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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.03.2002
Aktenzeichen: 2Z BR 99/01
Rechtsgebiete: FGG, ZPO


Vorschriften:

FGG § 12
FGG § 15
ZPO § 286
ZPO § 440 Abs. 2
Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung auch soweit es um die Vermutung der Echtheit einer mit einer echten Unterschrift versehenen Schrift geht.
Beschluss 2Z BR 99/01 20.03.02

Gründe:

I.

Die Beteiligten, Sohn und Mutter, sind Wohnungseigentümer in einer Wohnanlage. Das ungeteilte Anwesen hatten die Beteiligten 1987 als Gesellschafter bürgerlichen Rechts erworben. Die Gesellschaft wurde 1988 auseinandergesetzt. Am 20.5.1994 wurde das Anwesen schließlich in Wohnungseigentum aufgeteilt. Der Antragsgegnerin gehören zwei Wohnungen, von denen sie die eine vermietet hat, die andere selbst nutzt. Außer den Beteiligten gibt es zwei weitere Wohnungseigentümer. Hinsichtlich der Verpflichtung der einzelnen Wohnungseigentümer, sich an den gemeinschaftlichen Lasten und Kosten zu beteiligen, enthält die Gemeinschaftsordnung für die Wohnungen der Antragsgegnerin keine abweichende Regelung. Der Antragsteller zahlt die auf die Wohnungen der Antragsgegnerin entfallenden Lasten und Kosten. Die Antragsgegnerin weigert sich, ihm diese zu erstatten. Sie beruft sich dazu im wesentlichen auf ein von ihr handschriftlich verfasstes Schriftstück vom 11.1.1996, das die Unterschriften beider Beteiligter trägt und auszugsweise wie folgt lautet:

1987 erwarben mein Sohn... und ich das Hausgrundstück. Vor Aufteilung in Wohnungseigentum in Gemeinschaftseigentum stand jeweils für meinen Sohn und mich fest, dass ich ... die Wohnungen... Nr. 10 und... Nr. 11 von meinem Sohn als Geschenk erhalte. Es entspricht dem Willen der Parteien, dass ich keinerlei Nebenkosten der Instandhaltung, Instandsetzung oder sonstige Verwaltungsumlagen wie Hausgeld zahlen muß. Für Wohngeld in vollem Umfang an die Gemeinde laufend, z.B. Stadtwerke, Versicherungen, Handwerker mit fälligen Lasten und Kosten haftet (Antragsteller), so dass keinerlei Nebenkosten, die durch meine Eigentumswohnungen anfallen, für mich zu tragen sind. Seit 1987 ist dieses Rechtsgeschäft wirksam.

Der Antragsteller hat zwar nicht in Abrede gestellt, dass die rechts unterhalb des Textes befindliche Unterschrift von ihm stammt, jedoch behauptet, es habe sich um eine Blankounterschrift gehandelt, über die die Antragsgegnerin eigenmächtig die fragliche Vereinbarung gesetzt habe. Der Antragsteller hat zuletzt noch für den Zeitraum 18.11.1997 bis 31.12.1998 Erstattung anteiliger Kosten von 3260,47 DM geltend gemacht und beantragt, einen zu seinen Gunsten ergangenen Vollstreckungsbescheid vom 27.8.1999 in diesem Umfang aufrechtzuerhalten. Das Amtsgericht hat auf Einspruch der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 13.7.2000 den Vollstreckungsbescheid aufgehoben und den Antrag abgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht am 25.5.2001 den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und den Vollstreckungsbescheid in Höhe von 3260,47 DM zuzüglich Zinsen aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegnerin.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt:

