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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.11.2003
Aktenzeichen: 2Z BR 176/03
Rechtsgebiete: WEG, BGB


Vorschriften:

WEG § 21 Abs. 5 Nr. 2
BGB § 133
1. Bei der Auslegung von Eigentümerbeschlüssen sind die allgemeinen Auslegungsregeln zu beachten. Es ist der wirkliche Wille der beschließenden Wohnungseigentümer, soweit er im Wortlaut Ausdruck gefunden hat, maßgeblich und nicht der buchstäbliche Wortlaut.

2. Wesentliche Grundlage für die Beurteilung, ob eine modernisierende Instandsetzung eine Maßnahme der ordnungsmäßigen Instandsetzung darstellt, ist eine umfassende Abwägung aller für und wider die Maßnahme sprechenden Umstände und insbesondere eine Kosten-Nutzen-Analyse.


Gründe:

I.

Der Antragsteller und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer aus 15 Wohnungen bestehenden Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. Die 35 Jahre alte Wohnanlage wird über eine zentrale Anlage beheizt. Das Warmwasser wird in jeder Wohnung durch Wärmetauscher bereitet, die die Energie den Heizungsrohren entnehmen.

Am 19.3.2002 wurde der Antrag, die Warmwasserversorgung entsprechend der vorliegenden Ausarbeitung eines Ingenieurbüros auf eine zentrale Versorgung umzustellen, mit Stimmenmehrheit angenommen. In dem Protokoll ist vermerkt, dass die Maßnahme damit abgelehnt sei, weil die für die bauliche Veränderung erforderliche Einstimmigkeit nicht erzielt worden sei.

In einer weiteren Eigentümerversammlung vom 28.5.2002 fassten die Wohnungseigentümer folgenden Beschluss:

Die Eigentümer bestätigen den Beschluss vom 19.3.2002, die Warmwasserversorgung auf eine zentrale Lösung umzustellen.

Die Maßnahme erfolgt im Rahmen der modernisierenden Instandhaltung.

Die Umstellungsmaßnahmen erfordern einen Aufwand von etwa 55.000 EUR.

Der Antragsteller hat beantragt, den Eigentümerbeschluss vom 28.5.2002 für ungültig zu erklären. Das Amtsgericht hat den Antrag am 9.9.2002 abgewiesen. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde dagegen durch Beschluss vom 28.7.2003 zurückgewiesen. Die Erstattung außergerichtlicher Kosten wurde für keinen Rechtszug angeordnet.

Der Antragsteller wendet sich mit der sofortigen weiteren Beschwerde gegen die Zurückweisung seines Rechtsmittels. Die Antragsgegner wollen mit ihrer Anschlussrechtsbeschwerde die Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten erreichen.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an dieses. Die auf die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten beschränkte Anschlussrechtsbeschwerde der Antragsgegner ist damit gegenstandslos.

1. Das Landgericht hat ausgeführt: Das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschlussanfechtung fehle nicht im Hinblick auf den Eigentümerbeschluss vom 19.3.2002. Wie sich aus der konstitutiven Feststellung des Versammlungsleiters ergebe, sei die Umstellung der Warmwasserversorgung abgelehnt worden. Dieser Eigentümerbeschluss sei durch den weiteren Beschluss vom 28.5.2002 aufgehoben worden. Außerdem sei die Umstellung der Warmwasserversorgung als eine Maßnahme der modernisierenden Instandsetzung beschlossen worden.

Bereits jetzt sei in der Wohnanlage eine gemeinschaftliche Heizungsanlage vorhanden, die über das Heizungswasser auch die Energie für die Warmwasserversorgung liefere. Die Wärmetauscher seien als Teil dieses Gesamtsystems zu sehen. Es werde daher nicht erstmals eine zentrale Warmwasserversorgung geschaffen, vielmehr werde des vorhandene System geändert.

Die Warmwasserversorgung sei insgesamt sanierungsbedürftig. Dies ergebe sich aus den Stellungnahmen mehrerer Wohnungseigentümer. Die beschlossene Maßnahme sei technisch und wirtschaftlich sinnvoller als eine dezentrale Lösung. Unzulässige Eingriffe in das Sondereigentum seien mit der Maßnahme nicht verbunden, weil eine Anschlusspflicht nicht erforderlich sei.

