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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 14.12.2000
Aktenzeichen: 2Z BR 60/00
Rechtsgebiete: FGG, WEG, BGB, BayBO


Vorschriften:

FGG § 22 Abs. 2
WEG § 22 Abs. 1
BGB § 1004 Abs. 1
BayBO Art. 6
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist ist grundsätzlich zu gewähren, wenn bei normaler Postlaufzeit die Rechtsmittelschrift rechtzeitig eingegangen wäre

Die in der Bayerischen Bauordnung geregelten Abstandsflächen genießen nachbarschützende Wirkung.


BayObLG Beschluß

LG Traunstein 4 T 268/00, AG Rosenheim - Zweigstelle Bad Aibling - 22 UR II 13/99

2Z BR 60/00

14.12.00

Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Reichold sowie der Richter Demharter und Werdich am 14. Dezember 2000 in der Wohnungseigentumssache wegen Beseitigung,

beschlossen:

Tenor:

I. Den Antragstellern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 28. April 2000 gewährt.

II. Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller gegen diesen Beschluss wird zurückgewiesen.

III. Die Antragsteller haben als Gesamtschuldner die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen; außergerichtliche Kosten sind in diesem Rechtszug nicht zu erstatten.

IV. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 2000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller haben in einer aus vier Reihenhäusern bestehenden Wohnanlage vom teilenden Eigentümer (Bauträger) das Wohnungseigentum am Reihenhaus Nr. 3 erworben; im Grundbuch sind sie noch nicht eingetragen. Die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer des angrenzenden Reihenhauses Nr. 4. Die Gemeinschaftsordnung vom 26.10.1995 (GO) bestimmt in § 1:

(1) Die einzelnen Sondereigentumseinheiten bilden je wirtschaftlich getrennte Einheiten, wie wenn sie Alleineigentum wären,...

(2) Soweit tatsächlich ausscheidbar und gesetzlich zulässig, sind daher die einzelnen Sondereigentumseinheiten samt Sondernutzungsrechten als selbständige Einheiten anzusehen und zu behandeln, als ob es sich jeweils um entsprechendes Alleineigentum handeln würde.

...

(4) Zu baulichen Veränderungen und Aufwendungen aller Art für ein Reihenhaus bedarf es nicht der Zustimmung des Eigentümers des anderen Reihenhauses.

Gemäß § 3 Nr. 1 GO steht jedem Sondereigentümer das Recht zur alleinigen und ausschließlichen Nutzung des Grundstücksteils zu, auf dem sein Sondereigentum steht. Die Abgrenzung ergibt sich durch Verlängerung der beiden Seiten, und zwar nach Süden bis zum Schnittpunkt mit den Grundstücksgrenzen und nach Norden bis zum Schnittpunkt der gemeinsamen Wegefläche. § 5 Nr. 1 GO lautet:

Den einzelnen Sondereigentümern obliegen die Kosten für die Instandhaltung und Instandsetzung ihres Reihenhauses einschließlich der Fassade und des Daches, und zwar gleichgültig, ob es sich um Sondereigentum oder um Gemeinschaftseigentum handelt, so dass die Einheiten insoweit so behandelt werden, als ob das Grundstück entlang der gemeinsamen Nutzungsgrenze real unter den Eigentümern aufgeteilt wäre. Danach trägt jeder Miteigentümer auch die Kosten und Lasten für die Instandhaltung und Instandsetzung der Abgrenzung des ihm zur Sondernutzung zugewiesenen Sondernutzungsteiles zu anderen Grundstücken und zur gemeinschaftlich genutzten Fläche hin.

An der Grenze zwischen den südlich der Häuser gelegenen Gartenflächen, die den Antragstellern und den Antragsgegnern zur jeweiligen Sondernutzung zugewiesen sind, errichtete der Bauträger eine hölzerne Sichtschutzwand von 2,5 m Länge und 1,7 m Höhe. Die Antragsgegner erstellten auf ihrer Terrasse eine Pergola, die aus einer an das Haus angefugten Holzbalkenkonstruktion besteht. Sie erstreckt sich entlang der Sichtschutzwand 2,5 m tief in ihren Sondernutzungsbereich und ist 2,7 m hoch.

