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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 15.09.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 120/04
Rechtsgebiete: BGB, WEG


Vorschriften:

BGB § 1004 Abs. 1
BGB § 226
WEG § 15 Abs. 3
WEG § 22 Abs. 1
1. Ein Wohnungseigentümer, der Rechtsnachfolger des Handlungsstörers ist, kann nicht auf Beseitigung, sondern lediglich auf Duldung der Beseitigung einer auf der Sondernutzungsfläche eines anderen Wohnungseigentümers errichteten Anlage in Anspruch genommen werden.

2. Ein Verstoß gegen das Schikaneverbot kommt nur in Betracht, wenn für die Geltendmachung eines Anspruchs keinerlei berechtigtes Interesse ersichtlich ist und diese lediglich den Zweck verfolgt, den Antragsgegner zu schädigen.


Gründe:

I.

Der Antragsteller und die Antragsgegner sind Miteigentümer in einer Wohnanlage. Die Anlage besteht aus dreizehn Reihenhäusern und einem Zweifamilienhaus (Einheit Nr. 14 und 15). Der Antragsteller ist Sondereigentümer der im Aufteilungsplan mit Nr. 14 und Nr. 15 bezeichneten Einheiten. Die Antragsgegner haben das im Aufteilungsplan mit Nr. 13 bezeichnete Reihenhaus 1998 vom Streithelfer des Antragstellers erworben. Nach Anlage II zur notariellen Urkunde vom 1.10.1979 ist dem Antragsteller als Eigentümer der Einheiten Nr. 14 und Nr. 15 das ausschließliche Benützungsrecht an der im Lageplan (Anlage III) grün und gelb angelegten Gartenfläche, Gartenterrasse und Vorplatzfläche sowie allen Baulichkeiten und Anlagen auf diesen Flächen eingeräumt, den Antragsgegnern als Eigentümern der Einheit Nr. 13 das ausschließliche Benützungsrecht an der im Lageplan braun schraffiert eingezeichneten Fläche. Beide Flächen grenzen unmittelbar aneinander an.

Der Antragsteller hat beim Amtsgericht beantragt, die Antragsgegner samtverbindlich zu verpflichten, den auf der Sondernutzungsfläche zu den Wohneinheiten Nr. 14 und Nr. 15 befindlichen Zaun auf eigene Kosten so zu versetzen, dass dieser mit einem Abstand von maximal 6 m parallel zur westlichen Hauswand des Reihenhauses Nr. 13 verläuft. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, er habe dem Streithelfer als Rechtsvorgänger der Antragsgegner aus reiner Gefälligkeit unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs seinerzeit bei Errichtung der Anlage gestattet, den Grenzzaun um 3 m in westlicher Richtung versetzt auf seiner Sondernutzungsfläche zu errichten. Dies sei den Antragsgegnern vor Abschluss des Grundstückskaufvertrags mitgeteilt und von diesen akzeptiert worden.

Das Amtsgericht hat die Antragsgegner durch Beschluss vom 15.7.2003 verpflichtet, die Versetzung des Zauns durch den Antragsteller auf dessen Kosten zu dulden. Das Landgericht hat die von den Antragsgegnern eingelegte sofortige Beschwerde durch Beschluss vom 26.4.2004 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner.

II.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Der Anspruch auf Duldung der Beseitigung des Zauns ergebe sich aus § 1004 Abs. 1 BGB, § 15 Abs. 3, § 22 WEG, da der Zaun sich nicht auf der Grenze der Sondernutzungsflächen befinde, sondern 3 m versetzt auf der Gartenfläche des Antragstellers. Dies sei aus dem im Maßstab 1:1000 errichteten Lageplan (Anlage III) ersichtlich, auf den in Anlage II zur notariellen Teilungserklärung vom 1.10.1979 Bezug genommen werde. Die Antragsgegner seien weder Handlungs- noch Zustandsstörer, so dass sie lediglich die Wiederherstellung der "richtigen" Grenzsituation zu dulden hätten. Der Anspruch sei weder verwirkt noch verstoße seine Geltendmachung gegen das Schikaneverbot.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegner einen Anspruch auf Duldung der Versetzung des Zauns gemäß § 1004 Abs. 1 BGB, § 15 Abs. 3, § 22 Abs. 1 WEG.

