzt andererseits voraus, dass der Inhaftierte eine Person seines Vertrauens findet, die auch zum entsprechenden Tätigwerden bereit ist. Auf sie kann der Gefangene daher ebensowenig verwiesen werden wie auf die Möglichkeit der Einlegung der weiteren Beschwerde durch einen von einem Rechtsanwalt unterschriebenen Schriftsatz. Das Gesetz gibt dem Beschwerdeführer ein Wahlrecht zwischen den beiden Formen der Einlegung (BayObLG Rpfleger 1977, 27).

Schon die Verkürzung dieses Wahlrechts würde eine wesentliche Beschränkung des Zugangs zur Rechtsbeschwerdeinstanz darstellen. Praktisch steht dem Inhaftierten das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde nicht in gleicher Weise offen wie einem auf freiem Fuß befindlichen Beschwerdeführer. Die darin liegende Schlechterstellung des Inhaftierten ist nach nunmehriger Auffassung des Senats mit den Zwecken, denen die Regelung des § 29 Abs. 1 Satz 1 FGG dient (vgl. BGH FamRZ 1965, 319/ 321), nicht zu rechtfertigen (BGH NJW 1970, 804/805). Jedenfalls wiegen diese nicht die für einen Inhaftierten damit verbundene wesentliche Erschwerung des Zugangs zum Rechtsbeschwerdegericht auf. Entsprechende Überlegungen finden in den gesetzlichen Regelungen der § 7 Abs. 4 FEVG, § 69g Abs. 3, § 70m Abs. 3 FGG, § 129a Abs. 1 ZPO und § 299 StPO - in unterschiedlichem Umfang - Ausdruck.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht zunächst auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gestützt (BVerfGE 10, 264/267 f.; 40, 272/274 f.; 41, 23/26). Er ist aber zugleich nach dem Rechtsstaatsprinzip ein allgemeiner Grundsatz jedes rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens (BVerfGE 50, 1/3; 52, 203/207; 74, 228/234; 80, 103/107; 85, 337/345). Demnach gilt er für die gesamte ordentliche, also auch für die freiwillige Gerichtsbarkeit.

Unter Beachtung dieser - im wesentlichen nach 1965, entwickelten - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts möchte der Senat § 29 Abs. 1 Satz 1 FGG dahin einschränkend auslegen, dass ein in Haft befindlicher Beteiligter generell auch zu Protokoll des Amtsgerichts des Haftorts weitere Beschwerde einlegen kann, um den Zugang zur Rechtsbeschwerdeinstanz nicht unverhältnismäßig zu erschweren (vgl. BVerfGE 88, 118/124). Auch durch die rechtliche Entwicklung kann eine bislang eindeutige und vollständige Regelung lückenhaft und ergänzungsbedürftig werden (BVerfGE 82, 6/12).

Der Senat will aus diesen Gründen - abweichend von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs FamRZ 1965, 319 - die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde des Beteiligten zu 1 bejahen. Auch der 3. Zivilsenat hat mitgeteilt, dass er an seiner gegenteiligen Auffassung (Rpfleger 1986, 293) nicht festhält.

Der Senat legt die weitere Beschwerde deswegen nach § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof vor.

Ende der Entscheidung

Zurück