Der Antragsteller habe aus Geschäftsführung ohne Auftrag einen Anspruch auf Erstattung der von ihm verauslagten Nebenkosten. Ein solcher persönlicher und unmittelbarer Anspruch finde seine Grundlage in § 16 Abs. 2, § 21 Abs. 2 und 3 WEG, §§ 683, 684 und § 748 BGB. Gezahlt worden sei in mutmaßlichem Interesse der Antragsgegnerin, welches durch den Umstand, dass im Innenverhältnis Streit über die Kostentragung bestehe, nicht berührt werde. Eine Vereinbarung des Inhalts, dass der Antragsteller die Antragsgegnerin auf Dauer von den Nebenkosten freizustellen habe, sei nicht erwiesen. Die Kammer sei vielmehr aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Antragsgegnerin einen ihr für andere Zwecke übergebenen Blankopapierbogen mit der Unterschrift des Antragstellers dazu verwendet habe, das Schriftstück vom 11.1.1996 zu erstellen. Die Vermutung, dass der über der unstreitig echten Unterschrift befindliche Text echt, also im Falle eines Blanketts vereinbarungsgemäß eingesetzt wurde, sei durch die Beweisaufnahme widerlegt. Die Kammer sei davon überzeugt, dass die von der Antragsgegnerin behauptete Vereinbarung nicht getroffen worden sei, der Inhalt des Dokuments objektiv also nicht den Tatsachen entspreche. Allenfalls habe der Antragsteller es eine Zeitlang hingenommen, dass die Antragsgegnerin die Kosten mit Hilfe von Kontovollmachten zu seinen Lasten beglich, während er aus Nachgiebigkeit und Konfliktscheu es versäumt habe, seinen Erstattungsanspruch durchzusetzen. Schließlich enthalte auch keiner der nach 1987 geschlossenen notariellen Verträge eine Regelung, aus der sich eine Verpflichtung des Antragstellers ergebe, die Antragsgegnerin von den Nebenkosten freizustellen. Dies übersehen zu haben, sei angesichts des energischen und geschäftsgewandten Auftretens der Antragsgegnerin eine unzureichende Erklärung, zumal das Verhältnis der Beteiligten im Zeitpunkt der Eigentumsüberlassung bereits konfliktbehaftet gewesen sei. Dass 1987 eine ausdrückliche Vereinbarung darüber getroffen worden sei, habe die Beweisaufnahme somit nicht ergeben. Es sei auch kein schlüssiges Verhalten des Antragstellers erkennbar gewesen, das den Schluss zulasse, er wolle verbindlich und auf Dauer die Antragsgegnerin von den Nebenkosten freistellen. Die bloße Duldung der tatsächlichen Verhältnisse reiche dafür nicht aus.

2. Die Entscheidung des Landgerichts halt der rechtlichen Nachprüfung in jeder Hinsicht stand.

Zutreffend bejaht das Landgericht einen der Höhe nach unstreitigen Erstattungsanspruch des Antragstellers. Denn der Antragsteller hat ohne Rechtsgrund die auf die Wohnungen der Antragsgegnerin entfallenden Kosten verauslagt (vgl. § 812 Abs. 1 BGB). Die Antragsgegnerin beruft sich als Rechtsgrund dafür, dass die Beträge vom Antragsteller bezahlt wurden, auf eine schriftliche Vereinbarung vom 11.1.1996. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht eine solche Vereinbarung als nicht zustande gekommen angesehen.

a) Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gibt es im Hinblick auf die Amtsermittlungspflicht nach § 12 FGG keine Beweislast eines Beteiligten im Sinne einer formellen oder subjektiven Beweisführungslast (Keidel/Kayser FGG 14. Aufl. S 12 Rn. 190). Bleiben die Ermittlungen ohne Erfolg, beantwortet sich die Frage, wer die Folgen der Ungewissheit zu tragen hat, nach den Regelnder Feststellungslast. Die Grundsätze für die Verteilung der Feststellungslast ergeben sich aus dem materiellen Recht; auf die Stellung der Beteiligten im Verfahren kommt es nicht an. Im Antragsverfahren trägt in der Regel der Antragsteller die Feststellungslast für die seinen Antrag begründenden Tatsachen, während dies für den Antragsgegner hinsichtlich solcher Umstände gilt, mit denen er dem Antragsbegehren entgegentritt. Gesetzliche Tatsachenvermutungen können die Verteilung der Feststellungslast abweichend regeln (Jansen FGG 2. Aufl. § 12 Rn. 12 und 13). § 15 FGG enthält keinen Verweis auf die Vorschriften der Zivilprozessordnung zur Beweiskraft von Urkunden. Das schließt deren Anwendbarkeit zwar nicht generell aus. Jedoch entspricht es allgemeiner Meinung, dass § 440 Abs. 2 ZPO als Beweisvermutung für die Echtheit von Privaturkunden eine dem Amtsverfahren fremde Bestimmung darstellt und deshalb keine Anwendung findet (Bassenge/Herbst/Roth FGG 9. Aufl. § 15 Rn. 33; Jansen § 15 Rn. 77; Keidel/Kayser § 12 Rn. 192; Keidel/Schmidt § 15 Rn. 54). Ersetzt wird die gesetzliche Vermutung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (vgl. § 286 ZPO; Jansen § 19 Rn. 77; Bassenge/Herbst/Roth § 15 Rn. 33).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht zunächst die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für die Kostenerstattung, wofür der Antragsteller feststellungsbelastet ist, rechtsfehlerfrei bejaht.

Für eine völlige Freistellung von sämtlichen Kosten ist die Antragsgegnerin feststellungsbelastet. Das Landgericht, hat sich in diesem Zusammenhang mit dem vorgelegten Schriftstück vom 11.1.1996 auseinandergesetzt und diese Privaturkunde rechtsfehlerfrei gewürdigt.

(1) Die dazu getroffene Tatsachenwürdigung kann der Senat nur dahin überprüfen, ob der Tatrichter den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG), bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (§ 25 FGG) und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln und Verfahrensvorschriften sowie gegen die Denkgesetze und feststehenden Erfahrungssätze und den allgemeinen Sprachgebrauch verstoßen hat (z.B. BayObLGZ 1983, 153/162; Keidel/Kayser § 27 Rn. 42), ferner ob die Beweisanforderungen zu hoch oder zu niedrig angesetzt wurden.

