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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 26.05.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 56/04
Rechtsgebiete: WEG, ZPO


Vorschriften:

WEG § 45 Abs. 2 S. 2
WEG § 14 Nr. 1
ZPO § 322 Abs. 1
1. Der Umfang der materiellen Rechtskraft eines im Wohnungseigentumsverfahren ergangenen Beschlusses ist durch Auslegung zu ermitteln.

2. Aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme kann bei zerstrittenen Wohnungseigentümern die Pflicht folgen, ihre Rechte so auszuüben, dass Streit fördernde Begegnungen vermieden werden.


Gründe:

I. Die Beteiligten sind Wohnungseigentümer einer aus drei Wohnungen bestehenden Anlage. Je zur Hälfte gehören den Antragstellern die im Aufteilungsplan mit Nr. 3 bezeichneten Räume samt Garage und den Antragsgegnern, die die Anlage errichtet hatten, die im Aufteilungsplan mit Nr. 2 bezeichneten Räumlichkeiten. Nach § 1 Nr. 6 der Gemeinschaftsordnung vom 30.11.1990 steht den jeweiligen Eigentümern der Raumeinheit Nr. 2 das alleinige Recht zu, die Teile der Umgriffsfläche, welche nicht als Zugangs- oder Zufahrtsfläche, Platz für Müllbehälter, Teppichklopfplatz usw. benötigt werden, zu nutzen. Im ersten Nachtrag zur Teilungserklärung vom 1.4.1992 wurde die Gemeinschaftsordnung dahin abgeändert, dass den jeweiligen Eigentümern der Raumeinheit Nr. 3 das Recht zusteht, die nach dem der Urkunde beigefügten Plan grün dargestellte unbebaute Grundstücksfläche (ca. 100 m²) östlich des Wohngebäudes und südlich des Garagengebäudes unter Ausschluss der übrigen Eigentümer als Garten zu nutzen.

Die Beteiligten, die wegen der Bestimmung der Grenze der den Antragstellern zustehenden Sondernutzungsfläche bereits ein Verfahren nach dem Wohnungseigentumsgesetz durchgeführt hatten, welches durch Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 28.2.2001 (= ZWE 2001, 552) rechtskräftig entschieden wurde, streiten nach wie vor um die Abgrenzung der Nutzungsrechte im Gartenbereich. Die Antragsteller begehren die Entfernung eines von den Antragsgegnern im Bereich vor dem südlichen Erkerfenster im September 2002 errichteten Maschendrahtzauns. Ferner erstreben sie die Beseitigung eines vor diesem zu ihrer Wohnung gehörenden Fenster aufgestellten Leiterwagens samt Pflanzkübeln. Sie sind der Meinung, dass der Zaun nicht entlang der tatsächlichen Grenze verlaufe und sich Leiterwagen und Pflanzen nicht im sondernutzungsfähigen Bereich der Antragsgegner befänden. Die Antragsgegner berufen sich auf den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts, der ihnen das Recht gebe, den Zaun entsprechend zu ziehen und die Gegenstände auf ihrer Umgriffsfläche zu platzieren.

Das Amtsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 25.9.2003 zurückgewiesen. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 11.2.2004 die erstrichterliche Entscheidung dahin abgeändert, dass die Antragsgegner verurteilt wurden, den Zaun zu entfernen, soweit er nicht vom Süd-West-Eck des Hauses 1,1 m entfernt entlang der Hausmauer bis zur südlichen Erkeraußenmauer verlaufe, sowie die unter dem Erkerfenster aufgestellten Pflanzen zu entfernen und den Leiterwagen allenfalls so aufzustellen, dass er nicht auf der Sondernutzungsfläche der Antragsteller stehe. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner.

