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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.09.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 142/04
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 16 Abs. 2
WEG § 21 Abs. 1
WEG § 21 Abs. 3
WEG § 21 Abs. 4
WEG § 21 Abs. 5 Nr. 4
1. Ob größere Reparaturarbeiten ganz oder teilweise aus der Instandhaltungsrücklage bezahlt werden sollen oder ob insoweit eine Sonderumlage durchgeführt wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Wohnungseigentümer.

2. Kommt die Instandhaltungsrücklage ganz oder teilweise zur Finanzierung der Instandsetzungs- oder Instandhaltungsmaßnahme in Betracht, bedarf es in der Regel tatsächlicher Feststellungen, mit welchen anderen Maßnahmen und mit welchem finanziellen Sanierungsaufwand in nächster Zeit in der Eigentümergemeinschaft zu rechnen ist, für die die Instandhaltungsrücklage voraussichtlich in Anspruch genommen werden soll.

3. Kommen für die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums mehrere Maßnahmen der Wohnungseigentümer in Betracht, hat das Gericht die ausgewählte Maßnahme, soweit sie vertretbar ist, grundsätzlich hinzunehmen, weil sie im Rahmen des den Wohnungseigentümern eingeräumten Ermessens liegt.


Gründe:

I.

Die Antragsteller und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichteten Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird.

In der Eigentümerversammlung vom 18.3.2003 fassten die Wohnungseigentümer mehrheitlich den Beschluss, das Dach einschließlich Regenrinnen und -fallrohre zum Preis von ca. 31.000 EURO und die Fassade der Gebäuderückseite zum Preis von ca. 38.000 EURO instand zu setzen und die Gesamtmaßnahme durch eine Sonderumlage in Höhe von 68.000 EURO, verteilt im Verhältnis der Miteigentumsanteile aller Wohnungseigentümer, zu finanzieren.

Die Antragsteller haben beim Amtsgericht beantragt, diesen Beschluss, soweit er die Finanzierung regelt, für ungültig zu erklären. Sie sind der Auffassung, bei einer vorhandenen Instandhaltungsrücklage von rund 32.000 EURO und einer Verzinsung von 2 % müsse von dieser für die Instandsetzung mindestens ein Anteil von 20.000 EURO verwendet werden. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 25.9.2003 den Antrag abgewiesen und den Geschäftswert auf 1.000 EURO festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller hat das Landgericht den Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren am 17.3.2004 auf 1.000 EURO festgesetzt und mit Beschluss vom 4.6.2004 den Eigentümerbeschluss vom 18.3.2003 insoweit für ungültig erklärt, als darin die Finanzierung der Gesamtmaßnahme zur Instandsetzung des Dachs und der rückwärtigen Fassade ausschließlich durch eine Sonderumlage in Höhe von 68.000 EURO beschlossen worden ist. Gegen die Sachentscheidung des Landgerichts richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner. Die anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller erheben Geschäftswertbeschwerde mit dem Ziel, den Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens auf 20.000 EURO festzusetzen.

II.

Das Rechtsmittel der Antragsgegner erweist sich als begründet. Auf die Geschäftswertbeschwerde der anwaltlichen Bevollmächtigten der Antragsteller und von Amts wegen setzt der Senat den Geschäftswert für das Verfahren vor dem Amtsgericht und für das Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht neu fest.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Das Rechtsmittel der Antragsteller sei begründet. Die Instandhaltungsrückstellung bezwecke, Mittel für künftige Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen anzusammeln. Die Entnahme von Geldern aus der Rückstellung für derartige Zwecke entspreche ordnungsmäßiger Verwaltung und sei hier auch geboten. Es bestehe zwar ein Ermessen der Wohnungseigentümer, ob sie eine Instandhaltungs- oder Instandsetzungsmaßname durch Gelder aus der Rücklage oder durch eine Sonderumlage finanziere. Das Ermessen könne jedoch nicht dazu führen, die Instandhaltungsrücklage dauerhaft unangetastet zu lassen und stattdessen mehrere aufeinander folgende und kostenintensive Maßnahmen mit unter Umständen hohen Belastungen für die Wohnungseigentümer durch Sonderumlage zu finanzieren. Ein Sockelbetrag der Rücklage müsse zwar gewährleistet sein und bestehen bleiben. Dies hätten die Antragsteller berücksichtigt, indem sie nur den Einsatz der einen Betrag von 12.000 EURO übersteigenden Gelder verlangten. Das sei vernünftig und realistisch. Der Sockelbetrag sei bei einer Gemeinschaft von vierzehn Wohnungseigentümern ausreichend. Er werde in Zukunft wieder anwachsen. In der Vergangenheit habe es bereits Sonderumlagen von nicht unerheblichem Ausmaß gegeben. Deswegen sei es ermessensfehlerhaft, nun eine erneute Sonderumlage zu beschließen. Dass die derzeitige Rücklage die Kosten der geplanten Dach- und Fassadenrenovierung nicht einmal zur Hälfte decke, spreche nicht gegen deren Inanspruchnahme, sondern dafür.

