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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 01.02.2001
Aktenzeichen: 2Z BR 68/00
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 5
WEG § 22 Abs. 1
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Entfernung einer Balkonabtrennung als eine bauliche Veränderung des Gemeinschafteigentums gilt.
BayObLG Beschluss

LG München I - 1 T 6595/00; AG München 483 UR II 753/99

2Z BR 68/00

01.02.01

Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dr. Reichold sowie der Richter Werdich und Dr. Delius am 1. Februar 2001

in der Wohnungseigentumssache

wegen Wiederherstellung u.a.,

beschlossen:

Tenor:

I. Die sofortige weitere Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 5. Juni 2000 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 4000 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wurden am 13.2.1998 als Eigentümer der Wohnung Nr. 4 einer Wohnanlage im Grundbuch eingetragen. Der Antragsgegner und seine Ehefrau sind seit 7.11.1996 die Eigentümer der angrenzenden Wohnung Nr. 5. Die Wohnungen liegen im dritten Obergeschoss eines Hauses. Die zur Hofseite gelegenen Räume sind ungefähr rechtwinklig zueinander angeordnet. Zu jeder Wohnung gehörte dem Aufteilungsplan zufolge ein kleiner Balkon. Die Gemeinschaftsordnung (Anlage 2 zur Teilungserklärung vom 8.5.1995, im folgenden GO) bestimmt in § 15:

Die jeweiligen Eigentümer sind berechtigt, die vorhandenen Balkone durch Ständerbalkone zu ersetzen und im Rahmen der jeweiligen behördlichen Genehmigungen zu vergrößern und ausschließlich zu nutzen. Zum Zwecke der Errichtung der Balkone darf auch das Gemeinschaftseigentum im räumlichen Bereich der Balkone verändert werden,...

Die Wohnungsgrundbücher wurden am 18.8.1995 angelegt. Am gleichen Tag wurde an der Wohnung Nr. 4 eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Antragsteller eingetragen.

Im Jahr 1997 wurden die ursprünglichen Balkone, die dem Aufteilungsplan zufolge bei der Wohnung Nr. 5 eine Grundfläche von 1,5 m² und bei der Wohnung Nr. 4 eine solche von 1,62 m² aufwiesen, durch Ständerbalkone ersetzt. Dabei entstand eine durchgehende Fläche von insgesamt 26,97 m2, die im wesentlichen zwischen den Wohnungen Nr. 4 und Nr. 5, zum geringeren Teil vor der Wohnung Nr. 4 gelegen ist. Die Fläche wurde durch eine im Bereich zwischen den Wohnungen Nr. 5 und Nr. 4 schräg von der Hauswand zum Balkongeländer verlaufende Abtrennung so unterteilt, dass 11,67 m² von der Wohnung Nr. 5 aus und 15,3 m² von der Wohnung Nr. 4 aus zugänglich waren.

Am 21.11.1997 fand eine Eigentümerversammlung statt, bei der 853/1000 Miteigentumsanteile vertreten waren. Zum Tagesordnungspunkt (TOP) 6 lautet die Versammlungsniederschrift:

Balkone:

Die Eigentümer H. (Antragsgegner) und U. regen eine Abtrennung der Balkonpodeste in der Form an, dass jeweils auch aus optischen Gründen zwei gleich große Balkonflächen entstehen. Dies ist bei der derzeitigen Abtrennung nicht der Fall...

Beschluss: Die Eigentümerversammlung genehmigt eine Änderung der Balkonabtrennungen im 1. und 3. OG, so dass zwei ca. gleich große Balkonflächen entstehen. Die Eigentümer H. und U. tragen sämtliche hierdurch entstehenden Kosten.

Abstimmung per Handerheben

einstimmig angenommen.

