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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 14.12.2000
Aktenzeichen: 2Z BR 114/00
Rechtsgebiete: WEG, FGG, BGB


Vorschriften:

WEG § 22 Abs. 1
WEG § 23 Abs. 4
FGG § 22 Abs. 2
BGB § 242
Zu einer Balkonverglasung müssen alle Wohnungseigentümer zustimmen.
BayObLG Beschluß

LG Augsburg 7 T 4831/99, AG Augsburg 3 UR II 55/99

2Z BR 114/00

14.12.00

Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Reichold sowie der Richter Demharter und Werdich am 14. Dezember 2000 in der Wohnungseigentumssache wegen Ungültigerklärung eines Eigentümerbeschlusses über eine Balkonverglasung,

beschlossen:

Tenor:

I. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner zu 1 gegen den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 12. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegner zu 1 haben als Gesamtschuldner die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 8000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer 1964 oder 1965 errichteten Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird.

Die zum Innenhof gelegenen Balkone der Wohnanlage sind seitlich mit einer Drahtglasscheibe versehen. Nr. VI b der Teilungserklärung lautet: "Die Wohnungseigentümer dürfen an der äußeren Gestalt des Gebäudes keine Veränderungen vornehmen."

Die Antragsgegner zu 1 beabsichtigen, ihren Balkon vollständig zu verglasen.

Am 14.7.1998 genehmigten die Wohnungseigentümer mit Stimmenmehrheit unter Tagesordnungspunkt (TOP) 9 die beabsichtigte Balkonverglasung der Antragsgegner zu 1. In der Niederschrift über die Eigentümerversammlung ist im Anschluß an den Eigentümerbeschluss folgender Satz angefügt: "Da kein allstimmiger Beschluss zustande kam, gilt die Maßnahme als nicht genehmigt".

Die Antragstellerin hat am 23.3.1999 beantragt, diesen Eigentümerbeschluss für ungültig zu erklären und ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Anfechtungsfrist zu gewähren. Das Amtsgericht hat der Antragstellerin am 1.9.1999 Wiedereinsetzung gewährt und am 26.10.1999 den Eigentümerbeschluss vom 14.7.1998 zu TOP 9 für ungültig erklärt. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde der Antragsgegner zu 1, mit der diese beantragt haben festzustellen, dass der Eigentümerbeschluss gültig ist, durch Beschluss vom 12.10.2000 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner zu 1.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt: Der angefochtene Eigentümerbeschluss sei wirksam. Im Hinblick auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei die Anfechtungsfrist gewahrt. Da der Wiedereinsetzungsbeschluß nicht angefochten worden sei, könne er nicht mehr nachgeprüft werden.

Bei der geplanten Balkonverglasung handle es sich um eine bauliche Veränderung. Eine behördliche Genehmigung der Verglasung für den Bauträger oder für die Antragsgegner zu 1 sei ohne Bedeutung. Durch die beabsichtigte Maßnahme würde die Einheitlichkeit der Fassade und das optische Gesamtbild der Wohnanlage gestört. Die Antragsgegner zu 1 könnten sich nicht darauf berufen, dass eine Mehrheit für die Verglasung gestimmt habe. Erforderlich sei Einstimmigkeit.

2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Dass am 14.7.1998 unter TOP 9 ein Eigentümerbeschluss gefasst wurde, steht außer Zweifel, weil mehr Wohnungseigentümer für als gegen den Antrag gestimmt haben, die beabsichtigte Balkonverglasung der Antragsgegner zu 1 zu genehmigen. Daran ändert die in der Niederschrift über die Eigentümerversammlung enthaltene Meinungsäußerung des Verwalters, ein Beschluss sei nicht zustande gekommen, nichts (BayObLG NZM 1998, 917). Der Eigentümerbeschluss hätte damit Bestandskraft erlangt, wenn er nicht innerhalb der Frist des § 23 Abs. 4 WEG angefochten und vom Gericht für ungültig erklärt worden wäre.

Auf die Monatsfrist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG für die Anfechtung eines Eigentümerbeschlusses ist § 22 Abs. 2 FGG Über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Beschwerdefrist entsprechend anzuwenden (ständige Rechtsprechung des Senats; BayObLGZ 1989, 13/14 m.w.N.; zuletzt Beschluss vom 31.10.2000, 2Z BR 79/00). Dies schließt die entsprechende Anwendung auch von § 22 Abs. 2 Satz 3 FGG ein. Nach dieser Bestimmung ist gegen die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag die sofortige weitere Beschwerde zulässig. Bei entsprechender Anwendung auf die Versäumung der Anfechtungsfrist des § 23 Abs. 4 WEG wäre die sofortige Beschwerde gegeben gewesen, weil über den Antrag das Amtsgericht und nicht wie im Fall der Versäumung der Beschwerdefrist das Landgericht zu entscheiden hatte. Durch den Eintritt der formellen Rechtskraft des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 1.9.1999 mit Ablauf der Anfechtungsfrist ist dieser einer Änderung und damit auch einer Nachprüfung entzogen. Die Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte (vgl. dazu BayObLGZ 1948/1951, 353/355; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 22 Rn. 43), liegen hier nicht vor. Dabei ist von Bedeutung, dass es sich bei der Anfechtungsfrist des § 23 Abs. 4 WEG im Gegensatz zu der Beschwerdefrist nicht um eine verfahrensrechtliche Frist handelt, sondern um eine materielle Ausschlußfrist (ständige Rechtsprechung; vgl. BayObLG NZM 1999, 36).

