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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.10.2001
Aktenzeichen: 3Z AR 36/01
Rechtsgebiete: FGG, UmwG


Vorschriften:

FGG § 4
FGG § 5
UmwG § 306 Abs. 1
Werden zwei in unterschiedlichen Landgerichtsbezirken liegende Gesellschaften auf eine dritte verschmolzen, so kann ein gemeinsames zuständiges Gericht bestimmt werden, sofern gegen beide Gesellschaften Spruchstellenverfahren angestrengt werden.
Gründe:

I.

Mit Verschmelzungsvertrag vom 17.10.2000 übertrugen die A-AG mit dem Sitz in München und die B-AG mit dem Sitz in Frankfurt a. Main ihr Vermögen als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten auf die Degussa AG gegen die Gewährung von Aktien der C-AG (Verschmelzung durch Aufnahme). Im Hinblick auf diesen Vertrag sind gegen die C-AG Spruchstellenverfahren beantragt worden:

Beim Landgericht München I ist ein von zwischenzeitlich 43 Aktionären beantragtes Spruchstellenverfahren anhängig, in dem die gerichtliche Bestimmung der Verbesserung des Umtauschverhältnisses von für je 22 auf den Inhaber lautenden Stückaktien der A-AG gegen fünf auf den Inhaber lautenden Stückaktien der C-AG begehrt wird. Der diesbezügliche erste Antrag ging beim Landgericht München I am 6.3.2001 ein.

Am gleichen Tag wurde beim Landgericht Frankfurt a. Main der erste Antrag gestellt auf Einleitung eines Spruchstellenverfahrens zur Verbesserung des Umtauschverhältnisses von für je eine auf den Inhaber lautende Stückaktie der B-AG gegen eine auf den Inhaber lautende Stückaktie der C-AG.

Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 6.9.2001, hier eingegangen am 11.9.2001, beantragt, für beide Spruchstellenverfahren analog § 5 Abs. 1 FGG das gemeinsam örtlich zuständige Gericht zu bestimmen.

II.

Wird ein Rechtsträger durch Übertragung seines Vermögens auf einen anderen Rechtsträger verschmolzen (§ 2 UmwG), kann jeder Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses (§ 15 UmwG) oder des Abfindungsangebots (§ 29 UmwG) die gerichtliche Entscheidung in einem Spruchstellenverfahren beantragen (H 305 ff. UmwG). Zuständig ist das Landgericht, in dessen Bezirk der übertragende Rechtsträger seinen Sitz hat (§ 306 Abs. 1 UmwG; KG ZIP 2000, 498/500). Werden, wie dies § 2 UmwG ausdrücklich vorsieht, mehrere Rechtsträger gleichzeitig auf einen anderen Rechtsträger verschmolzen, kann sich nach dem Gesetzeswortlaut die Zuständigkeit mehrerer Landgerichte ergeben, wenn die übertragenden Rechtsträger in verschiedenen Landgerichtsbezirken ihren Sitz haben. Beantragen in einem solchen Fall die Anteilseigner mehrerer übertragender Rechtsträger die gerichtliche Überprüfung, stellt sich die Frage, ob mehrere getrennte Spruchstellenverfahren durchgeführt werden müssen. Das vorlegende Landgericht ist der Auffassung, dass in einem solchen Fall in analoger Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 1 FGG eines der zuständigen Gerichte als gemeinsames Gericht zur Durchführung der Verfahren bestimmt werden kann. Dem schließt sich der Senat an.

1. Eine gemeinsame Zuständigkeit des Gerichts, das zuerst in der Sache tätig geworden ist, gemäß § 4 FGG ist nicht begründet (Bork ZIP 1998, 550/552). Diese Bestimmun g setzt voraus, dass mehrere Gerichte in derselben Sache tätig werden (vgl. Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 4 Rn. 10). Dies ist, wenn wie hier Aktionäre verschiedener übertragender Gesellschaften gegen die übernehmende Gesellschaft jeweils die Durchführung eines Spruchstellenverfahrens beantragen, nicht der Fall. Die Verfahren betreffen verschiedene Gegenstände und damit verschiedene Sachen im Sinn von § 4 FGG, da im jeweiligen Spruchstellenverfahren über die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses für die Aktionäre jeweils nur einer übertragenden Gesellschaft entschieden wird (Behnke NZG 1999, 1175; Bungert BB 1995, 1399/1400; vgl. Münchener Kommentar/Bilda AktG 2. Aufl. § 306 Rn. 17).

2. Die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 1 FGG liegen ebenfalls nicht vor, da im Hinblick auf die Regelung des § 306 Abs. 1 UmwG keine Ungewissheit darüber besteht, welches Landgericht jeweils für das die einzelne übertragende Gesellschaft betreffende Spruchstellenverfahren zuständig ist.

