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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.07.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 43/04
Rechtsgebiete: GG, BV, WEG


Vorschriften:

GG Art. 97
GG Art. 101
BV Art. 86
BV Art. 87
WEG § 21
1. Im Hinblick auf den in den Landtag eingebrachten Gesetzentwurf zur Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts bestehen derzeit keine durchgreifenden Bedenken dagegen, dass an Beschlüssen in Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit ein abgeordneter Richter am Oberlandesgericht mitwirkt.

2. Ordnungsmäßiger Verwaltung kann es auch entsprechen, wenn die Wohnungseigentümer zunächst lediglich einen Grundsatzbeschluss über die Art der Sanierung des gemeinschaftlichen Eigentums fassen und die Umsetzung weiterer Beschlussfassung vorbehalten. Kommen im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung mehrere Möglichkeiten in Betracht, besteht ein Auswahlermessen. Das setzt aber voraus, dass den Wohnungseigentümern die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen unterbreitet werden.


Gründe:

I.

Der Antragsteller und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer aus zwei Baukörpern bestehenden Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird.

Die Fassaden der Gebäude, die 1977 errichtet wurden, sind mit Asbestzementplatten (sog. Eternitplatten) verkleidet. In der Eigentümerversammlung vom 22.3.2002 wurde unter Tagesordnungspunkt 4 a) mehrheitlich folgender Beschluss gefasst:

Antrag auf Beschlussfassung über Reinigen und Streichen der Fassadenflächen - Kosten lt. Angebot der Firma Sch. EURO 20.747, 77.

Vor Wiedergabe des Abstimmungsergebnisses heißt es in dem Protokoll:

Herr R. (Vertreter der Hausverwaltung) erklärte, dass vor Auftragsvergabe weitere Angebote von behördlich autorisierten Fachfirmen eingeholt werden. Die Oberflächen werden mit Wasser gereinigt, das Wasser wird aufgefangen und vorschriftsmäßig entsorgt.

Der Antragsteller, der eine gesteigerte Gesundheitsgefährdung durch freigesetzte Asbestzementfasern befürchtet und einen völligen Austausch sämtlicher Platten bevorzugt, hat diesen Beschluss fristgerecht angefochten. Die beschlossene Maßnahme sei unzulässig. Sie sei ferner wirtschaftlich nicht sinnvoll und im Übrigen nicht hinreichend bestimmt.

Das Amtsgericht hat den Antrag nach Erholung eines Sachverständigengutachtens durch Beschluss vom 4.6.2003 abgewiesen. Das Landgericht hat die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers durch Entscheidung vom 27.1.2004 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Der Senat entscheidet in der Besetzung, die durch den vom Präsidium des Bayerischen Obersten Landesgerichts beschlossenen Geschäftsverteilungsplan in Verbindung mit dem 2. Nachtrag zur Geschäftsverteilung vom 19.4.2004 und durch die senatsinterne Geschäftsverteilung, zuletzt geändert am 3.5.2004, vorgegeben ist. Das hat zur Folge, dass eine für ein Jahr zum Bayerischen Obersten Landesgericht abgeordnete Richterin am Oberlandesgericht, die zugleich Berichterstatterin ist, mitwirkt.

Der Senat hat bei jeder Entscheidung von Amts wegen zu prüfen, ob er vorschriftsmäßig besetzt ist. Abgeordnete Richter sind gesetzliche Richter, wenn für die Abordnung ein sachlicher Grund besteht (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV). Dem Bayerischen Landtag liegt inzwischen ein Gesetzentwurf zur Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vor. Dies stellt jedenfalls derzeit einen sachlichen Grund dafür dar, dass die Justizverwaltung aus fiskalischen Gründen eine stellenplangemäße Neubesetzung der Richterstellen am Bayerischen Obersten Landesgericht (Art. 10 AGGVG) nicht durchführt. Bedenken im Hinblick auf die sachliche und persönliche Unabhängigkeit (Art. 97 GG; Art. 85, 87 Abs. 1 Satz 2 BV) bestehen nicht, zumal die mitwirkende Richterin am Oberlandesgericht auf die Stelle befördert wurde, die sie auf Dauer innehaben soll, eine Einflussnahme der Justizverwaltung, wie sie im Fall einer Erprobung möglich erscheint, also ausscheidet. Welche Tätigkeiten die abgeordnete Richterin ehrenamtlich ausübt oder in ihrem früheren Geschäftsbereich beim Landgericht ausgeübt hat, ist von vorneherein ohne Bedeutung. Der Rechtsbeschwerdeführer hatte hinreichend Gelegenheit, sich zu den maßgebenden Fragen zu äußern. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 91 Abs. 1 BV) gebietet es nicht, die Entscheidung weiter hinauszuzögern.