a) Für die Abgrenzung des dem Antragsteller als Eigentümer der Einheiten Nr. 14 und Nr. 15 eingeräumten Sondernutzungsrechts von dem zu Gunsten der Antragsgegner als Eigentümern der Einheit Nr. 13 bestehenden Recht kommt es in erster Linie auf Anlage II zur notariellen Urkunde vom 1.10.1979 und den dieser als Anlage III beigefügten Lageplan an. Das Rechtsbeschwerdegericht kann den Inhalt und Umfang eines Grundstücksrechts, wie es sich aus dem Grundbuch sowie aus der in der Eintragung zulässiger Weise in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung samt Anlagen, insbesondere Lageplänen ergibt, selbständig auslegen, wobei auf Wortlaut und Sinn abzustellen ist, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung darstellt (BGHZ 121, 236/239; Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 45 Rn. 90; Demharter GBO 24. Aufl. § 44 Rn. 15, § 53 Rn. 4, § 78 Rn. 17).

Nächstliegende Bedeutung der zum Inhalt des Grundbuchs gewordenen Anlagen II und III zur notariellen Urkunde vom 1.10.1979 ist es entgegen der Auffassung der Antragsgegner aber, die jeweiligen Sondernutzungsflächen nicht nur zu "individualisieren" und zu "lokalisieren", sondern auch, den Grenzverlauf zwischen den Sondernutzungsflächen festzulegen. Andernfalls hätte es einer maßstabsgerechten Einzeichnung nicht bedurft. Dabei ist es ohne Belang, dass der Plan die westliche Grenze der den Einheiten des Antragstellers zugeordneten grün angelegten Fläche nicht mit umfasst, da Grenze insoweit offenbar die Grenze des Gesamtgrundstücks sein soll.

Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht ausgeführt, dass der im Bereich der Grenze zwischen den Sondernutzungsflächen von Antragsteller und Antragsgegnern befindliche Hügel nach den auf Grund der Durchführung eines Augenscheins getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts keine "natürliche Grenze" darstellt, zumal diese Grenze im Widerspruch zur rechtlichen Festlegung im Lageplan stünde.

b) Da die Antragsgegner den Zaun nicht selbst errichtet haben, sind sie nicht Handlungsstörer. Als Sonderrechtsnachfolger des Handlungsstörers sind sie nicht verpflichtet, den Zaun selbst zu beseitigen (BayObLG NJW-RR 2002, 660). Ob die Antragsgegner Zustandsstörer sind, kann offen bleiben. Auch ein Zustandsstörer wäre nämlich nur verpflichtet, die Beseitigung der planwidrig errichteten Anlage zu dulden (BayObLG WuM 2003, 481 [LS]; KG NJW-RR 1981, 1421).

Beseitigungsanspruch und Duldungsanspruch sind zwar unterschiedliche Verfahrensgegenstände (BayObLG WuM 2003, 481). Hier hat der Antragsteller aber, indem er (neben der Verfolgung seines ursprünglichen Antrags im Wege der Anschlussbeschwerde) Zurückweisung der gegen die auf Duldung der Beseitigung lautenden erstgerichtlichen Entscheidung gerichteten sofortigen Beschwerde der Antragsgegner beantragt hat, jedenfalls hilfsweise bereits in der Beschwerdeinstanz auch Duldung der Beseitigung des Zauns verlangt. Antragsänderungen sind bis zur Entscheidung über die Erstbeschwerde zulässig, falls der Gegner einwilligt oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält und dadurch der Kern des Verfahrens nicht verändert wird (Merle in Bärmann/Pick/Merle § 45 Rn. 60). Sachdienlichkeit der Antragsänderung ist regelmäßig anzunehmen, wenn nach der objektiven Verfahrenslage ein Streit endgültig behoben und ein neues Verfahren vermieden werden kann (Merle in Bärmann/Pick/Merle § 44 Rn. 37; Zöller/Greger ZPO 24. Aufl. § 263 Rn. 13).