Der Eigentümerbeschluss wurde nicht angefochten. In der Folgezeit verhandelten die Beteiligten über eine Neuaufteilung der Balkonfläche des 3. Obergeschosses; zu einer Einigung kam es nicht. Im Sommer 1999 entfernte der Antragsgegner die vorhandene Abtrennung. Daraufhin haben die Antragsteller beim Amtsgericht beantragt, den Antragsgegner zur Wiederherstellung der Balkonabtrennung an der früheren Stelle zu verpflichten. Das Amtsgericht hat dem Antrag mit Beschluss vom 23.3.2000 stattgegeben. Der Antragsgegner hat sofortige Beschwerde eingelegt und hilfsweise den Gegenantrag gestellt, die Antragsteller zu verpflichten, einer Abänderung der Balkonabtrennung gemäß einem von ihm skizzierten Vorschlag zuzustimmen. Das Landgericht hat am 5.6.2000 die sofortige Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen und seinen Gegenantrag abgewiesen. Der Antragsgegner hat sofortige weitere Beschwerde eingelegt, mit der er seine Anträge aus dem Beschwerdeverfahren weiterverfolgt.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Zur Beteiligung der übrigen Wohnungseigentümer am Verfahren habe keine Veranlassung bestanden, da der Verfahrensgegenstand nur die Eigentümer der Wohnungen Nr. 4 und Nr. 5 betreffe. Die Antragsteller hätten Anspruch auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands der Balkonabtrennung, weil es sich um Gemeinschaftseigentum handle und der Antragsgegner zu einer Veränderung nicht berechtigt gewesen sei. Bei den neu geschaffenen Balkonflächen der Ständerbalkone handle es sich um Gemeinschaftseigentum. Nach § 15 GO sei den jeweiligen Eigentümern ein Sondernutzungsrecht daran zugewiesen.

Eine Befugnis des Antragsgegners, die Balkonabtrennung zu verändern, ergebe sich nicht aus dem Eigentümerbeschluss vom 21.11.1997. Es könne dahinstehen, ob die Antragstellerin zu 2 diesem Beschluss zugestimmt habe. Bei der gebotenen objektiven Auslegung lasse sich dem Beschluss nur entnehmen, dass die Wohnungseigentümer keine Einwände gegen eine Veränderung der Abgrenzung erheben würden, nicht aber das Einverständnis der Antragsteller mit einer konkreten Veränderung der Abgrenzung und einer Vergrößerung der Balkonfläche vor der Wohnung des Antragsgegners.

Der im Beschwerdeverfahren hilfsweise gestellte Gegenantrag sei sachdienlich und deshalb zulässig. Der Antragsgegner habe ihn als Miteigentümer der Wohnung Nr. 5 allein stellen können. Er habe jedoch keinen Anspruch auf Zustimmung der Antragsteller zu einer geänderten Abtrennung nach der von ihm vorgelegten Skizze. Der Beschluss der Eigentümerversammlung enthalte keine Verpflichtung der Antragsteller, einer Änderung der Balkonabgrenzung zuzustimmen. Der Antragsgegner könne auch nicht verlangen, dass die Balkonfläche gleichmäßig auf die Wohnungen Nr. 4 und Nr. 5 aufgeteilt werde. Die Regelung des § 15 GO sei bei objektiver Auslegung nur so zu verstehen, dass die jeweiligen Eigentümer ein Sondernutzungsrecht an der ihrer Wohnung jeweils vorgelagerten Balkonfläche haben sollten. Ein Anspruch auf Nutzung eines Teils der vor den Fenstern der Wohnung Nr. 4 gelegenen Balkonfläche durch die Eigentümer der Wohnung Nr. 5 lasse sich daraus nicht entnehmen. Der Antragsteller könne bereits die vor dem Treppenhausfenster gelegene Fläche und durch die Abschrägung der Abtrennung auch einen geringen Teil der vor der Wohnung Nr. 4 gelegenen Fläche nutzen. Darin, dass sein Balkon lediglich rund 11m² groß sei, der der Antragsteller aber rund 15 m², liege keine unangemessene Benachteiligung.

2. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Von einer Beteiligung der übrigen Wohnungseigentümer (vgl. § 43 Abs. 4 Nr. 1 WEG) haben die Vorinstanzen ohne Rechtsfehler abgesehen, weil die übrigen Wohnungseigentümer von dem Verfahrensgegenstand nicht betroffen sind (vgl. BGH NJW 1992, l82; BayObLG WE 1991, 197; Staudinger/Wenzel WEG § 43 Rn. 50).

b) Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass der große Ständerbalkon, der anstelle der bei Begründung des Wohnungseigentums vorhandenen Einzelbalkone (deren Sondereigentumsfähigkeit dahinstehen kann, vgl. hierzu BayObLGZ 1974, 269/271 f.; Staudinger/Rapp § 5 Rn. 7 und 8) erstellt wurde und sich über eine einheitliche Fläche vor den Wohnungen Nr. 4 und Nr. 5 erstreckt, gemeinschaftliches Eigentum geworden ist (§ 5 Abs. 1 und 2 WEG). Den jeweiligen Eigentümern dieser Wohnungen steht gemäß § 15 GO ein gemeinschaftliches Sondernutzungsrecht am Gesamtbalkon zu (vgl. Staudinger/Kreuzer § 15 Rn. 108), denn die Gemeinschaftsordnung enthält keine Regelung zur Abgrenzung der einer jeden Wohnung zuzuordnenden Sondernutzungsfläche.

