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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.10.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 53/04
Rechtsgebiete: BGB, WEG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 917
WEG § 15 Abs. 3
WEG § 45 Abs. 1
ZPO § 533 Nr. 2
1. Antragsänderungen und -erweiterungen im Beschwerderechtszug des Wohnungseigentumsverfahrens folgen den Regelungen der Zivilprozessordnung; ob dabei auch § 533 Nr. 2 ZPO anzuwenden ist, bleibt offen.

2. Ein Notwegrecht kann ohne vertragliche oder gerichtliche Festlegung nicht ausgeübt werden. Es gibt gegen den Nachbarn in der Regel keinen Anspruch auf Zufahrt mit Kraftfahrzeugen.

3. Das Sondernutzungsrecht eines Wohnungseigentümers an einer gemeinschaftlichen Grundstücksfläche unterliegt einer immanenten Beschränkung nur insoweit, als eine Mitbenutzung durch andere Wohnungseigentümer zur ordnungsmäßigen Benutzung von anderem Gemeinschaftseigentum oder von Sondereigentum notwendig ist.


Gründe:

I.

Antragstellerin und Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer aus zwei Reihenhäusern bestehenden Anlage. An diese schließen sich weitere Reihenhäuser an, die auf gesonderten Grundstücken in einem spitzen Winkel zwischen der im Süden gelegenen P.-Straße und der im Nordosten verlaufenden S.-Straße liegen. Am westlichen Ende ist die Hausreihe nach Norden gebogen. An diesem nördlichen Ende liegen die beiden Reihenhäuser der Beteiligten. Der Grundstücksteil des Antragsgegners liegt näher zur P.-Straße; das Anwesen der Antragstellerin nimmt den rückwärtigen Teil des Grundstücks in Anspruch.

Hinsichtlich der Grundstücksflächen um die beiden Reihenhäuser der Beteiligten enthält die Teilungserklärung von 1977 in Nr. 4. "Sondernutzungsrechte" u.a. folgende Bestimmungen:

4.1. Den jeweiligen Eigentümern der nachstehend bezeichneten Raumeigentumsrechte steht das ausschließliche Sondernutzungsrecht für die betreffenden in dem dieser Urkunde als wesentlicher Bestandteil beigefügten Lageplan farbig gekennzeichneten Flächen zu, wie folgt: ...

4.1.3 Soweit dies nach baurechtlichen Vorschriften zulässig ist, dürfen die vorstehenden Sondernutzungsflächen durch einen Zaun abgetrennt werden.

4.2. Jedem Raumeigentümer steht das Sondernutzungsrecht für diejenigen Teile, Anlagen und Einrichtungen jeden Hauses zu, die zwar im gemeinschaftlichen Eigentum stehen, aber nur dem jeweiligen Eigentümer des betreffenden Raumeigentums zu dienen bestimmt sind. ...

5. Im Übrigen haben sich die beiden Raumeigentumsberechtigten, soweit dies gesetzlich zulässig ist, so zu stellen, als wenn es sich bei den beiden Einheiten um vermessene selbständige Grundstücksparzellen handelte.

Das gemeinsame Grundstück hat nach Süden zur P.-Straße eine etwa 3 m breite, schlauchartige Verlängerung. Auf diesen Grundstücksstreifen erstreckt sich eine Grunddienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentümers des südöstlich gelegenen Nachbargrundstücks mit folgendem Inhalt: "Der jeweilige Eigentümer des herrschenden Grundstücks darf diejenige Fläche des dienenden Grundstücks, die ..., als Gartenfläche anlegen und benutzen. ... Der Eigentümer des dienenden Grundstücks darf diese Fläche nur in Notfällen, wie z.B. für Feuerwehrzufahrt oder bei Krankentransport benutzen."

Erreichbar sind die Reihenhäuser, auch die der Beteiligten, über einen etwa 1,5 m breiten Fußweg, der an der S.-Straße beginnt und am Nord- bzw. Ostrand der Grundstücke entlang führt. Außerdem befindet sich unter einigen der Reihenhäuser eine gemeinsame Tiefgarage, die von der S.-Straße zu befahren ist.

