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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.01.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 129/03
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 14 Nr. 1
WEG § 22 Abs. 1
WEG § 43 Abs. 4 Nr. 1
WEG § 44 Abs. 1
1. Wer materiell Beteiligter eines Wohnungseigentumsverfahrens ist, muss auch formell am Verfahren beteiligt werden. Die Nachholung der formellen Beteiligung im Rechtsbeschwerdeverfahren scheidet dann aus, wenn eine Sachentscheidung wegen mangelnder Sachaufklärung nicht möglich ist.

2. Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts ohne mündliche Verhandlung kann jedenfalls dann zur Aufhebung und Zurückverweisung führen, wenn jede Begründung für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung fehlt.

3. Abgrabungen an einer Gartensondernutzungsfläche stellen begrifflich eine bauliche Veränderung dar, die ohne Zustimmung anderer Wohnungseigentümer nur dann zulässig sind, wenn die Maßnahme der erstmaligen Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustands oder der Instandsetzung und Instandhaltung dient oder wenn andere Wohnungseigentümer dadurch keinen über § 14 Nr. 1 WEG hinausgehenden Nachteil erleiden.


Gründe:

I.

Die Antragsteller, die Antragsgegner und die weiteren Beteiligten sind jeweils zur Hälfte Miteigentümer einer Wohnung in einem Dreifamilienhaus, das von den Antragstellern errichtet worden ist.

Die Wohnung der Antragsgegner liegt teilweise in einem Hang. In einem der Zimmer traten an einer im Erdreich liegenden Wand Feuchtigkeitsschäden auf. Zur Feststellung der Ursache und zur vollständigen Austrocknung des Mauerwerks gruben die Antragsgegner den Hang vor der feuchten Wand auf eine Länge von 5 m quer zur Hauswand ab und befestigten den dadurch steiler gewordenen Hang mittels Pflanztrögen aus Beton in sechs Reihen übereinander.

Die Antragsteller haben beim Amtsgericht beantragt, den Antragsgegnern die Fortsetzung der Abgrabung zu verbieten und sie zu verpflichten, den Hang wieder aufzufüllen. Nach Erholung eines Sachverständigengutachtens und mündlicher Anhörung des Sachverständigen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 6.2.2003 die Anträge abgewiesen.

Die sofortige Beschwerde der Antragsteller, mit der sie die Verpflichtung der Antragsgegner zum Rückbau der Hangabstützung durch Pflanztröge erstrebt haben, hat das Landgericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss vom 3.6.2003 zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller, mit der sie ihren Verpflichtungsantrag vor dem Landgericht weiter verfolgen.

II.

Das Rechtsmittel der Antragsteller führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sei allein die begehrte Verpflichtung zum Rückbau der Pflanztröge. Ob die Antragsteller die Beseitigung der Pflanztröge deshalb nicht verlangen könnten, weil sie selbst regelmäßig Baumaßnahmen durchführten, die von den übrigen Wohnungseigentümern nicht gebilligt würden, sei nicht entscheidend. Die Pflicht der Antragsteller, die Pflanztröge zu dulden, ergebe sich nämlich aus § 14 Nr. 3 WEG. Die Pflanztröge seien auf der Sondernutzungsfläche der Antragsgegner angebracht. Ausgehend vom nicht angefochtenen Teil des Beschlusses des Amtsgerichts sei die Abgrabung des Hanges in einer Breite von 1 m Abstand zur Hausmauer rechtmäßig. Denn in diesem Umfang sei die Abgrabung nach den Ausführungen des Sachverständigen zur Austrocknung der Mauer, also zur Instandsetzung, erforderlich gewesen. Dann habe es aber im Rahmen bestimmungsgemäßen Gebrauchs nach § 14 Nr. 1 WEG gelegen, den durch die Teilabgrabung ohnehin veränderten Bereich der Sondernutzungsfläche gartenbaulich neu zu gestalten. Die vorgelegten Lichtbilder zeigten deutlich, dass die von den Antragsgegnern gewählte Gestaltung optisch ansprechend sei. Es sei kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum die auf 1 m Breite ohnehin abzutragende Hangfläche nicht auf der ganzen Breite von 5 m einheitlich neu gestaltet werden sollte. Eine Gefahr gehe nach der Beurteilung des Sachverständigen von der Abgrabung nicht aus. Die optische Gestaltung der Sondernutzungsfläche sei so lange allein Sache der Antragsgegner, als hiervon keine Belästigung, optische Verunstaltung oder Gefährdung des Gemeinschaftseigentums oder des Sondereigentums der anderen Wohnungseigentümer ausgehe. In diesem Rahmen seien auch kleinere Erdarbeiten wie die vorliegenden als Ausübung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs anzusehen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Der Gegenstand des Verfahrens ist ein Streit über die Rechte und Pflichten von Wohnungseigentümern untereinander und fällt damit unter § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG. Nach § 43 Abs. 4 Nr. 1 WEG sind an einem solchen Verfahren sämtliche Wohnungseigentümer materiell beteiligt, weil eine rechtskräftige Entscheidung des Wohnungseigentumsgerichts nach § 45 Abs. 2 Satz 2 WEG alle Beteiligten bindet. Wer aber materiell am Verfahren beteiligt ist, muss auch formell daran beteiligt werden (Niedenführ/Schulze WEG 6. Aufl. vor § 43 Rn. 111 mit weiteren Nachweisen). Das Landgericht hat im Beschwerdeverfahren lediglich die Antragsteller und die Antragsgegner beteiligt, nicht aber auch die weiteren Beteiligten. Dieser Verfahrensfehler konnte vom Senat nicht beseitigt werden, weil die Entscheidung des Landgerichts auch an materiellrechtlichen Fehlern leidet und eine Entscheidung in der Sache nicht ohne weitere Sachaufklärung möglich ist. Deshalb ist eine Zurückverweisung an das Landgericht unumgänglich (vgl. OLG Hamburg ZMR 2003, 868).

