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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 01.02.2001
Aktenzeichen: 2Z BR 105/00
Rechtsgebiete: WEG, BGB


Vorschriften:

WEG § 15 Abs. 1
WEG § 15 Abs. 3
WEG § 48 Abs. 3 Satz 1
BGB § 1004
BGB § 242
Wirkt der Wohnungseigentümer an der Erlaubnis einer gewerblichen Nutzung mit, in dem er Toiletten für ein Cafe zur Verfügung stellt, kann er später nicht den Betrieb des Cafes verhindern.
BayObLG Beschluss

LG Traunstein 4 T 4368/99; AG Mühldorf a. Inn 1 UR II 10/97

2Z BR 105/00

01.02.01

Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Reichold sowie der Richter Werdich und Lorbacher am 1. Februar 2001

in der Wohnungseigentumssache

wegen Unterlassung des Betriebs eines Cafes,

beschlossen:

Tenor:

I. Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 16. August 2000 bewilligt.

II. Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 16. August 2000 wird zurückgewiesen.

III. Der Antragsteller hat die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

IV. Der Geschäftswert für das Verfahren in allen Rechtszügen wird auf jeweils 30000 DM festgesetzt. Die Beschlüsse des Amtsgerichte Mühldorf a. Inn vom 22. September 1999 und des Landgerichts Traunstein vom 16. August 2000 (Ziff. 3) werden entsprechend abgeändert.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, die Antragsgegnerin und die weiteren Beteiligten sind Wohnungs- und Teileigentümer einer Anlage, die aus mehreren Wohnungen und Gewerbeeinheiten besteht.

Die Teilungserklärung vom 30.10.1984 beschreibt das Sondereigentum des Antragstellers als "im Kellergeschoss gelegenes Restaurant samt Weinstube und Kellerräumen", das Sondereigentum der Antragsgegnerin als "im I. Obergeschoss gelegenes Café - Konditorei, samt Backstuben, Laden im Erdgeschoss, Personalräume im II. Obergeschoss und Dachgeschoss sowie Kellerräume".

Der Antragsteller hatte sein Teileigentum bis zum Eintritt eines Wasserschadens im Jahr 1995 zum Betrieb eines China-Restaurants verpachtet. Seit Sommer 1996 wird ein Teilbereich als Bistro genutzt.

Die Antragsgegnerin betrieb bis jedenfalls Anfang 1996 im Erdgeschoss ihrer Einheit ein Ladengeschäft (Bäckerei und Konditorei) und im 1. Obergeschoss ein Café. Anschließend nutzte sie das 1. Obergeschoss zum Betrieb eines chinesischen Restaurants. Dies wurde ihr auf Betreiben des Antragstellers durch Beschluss des Landgerichts vom 9.4.1999 untersagt. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin wies der Senat unter dem 2.7.1999 (2Z BR 56/99 - NZM 1999, 866) zurück.

Seit Frühjahr 1996 wird das von der Antragsgegnerin nun an ihren Ehemann verpachtete Erdgeschoss als Café mit Konditoreiwarenverkauf genutzt. Im Zuge des der Eröffnung vorausgegangenen Umbaus erlaubte der Antragsteller dem Pächter, die seinem Sondereigentum zugehörige Toilettenanlage im Keller bis 1.4.1999 zu nutzen. Außerdem beglückwünschte er den Pächter zur Eröffnung des "Cafes im Erdgeschoss". Mit Anwaltsschreiben vom 7.4.1997 forderte der Antragsteller die Antragsgegnerin auf, die Nutzung des Erdgeschosses als Café ab sofort einzustellen. Unter dem 15.9.1997 widerrief der Antragsteller die Gestattung der Toilettennutzung und erklärte vorsorglich die fristlose Kündigung.

Den Antrag, es der Antragsgegnerin zu untersagen, in ihrem Sondereigentum im Erdgeschoss ein Café mit bewirtschafteter Terrasse zu betreiben und für den Fall der Zuwiderhandlung Ordnungsmittel anzudrohen, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 8.11.1999 abgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 16.8.2000 zurückgewiesen. Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers vom 5.9.2000 gegen den ihm am 23.8.2000 zugestellten Beschluss ist am 7.9.2000 beim Landgericht eingegangen. Nach Hinweis auf die Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist hat der Antragsteller am 8.12.2000 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung wird ausgeführt, sein Verfahrensbevollmächtigter habe sich auf die Auskunft des örtlichen Postamts M. verlassen, dass bei persönlicher Abgabe von Postsendungen bis 17.30 Uhr die Zustellung in T. am nächsten Tag stattfinde. Es habe in der Kanzlei noch keinen Fall der Fristversäumung gegeben, weil der Postlauf von M. nach T. mehr als einen Tag gedauert hätte. Auch das gegenständliche Rechtsmittel sei ordnungsgemäß adressiert und frankiert am Abend des 5.9.2000 vor 17.30 Uhr im Postamt M. der dort zuständigen Bediensteten zur Weiterbeförderung übergeben worden.

II.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig.