Die Antragsteller haben beim Amtsgericht beantragt, die Antragsgegner zur Entfernung der Pergola zu verpflichten. Ein weiterer Antrag ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr von Bedeutung. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 22.12.1999 die Antragsgegner zur Entfernung der Pergola verpflichtet. Auf deren sofortige Beschwerde hat das Landgericht am 28.4.2000 den Beschluss des Amtsgerichts insoweit aufgehoben und den Antrag abgewiesen. Gegen den am 22.5.2000 zugestellten Beschluss des Landgerichts haben die Antragsteller am 21.6.2000 sofortige weitere Beschwerde eingelegt und zugleich wegen Versäumung der Beschwerdefrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, ihr Verfahrensbevollmächtigter habe am 29.5.2000 eine Rechtsmittelschrift verfaßt und noch am selben Tag in einen Briefkasten des Ortes geworfen, an dem er seine Kanzlei unterhalte. Am 19.6.2000 habe er durch einen Anruf seiner Angestellten beim Bayerischen Obersten Landesgericht erfahren, dass die Rechtsmittelschrift dort nicht eingegangen sei.

Die Antragsgegner treten der sofortigen weiteren Beschwerde entgegen.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg.

1. Den Antragstellern ist auf ihren rechtzeitig gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde (§ 43 Abs. 1, § 45 Abs. 1 WEG, § 29 Abs. 4, § 22 Abs. 1 FGG) weder von ihnen noch von ihrem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet wurde (§ 22 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGG). Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller hat an Eides statt versichert und damit glaubhaft gemacht (§ 15 Abs. 2 FGG), dass er seine an das Bayerische Oberste Landesgericht adressierte Rechtsmittelschrift vom 29.5.2000 am selben Tag zur Post gegeben hat. Er konnte damit rechnen, dass das Rechtsmittel bei normaler Postlaufzeit vor Ablauf der am 5.6.2000 endenden Beschwerdefrist (§ 17 Abs. 1 FGG, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Halbsatz 1 BGB) beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingehen würde (vgl. BVerfG NJW 1995, 2546 f.).

2. Das Landgericht hat ausgeführt:

Die Errichtung der Pergola stelle eine bauliche Veränderung im Sinn von § 22 Abs. 1 WEG dar. Jedoch sei die in § 1 GO getroffene Sonderregelung zu berücksichtigen, wonach es zu baulichen Veränderungen aller Art für ein Reihenhaus nicht der Zustimmung des Eigentümers des anderen Reihenhauses bedürfe. Dies gelte nicht nur für bauliche Veränderungen am Baukörper selbst, sondern auch für die Flächen, die mit dem Sondereigentum unmittelbar in Beziehung stünden und daher auch für die an das Reihenhaus angebaute Pergola. Die Frage, ob die Antragsgegner diese Pergola errichten durften, sei daher nicht nach § 22 WEG, sondern nach nachbarrechtlichen Vorschriften zu entscheiden. Ein Verstoß hiergegen sei jedoch nicht ersichtlich.

3. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Der Senat geht davon aus, dass es sich bei den Antragstellern um sogenannte werdende Wohnungseigentümer handelt, so dass ihnen das Recht zur Antragstellung gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG zusteht (vgl. dazu BayObLGZ 1990, 101). Von einer Beteiligung der übrigen Wohnungseigentümer (vgl. § 43 Abs. 4 Nr. 1 WEG) haben die Vorinstanzen ohne Rechtsfehler abgesehen, weil die übrigen Wohnungseigentümer von dem Verfahrensgegenstand nicht betroffen werden (vgl. BGH NJW 1992, 182; BayObLG WE 1991, 197; Staudinger/Wenzel § 43 WEG Rn. 50).

b) Die Errichtung einer Pergola als offenes Rankgerüst für Schling- und Kletterpflanzen (vgl. Simon/Lechner BayBO Art. 7 Rn. 271, Art. 63 Rn. 776) hat das Landgericht zutreffend als bauliche Veränderung im Sinn von § 22 Abs. 1 WEG angesehen (BayObLG ZMR 1998, 503). Weiterhin zutreffend ist es davon ausgegangen, dass diese Vorschrift jedoch im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, weil die gesetzliche Regelung durch die Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung in wirksamer Weise (vgl. BayObLG ZMR 2000, 234/236) abbedungen worden ist.

