Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 24.01.2001
Aktenzeichen: 3 ObOWi 119/00
Rechtsgebiete: ChemG, GefStoffV, ArbSchG, BioStoffV


Vorschriften:

ChemG (i. d. F. der Bekanntmachung vom 25.7.1994) § 23 Abs. 1
ChemG (i. d. F. der Bekanntmachung vom 25.7.1994) § 26 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a
GefStoffV vom 2.10.1993 § 17 Abs. 1 Satz 1
ArbSchG § 25 Abs. 1 Nr. 1
BioStoffV § 15 Abs. 1
BioStoffV § 15 Abs. 4
BioStoffV § 18 Abs. 1 Nr. 11
BioStoffV § 18 Abs. 1 Nr. 13
Die gemäß § 4 VBG 100 durchzuführende Erstuntersuchung der Beschäftigten wie auch die deren Immunisierung regelnde Bestimmung des § 4 BGV C 8 ist nicht auf den Personenkreis beschränkt, der an medizinischen Eingriffen bei oder Behandlungen und Untersuchungen von Heiminsassen mitwirkt.
BayObLG Beschluss

3 ObOWi 119/00

24.01.01

Tatbestand

Die Betroffene ist eine der Geschäftsführerinnen der P.S. Gesundheitsdienste GmbH. Mit Bescheid vom 13.1.1997 hatte das Gewerbeaufsichtsamt u.a. angeordnet, dass in dem von dieser GmbH in F. betriebenen Seniorenbetreuungszentrum alle mit der Pflege und Betreuung der Bewohner dieses Zentrums Beschäftigten arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen zu unterziehen sind und ihnen die kostenlose Immunisierung gegen Hepatitis A und B zu ermöglichen ist. Insoweit wurde dieser Bescheid für vorläufig vollziehbar erklärt.

Die hiergegen von der GmbH beim Verwaltungsgericht erhobene Klage blieb ohne Erfolg.

Das Amtsgericht verhängte gegen die Betroffene am 28.7.2000 wegen vorsätzlichen Zuwiderhandelns gegen eine Arbeitsschutzanordnung eine Geldbuße von 1000 DM. Nach den Feststellungen des Amtsrichters unterließ es die Betroffene, 20 mit der Pflege und Betreuung der Bewohner des Altenheims in F. beauftragte Arbeitnehmer der geforderten arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung unterziehen zu lassen und ihnen eine kostenlose Immunisierung gegen Hepatitis B zu ermöglichen.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 7 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG durchgreift. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung erster Instanz wurde das angefochtene Urteil am 28.7.2000 verkündet. Laut des Vermerks der Geschäftsstelle des Amtsgerichts wurde dieses Urteil aber erst am 22.9.2000 und damit nicht innerhalb von fünf Wochen nach der Verkündung (§ 275 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) zu den Akten gebracht.

Für das weitere Verfahren wird bemerkt:

1. Die Betroffene hatte den hier interessierenden Teil des Bescheids des Gewerbeaufsichtsamts vom 13.1.1997 auch für den Fall seiner Rechtswidrigkeit, soweit und solange er für sofort vollziehbar erklärt war, und vom Beginn seiner Bestandskraft an zu beachten. ohnedies bestehen insoweit keine Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit, weil sein Erlass von der Rechtsordnung gedeckt war und er rechtmäßig fortbestand.

Die Betroffene hatte gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 der Gefahrstoffverordnung vom 26.10.1993 (BGBl I S. 1782, vor dem 1.4.1999 zuletzt geändert durch Art. 2 der Zweiten Verordnung zur Änderung chemikalienrechtlicher Verordnungen vom 22.12.1998, BGBl I S. 3956/3958) u.a. die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der Betriebsangehörigen, einschließlich der nach den für diese geltenden Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften zu treffen. Sie hatte deswegen zum einen die Unfallverhütungsvorschrift "Arbeitsmedizinische Vorsorge" (VBG 100) und zum anderen die Berufsgenossenschaftliche Vorschrift "Gesundheitsdienst" (BGV C 8, früher VGB 103) zu beachten. Die gemäß § 4 VBG 100 durchzuführende Erstuntersuchung der Beschäftigten wie auch die deren Immunisierung regelnde Bestimmung des § 4 BGV C 8 ist nicht auf den Personenkreis beschränkt, der an medizinischen Eingriffen bei oder Behandlungen und Untersuchungen von Heiminsassen mitwirkt.