2. Das Landgericht hat ausgeführt:

Der angefochtene Eigentümerbeschluss vom 22.3.2002 entspreche ordnungsmäßiger Verwaltung. Zu einer solchen gehöre insbesondere die ordnungsmäßige Instandhaltung und die Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums, mithin auch das Streichen der altersentsprechende Schadstellen und Materialermüdungen aufweisenden Fassadenplatten. Einstimmige Beschlussfassung sei nicht erforderlich gewesen, da gerade keine bauliche Veränderung nach § 22 WEG beschlossen worden sei. Die in der ordnungsgemäß einberufenen Eigentümerversammlung beschlossene Maßnahme sei nach den Ausführungen des Sachverständigen unabhängig davon, ob es sich bei den Fassadenplatten um beschichtete oder unbeschichtete Platten handle, gesetzlich zulässig. Dass laut Gutachten ohnehin über den reinen Austausch hinaus flankierende Maßnahmen notwendig würden, betreffe die konkrete Ausführung und stehe der Rechtmäßigkeit des hier gegenständlichen Grundsatzbeschlusses nicht entgegen. Wenn sich die Mehrheit der Eigentümer auf der Grundlage zweier Angebote, die einerseits das Reinigen und Streichen, andererseits eine komplette neue Verkleidung der Fassade zum Gegenstand gehabt hätten, aus Kostengründen für erstere Lösung entschieden hätten, sei dies vertretbar und von der Minderheit hinzunehmen, und zwar unabhängig von möglichen Wertverlusten. Die vom Sachverständigen für erforderlich gehaltenen zusätzlichen Maßnahmen und die ebenfalls geäußerten Zweifel an der Qualifikation der Firma Sch. beträfen die konkrete Vergabe der Arbeiten, die nicht Gegenstand des angefochtenen Beschlusses sei. Dass die Details der Auftragsvergabe in einem weiteren Beschluss festgelegt werden müssten, sei dem hier gewählten zweistufigen Verfahren immanent und führe nicht zur fehlenden Bestimmtheit des Beschlusses vom 22.3.2002.

3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht stand.

a) Rechtsfehlerfrei hat die Beschwerdekammer zunächst ausgeführt, dass der Beschlussgegenstand bei der Einberufung der Eigentümerversammlung ausreichend bezeichnet war (§ 23 Abs. 2 WEG). Eine stichwortartige Bezeichnung des Beschlussgegenstands reicht aus, um dem Informationsbedürfnis der Wohnungseigentümer Rechnung zu tragen (Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9.Aufl. § 23 Rn.79; st. Rspr., vgl. z.B. BayObLG NZM 2002, 869). Vorliegend entsprach die Formulierung in dem Einladungsschreiben dem letztendlich gefassten Beschluss. Eine weitergehende Konkretisierung, insbesondere ein Hinweis darauf, dass die konkrete Auftragsvergabe noch nicht beschlossen werden sollte, war nicht erforderlich.

b) Der angefochtene Beschluss erweist sich aber aus anderen Gründen als von Rechtsfehlern beeinflusst.

(1) Nach § 21 Abs. 3 WEG beschließen die Wohnungseigentümer mit Stimmenmehrheit über eine der Beschaffenheit des gemeinschaftlichen Eigentums entsprechende ordnungsmäßige Verwaltung. Zu einer solchen gehört insbesondere auch die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 21 Abs. 5 Nr.2 WEG). Das Reinigen und Streichen der Fassadenflächen war hier, wie das Landgericht demgemäß ohne Rechtsfehler festgestellt hat, einer Mehrheitsentscheidung zugänglich.

(2) Zutreffend hat das Beschwerdegericht den angefochtenen Beschluss auch dahingehend ausgelegt, dass keine konkrete Auftragsvergabe, insbesondere keine solche an die Firma Sch., beschlossen werden sollte, sondern lediglich das grundsätzlich zu wählende Verfahren bei der Sanierung der Fassade. Eigentümerbeschlüsse sind "aus sich heraus" objektiv und normativ auszulegen, ohne dass es auf die subjektiven Vorstellungen der an der Beschlussfassung Beteiligten ankommt (BGHZ 139, 288/291 ff.; Merle in Bärmann/Pick/Merle § 23 Rn.52 m.w.N.). Die in dem Protokoll der Eigentümerversammlung enthaltene Erklärung der Verwalterin, vor einer Auftragsvergabe weitere Angebote autorisierter Fachfirmen einholen zu wollen, die Gegenstand der Willensbildung der Wohnungseigentümer ist, bringt die beabsichtigte Zweistufigkeit des Verfahrens mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck.

