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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 09.06.2004
Aktenzeichen: 2Z BR 94/04
Rechtsgebiete: EMRK, MRK, WEG


Vorschriften:

EMRK Art. 6
MRK Art. 6
WEG § 22 Abs. 1
WEG § 44 Abs. 1
1. Ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK wegen überlanger Verfahrensdauer führt nicht zu einer Aufhebung und Zurückverweisung, wenn das Rechtsbeschwerdegericht in der Sache abschließend entscheiden kann.

2. Ein erheblicher zeitlicher Abstand (hier: ca. 2 1/2 Jahre) zwischen mündlicher Verhandlung und Entscheidung führt im Wohnungseigentumsverfahren nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung, wenn von einer erneuten Verhandlung weder eine weitere Sachaufklärung noch eine gütliche Einigung zu erwarten gewesen wäre.

3. Eine bauliche Veränderung liegt nicht vor, wenn der Bauträger vor Eintragung einer Eigentumsvormerkung eine von der Teilungserklärung abweichende Bauausführung vollendet.


Gründe:

I. Die Beteiligten sind die Wohnungseigentümer einer Wohnanlage, die von der weiteren Beteiligten verwaltet wird. Die Wohnungen der Antragsteller und der Antragsgegner befinden sich in einem selbständigen Haus. Zur Anlage gehört weiter ein Doppelhaus, dessen Eigentümer von dem vorliegenden Verfahren nicht betroffen werden.

Die Antragsgegnerin zu 1 ist, teilweise als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns, Eigentümerin der Wohnung Nr. 1. Diese erstreckt sich nach dem Aufteilungsplan und der Teilungserklärung auf Keller-, Erd-, Ober- und Dachgeschoss. Aufgrund einer Vereinbarung mit dem Bauträger errichtete dieser das Wohnungseigentum der Antragsgegnerin zu 1 in der Weise, dass die Wohnung in zwei Wohnungen aufgeteilt wurde, in eine im Erdgeschoss gelegene Wohnung, die durch eine innerhalb der Wohnung liegende Türe von der im Obergeschoss und Dachgeschoss gelegenen weiteren Wohnung abgetrennt ist. Für die weitere Wohnung im Obergeschoss und Dachgeschoss wurde anstelle eines Kinderzimmers eine Küche installiert und eingebaut. Außerdem wurde entsprechend der kaufvertraglichen Vereinbarung vom Bauträger eine Hebeanlage im Kellerbereich, eine durchgehende Trennwand im Erdgeschoss mit einer Türe und die Installation von Sanitäranlagen zum Einbau einer Küche im Obergeschoss errichtet.

Die Bauausführung erfolgte im Jahr 1994. Die Teilungserklärung wurde am 8.2.1995 im Grundbuch eingetragen. Am 15.2.1995 wurde zugunsten der Antragsteller eine Eigentumsvormerkung im Grundbuch eingetragen.

Am 19.5.2000 fand eine Eigentümerversammlung statt. Die Antragsteller hatten beantragt festzustellen, dass die Nutzung der Wohneinheit Nr. 1 in der Weise, dass zwei abgeschlossene Wohneinheiten bestehen, die an verschiedene Mietparteien zur jeweils selbständigen Haushaltsführung überlassen sind, unzulässig sei. Diesem Antrag stimmten nur die Antragsteller zu. Die übrigen Beteiligten dieses Verfahrens stimmten dagegen. Die Eigentümer des Zweifamilienhauses sind nach der Teilungserklärung nicht stimmberechtigt.

Die Antragsteller haben beim Amtsgericht beantragt, den ablehnenden Beschluss aufzuheben und die Antragsgegner zu 1 bis 3 zu verpflichten, die Verwaltung zu beauftragen, alle außergerichtlichen und gerichtlichen Schritte zur Unterbindung der unzulässigen Nutzung der Wohnung der Antragsgegnerin zu einzuleiten. Hilfsweise haben sie beantragt, der Antragsgegnerin zu 1 zu untersagen, die Wohnung in der Weise zu nutzen, dass zwei abgeschlossene Wohneinheiten bestehen, die an verschiedene Parteien zur jeweils selbständigen Haushaltsführung überlassen werden. Ferner haben sie beantragt, die Antragsgegnerin zu 1 zu verpflichten, die Sanitärinstallation zum Einbau der Küche im ersten Obergeschoss, die Trennwand im Erdgeschoss und die Hebeanlage im Kellerbereich zu beseitigen.

