Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 04.04.2001
Aktenzeichen: 2 ObOWi 19/01
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 71
OWiG § 74 Abs. 2
StPO § 218 Satz 1
Scheidet ein Verteidiger aus einer Anwaltskanzlei aus, so ist gesondert zur Hauptverhandlung zu laden.
Tatbestand:

Dem Betroffenen war mit Bußgeldbescheid vom 16.11.1999 zu Last gelegt worden, am 29.10.1999 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 43 km/h überschritten zu haben. Die Ahndung umfasste eine Geldbuße in Höhe von 200 DM und ein einmonatiges Fahrverbot.

Mit Urteil vom 23.8.2000 verwarf das Amtsgericht den zulässig eingelegten Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWIG wegen dessen Nichterscheinens.

Der Betroffene rügte mit der Rechtsbeschwerde die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Verfahrensrüge stützte er darauf, dass sein Verteidiger nach Ausscheiden aus der Anwaltssozietät und Mitteilung, allein zu vertreten, nicht zur Hauptverhandlung geladen wurde. Die Ladung sei nur an die nicht mehr existente frühere Anwaltssozietät erfolgt. Weiter sei dem Verteidiger das angeordnete persönliche Erscheinen des Betroffenen nicht mitgeteilt worden.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Gründe:

Die gegen das Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG erforderliche (Göhler OWiG 12.Aufl. § 74 Rn.48 b) und zulässig erhobene Verfahrensrüge erweist sich als begründet.

Zum Verfahrensgang ist nach formgerecht erhobener Verfahrensrüge festzustellen:

Mit Schreiben vom 24.11.1999 auf Bogen der Anwaltskanzlei H. & L. wurde mit der Formulierung "zeigen wir die Vertretung von Herrn S. an" Einspruch eingelegt. Die vom Betroffenen unterschriebene Vollmacht vom 17.1.2000 lautet auf die Rechtsanwälte H. & L. Mit Schreiben vom 29.6.2000, gefertigt auf neuem Kanzleibriefkopf, zeigte Rechtsanwalt L. sein Ausscheiden aus der Anwaltskanzlei H. & L. und die alleinige Vertretung des Betroffenen an. Auf seinen gleichzeitigen Antrag wurde der Hauptverhandlungstermin verlegt. Die Ladung zur Hauptverhandlung erfolgte an die Rechtsanwaltskanzlei H. & L., das Empfangsbekenntnis hierzu ist mit einem hiervon abweichenden Stempelaufdruck Rechtsanwälte H. & J. versehen. Eine Ladung von Rechtsanwalt L. unter dessen (neuen) Kanzleianschrift ist nicht erfolgt. Im Hauptverhandlungstermin sind weder der Betroffene noch ein Verteidiger erschienen.

1. Zwar greift die Verfahrensrüge, als Verteidiger nicht von dem angeordneten Erscheinen des Betroffenen verständigt worden zu sein, nicht durch. Im Hinblick auf die Neufassung der §§ 73, 74 OWiG aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und andere Gesetze vom 26.1.1998 ist der Betroffene nach § 73 Abs. 1 zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet. Eine Benachrichtigung des Verteidigers ist aufgrund der gesetzlichen Erscheinungspflicht des Betroffenen nicht veranlasst. Soweit zusätzlich eine solche Anordnung ergangen ist, geht diese über die gesetzliche Regelung nicht hinaus und führt deshalb zu keiner gesonderten Mitteilungspflicht. Die zur früheren Rechtslage ergangene Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 17.11.1988 (BayObLG NZV 1989, 162) ist durch die Gesetzesänderung überholt.