c) Der Duldungsanspruch ist nicht verwirkt. Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte sein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat und der Anspruchsgegner nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dieser werde sein Recht auch in Zukunft nicht ausüben (Merle in Bärmann/Pick/Merle § 22 Rn. 277; Palandt/Heinrichs BGB 63. Aufl. § 242 Rn. 87). Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Zeitraum von ca. drei Jahren zwischen Grundstückserwerb durch die Antragsgegner und zunächst außergerichtlicher Geltendmachung des Anspruchs durch den Antragsteller zu kurz ist, um Verwirkung anzunehmen. Ist ein Anspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB einmal verwirkt, wirkt dies auch gegenüber dem Rechtsnachfolger. Wie das Landgericht unter tatrichterlicher Würdigung der Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vernommenen Zeugen und Beteiligten rechtsfehlerfrei ausführt, war zwischen dem Antragsteller und dessen Streithelfer eine Absprache getroffen worden, die es dem Antragsteller jederzeit möglich machte, die Gestattung der Nutzung seiner Sondernutzungsfläche zu widerrufen.

d) Auch ein Verstoß gegen das Schikaneverbot (§ 226 BGB) liegt nicht vor. Dies wäre erst dann der Fall, wenn die Geltendmachung des Anspruchs ausschließlich das Ziel hätte, die Antragsgegner zu schädigen. § 226 BGB setzt voraus, dass nach Lage der gesamten Umstände ein anderer Zweck als die Schadenszufügung objektiv ausgeschlossen ist. Es genügt nicht, dass jemand subjektiv aus verwerflichen Gründen von seinem Recht Gebrauch macht. Vielmehr muss feststehen, dass die Rechtsausübung dem Berechtigten objektiv keinen Vorteil bringt und lediglich zur Schädigung eines Anderen dient (vgl. BayObLG NJW-RR 1987, 1492; Palandt/Heinrichs § 226 Rn. 3).

Hierfür ist, wie das Landgericht zutreffend ausführt, nicht entscheidend, welches Verhalten dem Antragsteller konkret Anlass für den Widerruf der Gestattung gab. Ebenso spielt keine Rolle, dass der verfahrensgegenständliche Grundstücksstreifen wegen der örtlichen Gegebenheiten, insbesondere der vorhandenen Bepflanzung, kaum genutzt werden kann. Da die Größe eines Grundstücks einschließlich einer Sondernutzungsfläche wesentliche Bedeutung für den Verkehrswert hat, hat der Antragsteller nämlich, wie gerade das vorliegende Verfahren zeigt, ein berechtigtes Interesse an der Klärung der Reichweite seiner Rechte sowie an der Herstellung einer dem rechtlichen Grenzverlauf entsprechenden Grenzeinrichtung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG. Im Hinblick auf die Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels entsprach es der Billigkeit, den Antragsgegnern samtverbindlich auch die notwendigen außergerichtlichen Auslagen der übrigen Beteiligten aufzuerlegen. Hierzu gehören auch die Auslagen des Streithelfers (Merle in Bärmann/Pick/Merle § 47 Rn. 31).

Die Geschäftswertfestsetzung ergibt sich aus § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG. Die Geschäftswertfestsetzung durch die Vorinstanzen auf jeweils 40.500 EURO erscheint dem Senat unter den gegebenen Umständen zu hoch. Es geht nicht um das Eigentumsrecht an dem streitigen Grundstücksstreifen, sondern um die Nutzungsmöglichkeit an einem Grundstücksstreifen, der im Wesentlichen der optischen Abgrenzung zur Nachbarfläche dient.



Ende der Entscheidung

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