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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 04.09.2000
Aktenzeichen: 3 ObOWi 80/2000
Rechtsgebiete: PflSchG, OWiG


Vorschriften:

PflSchG § 40 Abs. 1 Nr. 6
PflSchG § 11 Abs. 1 Satz 1
OWiG § 80 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
OWiG § 80 a Abs. 3
OWiG § 79 Abs. 5 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerisches Oberstes Landesgericht BESCHLUSS

3 ObOWi 80/2000

Der 3. Senat für Bußgeldsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts Lancelle sowie der Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Dr. Pettenkofer und Kaiser

am 4. September 2000

in dem Bußgeldverfahren

wegen unerlaubter Einfuhr eines nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittels

nach Anhörung der Staatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluß des Amtsgerichts Augsburg vom 9. Mai 2000 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Augsburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Augsburg verhängte gegen den Betroffenen mit Beschluß vom 9.5.2000 (§ 72 OWiG) wegen fahrlässiger unerlaubter Einfuhr von Pflanzenschutzmitteln eine Geldbuße von 1.500 DM.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts.

II.

Das zulässige Rechtsmittel (§§ 341, 344, 345 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) hat in der Sache Erfolg.

1. Das Amtsgericht ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:

Der Betroffene, ein Landwirt, bezog im Frühjahr 1998 aus Frankreich das dort zugelassene Pflanzenschutzmittel für Hopfenanbau "Callicuivre 50" in einer Menge von 1.500 kg in Packungen zu je 25 kg. Dieses Mittel ist nicht von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) zugelassen. Von dem in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel "Funguran" unterscheidet es sich durch die unterschiedliche Wirkstoffmenge. "Callicuivre 50" enthält 50 % Kupfer und "Funguran" nur 45 %.

2. Diese Feststellungen tragen den getroffenen Schuldspruch nicht.

Gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 6 PflSchG handelt ordnungswidrig, wer entgegen § 11 Abs. 1 Satz 1 PflSchG ein nicht zugelassenes Pflanzenschutzmittel in den Verkehr bringt oder einführt. Da für das importierte Pflanzenschutzmittel "Callicuivre 50" keine eigene Zulassung durch das BBA bestand, kommt es für die Tatbestandsmäßigkeit entscheidend darauf an, ob dieses Mittel mit einem im Inland bereits zugelassenen Mittel identisch ist und deshalb an dessen Inlandszulassung teilnimmt. Dies hat auch das Tatgericht zutreffend erkannt, jedoch sind die zur Identität getroffenen Feststellungen unzureichend.

Allerdings befand das Tatgericht sich bei seiner Entscheidung in Übereinstimmung mit der bisher herrschenden Rechtsprechung, die die Identität allein anhand des Wirkstoffgehalts definierte (Produktidentität), ohne daß es auf denselben Hersteller zurückgeführt werden mußte und ohne daß es einer förmlichen Feststellung der Identität durch die Behörden des Einfuhrmitgliedsstaates bedurfte (vgl. BGHZ 126, 270; BGH NJW-RR 1996, 419; BayObLG NStZ-RR 1999, 149). Diese Rechtsprechung ist jedoch durch die Entscheidung des EuGH vom 11.3.1999 (EuZW 1999, 341) teilweise überholt und wird vom Senat nicht mehr aufrechterhalten.

In der genannten Entscheidung hat der EuGH sich mit der im gemeinschaftsrechtlichen Spannungsfeld zwischen der obligatorischen Zulassungspflicht für Pflanzenschutzmittel (Art. 3 der Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15.7.1991 [ABlEG Nr. L 230 S. 1]) einerseits und dem Grundsatz des ungehinderten Warenverkehrs (Art. 28 EG) andererseits stehenden Problematik der Parallelimporte von Pflanzenschutzmitteln befaßt und die Voraussetzungen für deren freie Verkehrsfähigkeit definiert. Demnach bedarf der innergemeinschaftliche Import eines Pflanzenschutzmittels, für das im Export-Mitgliedsstaat bereits eine Zulassung nach der Pflanzenschutzrichtlinie 91/414/EWG besteht, dann keiner erneuten Zulassung, wenn es mit einem im Import-Mitgliedsstaat bereits zugelassenen Pflanzenschutzmittel identisch ist. Identität liegt vor, wenn das eingeführte Mittel auf denselben Hersteller (einschließlich Konzernunternehmen und Lizenznehmer) zurückzuführen ist wie das inländische Referenzmittel und wenn es, ohne in allen Punkten mit diesem übereinzustimmen, zumindest nach der gleichen Formel und unter Verwendung des gleichen Wirkstoffs hergestellt wurde und überdies die gleichen Wirkungen hat. Das Vorliegen der Identität ist von den Behörden des Einfuhr-Mitgliedsstaats obligatorisch zu prüfen.

