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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 23.01.2001
Aktenzeichen: 2Z BR 116/00
Rechtsgebiete: WEG, ZPO, BayBO


Vorschriften:

WEG § 22 Abs. 1
ZPO § 551 Nr. 1
ZPO § 551 Nr. 7
BayBO Art. 6
BayBO Art. 7
Eine Beschwerdeentscheidung im wohnungseigentumsrechtlichen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist in entsprechender Anwendung des § 551 Nr. 7 ZPO zu begründen.
Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Reichold sowie der Richter Demharter und Dr. Delius

am 23. Januar 2001

in der Wohnungseigentumssache

wegen Beseitigung eines Anbaus,

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Landgerichts München II vom 6. Oktober 2000 aufgehoben.

II. Die Sache wird an das Landgericht München II zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, zurückverwiesen.

III. Der Geschäftswert wird für das Verfahren vor dem Amtsgericht und für das Beschwerdeverfahren bis zum 21. Oktober 1999 auf 20000 DM, für das Beschwerdeverfahren für die Zeit danach und für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 15000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten sind die Wohnungseigentümer einer aus drei Gebäuden bestehenden Wohnanlage. Jedem der drei Beteiligten gehört ein Miteigentumsanteil verbunden mit dem Sondereigentum an einem Gebäude; mit jedem Wohnungseigentum ist das Sondernutzungsrecht an einer Grundstücksfläche einschließlich der darauf bestehenden Gebäude verbunden.

Die als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragene Gemeinschaftsordnung in der Teilungserklärung vom 30.11.1990 lautet auszugsweise wie folgt:

Die einzelnen Raumeinheiten bilden je wirtschaftlich getrennte Einheiten, wie wenn sie Alleineigentum wären, so dass wirtschaftlich gesehen gemeinschaftliches Eigentum außer der Zufahrt nicht vorhanden ist. Soweit tatsächlich ausscheidbar und gesetzlich zulässig sind daher die einzelnen Sondereigentumseinheiten samt Sondernutzungsrechten als selbständige Einheiten anzusehen und zu behandeln, so, als ob es sich je um entsprechendes Alleineigentum handeln würde. Im Zweifelsfall soll jeweils davon ausgegangen werden, dass es sich eigentlich um eine Realteilung handeln soll.

...

Daher bedarf es zu baulichen Veränderungen und Aufwendungen aller Art auf dem jeweiligen Anwesen nicht der Zustimmung des bzw. der jeweiligen Sondereigentümer der anderen Anwesen, weil deren Rechte dadurch nicht beeinträchtigt werden.

In dem Vertrag vom 30.11.1990, mit dem sie ihr Wohnungseigentum von dem weiteren Beteiligten kauften, verpflichteten sich die Antragsteller,

vom 1.1.1996 an Bauerweiterungen auf den Objekten des anderen Vertragsteiles zuzustimmen und bei der Stellung von Bauanträgen als Miteigentümer mitzuwirken.

Dieselbe Verpflichtung ging der Antragsgegner in dem Vertrag vom 27.5.1991 ein, mit dem er sein Wohnungseigentum von dem weiteren Beteiligten erwarb.

Schließlich verpflichteten sich die Antragsteller in einem gerichtlichen Vergleich vom 21.4.1993,

ihre nachbarschaftliche Zustimmung bzw. ihr nachbarschaftliches Einvernehmen mit der Errichtung eines Anbaus durch den Antragsgegner gemäß dem bereits vorgelegten Bauplan.

Der Antragsgegner verpflichtete sich in dem Vergleich, den Anbau so auszuführen, dass nach Erstellung des Anbaus keinerlei Lärmbelästigung auf Seiten der Antragsteller eintreten kann.

Der in dem Vergleich erwähnte Bauplan sah einen Anbau mit einem Flachdach vor. Der Antragsgegner errichtete den Anbau jedoch im Jahr 1997 mit einem sogenannten abgeschleppten Dach, das sich an das Hausdach anschloß und den gleichen Neigungswinkel wie dieses aufweist. Als Folge der Vordachveränderung wurden die gesetzlichen Abstandsflächen nicht eingehalten.

Durch bestandskräftigen Bescheid des Landratsamts vom 26.11.1998 wurde die Abänderung des Dachverlaufs von einem Flachdach zu einem Schrägdach unter Auflagen genehmigt; dabei wurde für das Unterschreiten der Abstandsflächen eine Abweichung zugelassen.

