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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 02.03.2004
Aktenzeichen: 2 St RR 171/03
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 46a Abs. 1 Nr. 1
Die bloße Feststellung der übereinstimmenden Bewertung durch Tatopfer und Täter, ein Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46 a Abs. 1 Nr. 1 StGB sei erfolgt, genügt für ein Absehen von Strafe nicht. Das Tatgericht muss vielmehr auch die wesentlichen Einzelheiten des Täter-Opfer-Ausgleichs feststellen, um erwägen zu können, ob diesem objektiv jenes Gewicht zukommt, welches § 46 a Abs. 1 Nr. 1 StGB für ein Absehen von Strafe voraussetzt.
Tatbestand:

1. Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen Körperverletzung im Amt zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 45 Euro verurteilt. Die vom Angeklagten eingelegte Berufung hatte das Landgericht mit der Maßgabe verworfen, dass von Strafe abgesehen wird. Gegen das Urteil des Landgerichts wandten sich, jeweils mit der Revision, der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft.

Der Angeklagte erhob mit der Behauptung von Verstößen gegen § 261 StPO Verfahrensrügen sowie die Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft rügte, es hätten die Voraussetzungen für ein Absehen von Strafe nicht vorgelegen, so dass Geldstrafe hätte verhängt werden müssen.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der zulässigen Revision des Angeklagten hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Gründe:

1. Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen betreffen den Vorwurf, das Landgericht habe verschiedene Ergebnisse der durchgeführten Beweiserhebung wie auch einen Teil der Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht in seine Erwägungen einbezogen.

Ein Verstoß gegen § 261 StPO kann grundsätzlich auch als Verfahrensfehler gerügt werden (vgl. Stuckenberg in: KMR § 261 Rn. 147). Die Rügen des Angeklagten genügen - soweit sie nicht auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht (siehe unten II. 1 b bb) abheben - (noch) den nach Maßgabe von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen. Die Verfahrensrügen sind mithin zulässig. Sie sind jedoch nicht begründet.

a) Die unter Hinweis auf § 261 StPO erhobenen Rügen betreffen vorwiegend die Darstellung von Beweisergebnissen und die Beweiswürdigung.

Die Beweiswürdigung ist eine ureigene Sache des Tatrichters (Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 261 Rn. 3). Die Überprüfung durch das Revisionsgericht hat sich deshalb darauf zu beschränken, ob die Beweiswürdigung als solche gegen die Gesetze der Logik oder gegen die Lebenserfahrung verstößt, ob der Tatrichter seine Befugnisse willkürlich ausgeübt hat, was etwa der Fall wäre, wenn sich seine Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind (vgl. BGH NStZ 1986, 373), oder ob als erheblich zu bewertende Lücken vorliegen.

b) Solche Fehler sind hier nicht gegeben.

Zwar hat der Tatrichter die Pflicht, die erhobenen Beweise umfassend zu würdigen und dem Urteil zugrunde zu legen (vgl. BGHSt 29, 109/110). Doch bedeutet das nicht, dass sämtliche erhobenen Beweise in allen Einzelheiten im Urteil dargestellt und ausdrücklich gewürdigt werden müssen (vgl. Stuckenberg in: KMR aaO Rn. 162 m.N.). Die Darstellungs- und Würdigungspflicht beschränkt sich vielmehr auf die wesentlichen beweiserheblichen Umstände (vgl. BGHSt 38, 14/16; BGH StV 1988, 138; 1991, 340; 1991, 549; Stuckenberg in: KMR aaO Rn. 159).

aa) Ein zuzuordnender Mangel kann weder bezüglich der vom Revisionsführer vermissten Auseinandersetzung mit Inhalt und Bedeutung des verlesenen Arbeitszeugnisses vom 21.10.2002 noch der fehlenden Darstellung und Würdigung der Aussage des Zeugen zur dienstlichen Bewertung des Angeklagten bejaht werden. Beides betrifft die Meinung der Dienstvorgesetzten, dass sich der Angeklagte jedenfalls vor dem verfahrensgegenständlichen Vorfall stets dienstlich korrekt verhalten habe. Von dieser Tatsache aber geht das Landgericht, wie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen ist, ohnehin aus.

