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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 03.07.2003
Aktenzeichen: 2Z BR 107/03
Rechtsgebiete: BGB, WEG, BayUnschG


Vorschriften:

BGB § 876
BGB § 877
WEG § 10 Abs. 1 Satz 2
BayUnschG Art. 1
Soll eine Änderung der als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragenen Gemeinschaftsordnung eingetragen werden (hier: die Änderung der Kostenverteilung), kann in entsprechender Anwendung des Unschädlichkeitsgesetzes festgestellt werden, dass dies für die dinglich Berechtigten an den rechtlich nachteilig betroffenen Wohnungseigentumsrechten unschädlich ist.
Gründe:

I.

Die Beteiligten sind die Wohnungseigentümer einer aus mehreren Häusern bestehenden Wohnanlage. In den Wohnungsgrundbüchern ist jeweils als Inhalt des Sondereigentums eine Gemeinschaftsordnung eingetragen. In § 12 dieser Gemeinschaftsordnung ist eine ins Einzelne gehende Regelung über die Kostenverteilung enthalten. Am 22.4.1999 änderten die Beteiligten diese dahin ab, dass die Kosten der Aufzugsanlage einschließlich ihrer Wartung ausschließlich die Eigentümer der Wohnungen zu tragen haben, in deren Haus sich ein Aufzug befindet. Die Beteiligten haben beantragt, die Unschädlichkeit der Änderung der Gemeinschaftsordnung für die dinglich Berechtigten an den Wohnungseigentumsrechten nach dem Unschädlichkeitsgesetz festzustellen. Das Amtsgericht hat dies am 4.12.2002 abgelehnt. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 28.4.2003 die Beschwerde der Beteiligten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich deren weitere Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

1. Das Landgericht hat ausgeführt: Da es sich nicht um die Veräußerung der Teilfläche eines Grundstücks handle, komme nur eine entsprechende Anwendung des Unschädlichkeitsgesetzes in Betracht. Dabei sei zu beachten, dass das Unschädlichkeitsgesetz eine Ausnahmeregelung enthalte, die schon aus verfassungsrechtlichen Erwägungen eng auszulegen sei. Die Verschiebung der Unterhaltungspflichten für die Aufzugsanlage auf einzelne Wohnungseigentümer stelle keine der Veräußerung einer Grundstücksteilfläche vergleichbare Maßnahme dar. Ein veräußerungsähnlicher Vorgang sei zwar im Fall der Begründung eines Sondernutzungsrechts angenommen worden. Dies lasse sich aber auf die Änderung der Kostenregelung nicht übertragen. Auch liege darin keine Schmälerung des Haftungsgegenstands.

2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Das auf Art. 120 mit Art. 1 Abs. 2 EGBGB beruhende Gesetz, das Unschädlichkeitszeugnis betreffend - UnschG - vom 15.6.1898 (BayRS 403-2-J) bestimmt, dass eine mit Rechten Dritter belastete Teilfläche eines Grundstücks im Falle ihrer Veräußerung ohne Einwilligung der Berechtigten von den Belastungen frei wird, wenn das Amtsgericht feststellt, dass die Veräußerung für die Berechtigten unschädlich ist. Der Wortlaut der Bestimmung schließt eine unmittelbare Anwendung auf die Änderung einer Gemeinschaftsordnung von Wohnungseigentümern aus. In Betracht kommt jedoch eine entsprechende Anwendung.

b) Die Wohnungseigentümer können Vereinbarungen treffen, durch das sie ihr Verhältnis untereinander in Ergänzung oder Abweichung von den Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes regeln (§ 10 Abs. 1 Satz 2 WEG). Solche Vereinbarungen können als Inhalt des Sondereigentums in das Grundbuch eingetragen werden (§ 5 Abs. 4 WEG). Nur in diesem Fall wirken die Vereinbarungen auch gegen den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers (§ 10 Abs. 2 WEG).

