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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 16.06.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 108/04
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 23 Abs. 1
WEG § 23 Abs. 4
1. Ein trotz absoluter Beschlussunzuständigkeit gefasster Beschluss ist nichtig.

2. Erschöpft sich ein Eigentümerbeschluss in der Regelung eines individualisierten Einzelfalles, also in einer konkreten Maßnahme aus einem bestimmten Anlass, und will er darüber hinaus das Gesetz weder vorläufig noch endgültig ändern, so ist ein gesetzesverletzender Mehrheitsbeschluss anfechtbar, aber nicht nichtig.


Gründe:

I. Der Antragsteller ist der Verwalter einer Wohnanlage, die aus mehreren Gebäuden mit rund 300 Appartement-Wohnungen, Restaurant, Schwimmbad, medizinischen Bädern und weiteren gewerblich nutzbaren Räumen besteht. Der Antragsgegnerin gehört eine Wohnung in dieser Anlage. Die Gemeinschaftsordnung bestimmt, dass die Gesamtwohnanlage als Kurzentrum und Apparthotel für Kur oder klinische Behandlung oder für Behandlung nach anerkannten Naturheilverfahren betrieben wird.

Die Eigentümerin der gewerblichen Teileigentumseinheiten, eine Hotelbetriebsgesellschaft, der rund 20 % der Miteigentumsanteile gehörten, meldete im Jahr 1986 Konkurs an. Es entstand vor Beginn des Konkursverfahrens und während seiner Dauer ein Wohngeldausfall von insgesamt rund 1,3 Mio. DM. Für das gewerbliche Teileigentum wurde die Zwangsversteigerung angeordnet. Daraufhin gründeten einige Wohnungseigentümer einen Treuhandverein mit dem Ziel der Übernahme des Gewerbeteils.

Mit bestandskräftigem Eigentümerbeschluss vom 11.5.1991 beschlossen die Wohnungseigentümer, dass der Versuch einer Sanierung des Gewerbeteils mittels des Treuhandvereins gebilligt werde, dass die Wohnungseigentümer zugunsten des Vereins die für den Erwerb des Gewerbeteils anfallenden Kosten, Gebühren und Steuern übernehmen, dass dafür eine Sonderumlage im Gesamtbetrag von 100.000 DM erhoben werde, und weitere Regelungen, die im Wesentlichen die Übernahme aller dem Treuhandverein durch den Erwerb und die Bewirtschaftung des Gewerbeteils entstehenden Kosten betreffen.

In der Folgezeit wurde der Verein im Vereinsregister eingetragen. In der Eigentümerversammlung vom 30.1.1993 fassten die Wohnungseigentümer den nicht angefochtenen Beschluss, dass dem Erwerb des gesamten Gewerbeteils durch den Treuhandverein auf Kredit- oder Darlehensbasis bis zu einer Höhe von 2,2 Mio. DM zugestimmt werde. Außerdem beschlossen sie, dass der Übernahme der Folgekosten des Erwerbs, soweit ein Ausfall beim Treuhandverein eintrete, durch die Eigentümergemeinschaft gegen Überlassung der Einkünfte zugestimmt werde.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat mit Beschluss vom 23.4.1998 (= ZMR 1998, 509 ff.) eine Nichtigkeit der Eigentümerbeschlüsse vom 10.5.1991 und 30.1.1993 verneint.

In der Folgezeit geriet der Treuhandverein in finanzielle Schwierigkeiten. In der Eigentümerversammlung vom 27.5.2000 beschlossen die Wohnungseigentümer, einen eventuell mit dem Treuhandverein bestehenden Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen und keine Zahlungen mehr für den Verein zu leisten. Am 1.9.2000 fand dann eine außerordentliche Eigentümerversammlung statt, in der zunächst beantragt war, den Eigentümerbeschluss vom 27.5.2000 aufzuheben. Angenommen wurde aber dann der Antrag, über diesen Tagesordnungspunkt nicht abzustimmen und eine erneute Abstimmung darüber vorzunehmen, wenn detaillierte Verträge vorliegen. Die genannten Eigentümerbeschlüsse wurden bestandskräftig.

Außerdem wurde in der Eigentümerversammlung vom 1.9.2000 unter Tagesordnungspunkt (TOP) 4 beschlossen, dem Treuhandverein "in Vollzug der Beschlüsse 1991 und 1993 (Erwerb des Gewerbeteils auf Kreditbasis)" ein zinsloses Darlehen über 700.000 DM zum Zweck der Tilgung eines vom Verein bei einer bestimmten Bank aufgenommenen Darlehens zu geben. Ferner wurde beschlossen, zur Finanzierung des Darlehens eine Sonderumlage über 700.000 DM zu erheben, die von den Wohnungseigentümern im Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile - ohne Beteiligung der Eigentümer des Gewerbeanteils - zu tragen ist. Schließlich wurde eine Regelung über die dingliche Absicherung des Darlehens getroffen.

In Ausführung dieses bestandskräftigen Beschlusses wurde in der Folgezeit von den Wohnungseigentümern der entsprechende Anteil der Sonderumlage angefordert. Die Antragsgegnerin hat den sie treffenden Anteil in Höhe von 1.638,60 EURO nebst Zinsen nicht bezahlt.