b) Die Anbringung einer Balkonverglasung stellt eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums im Sinn des § 22 Abs. 1 WEG dar, die über die ordnungsmäßige Instandsetzung und Instandhaltung hinausgeht. Sie bedarf daher grundsätzlich der Zustimmung aller Wohnungseigentümer. Diese ist nur dann entbehrlich, wenn die Wohnungseigentümer durch die Maßnahme keinen über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehenden Nachteil erleiden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG). Ein derartiger Nachteil kann bei einer Balkonverglasung insbesondere in einer nicht ganz unerheblichen Verschlechterung des optischen Gesamteindrucks der Wohnanlage liegen. ob ein solcher Nachteil gegeben ist, liegt weitgehend auf dem Gebiet der tatrichterlichen Würdigung, die vom Rechtsbeschwerdegericht nicht auf ihre sachliche Richtigkeit, sondern nur darauf überprüft werden kann, ob ihr Ergebnis auf einem Rechtsfehler beruht (ständige Rechtsprechung; BayObLG NZM 1998, 980 m.w.N.; zuletzt Beschluss vom 16.4.1999, 2Z BR 28/99).

c) Nach diesen Grundsätzen hat das Landgericht ohne Rechtsfehler die Ungültigerklärung des Eigentümerbeschlusses vom 14.7.1998 durch das Amtsgericht bestätigt. Zunächst ergibt sich bereits aus der von den Antragsgegnern zu 1 vorgetragenen Bestimmung der Teilungserklärung, die einem Wohnungseigentümer untersagt, an der äußeren Gestalt der Fassade Änderungen vorzunehmen, dass der Eigentümerbeschluss, der eine Balkonverglasung zum Gegenstand hat, nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Darüber hinaus hat das Landgericht rechtsfehlerfrei und damit für das Rechtsbeschwerdegericht bindend festgestellt, dass die Balkonverglasung einen das Maß des § 14 Nr. 1 WEG Übersteigenden Nachteil mit sich bringt. Auch dies läßt den Eigentümerbeschluss als nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechend erscheinen (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 WEG).

d) Daran ändert auch der Sachvortrag der Antragsgegner zu 1 nichts, die Verglasung aller Balkone sei nach dem ursprünglichen Bauplan vorgesehen gewesen. Die Antragsgegner zu 1 berufen sich dabei auf einen von ihnen vorgelegten Schnitt aus den Bauplänen. Aus diesem läßt sich aber nicht entnehmen, dass die Balkone rundum verglast werden sollten. Der vorgelegte Schnitt gibt die vorhandene seitliche Glasverkleidung wieder. Aus ihm ist nicht zu entnehmen, dass die Balkone auf allen Seiten geschlossen werden sollten. Die Frage braucht aber nicht abschließend entschieden zu werden. Allerdings läge dann, wenn der Sachvortrag der Antragsgegner zu 1 zuträfe, möglicherweise keine zustimmungspflichtige bauliche Veränderung im Sinn des § 22 Abs. 1 WEG vor. An einer solchen fehlt es nach der Rechtsprechung des Senats nämlich dann, wenn die Maßnahme der erstmaligen Herstellung des nach den Plänen oder der Baubeschreibung vorgesehenen oder sonst ordnungsmäßigen Zustands dient (BayObLGZ 1990, 120/122). Jedenfalls verstieße es nämlich gegen Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB), wenn sich die Antragsgegner zu 1 etwa 35 Jahre nach Erstellung der Wohnanlage erstmals darauf berufen, die Verglasung der Balkone sei zur Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustands, wie er sich aus den Bauplänen ergibt, erforderlich.

3. Es erscheint dem Senat angemessen, den in allen Rechtszügen unterlegenen Antragsgegnern zu 1 als Gesamtschuldnern die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§ 47 WEG).

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird in Übereinstimmung mit der Geschäftswertfestsetzung der Vorinstanzen auf 8000 DM festgesetzt (§ 48 Abs. 3 Satz 1 KostO).

Ende der Entscheidung

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