Um eine solche Vereinbarung handelt es sich bei der im Grundbuch eingetragenen Gemeinschaftsordnung. Diese enthält eine Vielzahl von Einzelregelungen. In § 12 der Gemeinschaftsordnung ist im vorliegenden Fall die Verpflichtung der einzelnen Wohnungseigentümer gegenüber den anderen Wohnungseigentümern, die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums sowie die Kosten der Instandhaltung, Instandsetzung, sonstigen Verwaltung und eines gemeinschaftlichen Gebrauchs des gemeinschaftlichen Eigentums zu tragen, abweichend von der gesetzlichen Bestimmung des § 16 Abs. 2 WEG geregelt. Durch die Änderung dieser Regelung dahin, dass bestimmte Kosten, nämlich die der Aufzugsanlage, nicht von allen, sondern nur von einem Teil der Wohnungseigentümer zu tragen sind, wird der Inhalt des Sondereigentums dieser Wohnungseigentümer nachteilig verändert. Diese Wohnungseigentümer sind bei der Eintragung der Änderung im Grundbuch betroffen. Ist ihr Recht mit dem Recht eines Dritten belastet, so wird auch dessen Position rechtlich nachteilig betroffen. Gemäß §§ 877, 876 BGB ist materiell-rechtlich auch dessen Zustimmung zu einer Änderung erforderlich; diese kann daher nicht ohne dessen Bewilligung gemäß § 19 GBO in das Grundbuch eingetragen werden (BayObLGZ,1-984, 257/261; vgl. BGHZ 91, 343/346).

c) Das Unschädlichkeitsgesetz ist über seinen Wortlaut hinaus im Bereich des Wohnungseigentums auf Fälle angewendet worden, die der Veräußerung einer belasteten Grundstücksteilfläche vergleichbar sind, z.B. auf die Veräußerung eines Teils des Miteigentumsanteils oder eines Teils des gemeinschaftlichen Grundstücks, aber auch auf die Umwandlung von Gemeinschaftseigentum in Sondereigentum. Dies ist im Schrifttum auf Zustimmung gestoßen (vgl. die Nachweise in BayObLGZ 1988, 1/3 f.).

In seiner Entscheidung vom 14.1.1988 (BayObLGZ 1988, 1) ist der Senat einen Schritt weiter gegangen und hat die Anwendbarkeit des Unschädlichkeitsgesetzes auch im Fall der Begründung eines Sondernutzungsrechts bejaht. Auch bei der Begründung eines Sondernutzungsrechts handelt es sich um eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer über ihr Verhältnis untereinander. Sie hat den Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums zum Gegenstand. Durch die Vereinbarung eines Sondernutzungsrechts gemäß § 15 Abs. 1 i.V.m. § 13 Abs. 2 Satz 1 WEG wird das grundsätzliche Recht jedes Wohnungseigentümers zum Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums hinsichtlich eines Teils des gemeinschaftlichen Eigentums einzelnen Wohnungseigentümern dadurch entzogen, dass einem oder mehreren anderen Wohnungseigentümern das alleinige Nutzungsrecht eingeräumt wird. Rechtlich unterscheidet sich eine solche Vereinbarung nicht von der Vereinbarung, die die Kostenverteilung zum Gegenstand hat. In aller Regel werden aber die rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Einräumung oder Abänderung eines Sondernutzungsrechts weiter gehen als bei einer die Kostenverteilung betreffenden Vereinbarung. Im Jahr 1974 hatte der Senat die Anwendung des Unschädlichkeitsgesetzes auf den Fall der Begründung eines Sondernutzungsrechts noch mit dem Hinweis darauf in Frage gestellt, dass es Sache des Gesetzgebers sei, den damit verbundenen Härten abzuhelfen (BayObLGZ 1974, 217/223). Diese Auffassung hat sich das OLG Köln im Jahr 1993 zu Eigen gemacht (ZMR 1993, 428).