2. Die Verfahrensrüge, der Verteidiger sei zur Hauptverhandlung nicht geladen worden, führt zur Urteilsaufhebung (§§ 337, 218 Satz 1 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Vorliegend steht nicht fest, ob der Betroffene allein von Rechtsanwalt L. oder auch noch von Rechtsanwalt H. verteidigt wurde. In der auf die Anwaltskanzlei H. & L. ausgestellten und vorgelegten Verteidigervollmacht sind zwar beide Rechtsanwälte benannt. Zur Feststellung der Verteidigerbestellung genügt dies indes nicht (BVerfGE 43, 79/94). Unter Berücksichtigung des alleinigen Auftretens von Rechtsanwalt L. im Verfahren und dessen Alleinvertretungsmitteilung lässt auch die Verwendung des Wortes "wir" durch Rechtsanwalt L. in der ersten Vertretungsanzeige keinen zwingenden Schluss auf die Verteidigung durch zwei Rechtsanwälte zu, da in dieser Vertretungsanzeige der Pluralis majestatis verwandt sein konnte. Ob von der früheren Anwaltssozietät beide Rechtsanwälte oder von vornherein nur Rechtsanwalt L. verteidigen sollte oder nach Sozietätsauflösung die Mandatswahrnehmung - beispielsweise durch eine auf der Entscheidung des Betroffenen beruhenden Klarstellung oder Verteidigerbeschränkung - nur (noch) durch Rechtsanwalt L. erfolgte, bedarf aus Rechtsgründen keiner Aufklärung. Für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde des Betroffenen kommt es hierauf nicht an.

a) War nur Rechtsanwalt L. zum Verteidiger bestellt, so war er - unter seiner neuen mitgeteilten Kanzleianschrift - zur Hauptverhandlung zu laden (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 218 Satz 1 StPO). Ohne seine Ladung war nach seinem Nichterscheinen eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht statthaft (so für die frühere gesetzliche Regelung von §§ 73, 74 OWiG die einhellige obergerichtliche Rechtsprechung, beispielsweise OLG Hamburg MDR 1972, 168 = VRS 42, 368; OLG Hamm VRS 45, 442; BayObLG NJW 1980, 1969 = VRS 59, 207 in st. Rspr.; vgl. Göhler OWiG 12.Aufl. § 74 Rn.33 und KK OWiG 2. Aufl. § 74 Rn.25 jeweils m.w.N.). Auch nach der Neufassung von § 74 Abs. 2 OWiG ist die Verwerfung nicht rechtmäßig, wenn der Verteidiger nicht geladen und nicht erschienen ist (Göhler aaO; KK aaO). Auch nach der Neufassung von § 74 Abs. 2 OWiG ist ein Beruhen des Verwerfungsurteils auf dem Verstoß gegen § 218 Satz 1 StPO regelmäßig nicht auszuschließen. Denn durch die unterbliebene Ladung wird dem Verteidiger beispielsweise die Möglichkeit genommen, Entschuldigungsgründe für den ausgebliebenen Betroffenen vorzutragen oder einen Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen nach § 73 Abs. 2 OWiG zu stellen (KK aaO).

b) Die unterbliebene Ladung des Verteidigers Rechtsanwalt L. führt auch dann zur Urteilsaufhebung, wenn nur seine Ladung als Mitverteidiger unterblieben ist.

Solange die Rechtsanwaltssozietät bestand, konnte die Adressierung der Ladung an die Sozietät und die Ladung nur eines Verteidigers dieser Sozietät ausreichend sein. Diese auf eine Entscheidung des Reichsgerichts (vom 7.7.1914 RGSt 48, 337) zurückgehende Begründung würde eine solche Rechtsbeurteilung nach wie vor tragen (Löwe/Rosenberg 5.Aufl. § 218 Rn.10 unter Hinweis auf BVerfGE 43, 77/94 m.w.N.).

Nach Auflösung der Sozietät und Bekanntgabe der neuen Kanzleianschrift von Rechtsanwalt L. scheidet eine solche Beurteilung aus, weil damit die Verbindung zur gemeinsamen Berufsausübung beendet war. Rechtsanwalt L. war gesondert unter seiner neuen Kanzleianschrift nach § 218 Satz 1 StPO zu laden. Die bloße Möglichkeit, vom Hauptverhandlungstermin und der Ladung hierzu über die frühere Sozietät Kenntnis erhalten zu können, genügt nicht und vermag den Verfahrensverstoß nicht zu beseitigen (BGH NStZ 1995, 298/299). Da kein Verteidiger erschienen ist, kann das Beruhen des Verwerfungsurteils auf dem Gesetzesverstoß auch nicht ausnahmsweise ausgeschlossen werden.

Ende der Entscheidung

Zurück