Die Antragsteller haben beantragt, den Antragsgegner zur Beseitigung des Anbaus zu verpflichten. Der Antragsgegner hat beantragt, diesen Antrag abzuweisen und die Antragsteller zu verpflichten, der Vordachverlängerung gegenüber dem Landratsamt zuzustimmen. Das Amtsgericht hat am 17.7.1998 den Antragsgegner zur Beseitigung des Anbaus verpflichtet und seinen Gegenantrag abgewiesen. Hiergegen hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vom 21.10.1999 hat er seinen Gegenantrag fallen gelassen. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 6.10.2000 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners.

II.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an dieses.

1. Das Landgericht hat unter weitgehender Bezugnahme auf die Entscheidung des Amtsgerichts ausgeführt: Bei dem Anbau handle es sich um eine bauliche Veränderung. Die in der Gemeinschaftsordnung getroffene Regelung führe nicht dazu, dass jeder Sondereigentümer mit seinem Sondereigentum so verfahren könne, als bestünden keinerlei Bindungen aus dem Gemeinschaftsverhältnis. Dies gelte auch für die Zustimmung zu baulichen Veränderungen. Die Regelung der Gemeinschaftsordnung, dass für bauliche Veränderungen keine Zustimmung notwendig sei, weil die Rechte anderer nicht beeinträchtigt würden, setze voraus, dass eine solche Beeinträchtigung nicht bestehe. Bei dem Anbau mit dem Schrägdach liege jedoch eine Beeinträchtigung der Rechte der Antragsteller vor. Die Antragsteller hätten allerdings im Beschwerdeverfahren ihre Zweifel, ob durch den Anbau eine Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse vorliege, nicht mehr aufgegriffen. Die Pflicht zur Einhaltung der Seitenabstandsflächen entfalle nicht durch die öffentlich-rechtliche Baugenehmigung. Diese schließe einen Beseitigungsanspruch unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten nicht aus. Die erteilte Zustimmung zur Errichtung des Anbaus ändere daran nichts, weil sie keine Zustimmung zu der Errichtung des Anbaus mit jeglicher beliebigen Gestaltung des Daches enthalte. Damit entfalle auch der Zustimmungsanspruch des Antragsgegners gegen die Antragsteller.

2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Zu Recht beanstandet der Antragsgegner, dass das Landgericht über seinen Gegenantrag entschieden hat, obwohl er diesen in der mündlichen Verhandlung vom 21.10.1999 ausdrücklich fallengelassen hat. Die Entscheidung des Landgerichts ist damit insoweit gegenstandslos.

Der geltendgemachte Verstoß gegen § 551 Nr. 7 ZPO liegt allerdings nicht vor. Diese Vorschrift ist zwar auf die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts in Wohnungseigentumssachen entsprechend anzuwenden (KG OLGZ 1994, 405). Voraussetzung ist aber, dass eine Entscheidung verkündet und damit existent wurde, aber nicht innerhalb einer bestimmten Frist begründet wurde. Dies ist hier nicht der Fall, weil die angefochtene Entscheidung vom 6.10.2000 nicht verkündet wurde. Abgesehen davon ergehen Entscheidungen in Wohnungseigentumssachen anders als im Zivilprozeß nicht "aufgrund mündlicher Verhandlung". Es ist daher nicht erforderlich, dass die Entscheidung von den Richtern getroffen wird, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben (BayObLGZ 1990, 173/175). Damit erweist sich auch die auf § 551 Nr. 1 ZPO gestützte Rüge als nicht begründet.

b) Ein Anspruch der Antragsteller auf Beseitigung des Anbaus gemäß § 1004 BGB, § 15 Abs. 3 WEG besteht dann nicht, wenn die Genehmigung vom 26.11.1998 den Anbau in der tatsächlich vorgenommenen Ausführung betrifft. Dies bedarf noch der Klärung.