Die vormals stets ordnungsgemäße dienstliche Führung des Angeklagten hat im Übrigen - entgegen seiner in der Revisionsbegründung geäußerten Meinung - keine indiziellen Auswirkungen für die Frage, ob die festgestellte Körperverletzung vorsätzlich oder fahrlässig geschehen ist.

bb) Die Aussage des als Zeuge vernommenen Nebenklägers hat das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe (Bl. 5 BU) dargestellt und berücksichtigt. Dem Urteil ist zwar nicht zu entnehmen, ob trotz der im Berufungsverfahren erfolgten Vernehmung des Nebenklägers als Zeuge Anlass bestanden hätte, den Inhalt der Aussage, die der Zeuge vor dem Amtsgericht gemacht hat, im Berufungsverfahren einzuführen. Da die Revision solches auch nicht ausdrücklich rügt und näher darlegt, ist ein etwaiger Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO jedenfalls nicht in einem den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Umfang (vgl. dazu: Meyer-Goßner aaO § 244 Rn. 81) vorgetragen.

Soweit die Revision behauptet, aus dem Protokoll zur Hauptverhandlung vom 17.2.2003 ergebe sich, dass der Nebenkläger vor dem Amtsgericht ausgesagt habe, "mehrere Beamte hätten ihn zu Boden gebracht", sowie "einer der dabei Beteiligten habe seinen Kopf auf den Boden gedrückt und ihm dabei ins Auge gefasst", findet beides im Übrigen in dem bezeichneten Protokoll (dort Bl. 5, 6 = Bl. 195 f. d.A.) keine Bestätigung.

cc) Entgegen der Behauptung des Revisionsführers hat das Landgericht sehr wohl die Erklärung des Angeklagten, sich möglicherweise aus Übermüdung bei einer nur "fuchtelnden Geste" in der Entfernung zum Gesicht des Nebenklägers verschätzt zu haben, dargestellt (Bl. 4 BU) und im Weiteren ausführlich gewürdigt.

Dass das Landgericht dieser Einlassung des Angeklagten nicht gefolgt ist, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

2. Auch die Sachrüge ist nicht begründet.

Das Landgericht hat die Möglichkeit bloßer fahrlässiger Tatbegehung, wie oben II 1 b cc schon angesprochen, erwogen, ist jedoch unter Darlegung der hierfür wesentlichen Umstände zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat. Das begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch.

3. Die Revision des Angeklagten ist daher als unbegründet zu verwerfen.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet; denn die Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils ist nicht ohne Rechtsfehler.

1. Zwar ist die Rechtsfolgenfindung, wie die Beweiswürdigung, eine ureigene Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf Basis des Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen.

Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Einzelakte der Rechtsfolgenfindung ist daher nur möglich, wenn die tragenden Erwägungen des Tatgerichts in sich fehlerhaft oder lückenhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen hat oder aber wenn die ausgesprochene Rechtsfolge sich nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGHSt 29, 319/320 m.w.N.; 34, 345/349).

Das gilt für das Absehen von Strafe nicht weniger wie für die Bestimmung einer Strafart und der Höhe der Strafe.

2. Solche Fehler liegen hier jedoch vor.

a) Das Absehen von Strafe erfordert, wie von der Staatsanwaltschaft zutreffend hervorgehoben, eine umfassende Gesamtwürdigung nicht nur der Umstände, die die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs im Sinne des § 46 a Nr.1 StGB tragen, sondern auch der sonstigen im Rahmen der Rechtsfolgenfindung zu beachtenden Faktoren.

Diesen Anforderungen wird das Urteil des Landgerichts schon im Hinblick auf die Feststellungen zum Täter-Opfer-Ausgleich nicht gerecht.

Das Landgericht hat sich mit der Feststellung begnügt, dass das Tatopfer gegenüber dem Gericht erklärt hat, seine Interessen seien "vollinhaltlich befriedigt und von ihm nach Form und Inhalt als umfassende Wiedergutmachung akzeptiert" worden (Bl. 9/10 BU).