In diesem Rahmen ist der vom Landgericht aus der Beweisaufnahme gezogene Schluss, die Vereinbarung als nicht zustande gekommen anzusehen, nicht zu beanstanden. Ersichtlich hat sich die Kammer von der Überlegung leiten lassen, dass die Echtheit der Unterschrift auch ein bedeutendes Indiz für die Echtheit der Urkunde ist, nämlich dass der über der Unterschrift stehende Text mit dem Wissen des Ausstellers der Unterschrift dort steht (vgl. BGH NJW 1988, 2741). Denn dies entspricht einem allgemeinen Erfahrungssatz. Wird die Echtheit des Urkundentextes bestritten, so regelt sich die zivilrechtliche Beweislast nach § 440 Abs. 2 ZPO und die Feststellungslast im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO). In der Regel wird dies kaum zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, weil im Rahmen der freien Beweiswürdigung, grundsätzlich auch der dem § 440 Abs. 2 ZPO zugrundeliegende Erfahrungssatz zu berücksichtigen ist.

(2) Nichts anderes gilt für die Frage, ob die Unterschrift zeitlich vor oder nach dem Text auf das Blatt geschrieben wurde, ob also ein Fall der Blanketturkunde überhaupt vorliegt (Leipold in Stein/Jonas ZPO 21. Aufl. § 440 Rn. 2)1. Auch insoweit konnte das Landgericht frei von gesetzlichen Vermutungen aus dem Inbegriff der Beweisaufnahme die Überzeugung schöpfen, die Unterschrift habe sich bereits auf dem Schriftstück befunden, als der darüber stehende Text eingefügt wurde. Es stellt auch keinen Rechtsverstoß dar, den von der Antragsgegnerin eingeräumten Umstand, es hätten Blankovollmachten existiert, als Indiz für die Richtigkeit der Angaben des Antragstellers zur Existenz von Blankounterschriften zu werten. Ersichtlich sollte damit nur die Überzeugung des Gerichts verdeutlicht werden, dass die Antragsgegnerin als Empfängerin der betreffenden Vollmachten auch in anderen Fällen befugt sein sollte, schriftliche Erklärungen namens des Antragstellers abzugeben, ohne dass deren Inhalt in einem Urkundentext schon abschließend festgehalten war. Mit dem Umstand, dass der Antragsteller selbst von einer stillschweigenden Vereinbarung mit seiner Mutter über eine Freistellung von Kosten gesprochen hat, hat sich das Landgericht ausdrücklich auseinandergesetzt und dies rechtsfehlerfrei gewürdigt. Im übrigen brauchen die aus einzelnen Umständen gezogenen tatsächlichen Folgerungen des Tatrichters nicht die einzig möglichen und schlechthin zwingend zu sein (BayObLGZ 1976, 101/103). Dass andere Schlussfolgerungen, z.B. aus der optischen Anordnung der Unterschrift, ebenso nahe oder noch nähergelegen hätten, kann mit der Rechtsbeschwerde nicht erfolgreich beanstandet werden (BayObLGZ 1982, 309/312 f.). Schließlich ist es ureigenste Aufgabe des Tatrichters, die Würdigung einer Zeugenaussage vorzunehmen (Zöller/Greger ZPO 23. Aufl. § 373 Rn. 10).

(3) Eine wichtige Erkenntnisquelle bildet ferner das Verhalten der Beteiligten im Verfahren, insbesondere ihre Äußerungen bei einer Anhörung (Zöller/Greger § 286 Rn. 14). Für die Beweisaufnahme trägt dem der Unmittelbarkeitsgrundsatz in § 355 Abs. 1 Satz 1 ZPO Rechnung. Das Landgericht hat dies berücksichtigt, indem es in der gleichen Besetzung entschieden hat, die zuvor die Beweisaufnahme durchführte und die Beteiligten anhörte. Der Senat kann als Rechtsbeschwerdegericht schon wegen des fehlenden unmittelbaren Eindrucks die denkgesetzlich möglichen Wertungen des Tatrichters nicht durch eine eigene Tatsachenwürdigung ersetzen. Soweit die Antragsgegnerin mit neuem Tatsachenvortrag und neuen Beweismitteln zu erklären versucht, aus welchen Gründen das fragliche Schriftstück erst Anfang des Jahres 2000 im Rahmen eines anderen Wohnungseigentumsverfahrens eingeführt wurde, kann dies im Rechtsbeschwerdeverfahren ebenfalls nicht berücksichtigt werden.

3. Der Senat hält es nach § 47 WEG für angemessen, der unterlegenen Antragsgegnerin die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen, von einer Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten nach § 47 Satz 2 WEG jedoch abzusehen.

Der Geschäftswert ist nach § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG nach dem Interesse der Beteiligten auf 1667,05 EUR festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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