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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.06.2002
Aktenzeichen: 2 ObOWi 268/02
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 74 Abs. 2 Satz 1
Kann der Betroffene aus dringenden beruflichen Gründen an der Verhandlung nicht teilnehmen, ist er nur entschuldigt, wenn die dargelegten Gründe für sein Fernbleiben einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der Durchführung der Verhandlung standhalten.
Tatbestand:

Gegen die Betroffene erging am 13.3.2000 ein Bußgeldbescheid, gegen den sie Einspruch einlegte. Nachdem der Amtsrichter Termin zur Hauptverhandlung auf den 23.1.2002 bestimmt hatte, beantragte sie mit einem beim Amtsgericht am 22.1.2002 eingegangenen Schreiben Terminsverlegung mit der Begründung, sie sei wegen einer Erkrankung ihres Ehemannes gezwungen, auch dessen Außendienstaufgaben zu erledigen. Am 23.1.2002 habe sie den ganzen Tag über in den Städten A., L., N., F., F. und H. dringende berufliche Termine wahrzunehmen. In der Hauptverhandlung, zu der weder die Betroffene noch ihr Verteidiger erschienen waren, verwarf der Amtsrichter den Einspruch der Betroffenen.

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen dieses Urteil blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG begegnet keinen rechtlichen Bedenken, da das Erstgericht im Ergebnis zutreffend eine ausreichende Entschuldigung verneint hat.

Nach § 74 Abs. 2 OWiG kommt es allerdings nicht darauf an, ob der Betroffene sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (vgl. Göhler OWiG 13. Aufl. § 74 Rn. 31). Hat das Amtsgericht mithin geeignete Hinweise dafür, dass das Fernbleiben entschuldigt sein kann, ist es grundsätzlich verpflichtet, im Freibeweisverfahren die Stichhaltigkeit von Entschuldigungsgründen zu klären.

Der vorliegende Fall weist allerdings die Besonderheit auf, dass die Betroffene sich darauf beruft, aus zwingenden beruflichen Gründen der Hauptverhandlung ferngeblieben zu sein. In Fällen dieser Art kann das Gericht die genügende Entschuldigung nur prüfen, wenn die dafür maßgebenden Tatsachen vorgetragen werden (KG VRS 58, 47/50; OLG Hamm VRS 39, 208; OLG Karlsruhe VRS 89, 130/131; Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. [Stand März 1998] § 74 Rn. 15).

Nach § 74 Abs. 2 OWiG kann ein Betroffener nicht nur entschuldigt sein, wenn er zwar erscheinen will, aber nicht erscheinen kann, sondern auch, wenn er zwar in der Verhandlung erscheinen könnte, dies aber unzumutbar wäre. Grundsätzlich gilt hierfür, dass berufliche Verpflichtungen gegenüber der Pflicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt vor Gericht zu erscheinen, zurückzutreten haben. Nur in besonderen Einzelfällen können auch berufliche Hinderungsgründe dazu führen, dass das Fernbleiben einem Betroffenen nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Darüber, ob für einen Betroffenen ein Fall vorliegt, in dem ihm die Teilnahme an der Hauptverhandlung wegen anderweitiger beruflicher Verpflichtungen unzumutbar ist, ist durch Abwägen der öffentlich-rechtlichen Pflicht, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, gegen den Grund seines Ausbleibens zu befinden. Bei der Güterabwägung sind insbesondere Art und Anlass der beruflichen Inanspruchnahme auf der einen und die Bedeutung des den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildenden Vorwurfs auf der anderen Seite zu berücksichtigen.

Diese persönlichen Gründe, die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind, kennt nur der Betroffene. Er hat sie daher dem Gericht mitzuteilen. Dafür reicht hier die Behauptung, die Betroffene habe "dringliche berufliche Termine" für ihren erkrankten Ehemann wahrzunehmen, nicht aus. Denn damit trägt sie lediglich ihre eigene Wertung der tatsächlichen Umstände vor. Vielmehr ist es erforderlich, die Art der Geschäfte selbst, deren Wichtigkeit und unaufschiebbare Dringlichkeit darzutun, damit das Gericht beurteilen kann, ob das Vorbringen als Entschuldigung genügen könnte, wenn es zutrifft (vgl. BayObLG Beschluss vom 7.3.1997 - 2 ObOWi 79/97; KG, OLG Hamm, OLG Karlsruhe jeweils aaO).

Die Betroffene hat vorliegend aber weder mitgeteilt welche Art von Geschäften zu erledigen waren, noch warum die Wahrnehmung der Termine von so erheblicher beruflicher Bedeutung war, dass deren Erledigung zu einem etwas späteren Zeitpunkt unzumutbar gewesen wäre. Das tatsächliche Vorbringen im Schriftsatz vom 22.1.2002 war daher nicht geeignet, die Betroffene zu entschuldigen; es bot insbesondere keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine von Amts wegen vorzunehmende Prüfung, ob die Betroffene tatsächlich wegen beruflicher Verhinderung entschuldigt war.

Soweit in der Rechtsbeschwerdebegründung neuer Tatsachenvortrag enthalten ist, kann er vom Rechtsbeschwerdegericht schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil er dem Amtsgericht nicht bekannt war und deshalb dessen Entscheidung, ob die Betroffene genügend entschuldigt sei, nicht beeinflussen konnte.

Ergänzend ist noch anzumerken, dass selbst nach dem nunmehrigen Vortrag eine ausreichende Verhinderung der Betroffenen nicht anzunehmen wäre: Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Verschiebung eines Vertragsneuabschlusses auf den nächsten Tag wegen einer Gerichtsverhandlung bereits zum Verlust des Kunden führen würde. Auch eine Reparatur, die einen Tag später durchgeführt wird, bringt allenfalls Verluste für den Ausfall des Gerätes um einen weiteren Tag, wobei ohnehin fraglich erscheint, ob die Betroffene die Reparatur in jedem Falle selbst hätte durchführen können.

Dass die am Verhandlungstag aufgesuchten Gastwirte nur an diesem Werktag erreichbar gewesen wären, ist nicht nachvollziehbar, zumal die Betroffene behauptet, sie habe auch an den nachfolgenden Wochentagen in gleicher Weise Abrechnungen durchgeführt. Diese Termine im Raum B./W. hätten auch nicht teilweise entfallen müssen, sondern hätten nur in drei statt in vier Tagen erledigt werden können.

Ende der Entscheidung

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