Dem Antragsteller ist auf seinen in der Frist des § 22 Abs. 2 Satz 1 FGG gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, weil die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde (§ 43 Abs. 1, § 45 Abs. 1 WEG, § 29 Abs. 4, § 22 Abs. 1 FGG) weder von ihm noch von seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet wurde (§ 22 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGG). Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat durch eidesstattliche Versicherungen seiner Kanzleiangestellten glaubhaft gemacht (§ 15 Abs. 2 FGG), dass die an das Landgericht T. adressierte Rechtsmittelschrift vom 5.9.2000 am selben Tag zur Post gegeben wurde. Nach den ihm und seinen Angestellten wiederholt erteilten Auskünften und seinen bisherigen Erfahrungen konnte er davon ausgehen, dass das Rechtsmittel bei normaler Postlaufzeit am Folgetag, dem 6.9.2000, und somit noch innerhalb der an diesem Tag endenden Beschwerdefrist (g 17 Abs. 1 FGG, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Satz 1 BGB) beim Landgericht (siehe § 29 Abs. 1 Satz 1 FGG) eingehen würde (BVerfG NJW 1995, 2546 f.; BGH NJW-RR 1990, 508; NJW 1998, 1870; BayObLG NJW 1978, 1488; Beschluss vom 14.12.2000 - 2Z BR 60/00).

2. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

a) Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Antragsgegnerin nutze die Räume im Erdgeschoss entgegen der Teilungserklärung als Café. Die Teilungserklärung erlaube dort einen Laden. Der Betrieb des Cafés störe mehr als der eines Ladens. Das Café sei auch an Sonn- und Feiertagen geöffnet; es bedürfe einer voll eingerichteten Küche, zumal auch Toasts und Pfannengerichte angeboten würden. Die Geruchsbelästigung gehe über die einer Backstube hinaus. Der Kundenverkehr sei anders strukturiert und die Lärmbelästigung größer; im Sommer komme noch Terrassenbetrieb hinzu.

Die Nutzungsbeschreibung der Räume in der Teilungserklärung sei nicht als Einheit anzusehen. Es entspreche nicht Wortlaut und Sinn der im Grundbuch eingetragenen Teilungserklärung, dass dem jeweiligen Eigentümer die Entscheidung überlassen bleibe, ob er das Café im 1. Obergeschoss oder im Erdgeschoss betreibe. Vielmehr seien für die einzelnen Räumlichkeiten bewusst die verschiedenen Nutzungen festgelegt worden.

Dass der Antragsteller sein Eigentum selbst gewerblich nutze, hindere ihn nicht, dies anderen Miteigentümern untersagen zu lassen. Bei typisierender Betrachtungsweise störe die geänderte Nutzung mehr als die festgelegte. Schließlich sei bei der Teilung eine Abgrenzung der gewerblichen Nutzungen beabsichtigt gewesen. Das unmittelbar zugängliche Café im Erdgeschoss biete durch sein Speisenangebot eine Alternative zu einem Restaurantbetrieb im Untergeschoss oder einem Café im 1. Obergeschoss, welche erst auf weiteren Wegen für das Publikum erreichbar wären.

Der Antragsgegner könne einen Unterlassungsanspruch jedoch wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben und gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens nicht durchsetzen, weil er der geänderten Nutzung zugestimmt habe. Widersprüchliches Verhalten sei missbräuchlich, wenn ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei. So habe der Antragsteller bereits vor der Eröffnung des Cafés von dem geplanten Umbau gewusst und diesen gebilligt. Das folge aus Schriftwechsel und Absprachen über die Toilettenbenutzung im Sondereigentumsbereich des Antragstellers. Die Antragsgegnerin habe die Räume im Erdgeschoss im vertrauen auf das Einverständnis des Antragstellers umfangreich umgebaut und verpachtet sowie erhebliche finanzielle Aufwendungen im Vertrauen hierauf getätigt.

b) Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

aa) Das Landgericht hat die als Inhalt des Sondereigentums der Antragsgegnerin ins Grundbuch eingetragene Teilungserklärung dahin verstanden, dass den einzelnen Geschossen verbindlich bestimmte Nutzungen zugewiesen wurden, die der Inhaber des Sondereigentums nicht nach eigenem Gutdünken auswechseln darf. Ob dieser Auslegung zu folgen ist, kann offen bleiben. Zur Auslegung der Teilungserklärung wäre der Aufteilungsplan heranzuziehen gewesen. Aus diesem könnte ersichtlich sein, ob die Backstuben im Erdgeschoss und/oder im 1. Obergeschoss eingezeichnet sind. Daraus könnten sich Hinweise darauf ergeben, ob der Laden und das Café als zwei getrennte Nutzungsbereiche oder als Einheit anzusehen sind. Dieser Aufklärungsmangel nötigt aber nicht zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts.

bb) Der Senat folgt nämlich im Ergebnis dem Landgericht, dass der Antragsteller an der Durchsetzung eines unterstellten, aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 15 Abs. 3 WEG herzuleitenden Unterlassungsanspruchs infolge widersprüchlichen Verhaltens nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist.