2. Die Sachentscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Nach § 21 Abs. 5 Nr. 4 WEG gehört die Ansammlung einer angemessenen Instandhaltungsrückstellung zu einer ordnungsmäßigen, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer entsprechenden Verwaltung, die durch Stimmenmehrheit beschlossen werden kann (§ 21 Abs. 3 WEG) und auf die jeder Wohnungseigentümer einen Anspruch hat (§ 21 Abs. 4 WEG). Die maßgebliche Gemeinschaftsordnung trifft dazu keine abweichende oder ergänzende Regelung, sondern geht entsprechend den gesetzlichen Vorschriften von der Bildung einer Instandhaltungsrücklage als Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung aus (vgl. Nr. 9 der Gemeinschaftsordnung). Ob größere Sanierungsvorhaben aus der Instandhaltungsrückstellung bezahlt werden sollen oder ob insoweit eine Sonderumlage erhoben wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Wohnungseigentümer; es besteht kein Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers, immer zunächst die Rücklage auszuschöpfen (BayObLG ZMR 2003, 694; jüngst Beschluss vom 29.7.2004, 2Z BR 092/04; ferner OLG Köln NZM 1998, 878; Müller Praktische Fragen des Wohnungseigentums 4. Aufl. Rn. 596 m.w.N.). Nichts anderes gilt für die Frage, ob und in welcher Höhe die Maßnahme teilweise aus der vorhandenen Rückstellung und im Übrigen durch eine Sonderumlage finanziert werden soll.

b) Die Entscheidung des Landgerichts kann insoweit aus Rechtsgründen nicht aufrechterhalten bleiben, weil sie die Grenzen des den Wohnungseigentümern eingeräumten Ermessens verkennt. Sie übersieht insbesondere, dass es in der Regel nicht Sache des Gerichts ist, bei mehreren anstehenden Sanierungsmaßnahmen diejenige auszuwählen, die über die Sonderumlage abzuwickeln ist. Das Landgericht hat es zwar unterlassen, Feststellungen zum sonstigen Sanierungsaufwand zu treffen (vgl. BayObLG WuM 2004, 112), der in absehbarer Zeit, beurteilt im Zeitpunkt der Beschlussfassung, auf die Gemeinschaft zukommt. Diese Feststellungen kann der Senat jedoch ausnahmsweise nachholen, weil sie sich, soweit erheblich, aus dem unstreitigen Akteninhalt ergeben (siehe Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 45).

Die Antragsgegner haben unwidersprochen vorgetragen, für die Balkonsanierung, insbesondere für die Abwicklung der Gewährleistungsansprüche, ständen Zahlungsverpflichtungen in Höhe von mindestens 60.000 EURO im Raum. Zwar war im März 2003 ein selbständiges Beweisverfahren nur über Mängel am Balkon einer einzigen Wohnung anhängig. Ersichtlich stand diese Untersuchung aber unter dem nahe liegenden Vorbehalt einer möglichen Erstreckung der Beweisaufnahme auf die konstruktiv gleichen übrigen neun Balkone. Dies kam in der Eigentümerversammlung vom 25.2.2004 zur Sprache. Eine erweiterte Beweissicherung ist inzwischen auch eingeleitet. Wie das Vorgehen der Wohnungseigentümer hinsichtlich der Balkonsanierung zeigt, rechnen diese zwar damit, dass vorhandene Mängel im Rahmen der Gewährleistungshaftung beseitigt und Gutachter-, Rechtsanwalts- und sonstige Verfahrenskosten von den am Bau beteiligten Handwerkern erstattet werden. Erfahrungsgemäß ist bei Bauprozessen aber mit hohen Risiken zu rechnen. Angesichts bereits vorgestreckter Kosten von ca. 11.000 EURO im Beweissicherungsverfahren und geschätzten Mängelbeseitigungskosten von ca. 60.000 EURO bewegt es sich im Rahmen des den Wohnungseigentümern zuzubilligenden Ermessens, neben einem zurückbehaltenen werkvertraglichen Honorar von 7.000 EURO weiter eine verhältnismäßig hohe Rücklage von rund 32.000 EURO selbst bei einem geschätzten jährlichen Zuwachs um rund 4.000 EURO vorzuhalten.