Die im Zug der Errichtung des Ständerbalkons erstellte Abtrennung, mit der eine Unterteilung der Fläche geschaffen wurde, steht ebenfalls im Gemeinschaftseigentum (vgl. BayObLG WuM 1985, 31/32; Staudinger/Rapp § 5 Rn. 25). Ihre Entfernung hat das Landgericht zu Recht als bauliche Veränderung im Sinn von § 22 Abs. 1 WEG gewertet, weil weder der Aufteilungsplan, der nur die ursprünglichen Einzelbalkone wiedergibt und keine Angaben zu den neu erstellten Ständerbalkonen enthält, noch die Gemeinschaftsordnung den Verlauf der Abgrenzung festlegen.

c) Auch wenn die Gemeinschaftsordnung und der Aufteilungsplan keine Unterteilung der Sondernutzungsfläche vorsehen, erscheint es geboten, die den einzelnen Wohnungen zuzuordnenden Bereiche gegeneinander abzugrenzen. In der Beseitigung der vorhandenen Abtrennung durch den Antragsgegner liegt daher eine nicht hinzunehmende Beeinträchtigung der Antragsteller im Sinn von § 22 Abs. 1 Satz 2 § 14 Nr. 1 WEG. Sie können somit gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 15 Abs. 3 WEG und gemäß § 823 Abs. 1 i.V.m. § 249 Satz 1 BGB die Wiederherstellung des früheren Zustands verlangen (vgl. BayObLG WÜM 1995, 674/675), sofern sie nicht der Maßnahme des Antragsgegners zugestimmt haben oder verpflichtet sind, der von ihm gewünschten Neugestaltung der Abgrenzung zuzustimmen. Beides hat das Landgericht ohne Rechtsfehler verneint.

(1) Bei der Eigentümerversammlung vom 21.11.1997 stand die Wohnung Nr. 4 noch im Eigentum des Bauträgers. Es ist jedoch davon auszugehen, dass den Antragstellern als werdenden Wohnungseigentümern ein eigenes Stimmrecht zustand (vgl. hierzu Staudinger/Bub § 25 Rn. 115, 116). Es kann offen bleiben, ob die Antragstellerin zu 2, die an der Versammlung teilgenommen hat, dem Beschluss zu TOP 6 zugestimmt hat. Eigentümerbeschlüsse, die wie hier eine auch für Sondernachfolger geltende Regelung enthalten, sind "aus sich heraus", objektiv und normativ auszulegen. Was im Zusammenhang mit der Beschlussfassung erörtert wurde und was die Beteiligten damit beabsichtigt oder sich vorgestellt haben, kann für die Auslegung nur herangezogen werden, wenn es in der Versammlungsniederschrift einen Niederschlag gefunden hat (BGHZ 139, 288/292; BayObLG NJW-RR 2000, 603/605 und st.Rapr.). Das Landgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Der Senat teilt die von ihm vorgenommene Auslegung. Entgegen der Meinung des Antragsgegners ist die nächstliegende Bedeutung des Beschlusses nicht, dass die Wohnungseigentümer eine konkret festgelegte Neugestaltung der Balkonabtrennung genehmigt haben.

(2) Auch den vom Antragsgegner als Bruchteilsmiteigentümer der Wohnung Nr. 5 in zulässiger Weise (§ 1011 BGB, vgl. BayObLG NZM 1999, 767/768) mit dem Gegenantrag geltend gemachten Anspruch auf Zustimmung zu der von ihm vorgeschlagenen Neugestaltung der Balkonabtrennung hat das Landgericht ohne Rechtsfehler verneint. Es hat aus § 15 GO entnommen, dass jedem Wohnungseigentümer die Nutzung der seinem jeweiligen Wohnungseigentum vorgelagerten Balkonfläche gestattet sein soll, nicht aber die Nutzung einer vor den Fenstern der jeweils anderen Wohnung gelegenen Fläche. Der Senat, der die Gemeinschaftsordnung wie jede Grundbucherklärung selbständig auslegen kann, tritt dem bei. Nach der vom Antragsgegner vorgeschlagenen Gestaltung der Balkonabtrennung soll diese in nur einem Meter Entfernung vor dem Toilettenfenster der Wohnung der Antragsteller verlaufen. Dem brauchen die Antragsteller nicht zuzustimmen.

3. Dem Senat erscheint es angemessen, dem in allen Rechtszügen unterlegenen Antragsgegner die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§ 47 WEG).

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird in Übereinstimmung mit der Geschäftswertfestsetzung des Landgerichts auf 4000 DM festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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