Der Antragsteller hat in Verfahrensstandschaft für die Wohnungseigentümer beantragt, die Antragsgegnerin zur Zahlung zu verpflichten. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 29.12.2003 die Antragsgegnerin zur Zahlung von 1.034,85 EURO nebst Zinsen verpflichtet. Das Landgericht hat am 31.3.2004 die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen und auf die Anschlussbeschwerde des Antragstellers dessen ursprünglichem Antrag stattgegeben. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin.

II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Antragsgegnerin sei aufgrund des wirksamen Eigentümerbeschlusses vom 1.9.2000 (TOP 4) zur Zahlung verpflichtet. Eine Nichtigkeit dieses Beschlusses liege nicht vor.

Das Bayerische Oberste Landesgericht habe in seinem Beschluss vom 23.4.1998 entschieden, dass eine Nichtigkeit der Eigentümerbeschlüsse vom 11.5.1991 und 30.1.1993 nicht vorliege. Die Interessenlage habe sich seit diesen Eigentümerbeschlüssen nicht geändert. Durch den Eigentümerbeschluss vom 1.9.2000 habe sich die Eigentümergemeinschaft für eine Maßnahme entschieden, die es erlaube, die Zweckbestimmung der Wohnanlage aufrechtzuerhalten. Damit stehe fest, dass der Eigentümerbeschluss ausdrücklich im Interesse der Gemeinschaft und nicht im Interesse eines Sondereigentümers gefasst worden sei.

Auch wenn der Wohnungseigentümerversammlung die Beschlusskompetenz gefehlt haben sollte, führe dies nicht zur Nichtigkeit des Eigentümerbeschlusses. Die Gültigkeit des Beschlusses ergebe sich daraus, dass rechtlich schützenswerte Positionen entstanden seien, deren Beseitigung zu unzumutbaren Härten führen würde.

Es liege kein widersprüchliches Verhalten der Wohnungseigentümer vor. Die Wohnungseigentümer hätten in der Eigentümerversammlung vom 1.9.2000 die Frage, ob der Eigentümerbeschluss vom 27.5.2000 über die Kündigung des Vertrages mit dem Treuhandverein zurückgenommen werde, ausdrücklich zurückgestellt. In Kenntnis dessen hätten sie dann den Beschluss über die Sonderumlage getroffen. Eine Bindung an den Beschluss vom 27.5.2000 habe bei dieser Sachlage nicht bestanden.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Ein trotz absoluter Unzuständigkeit gefasster Eigentümerbeschluss ist nichtig (BGH NJW 2000, 3500). Eine absolute Beschlussunzuständigkeit läge aber nur vor, wenn der fragliche Beschluss als Abänderung des Gesetzes oder der Gemeinschaftsordnung zu verstehen wäre (BayObLG NJW-RR 2001, 1020). Dies ist hier nicht der Fall.

Der Eigentümerbeschluss vom 1.9.2000 erschöpft sich in der Regelung eines individualisierten Einzelfalles, also in einer konkreten Maßnahme aus einem bestimmten Anlass, und will darüber hinaus nicht das Gesetz (§ 16 Abs. 2, Abs. 3 WEG) vorläufig oder endgültig ändern. Eine etwaige fehlerhafte Anwendung des Gesetzes macht einen Eigentümerbeschluss zwar anfechtbar, aber nicht nichtig (BayObLG aaO.; Wenzel ZWE 2000, 2/7).

b) Abgesehen davon ist durch die Einschaltung des Treuhandvereins zur Sanierung des Gewerbeteils der Wohnanlage ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der durch die Feststellung, der Eigentümerbeschluss vom 1.9.2000 zu TOP 4 sei nichtig, erheblich beeinträchtigt und in der Folge mit unzumutbaren Härten verbunden wäre (vgl. BGH NJW 2000, 3500/3503).

Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 23.4.1998 ausgeführt, dass eine Nichtigkeit der Eigentümerbeschlüsse vom 10.5.1991 und 30.1.1993 nicht gegeben und eine Zusammenschau dieser Beschlüsse vorzunehmen sei. Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen. In Fortführung dieser Rechtsprechung ist auch der Eigentümerbeschluss vom 1.9.2000 nicht für sich zu beurteilen, sondern aufgrund einer inhaltlichen Gesamtwürdigung mit den Beschlüssen vom 10.5.1991 und 30.1.1993 zu werten. Durch die Eigentümerbeschlüsse vom 10.5.1991 und 30.1.1993, deren Wirksamkeit rechtskräftig aufgrund der Senatsentscheidung vom 23.4.1998 feststeht, sind in Bezug auf den Weiterbetrieb der Gesamtanlage schützenswerte Positionen entstanden, deren Beseitigung zu unzumutbaren Härten führen würde. Somit kann unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben schon deshalb nicht von einer Nichtigkeit des Eigentümerbeschlusses zu TOP 4 vom 1.9.2000 ausgegangen werden; die Übernahme des Gewerbeteils durch den Treuhandverein und die Finanzierung dieser Sanierungsmaßnahme als solche können als durchgeführte Maßnahme nicht mehr in Frage gestellt werden. Ob die Rechtmäßigkeit der damit in Zusammenhang stehenden Kompetenzausübung durch die Wohnungseigentümer bei Einzelbeschlüssen zu bejahen ist, ist im Rahmen der Anfechtung solcher Beschlüsse zu prüfen. Ob der vorliegende Eigentümerbeschluss wirksam hätte angefochten werden können, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls liegt eine Nichtigkeit nicht vor.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG, die Geschäftswertfestsetzung auf § 48 Abs. 3 WEG.



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