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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.01.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 229/03
Rechtsgebiete: BGB, WEG


Vorschriften:

BGB § 242
WEG § 15 Abs. 1
WEG § 15 Abs. 3
1. Einem als Praxis beschriebenen Teileigentum widerspricht dessen Nutzung als Gaststätte.

2. Ist ein Teileigentum längerfristig zweckbestimmungswidrig zum Betrieb einer Gaststätte verpachtet, stellt es ohne Hinzutreten besonderer Umstände keinen Verwirkungsgrund dar, wenn der Berechtigte seinen Unterlassungsanspruch erst mit Ablauf des Nutzungsverhältnisses, jedoch noch vor der Begründung eines erneuten gleichartigen Nutzungsverhältnisses anmeldet.

3. Zum Anspruch auf Abänderung der Teilungserklärung.


Gründe:

I.

Die Antragsteller, die Antragsgegner und die weiteren Beteiligten sind die Wohnungs- und Teileigentümer einer Wohnanlage, die aus einem denkmalgeschützten Gebäude besteht. Dieses wurde 1986/1987 umfassend saniert und in Wohnungs- und Teileigentum aufgeteilt. Im jeweiligen Sondereigentum befinden sich im Erdgeschoss zwei Läden und ein Café, im darüber liegenden ersten Dachgeschoss eine in der Teilungserklärung als Praxis bezeichnete Teileigentumseinheit und im Spitzboden zwei Wohnungen. Den Antragstellern gehört das im ersten Geschoss gelegene Teileigentum, die Antragsgegner sind seit 1992 bzw. 1997 die jeweiligen Wohnungseigentümer der darüber befindlichen beiden Wohnungen, die sie auch selbst bewohnen. In den Räumen im ersten Geschoss wurde seit November 1987 aufgrund eines langfristigen Pachtvertrags eine Gaststätte betrieben. Die Nutzung in dieser Form hatte die frühere Bauherrengemeinschaft beschlossen. Eine Änderung der Teilungserklärung vom 1. August 1985 unterblieb jedoch. Die Antragsgegner sind nach dem Auslauf des bisherigen Pachtverhältnisses nicht damit einverstanden, dass die Räume im ersten Dachgeschoss weiter als Gaststätte genutzt werden, was die Antragsteller für rechtsmissbräuchlich halten. Diese haben deshalb beantragt, die Antragsgegner zu verpflichten, der Abänderung der Teilungserklärung dahin zuzustimmen, dass die Räume des Sondereigentums als Gaststätte bezeichnet werden. Das Amtsgericht hat dem Antrag mit Beschluss vom 11.3.2003 stattgegeben. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegner hat das Landgericht am 26.8.2003 den Beschluss des Amtsgerichts abgeändert und den Antrag auf Zustimmung zur Änderung der Teilungserklärung abgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Teilungserklärung sei bisher weder ausdrücklich noch konkludent abgeändert worden. Eine Abänderung folge insbesondere nicht daraus, dass sich die Antragsgegner eine Zeit lang nicht schriftlich gegen die Gaststättennutzung gewandt hätten. Ein Wille, der Nutzung in dieser Form zuzustimmen, komme darin nicht zum Ausdruck.

Die Antragsteller hätten auch keinen Anspruch darauf, dass die Antragsgegner einer Änderung der Teilungserklärung zustimmten. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen lasse ein Festhalten an der Teilungserklärung nämlich nicht als grob unbillig erscheinen.

Die Antragsgegner würden durch die Gaststättennutzung in erheblichem Maß stärker beeinträchtigt, als wenn eine Nutzung der Räume für Praxiszwecke stattfände. Dies zeige schon der Umfang der jeweiligen zeitlichen Nutzung. Im Verkaufsfall müsse das Sondereigentum der Antragsgegner zudem mit einem deutlichen Wertabschlag rechnen, wenn die darunter liegenden Räume als Gaststätte genutzt werden dürften. Für die Antragsteller sprächen zwar die erheblichen Umbaukosten. Sie müssten sich jedoch entgegenhalten lassen, nicht von vornherein für Planungssicherheit gesorgt zu haben. Die Unterlassung, eine Änderung der Teilungserklärung noch in der Planungsphase herbeigeführt zu haben, müsse ihnen zugerechnet werden. Die Nutzung der Räume als Gaststätte sei für die Antragsteller nach dem erholten Sachverständigengutachten zwar die wirtschaftlich optimale Form der Gebrauchsüberlassung. Jedoch seien andere Nutzungsmöglichkeiten, etwa als Arztpraxis, allenfalls erschwert, jedoch nicht ausgeschlossen, zumal die Räume auch für andere Berufsgruppen wie Rechtsanwälte, Steuerberater oder Architekten nutzbar seien. Der für die Antragsteller geschaffene Vertrauenstatbestand sei nicht so stark, dass diese mit einer Fortführung der Gaststättennutzung rechnen dürften. Die maßgeblichen Investitionen seien schon 1985 bei der Einrichtung der Gaststätte vorgenommen worden. Ein Vertrauen habe das Verhalten der Antragsgegner nicht begründet. Auch eine Gesamtabwägung der Interessen lasse es für die Antragsteller nicht unzumutbar erscheinen, ihr Sondereigentum als Praxis zu nutzen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Teilungserklärung, wie sie im Grundbuch verlautbart ist (vgl. § 874 BGB, § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 WEG), bisher nicht abgeändert wurde. Notwendig dafür wäre eine, auch formlos mögliche, Vereinbarung der Wohnungseigentümer untereinander (§ 10 Abs. 2 WEG). Daran fehlt es. Auf Beschlüsse der Bauherrenversammlung können sich die Antragsteller nicht berufen. Denn diese haben in die Teilungserklärung keinen Eingang gefunden (vgl. BayObLG WuM 1994, 222/223).