Die schwierige Kalkulierbarkeit des tatsächlich nötigen, auf jeden Fall aber beträchtlichen Mängelbeseitigungsaufwands, der der Gemeinschaft zumindest vorläufig entstehen wird, legt es auch aus abrechnungstechnischen Gründen nahe, hierfür die vorhandene Rücklage zu verwenden. Schließlich spielt die Überlegung, die einzelnen Eigentümer durch die Sonderumlage übermäßig zu belasten, umso weniger eine Rolle, als die beschlossene Dach- und Fassadensanierung ohnehin zu einem großen Teil durch Umlage finanziert werden muss. Denn die Rücklage reicht insgesamt schon nicht aus. Der Umlagenanteil erhöht sich nochmals, weil ein Grundstock der Rücklage auf jeden Fall, auch nach den Vorstellungen der Antragsteller, beibehalten werden soll und muss.

Unter diesen Umständen kann es offen bleiben, ob die Ermessensentscheidung der Wohnungseigentümer, die Rücklage gänzlich unangegriffen zu lassen, zusätzlich noch darauf gestützt werden kann, dass in nächster Zeit mit weiteren beträchtlichen finanziellen Belastungen für einen Fensteraustausch und die Treppenhaussanierung zu rechnen ist, wozu im Jahr 2003 noch keine konkreten Beschlüsse der Wohnungseigentümer gefasst waren.

c) Die Entscheidung hinsichtlich der Verfahrenskosten folgt aus § 47 WEG. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten ist schon deshalb nicht billig, weil in den Rechtszügen unterschiedliche Entscheidungen ergangen sind, dem Antrag der Antragsteller also nicht von vorneherein jede Erfolgsaussicht abzusprechen war.

Die Festsetzung des Geschäftswerts ergibt sich aus § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG. Maßgeblich für den Geschäftswert bei der Anfechtung eines Eigentümerbeschlusses ist das Interesse aller Beteiligten, eine gerichtliche Entscheidung über dessen Gültigkeit herbeizuführen (BayObLG WE 1997, 116; Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 48 Rn. 15). Das Interesse der Antragsteller lässt sich gleichsetzen mit der unterbliebenen Heranziehung zur Sonderumlage, falls ihrer Vorstellung gemäß jedenfalls in Höhe von 20.000 EURO die Rücklage verwendet werden müsste. Die Differenz beläuft sich unter Berücksichtigung ihres Miteigentumsanteils auf 1.430 EURO. In dieser Höhe würde ihr Anteil an der Instandhaltungsrücklage zwar abschmelzen, was aber wirtschaftlich betrachtet hier außer Ansatz bleiben kann. Das Interesse der Antragsgegner ist hingegen nicht gleichzusetzen mit dem Abfluss von 20.000 EURO aus der Instandhaltungsrücklage. Vielmehr bemisst es sich im Wesentlichen nach dem dadurch bedingten Zinsverlust für die Gemeinschaft sowie den Erschwernissen, die ohne ausreichende Rücklage für die Durchsetzung der Gewährleistungsansprüche betreffend die Balkonsanierung zu erwarten sind. Unter Berücksichtigung aller Umstände schätzt der Senat das allseitige Interesse auf insgesamt 3.000 EURO.

III.

Die nach § 9 Abs. 2 BRAGO (§ 32 Abs. 2 RVG) und § 31 Abs. 3 Sätze 1 und 3 KostO zulässige Geschäftswertbeschwerde der anwaltlichen Bevollmächtigten der Antragsteller gegen die landgerichtliche Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren ist nur zum Teil begründet. Der Senat setzt den Geschäftswert entsprechend den vorstehenden Überlegungen zu II. 2. c) auf 3.000 EURO fest. In gleicher Weise ändert der Senat von Amts wegen gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 KostO den Geschäftswert für das amtsgerichtliche Verfahren ab.



Ende der Entscheidung

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