II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Der von den Antragsgegnern errichtete Zaun verlaufe nicht entlang der Sondernutzungsfläche der Antragsteller, sondern rage teilweise in diese hinein. In diesem Umfang sei er zu entfernen. Gegenstand und Inhalt des den Antragstellern als Eigentümern der Wohnung Nr. 3 eingeräumten Sondernutzungsrechts ergebe sich aus den Eintragungen im Grundbuch, welche Bezug nähmen auf die vertragliche Einräumung dieses Rechts. Durch den bei den Akten befindlichen Plan sei eine maßstabsgetreue exakte Festlegung der Grenze nicht erzielt worden, da die tatsächliche Bauausführung dem Plan nicht entsprochen habe. Zwanglos und zwischen den Beteiligten unstreitig ergebe sich zunächst ein Grenzverlauf entlang der Treppe sowie der Erkeraußenmauer. Vom Bayerischen Obersten Landesgericht sei letztinstanzlich festgelegt worden, dass auf der "anderen Seite des Erkers" die Grenze entlang des Dachüberstands in der Entfernung von ca. 1,1 m von der Hausmauer verlaufe. Der vorliegende Streit drehe sich um den Bereich der "zweiten Außenmauer" des Erkers und sei noch nicht verbeschieden. Entgegen der Auffassung der Beteiligten sei für den Grenzverlauf hier weder ausschließlich die Hausmauer noch der tatsächliche Dachüberstand entscheidend. Aus dem Plan ergebe sich insoweit, dass die Grenze achsenparallel zur Hausmauer bis zur Erkeraußenmauer liege. Vom südwestlichen Eck der Sondernutzungsfläche verlaufe sie somit in einer Entfernung von ca. 1,1 m parallel zur Hausmauer, bis sie auf die Erkeraußenmauer treffe. Damit knicke sie etwa in der Mitte des auf der schrägen Außenwand des Erkers befindlichen Fensters ab und folge ab hier der Erkeraußenmauer. Die Antragsgegner seien zwar befugt, einen Zaun zur Abgrenzung ihrer Umgriffsfläche von der Sondernutzungsfläche der Antragsteller anzubringen, dieser müsse aber dem Grenzverlauf Rechnung tragen und in seiner baulichen Gestaltung, namentlich in seiner Höhe das Vorhandensein des Fensters berücksichtigen. Soweit der Zaun Bereiche unzutreffend der Umgriffsfläche zuordne, sei er zu entfernen. Entsprechendes gelte für die Pflanzen und den Leiterwagen. Im Hinblick auf den zwischen den Beteiligten bestehenden Streit, der bislang schon zu einer Vielzahl von gerichtlichen Verfahren geführt habe, dürften die Antragsgegner die Umgriffsfläche nicht so nutzen, dass es zu Beeinträchtigungen der Antragsteller komme. Das Aufstellen von regelmäßig zu gießenden Kübelpflanzen in einem Bereich, der von den Antragsgegnern praktisch nicht einsehbar sei, könne nur dazu führen, dass es zu einem Mehr an Streit fördernden Begegnungen der Beteiligten kommen müsse. Den Antragsgegnern sei es unter dem Gesichtspunkt der gegenseitigen Rücksichtnahme zumutbar, auf das Aufstellen von Pflanzen insoweit zu verzichten.

2. Die landgerichtliche Entscheidung hält der rechtlichen Überprüfung stand.

a) Für die Abgrenzung des den Antragstellern als Eigentümern der Wohnung Nr. 3 eingeräumten Sondernutzungsrechts an der Gartenfläche von dem zugunsten der Antragsgegner als Eigentümer der Wohnung Nr. 2 bestehenden Nutzungsrechts an der in der Teilungserklärung vom 30.11.1990 näher beschriebenen Umgriffsfläche kommt es in erster Linie auf den dem Nachtrag zur Teilungserklärung vom 1.4.1992 beigefügten Plan an. In diesem Plan ist die den Inhalt des Sondernutzungsrechts der Antragsteller darstellende Gartenfläche durch eine auf dem Originalplan grüne Linie umrissen.

Das Rechtsbeschwerdegericht kann den Inhalt und Umfang eines Grundstücksrechts, wie es sich aus dem Grundbuch sowie aus der in der Eintragung zulässiger Weise in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung samt Anlagen, insbesondere Lageplänen ergibt, selbständig auslegen, wobei auf Wortlaut und Sinn abzustellen ist, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung darstellt (Merle in Bärmann/Pick/Merle WEG 9. Aufl. § 45 Rn. 90; Demharter GBO 24. Aufl. § 44 Rn. 15, § 78 Rn. 17).

Wie das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, war die Grenze im Bereich der etwa in Süd-West-Richtung verlaufenden Erkeraußenmauer nicht Gegenstand des bereits durch das Bayerische Oberste Landesgericht mit Beschluss vom 28.2.2001 abgeschlossenen Verfahrens. Mit Ausnahme der Verfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 3 WEG gehören Wohnungseigentumssachen zu den so genannten echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Entscheidungen in diesem Verfahren sind in gleicher Weise der materiellen Rechtskraft i.S. des § 322 Abs. 1 ZPO fähig wie Urteile im Zivilprozess. Sie sind gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 WEG für die Beteiligten bindend. Das bedeutet, dass über den Verfahrensgegenstand zwischen den selben Beteiligten und deren Rechtsnachfolgern (§ 10 Abs. 3 WEG) keine weitere Entscheidung mehr getroffen werden kann. In Rechtskraft erwachsen außer dem Entscheidungssatz die ihn tragenden rechtlichen Erwägungen (BayObLG NJW-RR 1994, 1425; Merle in Bärmann/Pick/Merle § 45 Rn. 114). Der Umfang der Rechtskraft einer früheren Entscheidung ist durch Auslegung zu ermitteln, die wiederum auch dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt (Demharter § 78 Rn. 16).