3. Nach Maßgabe dieser Kriterien, denen der Senat beitritt, schließen Unterschiede hinsichtlich der qualitativen und der quantitativen Zusammensetzung die Annahme von Identität nicht zwingend aus (EuGH EuZW 1999, 341/343; EuGH NJW 1976, 1575/ 1576 für den vergleichbaren Fall der Parallelimporte von Arzneimitteln). Entscheidend ist die Übereinstimmung der pflanzenschützenden Wirkung beider Mittel, wobei etwaige Unterschiede bei den für die Anwendung des Mittels relevanten Bedingungen in bezug auf Landwirtschaft, Pflanzenschutz und Umwelt - einschließlich der Witterungsverhältnisse - zu berücksichtigen sind (EuGH EuZW 1999, 341/343). Ob die pflanzenschützende Wirkung durch veränderte Wirkstoffmengen in relevanter Weise beeinflußt wird, hängt von verschiedenen Parametern, wie z.B. deren Toxizität o.ä., ab. Es kann deshalb nicht abstrakt entschieden werden, sondern bedarf jeweils der Überprüfung durch die zuständigen Behörden des Einfuhr-Mitgliedsstaats (EuGH aaO; für den vergleichbaren Fall der Parallelimporte von Arzneimitteln: EuGH NJW 1976, 1575/1576; EuGH Slg. 1996, 5846 Rn. 26; Kloesel/Cyran Arzneimittelrecht - Stand: Dezember 1999 - § 21 AMG Erl. 9).

Dies bedeutet, daß der Betroffene für die Einfuhr des Pflanzenschutzmittels "Callicuivre 50" aus Frankreich nur dann keiner eigenen Zulassung bedurfte, wenn mit dem in Deutschland bereits zugelassenen Pflanzenschutzmittel "Funguran" in dem dargelegten Sinn sowohl Hersteller- als auch Produktidentität bestand und wenn die Identität durch das zuständige BBA festgestellt wurde. Ein derartiges Feststellungsverfahren wird nach Maßgabe der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 23.12.1993 über die Einfuhr und das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, die mit in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmitteln identisch sind (BAnz Nr. 246 vom 31.12.1993, S. 1154), auf Antrag durchgeführt.

Ob diese Voraussetzungen einer zulassungsfreien Einfuhr hier vorliegen, vermag der Senat auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht zu überprüfen. Hinsichtlich des Erfordernisses der Produktidentität kommt es entscheidend darauf an, ob eine Erhöhung des Kupferanteils von 45 auf 50 % unter Berücksichtigung möglicherweise unterschiedlicher Umweltbedingungen - einschließlich der Witterungsverhältnisse - in Frankreich und Deutschland die pflanzenschützende Wirkung in relevanter Weise verändert. Hierzu bedarf es weiterer tatrichterlicher Feststellungen. Auch zur Frage der Herstelleridentität und zur Durchführung eines Identitätsfeststellungsverfahrens fehlen nähere Feststellungen. Insoweit wird allerdings zu beachten sein, daß - wie bereits oben dargelegt - nach der zur Tatzeit herrschenden Rechtsprechung diesen beiden Punkten für die Paralleleinfuhr von Pflanzenschutzmitteln keine rechtliche Bedeutung zukam. Sollte sich deshalb eine Zulassungsbedürftigkeit nunmehr ausschließlich wegen fehlender Herstelleridentität oder wegen eines fehlenden Identitätsfeststellungsverfahrens ergeben, wird das Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums zu prüfen sein (vgl. Göhler OWiG 12. Aufl. § 11 Rn. 27; BayObLGSt 1988, 139).

III.

Aus den dargelegten Gründen wird der angefochtene Beschluß mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Augsburg zurückverwiesen.

Der Senat entscheidet gemäß § 80 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3, § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG in der Besetzung mit drei Richtern durch Beschluß.

Ende der Entscheidung

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