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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 05.08.2002
Aktenzeichen: 3 ObOWi 65/02
Rechtsgebiete: Europa-Abkommen, Vereinbarung zwischen d. Regierung d. Bundesrepublik Deutschland u. d. Regierung v. Rumänien, SGB III, VO, AEntG


Vorschriften:

Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Rumänien andererseits vom 1.2.1993 Art. 45 Abs. 1
Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Rumänien andererseits vom 1.2.1993 Art. 56 Abs. 1
Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Rumänien andererseits vom 1.2.1993 Art. 56 Abs. 3
Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Rumänien über die Entsendung rumänischer Arbeitnehmer aus in Rumänien ansässigen Unternehmen auf der Grundlage von Werkverträgen vom 31.7.1990 Art. 5 Abs. 1
SGB III § 211 Abs. 1
VO über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe 1
VO über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe 3
AEntG § 1 Abs. 4
Rumänische Bauunternehmer müssen ihren in Deutschland tätigen Arbeitnehmern den in Deutschland tarifvertraglich festgelegten Mindestlohn bezahlen.
Tatbestand:

Die Verfahrensbeteiligte eine GmbH rumänischen Rechts mit Sitz in B. beschäftigte auf drei Baustellen in Bu. W. und N. von April bis Juni 2000 insgesamt sechs rumänische Arbeitnehmer mit Rohbauarbeiten, ohne ihnen den tariflichen Mindestbruttolohn von 18.50 DM pro Stunde zu bezahlen.

Das Amtsgericht verurteilte die Verfahrensbeteiligte am 25.2.2002 zur Geldbuße von 21500 EUR.

Die Rechtsbeschwerde der Verfahrensbeteiligten war begründet.

Gründe:

Nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Amtsrichters, dass die Verfahrensbeteiligte die Bestimmungen des AEntG zu beachten hatte. Die angefochtene Entscheidung teilt zwar nicht mit, auf welcher Rechtsgrundlage die Verfahrensbeteiligte in der Bundesrepublik Deutschland tätig wurde. Nach Sachlage kommt aber hierfür nur die Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Rumänien über die Entsendung rumänischer Arbeitnehmer aus in Rumänien ansässigen Unternehmen zur Beschäftigung auf der Grundlage von Werkverträgen vom 31.7.1990 (BGBl II S. 666), zuletzt geändert durch die Zweite Vereinbarung zur Änderung der Vereinbarung vom 31.7.1990 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Rumänien vom 4.7.1996 (BGBl II S. 1303), in Betracht. Dessen Art. 5 Abs. 1 legt fest, dass die Arbeitserlaubnis nur erteilt wird, soweit die Entlohnung der Werkvertragsarbeiter einschließlich des Teils, der wegen der auswärtigen Beschäftigung gezahlt wird, dem Lohn entspricht, welchen die einschlägigen deutschen Tarifverträge für vergleichbare Tätigkeiten vorsehen. Dementsprechend hatte die Verfahrensbeteiligte schon aufgrund dieser Vereinbarung den zur Tatzeit geltenden Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestlohns im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) vom 26.5.1999 zu beachten, der im vorliegenden Fall einen Mindeststundenlohn von 1850 DM für gewerbliche Arbeitnehmer vorschrieb. Gemäß § 1 der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 25.8.1999 (BGBl I S. 1894) galten die Normen dieses Tarifvertrages auch für alle Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und ihre im Geltungsbereich dieser Rechtsverordnung beschäftigten Arbeitnehmer, sofern der Betrieb überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch erbrachte. Diese Voraussetzung ist hier ausweislich der bisherigen Feststellungen erfüllt. Zunächst ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, auf welchem Geschäftsfeld sich die Verfahrensbeteiligte im Ausland betätigt. Denn gemäß § 3 der genannten Verordnung gilt für die Zuordnung der Verfahrensbeteiligten § 1 Abs. 4 AEntG. Danach gelten die von ihr im Inland eingesetzten Arbeitnehmer in ihrer Gesamtheit als Betrieb, so dass allein auf ihre Geschäftstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland abzustellen ist. Die bisherigen Feststellungen wecken keinerlei Zweifel, dass sich die Verfahrensbeteiligte in Deutschland nicht überwiegend mit dem Erbringen von Bauleistungen befasst haben könnte. Auch die Rechtsbeschwerde trägt dagegen nichts Einleuchtendes vor. Ebenso wenig erscheint es aufgrund der bisherigen Feststellungen fraglich, dass die Verfahrensbeteiligte ihren in Rede stehenden Arbeitnehmern den tarifvertraglichen Mindestlohn zu zahlen hatte. Denn nichts spricht dafür, dass ihre hier in Rede stehenden Arbeitnehmer zu dem in § 1 Abs. 3 Satz 2 TV Mindestlohn genannten Personenkreis gehören, der von dem oben genannten Tarifvertrag nicht erfasst wird. Der Anwendbarkeit von § 1 Abs. 4 AEntG steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass die Anwendung dieser Bestimmung auf in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässige Dienstleistende nach Auffassung des EuGH gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt, wie es hier auch kein Rolle spielt, ob inländische Arbeitgeber den durch den in Rede stehenden für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag festgesetzten Mindestlohn anders als die Verfahrensbeteiligte durch Abschluss eines Firmentarifvertrages unterschreiten können (vgl. dazu EuGH Urt. v. 24.1.2002, EuZW 2002, 245; Urt. v. 25.10.2001, BB 2002, 2648). Rumänien ist kein Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft. Bis zum Wirksamwerden seines Beitritts ist seine rechtliche Position in dem Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und Rumänien andererseits vom 1.2.1993 (AB1EG 1994 Nr. L 357.) normiert. Dieses Abkommen regelt neben anderen zum einen in Kapitel II, dort insbesondere in Art. 45, das Niederlassungsrecht rumänischer Gesellschaften und Staatsangehöriger in der Gemeinschaft und zum anderen in Kapitel III, hier vor allem in Art. 56, den Dienstleistungsverkehr zwischen der Gemeinschaft und Rumänien. Beide Bereiche sind in einem hier entscheidenden Punkt verschieden geregelt:

Gemäß Art. 45 Abs. 1 gewähren die Mitgliedsstaaten vom Inkrafttreten dieses Europa-Abkommens an für die Niederlassung rumänischer Gesellschaften und Staatsangehöriger und für die Geschäftstätigkeit der in ihrem Gebiet niedergelassenen rumänischen Gesellschaften und Staatsangehörigen mit Ausnahme der in Anhang XVI aufgeführten Bereiche eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die Behandlung ihrer eigenen Gesellschaften und Staatsangehörigen. Dieses Niederlassungsrecht steht nicht unter dem Vorbehalt von vom Assoziationsrat noch zu treffenden Maßnahmen. Dementsprechend hat der EuGH dem im Wortlaut mit Art. 45 Abs. 1 des Europa-Abkommens mit Rumänien übereinstimmenden Art. 45 Abs. 1 des Europa-Abkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedsstaaten einerseits und Bulgarien andererseits (ABlEG 1994, Nr L 358) und dem entsprechenden Art. 44 Abs. 3 des Europa-Abkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Polen andererseits (ABlEG 1993 Nr. L 348) unmittelbare Wirkung zuerkannt (Urteil vom 27.9.2001 - C 63/99, DVB1 2002, 36; Urteil vom 27.9.2001 - C 235/99). Eine solche unmittelbare Wirkung fehlt aber den in Art. 56 geregelten Bestimmungen über den Dienstleistungsverkehr im Europa-Abkommen mit Rumänien.

Denn anders als Art. 45 Abs. 1 und die entsprechenden Normen etwa in den Europa Abkommen mit Bulgarien und Polen steht der in Kapitel III geregelte Dienstleistungsverkehr nach dem klaren Wortlaut des Art. 56, dessen Absatz 1 anders als Art. 45 Abs. 1 die Vertragsparteien ohnehin nur verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um schrittweise die Erbringung von Dienstleistungen zu erlauben, unter dem - in Art. 45 fehlenden - Vorbehalt, dass gemäß seinem Absatz 3 der Assoziationsrat zunächst noch die hierfür erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat.

Einer Vorlage der Sache an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag ist nicht geboten, denn im vorliegenden Fall ist die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts angesichts der klaren und eindeutigen Regelung durch Art. 56 derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. dazu z.B. EuGH Urt. v. 6.10.1982 Rechtssache 283/81; BVerfGE 82, 159). b) Unvollständig ist zwar schon die Urteilsformel, weil sie entgegen § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG die rechtliche Bezeichnung der Tat nicht enthält, doch läßt sich diese den Urteilsgründen entnehmen.

Das angefochtene Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, weil die Ausführungen zum Schuld- wie zum Rechtsfolgenausspruch unzulänglich sind. Der Amtsrichter durfte in den schriftlichen Urteilsgründen bezüglich der Berechnung der Differenz zwischen den von der Verfahrensbeteiligten tatsächlich gezahlten Löhnen und den von ihr geschuldeten Mindestlöhnen nicht auf den Anhang des Bußgeldbescheids und zur Einlassung der Verfahrensbeteiligten auch nicht auf einen bei den Akten befindlichen Schriftsatz des Verteidigers verweisen (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG; vgl. z.B. BGH NStZ 1987, 374).

Weiterhin setzt die Verhängung einer Geldbuße gegen die Verfahrensbeteiligte wegen eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG, wie aus § 30 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 OWiG deutlich wird, eine von einer der dort genannten Personen vorsätzlich oder fahrlässig begangene Ordnungswidrigkeit voraus. Zwar muss nicht festgestellt werden, welche von etwa mehreren in Frage kommenden Personen die Pflichtwidrigkeit begangen hat. Geboten ist aber die Feststellung, dass ein bei der Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 30 Abs. 1 OWiG Verantwortlicher die Zuwiderhandlung vorwerfbar begangen hat (vgl. etwa BGH.NStZ 1994, 346).

Auch daran fehlt es hier. Im angefochtenen Urteil wird zwar ausgeführt, dass Herr P. kein Organ der Verfahrensbeteiligten sei - angesichts seiner "umfassenden Vollmacht" wäre auch die Erörterung der Frage geboten gewesen, ob seinerzeit er nicht als Generalbevollmächtigter im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 OwiG einzustufen war -, dargelegt wird aber nicht, dass ein Organ der Verfahrensbeteiligten eine vorwerfbare betriebliche Pflichtverletzung begangen hat.

Die Bemessung der Geldbuße richtet sich nach den in § 17 Abs. 3 und 4 OWiG normierten Grundsätzen. Die Höhe der Differenz zwischen dem gesetzlich festgelegten Mindestlohn und der tatsächlich gezahlten Entlohnung ist danach in Betracht zu ziehen, sie ist aber keine Rechengröße bei der Festsetzung der zu verhängenden Geldbuße. Wird der durch den abgeurteilten Verstoß erzielte Marktvorteil in diesem Zusammenhang berücksichtigt, so ist seine Berechnung nachvollziehbar darzustellen.

Schließlich war angesichts der Höhe der hier verhängten Geldbuße auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Verfahrensbeteiligten einzugehen.

Ende der Entscheidung

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