Mit Beschluss vom 22.11.2000 hat das Amtsgericht die Anträge abgewiesen. Gegen diesen Beschluss haben die Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt. Sie änderten das Verhältnis von Haupt- und Hilfsantrag dahin ab, dass der Hauptantrag gegen die Antragsgegnerin zu 1 und der Hilfsantrag gegen die Antragsgegner zu 1 bis 3 gerichtet ist. Die am 19.12.2000 eingegangene sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 10.3.2004 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller. Die Antragsgegner zu 1 und 2 haben Anschlussrechtsbeschwerde eingelegt, soweit keine Erstattung außergerichtlicher Kosten für das Beschwerdeverfahren angeordnet wurde.

II. Die zulässigen Rechtsmittel sind nicht begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Ein Beseitigungsanspruch der Antragsteller bestehe nicht. Der Bauträger habe sich in der der Teilungserklärung beigefügten Baubeschreibung ausdrücklich vorbehalten, von dieser Baubeschreibung abzuweichen. Es liege auch keine bauliche Veränderung im Sinn des § 22 Abs. 1 WEG vor, wenn der Bauträger von vornherein abweichend von den ursprünglichen Plänen das Gebäude errichte. Ein Wohnungseigentümer sei in einem solchen Fall auch dann nicht zur Beseitigung der geänderten Bauausführung verpflichtet, wenn er sie beim Kauf des Wohnungseigentums veranlasst habe. Eine nachträgliche bauliche Veränderung liege nicht vor, weil die vom Plan abweichende Bauausführung vom Bauträger zu einer Zeit vorgenommen worden sei, zu der er alleiniger Eigentümer aller Wohnungseigentumsrechte gewesen sei. Die Eintragung der Eigentumsvormerkung für die Antragsteller sei erst nach der Bauerrichtung erfolgt. Ob ein Anspruch auf Beseitigung unter dem Gesichtspunkt der Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustands bestehe, brauche im vorliegenden Verfahren nicht entschieden zu werden. Ein solcher Anspruch könne sich nur gegen die Wohnungseigentümer in ihrer Gesamtheit richten. Ein derartiger Anspruch sei aber nicht geltend gemacht. Ein Unterlassungsanspruch bestehe nicht, da die gegenwärtige Nutzung für die Antragsteller keinen nicht nur unerheblichen Nachteil darstelle. Die Antragsgegnerin zu 1 habe die beiden abgeschlossenen Wohnungen nur an insgesamt drei Personen vermietet. Aus diesen Gründen habe es die Eigentümerversammlung auch zu Recht abgelehnt, ein Einschreiten gegen die Antragsgegnerin zu 1 zu beschließen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Es kann dahinstehen, ob die lange Verfahrensdauer vor dem Landgericht als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu werten ist. Ein solcher Verstoß würde nämlich nicht zu einer Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung führen. Die Rechtsverletzung würde nämlich dadurch nur perpetuiert, da eine Zurückverweisung gegenüber einer abschließenden Entscheidung durch den Senat zu einer weiteren Verfahrensverzögerung führen würde.

Auch der erhebliche zeitliche Abstand zwischen der mündlichen Verhandlung und der Beschlussfassung durch das Landgericht führt nicht zu einer Aufhebung und Zurückverweisung. Anders als ein Urteil im Zivilprozess ergeht ein Beschluss im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht aufgrund mündlicher Verhandlung. Die in § 44 Abs. 1 WEG grundsätzlich vorgeschriebene mündliche Verhandlung bezweckt die Förderung der Sachaufklärung, die Gewährung rechtlichen Gehörs und das Hinwirken auf eine gütliche Einigung (vgl. z.B. BayObLGZ 1973, 145/148). Dass eine weitere mündliche Verhandlung vor dem Landgericht diese Zwecke gefördert hätte, kann ausgeschlossen werden. Der Sachverhalt ist durch das Landgericht hinreichend aufgeklärt, die Parteien haben zu den tatsächlichen und rechtlichen Fragen hinreichend vortragen können und für die Möglichkeit einer gütlichen Einigung bestand kein Anhaltspunkt. Allein der zeitliche Abstand zwischen der mündlichen Verhandlung und der Beschlussfassung zwingt nicht zur Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts und zur Zurückverweisung (vgl. KG NJW-RR 1994, 278; Beschluss des Senats vom 5.5.2004 - 2Z BR 269/03).

b) Den Antragstellern stehen keine Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche zu, so dass auch der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 19.5.2000 nicht ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht.