2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Eigentümerbeschluss vom 19.3.2002 der Beschlussanfechtung nicht entgegensteht. Es kann dahinstehen, ob es sich dabei überhaupt um einen Eigentümerbeschluss handelt und nicht nur eine Probeabstimmung vorliegt (siehe dazu Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 23 Rn. 28). Denn in dem Protokoll wurde von dem Versammlungsleiter vor der Abstimmung darauf hingewiesen, dass für eine Beschlussfassung, weil es sich um eine bauliche Veränderung handele, Einstimmigkeit erforderlich sei. Dementsprechend hat der Versammlungsleiter, nachdem zwar mehr Wohnungseigentümer für als gegen den Beschlussantrag gestimmt hatten, festgestellt, dass die Maßnahme mangels Einstimmigkeit abgelehnt sei. Eine Einstimmigkeit im Sinne einer Zustimmung aller beeinträchtigten Wohnungseigentümer und nicht nur der in der Versammlung erschienenen und vertretenen Wohnungseigentümer (vgl. § 22 Abs. 1 WEG) konnte im Übrigen von vornherein nicht erreicht werden, weil in der Versammlung nicht alle Wohnungseigentümer erschienen oder vertreten waren.

Die Feststellung des Versammlungsleiters, dass die Maßnahme abgelehnt sei, hat konstitutive Bedeutung, so dass, wenn von einem Eigentümerbeschluss ausgegangen wird, ein Negativbeschluss vorliegt (vgl. hierzu BGHZ 148, 335 = NJW 2001, 3339).

Zutreffend hat das Landgericht den Eigentümerbeschluss vom 28.5.2002 entgegen seinem Wortlaut nicht als Bestätigung des die Umstellung der Warmwasserversorgung ablehnenden Eigentümerbeschlusses vom 19.3.2002 angesehen, sondern als Annahme des Antrags auf Umstellung der Warmwasserversorgung als Maßnahme einer modernisierenden Instandsetzung. Für die Auslegung von Eigentümerbeschlüssen gelten die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (BayObLG WuM 1992, 90). Maßgeblich ist der Wille der beschließenden Wohnungseigentümer, soweit er im Wortlaut hinreichenden Ausdruck gefunden hat; am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks ist nicht zu haften (§ 133 BGB). Die Auslegung durch das Landgericht wird im Übrigen von keinem der Beteiligten in Frage gestellt.

b) Die Umstellung der Warmwasserversorgung macht Eingriffe in das gemeinschaftliche Eigentum erforderlich, die sich als bauliche Veränderungen darstellen. Sofern sich die Maßnahme im Rahmen einer ordnungsmäßigen Instandhaltung oder Instandsetzung hält, kann sie mit Mehrheit der Stimmen der Wohnungseigentümer beschlossen werden (§ 21 Abs. 3, 4, 5 Nr. 2 WEG). Geht die Maßnahme über eine ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung hinaus, ist dies nicht möglich; vielmehr ist die Zustimmung aller nachteilig betroffenen Wohnungseigentümer erforderlich (§ 22 Abs. 1, § 14 Nr. 1 WEG).

(1) Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass eine "gemeinschaftliche Heizungsanlage vorhanden ist, die über das Heizungsrohrwasser auch die Energie für die in den einzelnen Wohnungen vorhandenen Warmwasserversorgungsanlagen liefert", ferner, dass die "vorhandenen Wärmeaustauscher als Teil dieses Gesamtsystems anzusehen" sind. Diese Feststellungen werden durch die Ausführungen in der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt. Danach wird die Energie sowohl für die Heizung als auch für die Warmwasserversorgung von der gemeinschaftlichen Heizungsanlage bis zur sog. "Wohnungsübernahmestation (WüSt)" geliefert und von dort für die Heizung und die Warmwasserversorgung eingesetzt. Die Heizungsanlage und ihr Betrieb sind auf die von der Heizungsanlage mit Energie belieferte Warmwasserversorgung ausgelegt. Ob die Teile der Heizung und der Warmwasserversorgung ab der Wohnungsübernahmestation im Gemeinschaftseigentum oder Sondereigentum stehen, ist für die Frage, ob die Warmwasserversorgung ein Teil der gemeinschaftlichen und im Gemeinschaftseigentum stehenden Heizungsanlage ist, ohne Bedeutung.