Erfaßt werden vielmehr auch alle Beschäftigte, die mit den Sekreten, Ausscheidungen oder sonstigen von den Heiminsassen stammenden körpereigenen Stoffen in Kontakt kommen können. Denn nur dann ist das Personal hinreichend vor den ihm aufgrund seiner Tätigkeit drohenden gesundheitlichen Gefahren hinreichend geschützt. Im Regelfall gelten deshalb die Bestimmungen über die Erstuntersuchungen und die Immunisierung nicht nur für das medizinisch tätige Personal, sondern jedenfalls auch für alle diejenigen Personen, die im Rahmen der Betreuung der Heiminsassen mit diesen so nahen Kontakt haben, dass die Übertragung ansteckender Krankheiten möglich erscheint, sowie für solche Beschäftigte, die mit Ausscheidungen, Sekreten oder sonstigen von den Heiminsassen stammenden körpereigenen Stoffen in irgendeiner Form in Berührung kommen können. Erfasst werden deshalb nicht nur Beschäftigte, die an ärztlichen Eingriffen an oder Untersuchungen von Heiminsassen bzw. von deren entnommenem körpereigenem Material mitwirken, sondern auch alle, die entweder mit der Pflege der Heiminsassen oder der Reinigung ihres Lebensbereiches, ihrer Kleidung oder ihrer Geräte befasst sind.

Die Pflicht, dem Beschäftigten eine Immunisierung anzubieten, wird allerdings dann entfallen können, wenn der Arbeitgeber den Beschäftigten durch andere Maßnahmen, etwa durch zur Verfügung gestellte Schutzkleidung, so hinreichend geschützt hat, dass kein Infektionsrisiko besteht. Wann solche Maßnahmen im Einzelfall ausreichen, kann nur aufgrund sachverständiger Beratung entschieden werden.

Der genannte Bescheid vom 13.1.1997 hat deshalb mit der Formulierung: "Alle mit der Pflege und Betreuung der Bewohner des o.g. Seniorenzentrums Beschäftigten" den Kreis der der Schutzpflicht der Betroffenen im Sinne des § 17 Abs. 1 GefahrstoffVO unterliegenden Arbeitnehmer nicht zu weit gefaßt.

Dieser Bescheid ist auch nicht etwa deswegen mangelhaft, weil diese Personen nicht namentlich aufgeführt sind. Ebenso wenig war das Gewerbeaufsichtsamt gehalten, diese Arbeitnehmer nachträglich zu benennen. Diese Arbeitnehmer, deren Benennung im Bescheid schon wegen der Personalfluktuaktion nicht sinnvoll gewesen wäre, konnte die Betroffene, worauf auch das Verwaltungsgericht im Urteil vom 18.8.1999 hinweist, ohne weiteres selbst feststellen. Die Nichtbeachtung des von § 23 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (Chemikaliengesetz-ChemG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.7.1994 (BGBl I S. 1703), vor dem 1.4.1999 zuletzt geändert durch Art. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes vom 14.5.1998 (BGBl I S. 950/969), getragenen Bescheids vom 13.1.1997 war daher, soweit er für sofort vollziehbar erklärt worden war und diese Entscheidung im Rechtsmittelverfahren Bestand hatte, ab seiner Zustellung, im übrigen aber ab seiner Bestandskraft gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe a), Abs. 2 ChemG mit Geldbuße bis zu 100000 DM bedroht.