b) Die Bezeichnung des Sondereigentums in der Teilungserklärung als Teileigentum (§ 1 Abs. 3 WEG), das zusätzlich als Praxis beschrieben wird, stellt eine Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter dar (ständige Rechtsprechung; z.B. BayObLG OLG-Report 2003, 335; 2003, 379; ZMR 2000, 53; 2000, 234; vgl. auch Müller Praktische Fragen des Wohnungseigentums 3. Aufl. Rn. 124 f.). Diese ist für die Wohnungseigentümer verbindlich und lässt solche Nutzungen nicht zu, die mehr stören oder beeinträchtigen als die in der Teilungserklärung nach der Zweckbestimmung vorgesehene Nutzung. Die zweckbestimmungsgemäße Nutzung bildet für das Störungsmoment die obere Messlatte (Müller Rn. 126). Somit ist im Sondereigentum der Antragsteller einerseits jede Nutzung verboten, die bei generalisierender Betrachtungsweise mehr stört als der Betrieb einer Praxis, andererseits jede Nutzung erlaubt, die gleichermaßen oder weniger störend ist.

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Betrieb einer Gaststätte störender ist als der Betrieb einer Praxis. Auch wenn es die Zweckbestimmung des Teileigentums als Praxis erlaubt, die Räume in vielfältigen Formen meist freiberuflicher Tätigkeit zu nutzen (siehe die Beispiele bei Staudinger/Kreuzer WEG § 15 Rn. 30; auch LG Bremen NJW-RR 1991, 1423), so weist doch der Betrieb einer Gaststätte typischerweise eine höhere Publikumsfrequenz und längere Geschäftszeiten auf. Es ist mit störenden Geräusch- und Geruchsimmissionen verbunden, die beim Betrieb einer Praxis gewöhnlich nicht auftreten.

c) Ein Anspruch auf die begehrte Abänderung der Teilungserklärung besteht nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (z.B. BayObLG OLG-Report 2003, 355; ZMR 2001, 997; WE 1989, 109) besteht ein Anspruch auf Abänderung der Teilungserklärung wie der Gemeinschaftsordnung nur dann, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ein Festhalten daran als grob unbillig und damit als gegen Treu und Glauben verstoßend (§ 242 BGB) erscheinen lassen (siehe auch BGH NJW 2003, 3476 zur Abänderung des Kostenverteilungsschlüssels). Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Einer Praxis, die Versuche ermutigen würde, getroffene Vereinbarungen unter Berufung auf Billigkeitserwägungen in Frage zu stellen, ist der Senat stets entgegengetreten, würde sie doch Unruhe in die Gemeinschaft bringen und könnte den Rechtsgrundsatz aushöhlen, dass das einmal Vereinbarte grundsätzlich bindet.

Es besteht kein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Ihr ist auch das Landgericht gefolgt. Es hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise eine grobe Unbilligkeit verneint und zutreffend betont, dass die Antragsgegner ihr Wohnungseigentum jeweils im Vertrauen auf den Bestand der Teilungserklärung erworben haben, während es die Antragsteller als Mitglieder der ursprünglichen Bauherrengemeinschaft in der Hand gehabt hätten, eine abweichende Nutzung in der Teilungserklärung festzulegen.

Ergänzend lässt sich noch festhalten, dass schon der Aufriss des historischen Gebäudes mit einem Erdgeschoss und zwei Dachgeschossen es nahegelegt hat, zwischen der rein gewerblichen Nutzung im Erdgeschoss als Läden und Café und der Wohnnutzung im oberen Dachgeschoss mit Spitzboden für das mittlere Stockwerk in der Teilungserklärung eine Nutzungsform zu wählen, die einen gleitenden Übergang von einer gewerblichen zu einer reinen Wohnnutzung schafft. Dies bildet für die Wohnungen einen wertbestimmenden Faktor.