Die Antragstellerin hat beim Amtsgericht beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, auf einem Grundstücksstreifen von 3,02 m Breite entlang der westlichen Grundstücksgrenze auf seiner Sondernutzungsfläche jegliche Bepflanzung mit Ausnahme von Rasen zu beseitigen und künftig auf diesem Streifen keine Pflanzen außer Rasen auszusäen oder anzupflanzen, ferner in Zukunft etwa entstehende Pflanzen außer Rasen auf diesem Streifen zu beseitigen und keine einer Benutzung des Streifens als Notweg entgegenstehenden Gegenstände dauerhaft aufzustellen. Sie ist der Ansicht, dass ihr für Feuerwehrzufahrt, Krankentransporte oder gravierende Baumaßnahmen ein Recht zusteht, von der P.-Straße über die Sondernutzungsfläche des Antragsgegners zu ihrem Haus zu fahren.

Das Amtsgericht hat nach Einnahme eines Augenscheins mit Beschluss vom 21.5.2003 den Antragsgegner verpflichtet, einen Laubbaum zu beseitigen, der am Zaun zur Sondernutzungsfläche der Antragstellerin steht und dessen Äste weit in den Garten der Antragstellerin hineinragen. Im Übrigen hat es die Anträge abgewiesen. Mit der sofortigen Beschwerde hat die Antragstellerin die abgewiesenen Anträge weiter verfolgt und zusätzlich beantragt, den ursprünglichen Zustand der zwischen den Sondernutzungsflächen der Beteiligten befindlichen Holztrennwand wieder herzustellen. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 4.2.2004 den neuen Antrag als unzulässig abgewiesen und die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin.

II.

Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Aus der Regelung in Nr. 5 der Teilungserklärung ergebe sich, dass die Wohnungseigentümer innerhalb ihres räumlichen Bereichs, gebildet durch das Reihenhaus und die Sondernutzungsfläche, weitgehend wie Alleineigentümer berechtigt und verpflichtet sein sollten. Für Beseitigungsansprüche nach § 1004 Abs. 1 BGB seien folglich nicht die Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes, wie § 22 Abs. 1, § 15 Abs. 3, § 14 Nr. 1 WEG, maßgebend, sondern die allgemeinen nachbarrechtlichen Vorschriften des Privatrechts und des öffentlichen Rechts.

Ein Beseitigungsanspruch aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften sei nicht gegeben, weil die beiden Reihenhäuser der Beteiligten aufgrund einer Baugenehmigung errichtet worden seien und damit feststehe, dass nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen worden sei. Im Übrigen erforderten entgegen der Ansicht der Antragstellerin die Vorschriften der Bayerischen Bauordnung im vorliegenden Fall keine Feuerwehrzufahrt, sondern begnügten sich mit einem Zugang, da es sich um ein Gebäude geringer Höhe handele.

Ein Notwegrecht nach § 917 BGB stelle einen ausreichenden Zugang zum Grundstück nur für eine ordnungsgemäße Nutzung sicher und erstrecke sich grundsätzlich nicht auf eine Zufahrt mit Kraftfahrzeugen. Zur Gefahrenabwehr könne gegenüber jedem Eigentümer eines Nachbargrundstücks das Notstandsrecht aus § 904 BGB in Anspruch genommen werden.

Ein Anspruch aus § 15 Abs. 3 WEG scheide aus, weil die Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes durch die Teilungserklärung wirksam abbedungen seien. Im Übrigen ergäbe sich aus dieser Vorschrift keine Verpflichtung des Antragsgegners, einen 3 m breiten Streifen über seine Sondernutzungsfläche zur P.-Straße hin freizuhalten. Zugang für Krankentransporte bestehe über den Fußweg von der S.-Straße aus. Eine Anfahrt über eine unbefestigte Rasenfläche dürfte kaum weniger Zeit in Anspruch nehmen als die Anfahrt über die Tiefgarage oder den befestigten Fußweg.