aa) Eine bauliche Veränderung im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 WEG liegt nicht vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (BayObLGZ 1987, 78/81; WE 1990, 110; ZMR 1994, 126/127) verliert der Bauträger seine alleinige Verfügungsbefugnis erst mit dem Entstehen einer werdenden (faktischen) Wohnungseigentümergemeinschaft, spätestens mit der rechtlichen Invollzugsetzung der Gemeinschaft. Die Wohnungseigentümergemeinschaft im Rechtssinn entsteht mit der Eintragung eines weiteren Wohnungseigentümers als Eigentümer einer Wohnung neben dem als Eigentümer der übrigen Wohnungseigentumsrechte eingetragenen Bauträger. Eine werdende Wohnungseigentümergemeinschaft entsteht frühestens zu dem Zeitpunkt, in dem zwar noch der Bauträger als Eigentümer aller Wohnungseigentumsrechte im Grundbuch eingetragen ist, sich die künftigen Wohnungseigentümer aber bereits wie Wohnungseigentümer verhalten. Hierzu ist erforderlich, dass ein gültiger Erwerbsvertrag vorliegt und die Wohnungseigentumsanwärter die Eigentumswohnung nicht nur in Besitz genommen haben, sondern für sie auch eine Eigentumsvormerkung im Grundbuch eingetragen ist (vgl. BayObLGZ 1990, 101/102). Hier wurde die Bauausführung vor Eintragung einer Eigentumsvormerkung zugunsten der Beteiligten vorgenommen. Der Zeitpunkt der Eintragung der Eigentumsvormerkung kann auch nicht, wie die Rechtsbeschwerde meint, für einen früheren Zeitpunkt fingiert werden. Soweit sich die Rechtsbeschwerde darauf beruft, dass die späte Eintragung der Eigentumsvormerkung darauf beruhe, dass zur Sicherung der Käufer nicht eine Eigentumsvormerkung, sondern eine Rückabwicklungsbürgschaft nach § 3 MaBV bestellt wurde, kann dem nicht gefolgt werden. Die Makler- und Bauträgerverordnung ist eine Vorschrift des öffentlichen Rechts, die allerdings zivilrechtliche Auswirkungen hat. Diese Auswirkungen beschränken sich jedoch schuldrechtlich auf die Frage des Zeitpunkts der Verpflichtung des Käufers zur Zahlung des Kaufpreises. Demgegenüber ist hier die sachenrechtliche Frage betroffen, ob die Eigentumsvormerkung den Berechtigten vor eigenmächtigen Veränderungen durch den Bauträger schützt und ob der Käufer bereits eine so verdinglichte Rechtsposition erhält, dass von einer werdenden (faktischen) Wohnungseigentümergemeinschaft ausgegangen werden kann. Dieser Rechtsbereich wird von der Makler- und Bauträgerverordnung nicht berührt. Eine Bankbürgschaft wird von den Bauträgern teilweise auch gerade deshalb einer Eigentumsvormerkung als Sicherungsmittel vorgezogen, weil die Bauträger dann in der Planungs- und Errichtungsphase freier sind als bei einer Sicherung des Erwerbers durch eine Eigentumsvormerkung.

Auf den Vorbehalt des Bauträgers zur Änderung der Bauausführung in der Baubeschreibung kommt es deshalb nicht an.

bb) Einen Anspruch auf erstmalige Herstellung eines der Teilungserklärung entsprechenden Zustands gegenüber allen übrigen Wohnungseigentümern haben die Antragsteller, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht geltend gemacht.

cc) Die Antragsteller haben auch keinen Anspruch auf Unterlassung der Vermietung an verschiedene Parteien zur selbständigen Haushaltsführung. Nach § 13 Abs. 1 WEG kann jeder Wohnungseigentümer, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, die im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile unter anderem vermieten. Rechte der Antragsteller stehen der Vermietung an zwei getrennte Haushalte nicht entgegen. Die Vermietung entspricht dem gegenwärtigen baulichen Zustand. Eine Überbelegung, die die Rechte der Antragsteller in einer das in § 14 Nr. 1 WEG bezeichnete Maß hinaus beeinträchtigen würde, ist nicht ersichtlich. Auf die Erwägungen des Landgerichts zur zulässigen Höchstzahl bei der Vermietung an untereinander fremde Einzelpersonen kommt es dabei nicht an. Die vom Oberlandesgericht Stuttgart (OLGZ 1993, 184) entschiedene Sache betraf den anders gelagerten Fall einer Vermietung zum Zwecke der Unterbringung von Aus- und Übersiedlern.

Die Kostenentscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Es handelt sich dabei um eine Ermessensentscheidung. Dass das Landgericht von der Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten abgesehen hat, ist angesichts der nicht einfach gelagerten Sach- und Rechtslage vertretbar.

3. Es entspricht der Billigkeit, dass die Antragsteller als Unterlegene die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens tragen (§ 47 Satz 1 WEG). Darüber hinaus erscheint es dem Senat angemessen, für das Rechtsbeschwerdeverfahren gemäß § 47 Satz 2 WEG die Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen. Aufgrund der Ausführungen der Vorinstanzen, insbesondere der Darlegungen des Landgerichts, war auch für die Antragsteller die mangelnde Erfolgsaussicht des Rechtsmittels erkennbar.

Die Geschäftswertfestsetzung für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.



Ende der Entscheidung

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