Eine wirtschaftliche Unverwertbarkeit des Teileigentums, wenn es nur als Praxis genutzt werden könnte, hat das Landgericht hingegen nicht festgestellt. Das erholte Gutachten schließt insbesondere andere zulässige Nutzungsmöglichkeiten als sachgerechte Formen wirtschaftlicher Verwertung des Teileigentums nicht aus. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die baurechtlich notwendige Nutzungsänderung der Räume zum Betrieb einer "Praxis" in den vielfältigen Formen einer freiberuflichen Tätigkeit auf unüberwindliche öffentlich-rechtliche Hindernisse stieße. Angesichts der achtenswerten und gewichtigen Interessen der Antragsgegner können die Antragsteller für sich nicht eine wirtschaftlich optimale Nutzung ihres von Anfang an auf einen bestimmten Gebrauch beschränkten Teileigentums beanspruchen. Hohe Umbaukosten, die dazu dienen, die Räume in einen der Teilungserklärung entsprechenden Zustand zu versetzen, rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Zu Recht belässt es das Landgericht dabei, dass das Vermietungsrisiko die Antragsteller tragen.

d) Allein die Verwirkung des Anspruchs, die Gaststättennutzung zu unterbinden, hätte für die Antragsgegner in der Regel nicht die Folge, unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verpflichtet zu sein, einer Änderung der Teilungserklärung zuzustimmen (vgl. BayObLGZ 2001, 99/102). Letztlich kommt es darauf aber nicht an; denn deren Unterlassungsanspruch ist nicht verwirkt. Das Landgericht hat neben dem Zeit- auch das Umstandsmoment (dazu Palandt/Heinrichs BGB 63. Aufl. § 242 Rn. 93 ff.; aus der Rechtsprechung BayObLG NZM 2000, 44; NZM 1999, 866; WE 1998, 76) verneint. Jedenfalls die Verneinung des Umstandsmoments ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Umstandsmoment setzt voraus, dass der Verpflichtete nach dem Verhalten des Anspruchsberechtigten mit der Geltendmachung der Ansprüche nicht mehr zu rechnen brauchte und sich daher darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, somit ein Vertrauenstatbestand für ihn geschaffen wurde (BayObLG NZM 1998, 966). Das Landgericht hat keine Vermögensdispositionen der Antragsteller gerade im Vertrauen darauf feststellen können, dass die Antragsgegner ihre Rechte nicht geltend machten.

Die Verpachtung des als Praxis ausgewiesenen Teileigentums als Gaststätte hätte die Antragsgegner rechtlich zwar nicht gehindert, den Anspruch auf Unterlassung der zweckwidrigen Nutzung gegen die Antragsteller als Teileigentümer und Verpächter geltend zu machen (BayObLG WE 1998, 76). Andererseits ist die Durchsetzung eines solchen Anspruchs wegen des zwischen dem Wohnungseigentümer als Verpächter und seinem Pächter bestehenden Nutzungsverhältnisses oftmals tatsächlich schwierig, gelegentlich auch unmöglich (vgl. BayObLGZ 1988, 436/444; z.B. auch OLG München ZMR 2003, 707/709). Deshalb stellt es ohne Hinzutreten zusätzlicher Umstände regelmäßig keinen Verwirkungsgrund dar, wenn der berechtigte Wohnungseigentümer den Ablauf des zwischen dem Verpflichteten und seinem Mieter oder Pächter geschlossenen Nutzungsverhältnisses abwartet und erst zu diesem Zeitpunkt, jedoch noch vor einer erneuten gleichartigen Nutzungsüberlassung an einen Dritten, seinen Anspruch anmeldet. Insoweit ist auch der Verkehrswert einer Wohnung nicht dadurch geschmälert, dass der Berechtigte zweckbestimmungswidrige Nutzungen eines benachbarten Teileigentums zeitweise und ohne Aufgabe der eigenen Rechtsansprüche duldet.

3. Der Senat hält es nach § 47 Satz 1 WEG für angemessen, dass die Antragsteller als Gesamtschuldner die gerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen haben. Angesichts der unterschiedlichen Entscheidungen der Vorinstanzen ist es nach § 47 Satz 2 WEG nicht gerechtfertigt, den Antragstellern für diesen Rechtszug eine Kostenerstattung zugunsten der Antragsgegner aufzuerlegen.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG und stimmt mit denjenigen der Vorinstanzen überein.



Ende der Entscheidung

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