2. Der Bescheid des Gewerbeaufsichtsamts vom 13.1.1997 wurde auch nicht infolge der am 1.4.1999 in Kraft getretenen Verordnung zur Umsetzung von EG-Richtlinien über den Schutz der Beschäftigten gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit vom 27.1.1999 (BGBl I S. 50) rechtswidrig oder gegenstandslos, er hat vielmehr nur noch deklaratorische Wirkung. Seither findet zwar infolge des durch Art. 2 Nr. 1 dieser Verordnung in die Gefahrstoffverordnung eingefügten § 2 Abs. 5 die Gefahrstoffverordnung auf die Tätigkeit des in Rede stehenden Personenkreises keine Anwendung mehr. Deren Arbeitgeber hat jedoch neben dem in Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Arbeitsschutz-Richtlinien vom 7.8.1996 (BGBl I S. 1246) geregelten Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz-ArbSchG), dieses zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 6 des Gesetzes zur Änderung des Gerätesicherheitsgesetzes und des Chemikaliengesetzes vom 27.12.2000 (BGBl I S. 2048/2052), seit 1.4.1999 die in Art. 1 der genannten Verordnung vom 27.1.1999 normierte Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen (Biostoffverordnung-BioStoffV), diese zuletzt geändert durch Art. 2 Nr. 9 der Vierten Verordnung zur Änderung der GefStoffV vom 18.10.1999 (BGBl I S. 2059/2065), zu beachten. Deren § 15 Abs. 1 und 4 verpflichten u.a. die Arbeitgeber von Beschäftigten in der Wohlfahrtspflege (vgl. dazu Anhang IV dieser Verordnung), diese arbeitsmedizinisch untersuchen und beraten zu lassen (Absatz 1), sowie ihnen eine Impfung anzubieten, wenn ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht (Absatz 4). Letzteres ist hier der Fall. Verstöße gegen diese Verpflichtungen sind gemäß § 18 Abs. 1 Nrn. 11 und 13 BioStoffV, § 25 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ArbSchG mit Geldbuße bis 10000 DM bedroht. Daneben ahndet allerdings § 25 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a), Abs. 2 ArbSchG die Mißachtung einer vollziehbaren Anordnung nach § 22 Abs. 3 ArbSchG durch den Arbeitgeber oder eine verantwortliche Person mit Geldbuße bis 50000 DM. Hierunter fallen aber nicht solche Anordnungen, die in der BioStoffV schon konkretisierte Pflichten, deren Nichtbeachtung bereits nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG bußgeldbewehrt ist, lediglich - deklaratorisch - wiederholen. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 3 ArbSchG. Dessen Satz 1 ermächtigt die zuständigen Behörden, im Einzelfall anzuordnen, dass der Arbeitgeber bestimmte Maßnahmen zu treffen hat. Solche Einzelfallregelungen sind hinsichtlich der hier in Rede stehenden Arbeitgeberpflichten entbehrlich, weil sie sich in einem Hinweis auf die bestehende Rechtslage erschöpfen. Zudem hat die Behörde gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 zur Ausführung ihrer Anordnung eine angemessene Frist zu setzen, wenn nicht Gefahr im Verzug ist. Einen solchen Aufschub sieht § 15 BioStoffV für Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge nicht vor. Die arbeitsmedizinische Untersuchung der Beschäftigten ist gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BioStoffV vor der Aufnahme der durch diese Bestimmung erfassten Tätigkeiten durchzuführen. § 15 Abs. 4 Satz 1 BioStoffV sagt zwar nicht ausdrücklich, wann den dort genannten Beschäftigten die Impfung anzubieten ist. Aus dem Schutzzweck dieser Bestimmung ergibt sich aber unter Berücksichtigung des § 4 BGV C 8, dass dies spätestens bei Aufnahme der Tätigkeit zu geschehen hat.

