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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 25.10.2001
Aktenzeichen: 2Z BR 81/01
Rechtsgebiete: GG, BGB, WEG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 3 Satz 2
BGB § 242
WEG § 10 Abs. 1 Satz 2
WEG § 15 Abs. 1
Im Einzelfall kann das Hundehaltungsverbot gegenüber einem behinderten Wohnungseigentümer auf Dauer oder Zeit unzulässig ist.
Gründe:

I.

Die Antragsteller und die Antragsgegner sind die Wohnungseigentümer einer größeren Wohnanlage.

In der Teilungserklärung ist bestimmt:

Die Benutzung des Sondereigentums und des gemeinschaftlichen Eigentums kann durch eine vom Verwalter aufgestellte Hausordnung geregelt werden. Änderungen der Hausordnung werden vom Verwalter vorgenommen. Die Bestimmungen der Hausordnung können durch die Versammlung der Wohnungseigentümer mit einfacher Stimmenmehrheit geändert werden.

Die Hausordnung enthält folgende Regelung:

Hunde, Katzen und andere Tiere dürfen nur mit ausdrücklicher, jederzeit widerruflicher Genehmigung des Verwalters gehalten werden. Es ist darauf zu achten, dass die übrigen Hausbewohner dadurch nicht belästigt werden. Ebenso ist die Verunreinigung zum gemeinschaftlichen Eigentum gehörender Räume und Grundstücksanlagen durch Haustiere zu vermeiden.

Am 23.9.1983 beschlossen die Wohnungseigentümer, dass in der Wohnanlage keine Hunde, Katzen und Hasen gehalten werden dürfen. Dieser Beschluss ist bestandskräftig. Die Antragsgegnerin zu 1 (im folgenden Antragsgegnerin), die im Jahr 1986 ihr Wohnungseigentum erworben hatte, schaffte sich im Jahr 1998 ohne Genehmigung des Verwalters einen Hund (Dackelmischling) an.

Die Antragsteller tragen vor, bei der Hausverwaltung seien Beschwerden insbesondere wegen Bellen des Hundes eingegangen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, dass sie schwer contergangeschädigt und aufgrund ihrer Behinderung ohne Arbeit sei. Sie sei an ihre Wohnung gebunden und unterhalte kaum Kontakt zu anderen Menschen. Der Hund sei, ärztlicherseits bestätigt, zur Stabilisierung ihres seelischen Zustands wichtig.

Die Antragsteller haben beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Hundehaltung zu unterlassen und ihren Hund aus der Anlage zu entfernen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 6.5.1999 dem Antrag stattgegeben, das Landgericht mit Beschluss vom 8.5.2000 die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Auf die sofortige weitere Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 24.8.2000 (2Z BR 58/00 = NZM 2001, 105) den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht hat nach Beweiserhebung, insbesondere durch Erholung eines schriftlichen Gutachtens des Landgerichtsarztes und anschließender mündlicher Anhörung des Sachverständigen, mit Beschluss vom 23.3.2001 die sofortige Beschwerde erneut zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin. Außerdem beantragt sie, ihr für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

II.

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor, § 14 FGG, §§ 114, 115 ZPO. Die Rechtsbeschwerde hat nämlich Erfolg. Die Antragsgegnerin verfügt weder über Einnahmen noch über einsetzbares Vermögen im Sinne von § 115 Abs. 2 ZPO, § 88 BSHG. Gemäß § 121 Abs. 2 ZPO ist ihr ein Rechtsanwalt ihrer Wahl als Verfahrensbevollmächtigter beizuordnen.

III.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Antragsteller sind nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) jedenfalls derzeit an der Durchsetzung des Hundehaltungsverbots gegenüber der Antragsgegnerin gehindert.

