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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.03.2002
Aktenzeichen: 3 ObOWi 86/01
Rechtsgebiete: BayStrWG


Vorschriften:

BayStrWG Art. 14
BayStrWG Art. 18 Abs. 1
BayStrWG Art. 66 Nr. 2
Wer als Fußgänger politische Schriften an die vor einer auf Rot stehenden Ampel haltenden Kraftfahrer verteilt, beansprucht die Straße als Sondernutzung nach Art. 18 Abs. 1 BayStrWG.
Tatbestand:

Der Betroffene und eine weitere Person hielten sich am 6.9.2000 auf dem Mittelstreifen des dort stadteinwärts drei- und stadtauswärts zweispurigen F.wegs in Höhe der ampelgeregelten Kreuzung mit der R.Straße auf. Der F.weg (Autobahn A 73) geht etwa 500 m vor dieser Kreuzung in eine Gemeindestraße über. Beide hatten Schilder mit der Aufschrift: "Stoppt die Jugendgewalt! Schafft Arbeitsplätze B.". Jeweils wenn die Signalanlage "Rot" zeigte, liefen sie zwischen die wartenden Fahrzeuge und verteilten an deren Fahrer kleine Zeitschriften der "B.S.", deren Mitglied der Betroffene ist.

Obwohl er hätte erkennen können, dass er hierfür eine Sondernutzungserlaubnis der Stadt N. benötigte, hatte sie der Betroffene nicht erholt.

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 12.4.2001 wegen fahrlässiger Nutzung einer Straße über den Gemeingebrauch hinaus zur Geldbuße von 80 DM.

Gründe:

Die Rechtsbeschwerde war unbegründet. Denn das hier durchgeführte Verteilen von Zeitschriften an Autofahrer, die auf einer innerörtlichen mehrspurigen Straße vor einer Kreuzung anhalten, weil die dort installierte Lichtzeichenanlage für sie "Rot" zeigt, fällt nicht unter den Gemeingebrauch im Sinne des Art. 14 BayStrW, sondern ist eine nach Art. 18 BayStrW erlaubnispflichtige Sondernutzung. Allerdings wird zumindest das nichtgewerbliche und unaufdringliche Verteilen von Handzetteln und dergleichen an Fußgänger, gerade wenn dies zur politischen Meinungsäußerung geschieht, als Form des - nicht erlaubnispflichtigen - kommunikativen Gemeingebrauchs eingeordnet, wenn dies in verkehrsberuhigten Zonen, in Fußgängerbereichen oder auf Gehsteigen ohne ins Gewicht fallende Beeinträchtigungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs geschieht (vgl. etwa BVerfG BayVBl 1992, 83; BVerwG NJW 1997, 406; BVerwGE 84, 71; 56, 63; 35, 326; BayVGH BayVBl 1996, 665; 1978, 602; OLG Düsseldorf NJW 1998, 2375; OLG Stuttgart VRS 90, 217; OVG Bremen GewArch 1997, 285; OVG Lüneburg NVwZ-RR 1996, 247 jeweils m.w.N.).

Auch vermag der Schutz der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs angesichts der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit nicht generell einen Erlaubnisvorbehalt für die Verteilung von Schriften der in Rede stehenden Art außerhalb der genannten Fußgängerbereiche zu rechtfertigen (vgl. BVerfG aaO). Die gebotene differenzierte Betrachtungsweise führt aber dazu, dass in Fällen der vorliegenden Art der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs der Vorrang einzuräumen ist. Der während der - kurzen - Rotphase vor der Lichtzeichenanlage wartende Kraftfahrer hat nicht nur die für ihn maßgebliche Verkehrsampel im Auge zu behalten, um bei "Grün" nicht zum Hindernis für hinter ihm wartende Kraftfahrer zu werden. Er hat sich vor dem Anfahren auch zu vergewissern, dass der Querverkehr und Linksabbieger die Fahrbahn bereits geräumt und etwa vor oder zwischen den Fahrzeugen die Straße querende Fußgänger und/oder Radfahrer diese schon verlassen haben. Schließlich hat er auch noch auf etwa zwischen den wartenden oder schon anfahrenden Pkw und Lkw durchfahrende Zweiradfahrer zu achten. Eine relativ kurzfristige Unaufmerksamkeit des in einer solchen Situation wartenden Verkehrsteilnehmers kann deshalb nicht unerhebliche Personen- und/oder Sachschäden auslösen.

Das Verteilen von Schriften an Kraftfahrer, die auf einer mehrspurigen Straße vor einer Lichtzeichenanlage warten, beeinträchtigt angesichts dessen schon deswegen die Sicherheit des Verkehrs auf gravierende Weise, weil es geeignet ist, den Kraftfahrer nicht unerheblich von der Beachtung der beschriebenen Sorgfaltspflichten abzulenken. Weiter besteht die Gefahr, dass zwischen den wartenden LKW und PKW bis zur Haltelinie vorfahrende Zweiradfahrer mit der auf der ganzen Fahrbahn zeitschriftenverteilend hin- und hergehenden oder -laufenden Person kollidieren. Zudem wirkt sich solches Verhalten negativ auf die Leichtigkeit des Verkehrs aus, weil nicht zu erwarten ist, dass der Schriftenverteiler auf der Fahrbahn dauernd die Ampelschaltung im Auge behält - dies gilt vor allem dann, wenn er mit einem der Kraftfahrer spricht - mit der Folge, dass er beim Phasenwechsel der Ampel häufig die Fahrbahn nicht rechtzeitig verlassen haben und dadurch Stockungen bei der Weiterfahrt der anfahrenden Kraftfahrzeuge auslösen wird.

Berücksichtigt man letztlich, dass dem Betroffenen beim Verteilen seiner Schriften in Fußgängerzonen, verkehrsberuhigten Bereichen und auf Gehsteigen praktisch kaum Grenzen gesetzt sind, so liegt in der Erlaubnispflichtigkeit des hier in Rede stehenden Verteilens von Schriftmaterial auf einer mehrspurigen Fahrbahn ohnehin keine wirklich ins Gewicht fallende Beschränkung des kommunikativen Verkehrs in der Form des Zeitschriftenverteilens. Denn dort, wo im Einzelfall keine ins Gewicht fallenden verkehrsrechtlichen Bedenken gegen die hier gewählte Form des Schriftenverteilens bestehen, wird dem Antragsteller eine entsprechende Erlaubnis zu erteilen sein.



Ende der Entscheidung

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