(3) Der angefochtene Beschluss entspricht aber deswegen nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, weil die Wohnungseigentümer ihn ohne ausreichende Entscheidungsgrundlage gefasst haben.

Eine Maßnahme liegt dann im Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer und entspricht ordnungsmäßiger Verwaltung nach § 21 Abs. 4, Abs. 5 Nr.2 WEG, wenn sie bei objektiv vernünftiger Betrachtung oder Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls nützlich ist (Merle in Bärmann/Pick/Merle § 21 Rn.64). Kommen im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung mehrere Maßnahmen in Betracht, so ist es Sache der Wohnungseigentümer, durch Beschlussfassung in der Eigentümerversammlung eine Auswahl zu treffen. Die Wohnungseigentümer besitzen einen Beurteilungsspielraum zwischen mehreren möglichen Alternativen und müssen weder zwangsläufig die aufwändigste noch die kostengünstigste wählen (BayObLG ZMR 2003, 951; OLG Düsseldorf WuM 1999, 352; Niedenführ/Schulze WEG 6.Aufl. § 21 Rn.26). Hier haben sich die Wohnungseigentümer mehrheitlich dafür ausgesprochen, anstelle der kompletten neuen Verkleidung der Fassade (Kosten nach bereits am 29.3.2001 erholten Angebot: 202.699,04 DM) die vorhandenen Platten reinigen und streichen zu lassen. Die damit vom Grundsatz her beschlossene Vorgehensweise bei der Fassadensanierung könnte im Rahmen eines etwaigen späteren gerichtlichen Verfahrens betreffend die Konkretisierung und Umsetzung nicht mehr in Frage gestellt werden (BayObLG NZM 1999, 910).

Das Landgericht hat unter Bezugnahme auf das bereits vom Amtsgericht erholte Sachverständigengutachten vom 13.12.2002 in Verbindung mit dem Ergänzungsgutachten vom 26.7.2003 festgestellt, dass die beschlossene Maßnahme zwar gesetzlich zulässig sei, der Farbanstrich allein aber nicht ausreiche, sondern flankierende Maßnahmen, wie etwa der Austausch einzelner nicht mehr zu sanierender Platten, und die Vergabe an eine autorisierte Fachfirma erforderlich würden, die das Vorhaben nach Durchführung einer vorbereitenden Planungsphase voraussichtlich entsprechend verteuerten. Die im laufenden gerichtlichen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse lagen zur Zeit der Beschlussfassung nicht vor. Damit die Eigentümer von ihrem Auswahlermessen sinnvoll Gebrauch machen können, ist es aber notwendig, dass ihnen eine ausreichende Entscheidungsgrundlage zur Verfügung steht. Das im Vorfeld der Beschlussfassung erholte Angebot der Firma Sch. stellt eine derartige Grundlage schon deswegen nicht dar, weil dieses Unternehmen zur Ausführung der erforderlichen Arbeiten nicht autorisiert ist. Aufgrund der Feststellungen des Landgerichts ist absehbar, dass der im Angebot genannte Kostenrahmen bei einer fachgerechten Ausführung der beschlossenen Maßnahme bei weitem nicht ausreicht. Davon, dass die Eigentümerversammlung sich auch bei Kenntnis der Sachlage in jedem Fall für das gewählte Sanierungsverfahren entschieden hätte, kann nicht ausgegangen werden, zumal nach dem Gutachten Probleme beim Erzielen eines gleichmäßigen optischen Eindrucks von der Fassadenfläche entstehen könnten. Der Eigentümerbeschluss ist daher für ungültig zu erklären.

Der Senat kann über die Ordnungsmäßigkeit des Eigentümerbeschlusses selbst entscheiden, weil die dazu erforderlichen Feststellungen dem unstreitigen Akteninhalt zu entnehmen sind.

4. Die Kostenentscheidung für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 47 WEG. Es entspricht der Billigkeit, dass die unterlegenen Antragsgegner die Gerichtskosten aller Rechtszüge vollständig zu tragen haben. Dagegen ist die Anordnung einer außergerichtlichen Kostenerstattung angesichts der abweichenden Instanzentscheidungen nicht gerechtfertigt.

Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren ergibt sich aus § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.

Ende der Entscheidung

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