Die Grundsätze von Treu und Glauben beherrschen das gesamte Rechtssystem. Widersprüchliches Verhalten ist deshalb rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BGHZ 32, 273/279; 94, 344/354; BGH NJW 1985, 2590; 1997, 3377/3379 f.; Bärmann/Pick WEG 8. Aufl. § 13 Rn. 38/39). Es genügt, dass sich das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick darauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Bewertungserheblich ist einerseits die sachliche Unvereinbarkeit des früheren mit dem späteren Verhalten, andererseits der beim Gegner geschaffene Vertrauenstatbestand (MünchKomm/Roth BGB 3. Aufl. § 242 Rn. 322).

Das Landgericht hat diese Voraussetzungen zutreffend als erfüllt angesehen. Als maßgeblich hat es das Verhalten des Antragstellers im zeitlichen Vorfeld der Betriebseröffnung herausgestellt. So bezog sich der Schriftwechsel vom 18./20.3.1996 ersichtlich auf einen Cafehausbetrieb im Erdgeschoss. Dem Antragsteller war dies bewusst; das ergibt sich nicht nur aus dem erwähnten Schriftwechsel sowie aus dem Glückwunschschreiben, vom 26.4.1996, sondern auch aus dem Umstand, dass der Ehemann der Antragsgegnerin wegen einer Toilettenbenutzung mit ihm verhandelte. wäre es um einen Betrieb im 1. Obergeschoss gegangen, hätte es dieser Verhandlungen nicht bedurft. Denn auch für den Antragsteller ersichtlich verfügte die Antragsgegnerin im für gastronomische Zwecke bestimmten 1. Obergeschoss über entsprechende Anlagen. Hätte der Antragsteller nicht für einen dreijährigen Zeitraum der gewerblichen Nutzung seiner Toilettenanlage durch den Pächter der Antragsgegnerin zugestimmt, hätte dies, wie die Auskunft der Stadt vom 30.6.1997 belegt, der öffentlichrechtlichen Nutzungsänderung des Erdgeschosses entgegengestanden. Die zivilrechtliche Möglichkeit, die Toilettenanlage benutzen zu können, schuf die Grundlage, das Bauvorhaben in der genehmigten Form auszuführen. Der Antragsteller gewährte sie, indem er sich vertraglich mit dem Pächter band. Bringt der Antragsteller auf diese Weise aber sein Einverständnis mit dem Cafebetrieb im Erdgeschoss zum Ausdruck, kann er nicht wenige Monate später diese Betriebsform zum Anlass nehmen, sie unter Berufung auf seine Rechte als Wohnungseigentümer (§ 15 Abs. 3 WEG) verbieten lassen zu wollen.

Nicht erheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Antragsgegnerin bereits am 19.2.1996 vor der erwähnten Vereinbarung einen Pachtvertrag mit ihrem Ehemann über die Nutzung des Erdgeschosses mit Wirkung vom 1.4.1996 abgeschlossen hatte. Der Antragsteller wäre dadurch nicht gehindert gewesen, dem Pächter die Benutzung der seinem Sondereigentum zuzurechnenden Toilettenräume zu versagen. Es spielt an dieser Stelle auch keine Rolle, ob und unter welchen Gesichtspunkten der Antragsteller nach Ablauf des in der Vereinbarung genannten Zeitraums bis 1.4.1999 noch verpflichtet ist, seine Toilettenräume dem Cafebetrieb zu überlassen. Ob auch andere Umstände für die Antragsgegnerin eine Vertrauensgrundlage geschaffen haben, kann offen bleiben.

3. Die vom Landgericht ausgesprochene Kostenfolge ist als Ermessensentscheidung (vgl. § 47 WEG) nicht zu beanstanden.

Der Senat hält es für angemessen, dem Antragsteller, der in sämtlichen Instanzen unterlegen ist, neben den Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens auch die den Beteiligten erwachsenen außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen (§ 47 WEG).

4. Den Geschäftswert haben die Vorinstanzen ersichtlich an der von der Antragsgegnerin zu erzielenden Jahrespacht (12 x 8600 DM) ausgerichtet. Das entspricht nicht der Regelung des § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG. Danach ist maßgeblich das Interesse aller Beteiligter an der Entscheidung. Es kommt also auch nicht nur, wie im Zivilprozess, auf das Interesse des Antragstellers an der Unterlassung des Cafebetriebs im Erdgeschoss an (so aber KG WE 1993, 223; Bärmann/Merle WEG § 48 Rn. 40; Müller Rn. 675 bei Pn. 609). Zu berücksichtigen ist durchaus auch das Abwehrinteresse der Antragsgegnerin (BayObLG WuM 1994, 157/159 f.; Staudinger/Wenzel BGB 12. Bearb. § 48 WEG Rn. 24), welches wertmäßig betrachtet freilich nur in dem Vorteil bemessen werden kann, die Räume im Erdgeschoss nicht als Laden, sondern als Café vermieten oder verpachten zu können. Der Senat setzt unter Berücksichtigung dieser Umstände den Geschäftswert für sämtliche drei Instanzen auf 30000 DM fest.

Ende der Entscheidung

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