3. Im neuerlichen Verfahren wird davon auszugehen sein, dass eine etwaige Dauerordnungswidrigkeit der hier in Rede stehenden Art mit der Nichtbeachtung des Bescheids vom 13.1.1997, also ab seiner Zustellung begangen werden und gegebenenfalls zunächst andauern konnte, solange die Anordnung seiner sofortigen Vollziehbarkeit Bestand hatte.

Mit Inkrafttreten der BioStoffV verstieß die Betroffene bei Nichtbeachtung des § 15 Abs. 1 und 4 BioStoffV gegen § 25 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG, § 18 Abs. 1 Nr. 11 BioStoffV und gegen § 25 Abs. 1 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 13 BioStoffV und zwar unabhängig davon, ob im Verwaltungs- bzw. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Vollziehung des Bescheids vom 13.1.1997 ausgesetzt bzw. die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt wurde. Soweit etwaige Taten nicht durch Ausscheiden eines Beschäftigten aus dem Seniorenbetreuungszentrum oder durch Nachholung der durch den Bescheid vom 13.1.1997 angeordneten bzw. durch § 15 BioStoffV vorgeschriebenen Maßnahmen beendet wurden, wurden sie erst durch den Erlaß des Urteils des Amtsgerichts vom 28.7.2000 unterbrochen.

Deshalb wird festzustellen sein, welche der in dem Seniorenbetreuungszentrum Beschäftigten in dieser Zeit arbeitsmedizinisch zu untersuchen waren bzw. Anspruch auf Immunisierung hatten, aber nicht oder nicht rechtzeitig untersucht wurden bzw. denen diese Impfung nicht oder nicht rechtzeitig angeboten wurde. Diese Personen sind mit einer kurzen Charakterisierung ihrer Tätigkeit und unter Angabe der Zeit, während der diese Maßnahmen unterblieben sind, im Urteil aufzuführen.

Anzuwenden sind im vorliegenden Fall nur § 25 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ArbSchG, § 18 Abs. 1 Nrn. 11 und 13 BioStoffV. Soweit es sich um Dauerordnungswidrigkeiten handelt, die beim Inkrafttreten der BioStoffV noch nicht beendet waren, folgt dies aus § 4 Abs. 2 OWiG. Hinsichtlich der vor dem 1.4.1999 beendeten Verstöße bestimmt das § 4 Abs. 3 OWiG. Denn diese Bestimmungen sind wegen der in § 25 Abs. 2 ArbSchG normierten Bußgeldbedrohung von 10000 DM gegenüber der in § 26 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe a), Abs. 2 ChemG festgesetzten von 100000 DM das mildere Gesetz. Allerdings handelte es sich nur um einen Verstoß im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe a) ChemG, wenn unter Mißachtung einer vollziehbaren Anordnung die ärztliche Untersuchung und/oder Immunisierung mehrerer gleichzeitig Beschäftigter unterblieb, während durch die Nichtbeachtung des § 15 Abs. 1 und 4 BioStoffV gegenüber einem Arbeitnehmer zwei rechtlich zusammentreffende (§ 19 Abs. 1 OWiG) Verstöße gegen § 18 Abs. 1 Nrn. 11 und 13 BioStoffV verwirklicht werden und, soweit diese Maßnahmen bei mehreren gleichzeitig Beschäftigten unterlassen werden, eine ihrer Zahl entsprechende Anzahl tateinheitlicher (§ 19 Abs. 1 OWiG) Ordnungswidrigkeiten begangen wird. Doch gibt hier bei einem Vergleich des gesamten materiellen Rechtszustandes die erheblich niedrigere Bußgelddrohung des § 25 Abs. 2 ArbSchG den Ausschlag.

Weiterhin ist zu beachten, dass die Unterlassung der vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen gegenüber neu eingestellten Beschäftigten zu entsprechenden Verstößen hinsichtlich des schon vorher beschäftigten Personals auch dann in Tatmehrheit (§ 20 OWiG) steht, wenn die letztgenannten Personen noch weiterbeschäftigt werden.

Ende der Entscheidung

Zurück