Gegenstand des Vorverfahrens war ein Antrag der früheren und jetzigen Antragsteller auf Beseitigung eines bereits vor dem südlichen Beginn des Erkervorsprungs zur Hauswand hin verlaufenden Maschendrahtzauns sowie ein Antrag auf Feststellung des Grenzverlaufs im westlichen Bereich unmittelbar an der Hauswand. Während das Landgericht mit Beschluss vom 27.9.2000 entschieden hatte, dass die (jetzigen und früheren) Antragsgegner den Gartenzaun im südlichen Bereich zu entfernen hätten, hat es den Feststellungsantrag abgewiesen. Der Senat hat die hiergegen gerichtete sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat der Senat u.a. ausgeführt, als nächstliegende Bedeutung der in das Grundbuch eingetragenen Gemeinschaftsordnung für den strittigen westlichen Teil südlich des Erkers sei es anzusehen, dass der tatsächliche Dachüberstand von ca. 1,1 m des bei der maßgeblichen ersten Änderung der Teilungserklärung schon im wesentlichen fertig gestellten Gebäudes die Grenze bilde, nicht aber eine gedachte Linie entsprechend dem nach Plan vorgesehenen Überstand von nur 46 cm. Dass im nordwestlichen Teil der Gartenfläche die Grenze zum Gebäude nicht an Hand des Dachüberstands, sondern an Hand anderer Kriterien wie Erkeraußenwand und östlicher Mauerung des Treppenabgangs bestimmt werde, stelle keinen Widerspruch dar, sondern biete sich nach dem Lageplan als nächstliegende Möglichkeit an.

Aus den dargestellten Erwägungen ergibt sich, dass für den hier fraglichen Grenzverlauf entlang der südwestlichen Erkerschräge keine genaue Festlegung getroffen wurde. Vielmehr bietet sich die vom Landgericht vorgenommene Auslegung des Plans als nächstliegende Möglichkeit an, da aus der Linienführung klar ersichtlich ist, dass die aus südlicher Richtung nach den im früheren Verfahren getroffenen Festlegungen zunächst parallel zur Hausmauer entsprechend dem Dachüberstand verlaufende Grenze dann ohne Rücksicht auf den Dachüberstand unmittelbar auf die schräge Außenmauer des Erkers trifft und dieser sodann in nordöstlicher Richtung folgt. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die Antragsgegner somit verpflichtet, den Zaun zu entfernen, soweit er nicht mit dem beschriebenen Grenzverlauf in Einklang steht.

b) Auch die in der Entscheidung des Landgerichts ausgesprochene Verpflichtung der Antragsgegner, die unter dem Erkerfenster aufgestellten Pflanzen zu entfernen sowie den Leiterwagen allenfalls so aufzustellen, dass er nicht auf der Sondernutzungsfläche der Antragsteller steht, hält der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht stand.

Soweit sich der Leiterwagen auf der Sondernutzungsfläche der Antragsteller befindet, ergibt sich der Beseitigungsanspruch bereits aus § 1004 Abs. 1 BGB.

Keinen Bedenken begegnet die Entscheidung der Beschwerdekammer aber auch insoweit, als sie die Antragsgegner gemäß § 15 Abs. 3 WEG zur Entfernung der Pflanzkübel unter dem Erkerfenster der Wohnung des Antragstellers verpflichtet hat. Das Gebrauchsrecht eines Wohnungseigentümers ist nach § 14 Nr. 1 WEG in einer Weise auszuüben, dass keinem anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Das Gebrauchsrecht steht unter dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme (Pick in Bärmann/Pick/Merle § 14 Rn. 32). Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht ausgeführt, dass es angesichts der Vielzahl der ohnehin schon bestehenden Streitigkeiten zwischen den Beteiligten den Antragsgegner zuzumuten sei, die ihnen zustehende Umgriffsfläche so zu nutzen, dass es nicht zu Beeinträchtigungen der Antragsteller kommen könne. Wenn das Beschwerdegericht auf Grund des in mehreren Verfahren von den Beteiligten gewonnenen persönlichen Eindrucks zu dem Ergebnis gelangt ist, dass es allein durch das regelmäßige Gießen der in einem sonst für sie nicht einsehbaren Bereich befindlichen Pflanzen durch die Antragsgegner vor dem Fenster der Antragsteller zu vermeidbaren Konflikten kommen könnte, ist dies aus rechtlichen Gründen nicht zu beanstanden (vgl. auch § 43 Abs. 2 WEG). Soweit die Rechtsbeschwerdeführer vortragen, die Antragsteller seien inzwischen aus der Wohnung ausgezogen, handelt es sich um neue Tatsachen und Beweismittel, die für das Rechtsbeschwerdeverfahren ohne Bedeutung sind (Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler Freiwillige Gerichtsbarkeit 15. Aufl. § 27 Rn. 45).

3. Keinen Bedenken unterliegt auch die Kostenentscheidung des Landgerichts.

Für das Rechtsbeschwerdeverfahren entspricht es der Billigkeit, den unterlegenen Antragsgegnern die gerichtlichen Kosten aufzuerlegen (§ 47 Satz 1 WEG). Von der Anordnung der Kostenerstattung der außergerichtlichen Kosten wurde im Hinblick auf die unterschiedlichen Auffassungen der Instanzgerichte abgesehen (§ 47 Satz 2 WEG).

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.



Ende der Entscheidung

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