Der erstmals in der Beschwerdeinstanz gestellte Antrag hinsichtlich der Holztrennwand sei als unzulässig abzuweisen, da er weder sachdienlich sei noch auf Tatsachen gestützt werden könne, die die Beschwerdekammer ohnehin ihrer Entscheidung zugrunde zu legen habe. Denn eine Entscheidung über den neuen Antrag erfordere eine Beweisaufnahme über den bestrittenen ursprünglichen Zustand der Holztrennwand.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Zu Recht hat das Landgericht den im Beschwerdeverfahren neu gestellten Antrag nicht sachlich verbeschieden, sondern als unzulässig abgewiesen. Antragsänderungen oder -erweiterungen werden im Wohnungseigentumsverfahren als einem echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach den Bestimmungen und Grundsätzen der Zivilprozessordnung behandelt (BayObLG WuM 1994, 638/639; ZMR 1995, 495/496). Im Beschwerdeverfahren ist deshalb ein neuer Antrag nur dann zulässig, wenn entweder der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält (§ 533 Nr. 1 ZPO). Ob daneben auch die Voraussetzung von § 533 Nr. 2 ZPO erfüllt sein muss (so Niedenführ/Schulze WEG 7. Aufl. vor §§ 43 ff Rn. 60; a.A. Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 45 Rn. 60), braucht hier nicht entschieden zu werden, da es nicht sachdienlich war, das ansonsten entscheidungsreife Beschwerdeverfahren durch eine Zulassung des neuen Antrags und die dadurch notwendig werdende Beweisaufnahme zu verzögern (vgl. BayObLG ZMR 2004, 125/127).

b) Öffentlich-rechtliche Vorschriften, insbesondere Vorschriften des Baurechts, bilden keine Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, wie die Antragstellerin in der Begründung ihrer Rechtsbeschwerde selbst zugesteht. Denn das Verhältnis von Wohnungseigentümern untereinander wird durch die Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes und des allgemeinen Zivilrechts bestimmt. Vorschriften des Baurechts spielen dabei allenfalls dann eine Rolle, wenn sie Nachbar schützende Funktion haben. Das ist aber bei den Vorschriften über die ausreichende Erschließung eines Grundstücks nicht der Fall.

c) Die von der Antragstellerin erhobenen Ansprüche lassen sich entgegen ihrer Ansicht auch nicht auf § 15 Abs. 3 WEG stützen. Das liegt aber nicht an einer Sperrwirkung der Baugenehmigung, sondern daran, dass Nr. 5 der Teilungserklärung die Geltung der Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes im Verhältnis der Beteiligten untereinander weitgehend ausschließt.

Nach dieser Vereinbarung hat die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner nur diejenigen Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, die ein Grundstückseigentümer gegenüber seinen Nachbarn auf angrenzenden Grundstücken hätte. Das allgemeine Nachbarrecht gibt aber keinen Anspruch gegenüber einem Nachbarn, dass dieser im Interesse der Erreichbarkeit eines anderen Grundstücks mit Kraftfahrzeugen einen Streifen auf seinem Grundstück nur mit Gras bepflanzt. Wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat, ist dafür insbesondere § 917 Abs. 1 BGB keine geeignete Anspruchsgrundlage. Zum einen gehört zur ordnungsmäßigen Benutzung eines Wohngrundstücks nicht die Erreichbarkeit mit einem Kraftfahrzeug (OLG Karlsruhe NJW-RR 1995, 1042), insbesondere wenn wie hier in unmittelbarer Nähe eine Tiefgarage zur Verfügung steht (vgl. AnwK-BGB/Ring § 917 Rn. 19). Zum anderen gibt § 917 Abs. 1 BGB nur einen Anspruch auf Duldung der Benutzung des anderen Grundstücks auf dem durch Vereinbarung oder Urteilsspruch festgelegten Weg (AnwK-BGB/Ring § 917 Rn. 30). Die Herstellungs- und Unterhaltungspflicht trifft den Notwegberechtigten (Erman/A. Lorenz BGB 11. Aufl. § 917 Rn. 7).

d) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ergeben sich die erhobenen Ansprüche auch nicht aus der Grunddienstbarkeit zugunsten des Nachbargrundstücks, mit dem der südliche Grundstückszipfel des gemeinsamen Grundstücks belastet ist. Diese Grunddienstbarkeit verleiht Rechte nur dem Eigentümer des Nachbargrundstücks. Allerdings hat die Antragstellerin Recht, wenn sie darauf verweist, dass dieser Streifen Teil des gemeinsamen Grundstücks ist und dass daran ein Sondernutzungsrecht des Antragsgegners nicht begründet ist. Das bedeutet, dass die Antragstellerin diesen Grundstücksstreifen im gleichen Maß benützen darf wie der Antragsgegner (§ 13 Abs. 2 Satz 1 WEG), sofern der Gebrauch nicht der Grunddienstbarkeit widerspricht, also in "Notfällen, wie z.B. für Feuerwehrzufahrt oder bei Krankentransport". Dieses Mitbenutzungsrecht der Antragstellerin endet aber an der Grenze des Sondernutzungsrechts des Antragsgegners. Dieses Sondernutzungsrecht ist nicht eingeschränkt wie die Grunddienstbarkeit. Das mag ein gewisser Widerspruch sein, kann aber nur durch eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten bereinigt werden. Da sowohl die Grunddienstbarkeit als auch das Sondernutzungsrecht des Antragsgegners durch Bezugnahme Inhalt des Grundbuchs sind, hat die Auslegung den für das Grundbuch geltenden Regeln zu folgen. Hiernach ist auf Wortlaut und Sinn abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung aus dem Eintragungsvermerk und der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung ergibt. Umstände außerhalb dieser Urkunden dürfen nur insoweit herangezogen werden, als sie nach den besonderen Umständen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (Demharter GBO 24. Aufl. § 53 Rn. 4 mit weiteren Nachw.). Demgemäß kommt eine ergänzende Auslegung der Teilungserklärung, wie sie die Antragstellerin befürwortet, nicht in Betracht.

e) Schließlich kann sich die Antragstellerin für die geltend gemachten Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche auch nicht auf immanente Schranken des Sondernutzungsrechts des Antragsgegners berufen. Zwar ist zutreffend, dass die Sondernutzungsfläche gemeinschaftliches Eigentum beider Wohnungseigentümer ist und demgemäß den Bindungen des Gemeinschaftsverhältnisses unterliegt (vgl. Pick in Bärmann/Pick/Merle § 15 Rn. 17). Doch ergibt sich aus diesen immanenten Schranken ein Recht zum Mitgebrauch nur dann, wenn er erforderlich ist, um das Sondereigentum oder andere Teile des Gemeinschaftseigentums ordnungsmäßig nutzen zu können (vgl. KG NJW-RR 1990, 333; OLG Stuttgart WuM 2001, 293). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die gewöhnliche Nutzung des Sondereigentums und der Sondernutzungsfläche der Antragstellerin erfordert es nicht, die Sondernutzungsfläche des Antragsgegners zu betreten, zu befahren oder sonst wie mitzubenutzen. Für außergewöhnliche Nutzungsarten wie Krankentransport und Anfahrt von Feuerwehrfahrzeugen steht der Antragstellerin nach den Feststellungen des Amtsgerichts beim Augenscheinstermin eine Zufahrtsmöglichkeit über das nördliche Nachbargrundstück zur Verfügung. Diese Zufahrtsmöglichkeit kann die Antragstellerin nach § 904 BGB ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse am Nachbargrundstück beanspruchen (vgl. AnwK-BGB/Ring § 917 Rn. 20; Staudinger/H. Roth BGB Bearbeitung 2001 § 917 Rn. 22).

Ob für ein vorübergehendes gewöhnliches Bedürfnis, wie etwa Anfahrt mit Baufahrzeugen, ein Notwegrecht nach § 917 BGB über die Sondernutzungsfläche des Antragsgegners oder über das Nachbargrundstück im Norden besteht (AnwK-BGB/Ring § 917 Rn. 20; Staudinger/H. Roth a.a.O. § 917 Rn. 22), ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG. Da die Antragstellerin in allen Rechtszügen im Wesentlichen unterlegen ist, entspricht es der Billigkeit, auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren die Erstattung der außergerichtlichen Kosten anzuordnen. Die mit dem Landgericht übereinstimmende Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.

Ende der Entscheidung

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