1. Das Landgericht hat, teils unter Verweis auf die Gründe in seinem Beschluss vom 8.5.2000, ausgeführt:

Das Verbot der Hundehaltung sei aufgrund des bestandskräftigen Eigentümerbeschlusses vom 23.9.1983 für alle Wohnungseigentümer verbindlich. Ein Eingriff in den dinglichen Kernbereich des Wohnungseigentums sei in dem Verbot nicht zu erblicken. Der Eigentümerbeschluss sei auch nicht sittenwidrig, ein generelles Verbot sei weder willkürlich noch sachlich völlig unbegründet. Auf eine konkrete Belästigung komme es dabei nicht an. Die Hundehaltung beschränke sich ihrer Natur nach nicht auf die im Sondereigentum stehende Wohnung, sondern berühre auch den Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums. Um mögliche Beeinträchtigungen von vornherein völlig auszuschließen, sei es den Wohnungseigentümern nicht verwehrt, für die Anlage die Hundehaltung gänzlich zu verbieten. Ein solches Verbot verstoße auch nicht gegen Grundrechte der Antragsgegnerin. Schließlich müssten die Antragsteller die Hundehaltung auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben hinnehmen. Der Hund sei zwar für die Antragsgegnerin zur Stabilisierung ihres seelischen Zustands förderlich. Angewiesen sei sie auf den Hund aber nicht. Es könne auch nicht übersehen werden, dass die Antragsgegnerin offensichtlich bereits seit 1990 zumindest gelegentlich Hunde in ihrer Wohnung gehalten und sodann 1998 in Kenntnis des Verbots sich den Mischlingshund angeschafft habe. Dieser Umstand falle bei der Interessenabwägung in gewissem Umfang mit ins Gewicht, selbst wenn schon bei Erwerb des Wohnungseigentums eine Störung des seelischen Gleichgewichts im heute festgestellten Maß gegeben gewesen wäre und die Anwesenheit eines Hundes einen positiven Einfluss auf die Psyche der Antragsgegnerin gehabt hätte. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen komme dem Interesse der Antragsgegnerin jedenfalls kein so überragendes Gewicht zu, dass angenommen werden müsste, die Durchsetzung des Verbots stände nicht mehr in einem vertretbaren Verhältnis zu den mit einer Erlaubnis der Hundehaltung verbundenen Beeinträchtigungen und Nachteilen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht stand.

a) Allerdings geht das Landgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 129, 329) und des Senats (BayObLGZ 1995, 42) zutreffend davon aus, dass aufgrund des unangefochtenen Mehrheitsbeschlusses vom 23.9.1983 die Hundehaltung in der Wohnanlage generell verboten ist (dazu auch Müller Praktische Fragen des Wohnungseigentums 3. Aufl. Rn. 218 mit zahlreichen Nachweisen). Der Bundesgerichtshof hat zwar in der Zwischenzeit entschieden, dass durch Beschlussfassung der Wohnungseigentümer nur solche Angelegenheiten geordnet werden können, die nach dem Wohnungseigentumsgesetz oder nach einer Vereinbarung die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden dürfen, anderenfalls es einer Vereinbarung (vgl. § 10 Abs. 2 WEG) bedürfe (BGHZ 145, 158 = NJW 2000, 3500). Für Gebrauchsregelungen kennt das Wohnungseigentumsgesetz jedoch die Vereinbarung und den Mehrheitsbeschluss als Handlungsform (§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 WEG). Regelungen, die über einen "ordnungsmäßigen Gebrauch" hinausgehen, bedürfen zwar einer Vereinbarung. Da jedoch die Frage, was noch ordnungsmäßigem Gebrauch entspricht und was darüber hinausgeht, im Einzelfall nur schwierig zu beantworten ist und damit die Trennlinie zwischen den Regelungskompetenzen nicht durch abstrakte Merkmale klar zu ziehen ist, wird das Merkmal der "Ordnungsmäßigkeit" nicht als kompetenzbegründend angesehen (BGH aaO; ausdrücklich Wenzel ZWE 2001, 226/230; Becker/Kümmel ZWE 2001, 128/'135; a.A. Häublein ZWE 2001, 2/6; kritisch auch Müller aaO Nachtrag November 2000 S. 4). Ein den Gebrauch regelnder Beschluss der Wohnungseigentümer, der in der Frist des § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG nicht angefochten worden und damit bestandskräftig ist, ist auch dann allgemein und gerade für den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers gemäß § 10 Abs. 3 WEG verbindlich, wenn an sich eine Vereinbarung notwendig gewesen wäre (BGHZ 129, 329). Auf die Kenntnis des Sondernachfolgers kommt es dabei nicht an. Die Ausnahme, dass der Gebrauch bereits durch Vereinbarung geregelt ist (vgl. Becker/Kümmel aaO, § 136), liegt nicht vor, weil die Teilungserklärung der Versammlung der Wohnungseigentümer ausdrücklich die Befugnis einräumt, die Hausordnung mit einfacher Stimmenmehrheit zu ändern. Ein solcher Beschluss schränkt die grundsätzliche Nutzungsfreiheit des Wohnungseigentümers zulässigerweise ein, ist nicht sittenwidrig und stellt auch keinen Eingriff in den Kernbereich des Wohnungseigentums dar (BGH aaO). Insbesondere lassen sich Beeinträchtigungen von Mitbewohnern bei einer Hundehaltung in der Eigentumswohnung, etwa durch Gebell oder Verschmutzung von Gemeinschaftseinrichtungen, niemals völlig ausschließen. Deswegen ist es weder willkürlich noch sachfremd, einen generellen Maßstab anzulegen und nicht auf eine konkrete Belästigung im Einzelfall abzustellen.