b) Ein weiterer Verfahrensfehler des Landgerichts liegt darin, dass es ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Nach § 44 Abs. 1 WEG soll der Richter mit den Beteiligten in der Regel mündlich verhandeln. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats und der Oberlandesgerichte auch für das Beschwerdeverfahren; denn die mündliche Verhandlung dient der Sachaufklärung gemäß § 12 FGG, der Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und dem Versuch, eine gütliche Einigung zu erreichen (Niedenführ/Schulze § 44 Rn. 3 mit weiteren Nachweisen). Warum die Kammer des Landgerichts von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat, ist der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen. Ein ausdrückliches Einverständnis ist von den Beteiligten jedenfalls nicht erklärt worden.

c) Die Entscheidung des Landgerichts ist auch materiellrechtlich nicht haltbar.

aa) Das Grundstück, das die Bauwerke, an denen Wohnungs- oder Teileigentum begründet wurde, umgibt, ist nach § 1 Abs. 5 WEG zwingend Gemeinschaftseigentum. An Teilen des Grundstücks kann allenfalls gemäß § 15 Abs. 1 WEG in Verbindung mit § 10 Abs. 2 WEG ein Sondernutzungsrecht für einzelne Wohnungseigentümer begründet werden. Inhalt und Umfang eines solchen Sondernutzungsrechts werden durch die Teilungserklärung nach § 8 WEG oder den Teilungsvertrag nach § 3 WEG bestimmt. Da die Teilungserklärung sich nicht bei den Akten befindet, kann der Senat nicht beurteilen, welche Befugnisse die Antragsgegner hinsichtlich ihrer Gartensondernutzungsfläche haben. Ist in der Teilungserklärung nichts Besonderes bestimmt, mögen die Antragsgegner zwar die Befugnis haben, die Sondernutzungsfläche gärtnerisch zu gestalten; dazu gehört aber nicht die Veränderung des Oberflächenprofils durch Abgraben oder Aufschütten von Erdreich.

bb) Die Frage, ob die Antragsgegner dennoch befugt waren, das Hanggrundstück abzugraben und zur Sicherung des dadurch steiler gewordenen Hangs Pflanztröge aus Beton aufeinander zu stellen, ist kein Problem des ordnungsmäßigen Gebrauchs der Sondernutzungsfläche gemäß § 14 Nr. 1 WEG, sondern am Maßstab des § 22 Abs. 1 WEG zu messen. Denn eine auf Dauer angelegte Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums ist begrifflich eine bauliche Veränderung (Senatsbeschluss vom 29.8.2002 - Az. 2Z BR 74/02, Leitsatz in NZM 2003, 121; BayObLG NZM 2003, 242). Dazu gehört auch die Umgestaltung der Grundstücksoberfläche durch Begradigung oder Abgrabung.

cc) Eine solche Umgestaltung ist ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer nur dann zulässig, wenn sie entweder der erstmaligen Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustands dient oder eine Maßnahme der Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums darstellt oder wenn den übrigen Wohnungseigentümern durch die Umgestaltung ein über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehender Nachteil nicht erwächst (§ 22 Abs. 1, § 14 Nr. 1 WEG).

Nach den Darlegungen des vom Amtsgericht beauftragten Sachverständigen war die Abgrabung des Hangs zur Freilegung und Austrocknung der Außenmauer erforderlich, also zur erstmaligen Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustands oder zur Instandsetzung. Zu diesem Zweck war allerdings nur eine Abgrabung in der Breite von 1 m, von der Hauswand aus gemessen, erforderlich. Die darüber hinausgehende Abgrabung von 5 m Breite war zu diesem Zweck nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht erforderlich. Sie war demnach ohne Zustimmung der Antragsteller nur dann zulässig, wenn den Antragstellern dadurch kein über § 14 Nr. 1 WEG hinausgehender Nachteil erwächst. Ein solcher Nachteil kann nicht nur in der optisch nachteiligen Veränderung des Gesamtbilds der Wohnanlage, sondern vor allem auch in der Möglichkeit einer intensiveren Nutzung der Gartenfläche, etwa durch Aufstellen eines Gartenzelts, liegen (BayObLG NZM 2003, 242). Das Bestehen eines über § 14 Nr. 1 WEG hinausgehenden Nachteils lässt sich anhand der zu den Akten gelangten Lichtbilder nicht abschließend beurteilen, weil weder ein Bild mit einer Gesamtansicht noch ein Lageplan des Grundstücks mit Gebäuden bei den Akten ist. In der Regel lässt sich die Frage des Nachteils im Sinn von § 14 Nr. 1 WEG in solchen Fällen nur auf Grund einer Ortsbesichtigung sachgerecht beurteilen. Das wird das Landgericht nachzuholen haben.

3. Da der Senat in der Sache nicht endgültig entscheiden kann, ist auch keine Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens möglich.

Die mit den Vorinstanzen übereinstimmende Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 48 Abs. 3 WEG.



Ende der Entscheidung

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