(1) In der Gemeinschaftsordnung ist bestimmt, dass die einzelnen Wohnungseigentümer so behandelt werden sollen, als liege eine Realteilung des Grundstücke vor. Für bauliche Veränderungen im Bereich des Sondernutzungsrechts oder des Sondereigentums bedarf es daher keiner Zustimmung anderer Wohnungseigentümer. Durch diese Regelung ist die gesetzliche Bestimmung des § 22 Abs. 1 WEG über bauliche Veränderungen wirksam abbedungen. Für die Frage, ob die Antragsteller die Beseitigung des Anbaus verlangen können, sind somit nicht die Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes (§ 22 Abs. 1, § 15 Abs. 3, § 14 Nr. 1 WEG) maßgebend, sondern die allgemeinen nachbarrechtlichen Vorschriften des Privatrechts und des öffentlichen Rechts, die hier entsprechend anzuwenden sind (vgl. BayObLG ZMR 2000, 234/236; Beschluss des Senats vom 14.12.2000, 2Z BR 60/00).

(2) Die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über die Einhaltung von Abstandsflächen (Art. 6, 7 BayBo) haben nachbarschützenden Charakter (BayObLGZ 1979, 16/21 f.; BayObLGZ 2000, 355/358; Beschluss des Senats vom 14.12.2000, 2Z BR 60/00). Soweit sich der Beseitigungsanspruch auf eine dem öffentlichen Recht angehörende Bauvorschrift als Schutzgesetz stützt, bestimmt sich deren Anwendungsbereich ebenfalls nach öffentlichem Recht. Dies gilt auch für die im Baurecht vorgesehene Möglichkeit der Abweichung von den Vorschriften über die Abstandsflächen (vgl. Art. 7 Abs. 3 BayBO). Ist Befreiung von der Einhaltung der Abstandsflächen erteilt, fehlt es an einer entscheidenden Voraussetzung des Beseitigungsanspruchs. Steht durch die Baugenehmigung fest, dass der Bauherr nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen hat, muss das der Nachbar gegen sich gelten lassen (BayObLGZ 2000, 355/362).

(3) Dies ist hier dann der Fall, wenn die Genehmigung des Anbaus mit geänderter Dachform und einer zulässigen Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächen den Anbau betrifft, wie er tatsächlich ausgeführt wurde. Dann müssen die Antragsteller ihn in dieser Form dulden; ein Beseitigungsanspruch besteht nicht. Auf die Vorschriften des privaten Nachbarrechts kann das Beseitigungsverlangen dann ebenfalls nicht gestützt werden. Weder das Bürgerliche Gesetzbuch noch das bayerische private Nachbarrecht schreiben für die Errichtung baulicher Anlagen die Einhaltung eines bestimmten Grenzabstands vor (Beschluß des Senats vom 14.12.2000, 2Z BR 60/00; Sprau Justizgesetze in Bayern Art. 43 AGBGB Rn. 1).

(4) Die Antragsteller hatten im Beschwerdeverfahren behauptet, der Antragsgegner habe den Anbau entgegen der Genehmigung im Bescheid vom 26.11.1998 mit einem Satteldach statt mit dem genehmigten Schrägdach errichtet. Wenn dies zutrifft, kann sich der Antragsgegner nicht auf die Baugenehmigung berufen. Weicht der Bauherr nämlich bei der Bauausführung in so wesentlichen Punkten von der Genehmigung ab, dass er nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben erstellt, dann macht er von der Baugenehmigung keinen Gebrauch; diese erlischt vielmehr nach Maßgabe von Art. 77 BayBO (BayObLGZ 2000, 355/362). Anhand der Akten, insbesondere auch anhand des Bescheids vom 26.11.199 8, kann nicht zuverlässig festgestellt werden, ob die tatsächliche Bauausführung von der genehmigten abweicht und ob es sich dabei um eine wesentliche Abweichung handelt. Dies nötigt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Dieses wird der aufgeworfenen Frage nachzugehen haben. Sollte die Abweichung nur die Gestaltung des Dachs betreffen, dann wird der Antragsgegner nur zur Beseitigung des Daches verpflichtet werden können. Dann steht es ihm frei, ob er den ganzen Anbau beseitigt oder diesen mit einem Dach versieht, das dem Plan entspricht, der dem Vergleich vom 21.4.1993 zugrunde lag. Das Landgericht wird bei seiner Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

3. Für den Antrag der Antragsteller geht der Senat von einem Geschäftswert von 15000 DM aus und für den Gegenantrag von einem Geschäftswert von 5000 DM. Entsprechend wird der Geschäftswert für die einzelnen Rechtszüge festgesetzt (§ 48 Abs. 3 Satz 1 WEG).

Ende der Entscheidung

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