d) Der Senat hält trotz der Bedenken des Oberlandesgerichts Köln daran fest, dass eine entsprechende Anwendung des Unschädlichkeitsgesetzes auch auf die Begründung von Sondernutzungsrechten geboten ist und darüber hinaus auch auf Vereinbarungen der Wohnungseigentümer mit einem anderen Inhalt, als einer Regelung des Gebrauchs des gemeinschaftlichen Eigentums.

aa) Dem Unschädlichkeitsgesetz liegt die Erwägung zu Grunde, dass bei einer nur geringfügigen Wertminderung des Haftungsobjekts die sich aus §§ 875 ff. BGB i.V.m. §§ 19, 29 GBO ergebende Notwendigkeit, die Pfandfreigabeerklärung der dinglich Berechtigten beizugeben, Härten zur Folge hätte, an denen vielfach die Maßnahme scheitern würde, welche eine Schmälerung des Haftungsgegenstands auslöst. Zweck des Gesetzes ist es, solche Härten zu vermeiden (vgl. BayObLGZ 1962, 396/398 f. m. w. N.). Entscheidend ist, ob die Notwendigkeit, die Bewilligung der dinglich Berechtigten beizubringen, für die Wohnungseigentümer bei Eintragung einer im Grundbuch als Inhalt des Sondereigentums einzutragenden Vereinbarung in vergleichbarer Weise besteht und vergleichbare Härten mit sich bringen kann, wie für einen Grundstückseigentümer bei Veräußerung und lastenfreier Abschreibung einer Grundstücksteilfläche. Dies ist bei Änderungen der im Grundbuch eingetragenen Gemeinschaftsordnung regelmäßig der Fall. Für die Anwendung des Unschädlichkeitsgesetzes auf diesen Fall besteht ein dringendes Bedürfnis. Durch die nachträgliche Änderung des Kostenverteilungsschlüssels werden in der Regel eine größere Zahl von Wohnungseigentümern und alle dinglich Berechtigten an deren Wohnungseigentumsrechten betroffen. Wegen der regelmäßig großen Zahl der Betroffenen im Sinn von § 19 GBO, § 877 BGB würde ohne eine entsprechende Anwendung des Unschädlichkeitsgesetzes eine nachträgliche Änderung der als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragenen Gemeinschaftsordnung praktisch ausgeschlossen. Sie würde häufig schon an den Kosten scheitern, die durch die Mitwirkung aller dinglich Berechtigten in grundbuchmäßiger Form entstehen. Andererseits wird der einzelne dinglich Berechtigte regelmäßig nur in geringem Umfang betroffen, weil sein Haftungsobjekt im Wert nur geringfügig beeinträchtigt wird (BayObLGZ 1988, 1/5 f.).

bb) Für die Richtigkeit dieser Argumentation spricht auch, dass bei den derzeit angestellten Überlegungen zu einer Änderung des Wohnungseigentumsgesetzes der Vorschlag für folgende gesetzliche Regelung unterbreitet wird (siehe dazu das Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 13.1.2003, IB5-3448/9-64 474/2002 unter Abschnitt III Nr. 1 Buchst. a; ferner Böttcher/Hintzen ZfIR 2003, 445/449):

"Die Zustimmung des Inhabers eines Rechts in Abteilung II und III des Grundbuchs zur Änderung einer Vereinbarung ist entbehrlich, es sei denn, dass sein Recht mehr als nur geringfügig betroffen wird...."

e) Die Anwendung des Unschädlichkeitsgesetzes und damit die Erteilung eines Unschädlichkeitszeugnisses ist im vorliegenden Fall nicht von vorneherein ausgeschlossen. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden daher aufgehoben. Zur Vornahme der erforderlichen Ermittlungen des Amtsgerichts zu den Voraussetzungen eines Unschädlichkeitszeugnisses (vgl. Art. 5 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 UnschG) wird die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Ende der Entscheidung

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