(2) Das Landgericht konnte auf Grund der Äußerungen einer Gruppe von Wohnungseigentümern im Schreiben vom 13.8.2002 zum Ergebnis gelangen, dass die Gemeinschaftsanlage hinsichtlich der Warmwasserversorgung instandsetzungsbedürftig ist. Diese tatrichterliche Feststellung ist für das Rechtsbeschwerdegericht bindend (§ 43 Abs. 1 WEG, § 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 559 Abs. 2 ZPO).

c) Eine ordungsmäßige Instandsetzung einer Anlage liegt auch dann vor, wenn die Instandsetzungsmaßnahme im Zug einer modernisierenden Instandsetzung über die bloße Wiederherstellung eines mangelfreien Zustands der vorhandenen Anlage hinausgeht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass im Rahmen einer Instandhaltung eine sinnvolle Modernisierung der Anlage vorgenommen wird, die die Vorteile neuerer technischer Entwicklungen nutzt. Für die Beurteilung, wo im Einzelfall die Grenze ordnungsmäßiger Instandsetzung liegt, spielen bei der Instandsetzung einer Energieanlage verschiedene Gesichtspunkte eine Rolle, insbesondere die Funktionsfähigkeit der bisherigen Anlage, das Verhältnis zwischen wirtschaftlichem Aufwand und zu erwartendem Erfolg, die künftigen laufenden Kosten, die langfristige Sicherung des Energiebedarfs, Gesichtspunkte der Umweltverträglichkeit und insbesondere auch, inwieweit sich die geplante Modernisierung bereits bewährt und durchgesetzt hat. Der dabei anzulegende Maßstab eines vernünftigen, wirtschaftlich denkenden und erprobten Neuerungen gegenüber aufgeschlossenen Hauseigentümers darf dabei gerade bei der technischen Ausstattung eines Gebäudes, zu der die Energieversorgungsanlage gehört, nicht zu eng am bestehenden Zustand ausgerichtet werden, wenn die im Wohnungseigentum stehenden Gebäude zum Schaden aller Eigentümer nicht vorzeitig veralten und an Wert verlieren sollen (BayObLGZ 1988, 271/273 f.; 1990, 28/31; KG WuM 1996, 300 f.; OLG Düsseldorf ZWE 2001, 37 f.; Merle in Bärmann/Pick/Merle § 23 Rn. 139).

d) Gemessen an diesen Grundsätzen kommt die beabsichtigte Umstellung der Warmwasserversorgung durch Wärmetauscher und Boiler auf eine zentrale Warmwasserversorgung als ordnungsmäßige Instandsetzungsmaßnahme nur in Betracht, wenn bei einer Abwägung aller für und gegen eine solche Maßnahme sprechenden Umständen die Vorteile überwiegen. Bei einer solchen Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass und in welchem Umfang Eingriffe in das Sondereigentum notwendig werden, ob von einzelnen Wohnungseigentümern Aufwendungen zur Verbesserung der derzeit vorhandenen Warmwasserversorgung in den einzelnen Wohnungen vorgenommen wurden, die sich als gegenstandslos erweisen könnten, insbesondere aber ist eine umfassende Kosten- und Nutzenanalyse unverzichtbar. An einer solchen fehlt es vor allem. Der Antragsteller hat auf diesen Mangel in allen Rechtszügen wiederholt hingewiesen. Die Entscheidung des Landgerichts kann daher keinen Bestand haben.

Eine eigene abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich. In der Ausarbeitung des Ingenieurbüros wurden zwar jeweils die Vor- und Nachteile einer dezentralen und die Vor- und Nachteile der beabsichtigten Warmwasserversorgung gegenübergestellt; diese Gegenüberstellung ist deutlich zu Gunsten einer dezentralen Warmwasserversorgung ausgefallen. Gleichwohl lassen diese Ausführungen keine umfassende Beurteilung der für und gegen die beabsichtigte Maßnahme sprechenden Gesichtspunkte zu, die eine Bewertung aller in Betracht kommenden Umstände durch einen unabhängigen Sachverständigen voraussetzen. Die Sache wird daher an das Landgericht zurückverwiesen. Dieses wird auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und über die Frage einer Erstattung der in allen Rechtszügen angefallenen außergerichtlichen Kosten zu befinden haben. Mit der Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts auch im Kostenpunkt ist die hierauf beschränkte Anschlussrechtsbeschwerde gegenstandslos geworden.

3. Die Geschäftswertfestsetzung für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.



Ende der Entscheidung

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