Zwar ist der vom Gesetzgeber mit den Regelungen des § 155 a StPO und § 46 a StGB besonders befürwortete Täter-Opfer-Ausgleich als Kommunikationsprozess zwischen Täter und Opfer aufzufassen (vgl. Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 46 a Rn. 10 mit Nachweisen); denn Ziel des Ausgleichs ist die Lösung des der Tat zugrunde liegenden Gesamtkonflikts. Doch darf sich das Gericht - im Rahmen des § 46 a StGB - nicht damit begnügen, die Annahme erfolgter Lösung ausschließlich auf die Bewertung durch Tatopfer und Täter zu stützen. Das Gericht muss vielmehr, wie bereits der Wortlaut des § 46 a StGB erhellt, die konkret erfolgten (oder ernsthaft angebotenen) Leistungen des Täters im Einzelnen feststellen, um gewichtend beurteilen zu können, ob nicht nur nach der subjektiven Wertung von Tatopfer und Täter, sondern vor allem nach einem objektivierenden Maßstab die Leistung des Täters so erheblich ist, dass damit das Unrecht der Tat oder deren Folgen als "ausgeglichen" erachtet werden können (vgl. BGH NStZ 2000, 84; StV 2000, 129). Die hierbei vorzunehmende Abwägung muss, wie sonstige Akte einer Rechtsfolgenbemessung durch das Tatgericht, die sie tragenden Umstände jedenfalls so darlegen, dass das Revisionsgericht sie nachvollziehen und daraufhin überprüfen kann, ob die Erwägungen des Tatgerichts sachgerecht sind und ob das Ergebnis sich in dem dem Tatrichter zukommenden Ermessensspielraum hält.

Diese Überprüfung ist dem Revisionsgericht hier mangels ausreichender Feststellungen zu den Einzelheiten der zwischen Tatopfer und Täter zustande gekommenen Vereinbarung in dem angefochtenen Urteil versagt.

Auf die Feststellungen der Einzelheiten der getroffenen Regelungen kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn, wie hier, Tatopfer und Täter übereinstimmend erklären, ausdrücklich vereinbart zu haben, dass die Einzelheiten der getroffenen Regelungen keinen dritten Personen, also auch nicht dem Gericht, mitgeteilt werden dürfen. Kann das Tatgericht trotz Bemühungen, etwa durch den Hinweis an den Täter, dass ohne Bekanntgabe der konkreten Einzelheiten ein Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46 a StGB nicht bejaht werden könne, die erforderlichen Feststellungen nicht treffen, so ist die bloße Erklärung von Tatopfer und Täter, ein Ausgleich sei erfolgt, zwar im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung von Bedeutung (vgl. Tröndle/Fischer aaO § 46 a Rn. 9), sie vermag aber die Rechtsfolgen des § 46 a StGB nicht zu begründen.

Die vom Landgericht zur Frage des Täter-Opfer-Ausgleichs getroffenen Feststellungen tragen mithin nicht die Anwendung des § 46 a Nr. 1 StGB. Allein schon dieser Fehler führt zur Aufhebung der Rechtsfolgenentscheidung.

b) Im Übrigen liegt ein weiterer Fehler vor, der so gravierend ist, dass auch er, für sich allein, zur Aufhebung der angefochtenen Rechtsfolgenentscheidung führen würde.

Das Absehen der Strafe hat das Landgericht nicht nur im Hinblick auf den von ihm bejahten Täter-Opfer-Ausgleich vorgenommen, sondern (u.a.) "insbesondere auch deshalb, weil die Staatsanwaltschaft, für die Strafkammer nicht nachvollziehbar trotz der Besonderheiten des Falles einer Einstellung gemäß § 153 a StPO nicht zugestimmt hat" (Bl. 11 BU). An sich sollte es keiner Erwähnung bedürfen, dass die Frage, ob sich die Staatsanwaltschaft - nach Ansicht des Tatrichters - mit Anträgen oder mit der Versagung einer Zustimmung sinnvoll verhalten hat oder nicht, keinerlei Bedeutung für die Strafzumessung haben kann. Die "Begründung" des Landgerichts ist in höchstem Maße sachfremd und damit rechtsfehlerhaft.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils daher mit den ihn tragenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO). Aufzuheben ist auch die Kostenentscheidung.

Ende der Entscheidung

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