(1) Bei der Auslegung der im Grundbuch eingetragenen Gemeinschaftsordnung ist wie bei anderen Grundbucherklärungen auf deren Wortlaut und Sinn abzustellen, wie er sich für einen unbefangenen Leser als nächstliegende Bedeutung der Erklärung ergibt (BGHZ 121, 236/239; BayObLG aaO m.w.N. und st. Rspr.). Der Senat, der die Gemeinschaftsordnung selbst auslegen kann, schließt sich der Auslegung durch das Landgericht an. Nach § 1 Abs. 2 GO sollen die einzelnen Sondereigentumseinheiten samt Sondernutzungsrechten, soweit tatsächlich ausscheidbar und gesetzlich zulässig, als selbständig angesehen und wie Alleineigentum behandelt werden. Nach § 5 Nr. 1 GO werden die Einheiten hinsichtlich der Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten so behandelt, als ob das Grundstück entlang der gemeinsamen Nutzungsgrenze real unter den Eigentümern aufgeteilt wäre. Die ausdrückliche Erwähnung der Sondernutzungsrechte und Sondernutzungsflächen in den vorgenannten Bestimmungen zeigt, dass entgegen der Meinung der Antragsteller die den Wohnungseigentümern eingeräumten Befugnisse nicht nur für das Sondereigentum gelten sollen. Aus der Gesamtheit der in der Gemeinschaftsordnung enthaltenen Regelungen ergibt sich vielmehr als nächstliegende Bedeutung, dass die Wohnungseigentümer innerhalb ihres räumlichen Bereichs, der durch das Reihenhaus und die angrenzenden Sondernutzungsflächen gebildet wird, weitgehend wie Alleineigentümer berechtigt und verpflichtet sein sollen. Die rechtliche Zuordnung des Grundstücks und der nicht sondereigentumsfähigen Gebäudeteile zum Gemeinschaftseigentum (§ 1 Abs. 5, § 5 Abs. 2 WEG) wird dadurch nicht berührt.

(2) Aus dem Zusammenhang der in § 1 und § 5 GO enthaltenen Regelungen, nach denen die Wohnungseigentümer möglichst weitgehend wie Alleineigentümer behandelt werden sollen, ergibt sich daher auch, dass die Vorschrift des § 1 Abs. 4 GO, wonach bauliche Veränderungen und Aufwendungen aller Art für das Reihenhaus nicht der Zustimmung des Eigentümers des anderen Reihenhauses bedürfen, nach ihrer nächstliegenden Bedeutung nicht auf Maßnahmen am Haus selbst beschränkt ist. Für die Frage, ob die Antragsteller gemäß § 1004 Abs. 1 BGB die Beseitigung der Pergola verlangen können, sind somit nicht die Bestimmungen des Wohnungseigentumsgesetzes (§ 22 Abs. 1, § 15 Abs. 3, § 14 Nr. 1 WEG) maßgebend, sondern die allgemeinen nachbarrechtlichen Vorschriften des Privatrechts und des öffentlichen Rechts, die hier entsprechend anzuwenden sind (BayObLG ZMR 2000, 234/236 m.w.N.).

c) Eine Verletzung nachbarrechtlicher Vorschriften hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht verneint.

(1) Die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über die Einhaltung von Abstandsflächen (Art. 6, 7 BayBO), denen nachbarschützende Wirkung zukommt (BayObLGZ 1979, 16/21 f.) gelten gemäß Art. 6 Abs. 8 BayBo nicht für untergeordnete bauliche Anlagen. Eine ebenerdig als offenes Rankgerüst errichtete Pergola ist als eine solche untergeordnete bauliche Anlage anzusehen (vgl. Art. 63 Abs. 1 Nr. 14c BayBO). Sie braucht daher keine Abstandsflächen einzuhalten (Simon/Dhom BayBO Art. 6 Rn. 286, 292; Simon/Lechner BayBO Art. 7 Rn. 271 und Art. 63 Rn. 776).

(2) Auf die Vorschriften des privaten Nachbarrechts kann das Beseitigungsverlangen ebenfalls nicht gestützt werden. Weder das Bürgerliche Gesetzbuch noch das bayerische private Nachbarrecht schreiben für die Errichtung baulicher Anlagen die Einhaltung eines bestimmten Grenzabstands vor (Sprau Justizgesetze in Bayern Art. 43 AGBGB Rn. 1).

4. Dem Senat erscheint es angemessen, den unterlegenen Antragstellern die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen, im Hinblick auf die unterschiedlichen Entscheidungen der Vorinstanzen jedoch von einer Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten für diesen Rechtszug abzusehen (§ 47 WEG).

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG auf 2000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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