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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.05.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 67/04
Rechtsgebiete: WEG, BayBO


Vorschriften:

WEG § 15 Abs. 3
WEG § 22 Abs. 1 Satz 1
BayBO Art. 29
1. Ist durch Vereinbarung die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG wirksam abbedungen, dann dürfen im Rahmen des öffentlich-rechtlich Zulässigen bauliche Veränderungen durchgeführt werden. Die übrigen Wohnungseigentümer können die Einhaltung drittschützender Normen verlangen. Im Wohnungseigentumsverfahren kann in einem solchen Fall die materielle Baurechtswidrigkeit eines genehmigten Bauvorhabens grundsätzlich geltend gemacht werden.

2. Mit Ausnahme des Abs. 2 entfalten die Brandschutzanforderungen sowie die Wärmeschutz- und Schallschutzanforderungen des Art. 29 BayBO an Außenwände keine Außenwirkung und sind somit nicht nachbarschützend.


Gründe:

I.

Die Antragstellerin und die Antragsgegner sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Wohnanlage besteht u.a. aus drei Reihenhäusern, die leicht versetzt aneinander gebaut sind. Der Antragstellerin gehört das Reihenmittelhaus, den Antragsgegnern gehört ein Eckhaus.

In der Teilungserklärung heißt es, dass die Reihenhäuser, soweit rechtlich zulässig, so behandelt werden sollen, als ob sie durch eine Realteilung voneinander getrennt wären. Außerdem ist bestimmt, dass dem jeweiligen Eigentümer einer im Aufteilungsplan bezeichneten Einheit das Sondernutzungsrecht an der Grundstücksfläche einschließlich der auf dieser Fläche befindlichen Baulichkeiten zusteht, soweit daran nicht Sondereigentum besteht, und dass der Eigentümer ohne Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer die jeweiligen Flächen, Baulichkeiten und Anlagen in jeder rechtlich zulässigen Weise verändern und verbessern und, soweit öffentlich-rechtlich zulässig, auch abbrechen und neu errichten darf.

Die Antragsgegner haben den im 1. Obergeschoß liegenden Balkon verglast, so dass die Fassaden der beiden Häuser der Beteiligten im 1. Obergeschoß nunmehr bündig verlaufen. Der Umbau wurde von der zuständigen Behörde im vereinfachten Verfahren genehmigt. Die Antragstellerin hat beantragt, die Verglasung zu beseitigen und die Unversehrtheit der Trennwand zwischen den beiden Häusern wiederherzustellen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 29.8.2003 dem Antrag stattgegeben. Das Landgericht hat am 5.3.2004 den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und den Antrag abgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Der Anspruch auf Beseitigung der durchgeführten Verglasung des Balkons bestehe nicht.

In der Teilungserklärung sei die Regelung des § 22 Abs. 1 WEG abbedungen; es komme somit nicht darauf an, ob die Balkonverglasung für die Antragstellerin nachteilig sei. Maßgeblich für das Beseitigungsverlangen seien allein die allgemeinen nachbarrechtlichen Vorschriften des Privatrechts und des öffentlichen Rechts. Aufgrund der Baugenehmigung stehe fest, dass die Antragsgegner nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen hätten. Die Antragstellerin könne somit auch mit dem Einwand nicht gehört werden, die Balkonverglasung verstoße gegen Vorschriften des Schall-, Wärme- und Brandschutzes.

Auch aus dem privaten Nachbarrecht ergebe sich kein Beseitigungsanspruch. Die Befestigung der Balkonverglasung an der gemeinsamen Außenmauer sei nach §§ 921, 922 BGB zulässig.

In das Sondereigentum der Antragstellerin werde nicht eingegriffen, weil die Trennwand zwischen den beiden Einheiten im Gemeinschaftseigentum stehe. An der Seite der Außenmauer, die den Balkon der Antragsgegner begrenze, stünde diesen einen Sondernutzungsrecht zu, das ihnen nach der Teilungserklärung die Berechtigung zur Befestigung der Balkonverglasung gebe.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Ein Beseitigungsanspruch nach § 15 Abs. 3 WEG, § 1004 Abs. 1 BGB besteht nicht.

a) Zu Recht hat das Landgericht die Sach- und Rechtslage nicht nach § 22 Abs. 1 WEG beurteilt, denn diese Regelung ist in der Gemeinschaftsordnung wirksam abbedungen worden (BayObLG WuM 1989, 451 f.; 1993, 565 f.).

b) Nach § 15 Abs. 3 WEG kann die Antragstellerin von den Antragsgegnern einen dem Gesetz entsprechenden Gebrauch ihres Sondereigentums und der ihnen zugeordneten Sondernutzungsfläche verlangen.

aa) Nach der Teilungserklärung war es den Antragsgegnern grundsätzlich gestattet, ohne Mitwirkung der übrigen Wohnungseigentümer ihren Balkon zu verglasen.

bb) Die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften obliegt in erster Linie den Verwaltungsbehörden. Aber auch eine Privatperson kann ihre Einhaltung erzwingen. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um eine drittschützende Norm handelt. Für die Durchführung der Balkonverglasung ist den Antragsgegnern zwar eine Baugenehmigung erteilt worden. Da diese gegenüber der am Verwaltungsverfahren nicht beteiligten Antragstellerin aber keine öffentlich-rechtlichen Wirkungen entfaltet, ist sie durch sie auch nicht gebunden. Sie kann grundsätzlich die materielle Baurechtswidrigkeit der Baugenehmigung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltend machen (BayObLG NJW 1997, 269 m.w.N.).

Es kann offen bleiben, ob der Balkonverglasung die Regelung des Art. 29 BayBO entgegensteht. Mit Ausnahme des hier nicht einschlägigen Art. 29 Abs. 2 BayBO sind nämlich die Brandschutzanforderungen wie auch die Wärmeschutz- und Schallschutzanforderungen des Art. 29 BayBO an Außenwände nicht nachbarschützend mit der Folge, dass sich die Antragstellerin auf eine etwaige Verletzung auch nicht berufen kann (Koch/Famers Bayerische Bauordnung Art. 29 Rn. 1).

Die allgemeinen Anforderungen der Art. 15 und 16 BayBO an den Brand-, Wärme- und Schallschutz werden weiter durch Art. 30 BayBO konkretisiert. Auch diese Vorschrift greift hier allerdings nicht ein, weil sie Brandschutz-, Schallschutz- und Wärmeschutzanforderungen an Trennwände, somit Wände im Inneren von Gebäuden (Koch/Famers aaO Art. 30 Rn. 1), stellt, worum es hier nicht geht.

cc) Gemäß § 921 BGB wird vermutet, dass die Beteiligten zur Benutzung der Kommunmauer gemeinschaftlich berechtigt sind. Der Umfang der Nutzung ergibt sich aus § 922 BGB. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts ist die nach dieser Vorschrift zulässige Nutzung hier nicht überschritten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG, die Geschäftswertfestsetzung auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.

Ende der Entscheidung

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