b) Die Durchsetzung des Hundehaltungsverbots kann freilich im Einzelfall unzulässig sein, weil ihr der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegensteht (BGH aaO). Das Landgericht hat dies im Ansatz richtig erkannt. Es hat, sachverständig beraten, festgestellt, dass die Haltung des Hundes für die Antragsgegnerin zur Stabilisierung ihrer allgemeinen Befindlichkeit bzw. Besserung ihres Gesundheitszustands förderlich ist. Konkretisieren lässt sich dies über die Aussage des Sachverständigen, dass der Hund die Antragsgegnerin, die an einer depressiven Grundstimmung leidet, emotional festigt und ihr Sicherheit gibt. Auf das Tier angewiesen wie ein Blinder auf seinen Blindenhund ist die Antragsgegnerin hingegen nicht.

Das Landgericht hat schließlich noch festgestellt, dass die Antragsgegnerin durchaus über soziale Kontakte zu Mitmenschen verfügt und sich mit der Anschaffung des Tieres bewusst über schon zuvor gegebene ausdrückliche Hinweise auf das Hundehaltungsverbot hinweggesetzt hat. Eine unzulässige Rechtsausübung hat es unter Abwägung der als gewichtig erachteten Interessen der Antragsgegnerin mit dem ebenfalls als schutzwürdig erachteten Eigeninteresse der Antragsteller verneint.

c) Bei dieser im Ansatz zutreffenden Abwägung hat das Landgericht jedoch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht hinreichend berücksichtigt. Dies stellt einen Rechtsfehler dar und begründet eine Verletzung des Gesetzes (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG; siehe BayObLG NZM 2001, 105). Angesichts der vom Landgericht festgestellten Tatsachen kommt der Senat zu einem anderen Abwägungsergebnis.

Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, der durch Gesetz vom 27.10.1994 (BGBl. I S. 3146) eingefügt wurde, darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Bestimmung entfaltet zwar keine unmittelbare Drittwirkung, strahlt aber auf die Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Normen aus (Starck in von Mangold/Klein GG 4. Aufl. Art. 3- Rn. 388; Jarass/ Pieroth GG 5. Aufl. Art. 3 Rn. 109; grundsätzlich ebenso OLG Köln NJW 1998, 763/764); sie erfordert es, das Maß zivilrechtlich gebotener gegenseitiger Rücksichtnahme und Toleranz grundsätzlich neu und anders zu bestimmen (Osterloh in Sachs GG 2. Aufl. § 3 Rn. 307; zur Abwägung im einzelnen Lachwitz NJW 1998, 881). Nach sachverständiger Feststellung leidet die Antragsgegnerin im Bereich der oberen Extremität an einer Phokomelie an Armen und Händen beidseits, was vermutlich auf einer Conterganschädigung zurückzuführen ist. Insoweit ist sie Trägerin des Grundrechts (Osterloh aao Rn. 308/309). Der Hund hat zwar nicht die Funktion, die auf körperlichem Gebiet liegende Behinderung der Antragsgegnerin zu kompensieren, wie dies etwa für einen Blinden durch einen Blindenhund der Fall ist. Dem Tier kommt hier vielmehr die Rolle zu, das allgemeine seelische Gleichgewicht der Antragsgegnerin zu stabilisieren. Insoweit hat der Sachverständige zwar noch keine Sozialphobie in Form einer Angstneurose, wohl aber eine Tendenz hierzu bei depressiver Grundstimmung bejaht, welche nach der erstellten Anamnese jedenfalls schon über längere Zeit hin andauert. Der so beschriebene seelische Zustand, der auch durch gelegentliche Besuchskontakte nicht widerlegt ist, dürfte zwar nicht als eine Behinderung, sondern als eine Krankheit anzusehen sein. Jedoch belegen die ausgewerteten Arztberichte einen Zusammenhang zwischen der auf körperlichem Gebiet liegenden Behinderung und der seelischen Situation der Antragsgegnerin. Es wäre deshalb verfehlt, den emotionalen Befund einerseits und den körperlichen Befund andererseits getrennt zu betrachten, so dass ein ausreichender Zusammenhang zwischen der körperlichen Behinderung der Antragsgegnerin und ihrer seelischen Situation, die durch die Hundehaltung stabilisiert wird, zu erblicken ist. Damit ist es nicht nur erlaubt, sondern über die grundgesetzliche Wertentscheidung auch geboten, gegenüber der Antragsgegnerin in größerem Maß Rücksichtnahme und Toleranz zu verlangen, als diese Menschen ohne Behinderungen entgegengebracht werden müssten. Demgegenüber ergibt sich aus dem verwertbaren Akteninhalt auf Seiten der Antragsteller ein nur unwesentlich über die abstrakte Belästigung durch solche Tiere hinaus gesteigertes Interesse an der Entfernung. Störungen durch Hundebellen sind im wesentlichen nur in der Anfangsphase der Tierhaltung festgestellt worden. Ein "Nachahmungseffekt" für andere potentielle Tierhalter ist mit der Senatsentscheidung ebenso wenig verbunden. Die Hundehaltung leistet, wenn auch nur unvollkommen, einen Beitrag, die Behinderung der Antragsgegnerin im Verhältnis zu nicht behinderten Menschen auszugleichen. Gegenüber der Antragsgegnerin, jedenfalls in ihrer derzeitigen Verfassung, erscheint es grob unbillig und damit als Verstoß gegen § 242 BGB, das im übrigen wirksame Verbot durchzusetzen. ob bei einer Besserung der persönlichen Lage, etwa infolge einer Stabilisierung im partnerschaftlichen Bereich, eine andere Bewertung angebracht und damit auch ein anderes Abwägungsergebnis denkbar ist, kann offen bleiben.

3. Nach § 47 Satz 1 WEG erscheint es billig, dass die Antragsteller die Gerichtskosten in allen Instanzen zu tragen haben. Zu berücksichtigen ist, dass erstinstanzlich die Antragsgegner zu 2 anteilig beteiligt sind. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten (§ 47 Satz 2 WEG) kam für keine Instanz in Betracht.

Die Geschäftswertfestsetzung für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.

Ende der Entscheidung

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