3. Gleichwohl besteht ein überragendes praktisches Bedürfnis für eine gemeinsame Durchführung der Spruchstellenverfahren. Zur Bestimmung der für eine eventuelle Zuzahlung maßgebenden Verschmelzungswertrelation ist jeweils auch die übernehmende Gesellschaft zu bewerten. Diese oft sehr aufwendige und kostenintensive Bewertung sollte schon aus praktischen Gründen nur einmal und damit in einem verfahren durchgeführt werden. Darüber hinaus besteht bei der Durchführung mehrerer Verfahren die Gefahr widersprechender Bewertungen und damit im Ergebnis nicht vereinbarer Entscheidungen (Bork ZIP 1998, 550; Behnke NZG 1999, 1175; vgl. auch MünchKomm/Bilda § 306 AktG Rn. 12). Im übrigen misst das Umwandlungsgesetz einer einheitlichen Bewertung ebenfalls besondere Bedeutung zu, wie sich aus der Möglichkeit der Bestellung eines gemeinsamen Verschmelzungsprüfers für alle beteiligten Rechtsträger (vgl. § 10 UmwG) ergibt.

Gründe der Rechtssicherheit stehen einer Zuständigkeitsbestimmung jedenfalls nach Ablauf der Antragsfristen (vgl. § 305, § 307 Abs. 3 Satz 2 UmwG) nicht entgegen. Die im Zeitpunkt der Bestimmung bei dem abgebenden Gericht bereits gestellten Überprüfungsanträge und die bereits getroffenen Verfahrenshandlungen dieses Gerichts bleiben wirksam (Jansen FGG 2. Aufl. § 5 Rn. 26).

4. In Rechtsprechung und Literatur wird eine Zuständigkeitsbestimmung zum Teil abgelehnt (vgl. Bork ZIP 1998, 550/553 und ihm folgend in einem obiter dictum KG ZIP 2000, 498/500). Andererseits wird zur Lösung der Problematik zum Teil eine entsprechende Anwendung des § 4 FGG (LG Dortmund AG 2002, 38, allerdings für einen etwas anders gelagerten Fall; Lutter UmwG § 306 Rn. 2), zum Teil eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 1 FGG (Behnke NZG 1999, 1175; MünchKomm/Bilda § 306 AktG Rn. 14; vgl. auch Emmerich/Habersack Aktienkonzernrecht 2. Aufl. § 306 AktG Rn. 7; Martens AG 2000, 301/302; Lutter/Bezzenberger AG 2000, 433/440; Neye Festschrift Julius Widmann 2000, 87 ff.) vorgeschlagen. Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung.

a) Es besteht eine Gesetzeslücke. Die Bestimmung der Zuständigkeit eines gemeinsamen Gerichts aus Zweckmäßigkeitsgründen ist in zahlreichen anderen Verfahren zulässig (vgl. § 36 ZPO; § 46 Abs. 2 ArbGG; BayObLGZ 1993, 170/172; Zöller/Vollkommer ZPO 22. Aufl. § 36 Rn. 18). Sie erscheint hier in besonderem Maß angezeigt, um die unzweckmäßige Doppelbehandlung gleicher Sach- und Rechtsprobleme mit unterschiedlichen Ergebnissen zu vermeiden. Im Rahmen der Bestimmung eines gemeinsamen Verschmelzungsprüfers hat auch der Gesetzgeber des Umwandlungsgesetzes das Problem erkannt und gelöst (vgl. dazu Bungert BB 1995, 1399). Gleichwohl finden sich weder in den Gesetzesmaterialien zu § 306 AktG (BT-Drs. IV/171 S. 226, dort § 295) noch in den Materialien zu § 306 UmwG (BT-Drs. 12/6669 S. 169) Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber, obwohl dies nahe gelegen hätte, die hier anstehende Problematik näher geprüft hätte.

b) Eine analoge Anwendung des § 4 FGG erscheint nicht sachgerecht. Stellt man allein darauf ab, dass das Landgericht für alle Spruchstellenverfahren zuständig wird, das als erstes in dem bei ihm anhängigen Verfahren tätig geworden ist, kann dies zu unzweckmäßigen und sachwidrigen Ergebnissen führen. Dies gilt etwa, wenn ein Gericht, bei dem ein relativ einfaches Verfahren, in dem ein einziger Antragsteller nur geringe Einwendungen gegen die Bewertung erhebt, für ein Verfahren zuständig würde, in dem eine große Zahl von Antragstellern umfangreiche Angriffe vortragen.

c) Hingegen ist im Rahmen der analogen Anwendung des § 5 FGG die Frage, ob ein gemeinsames zuständiges Gericht und wenn ja, welches Gericht zu bestimmen ist, nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (vgl. a. BayObLGZ 1958, 160/164; KG OLGZ 1969, 493; Keidel/Kahl § 5 Rn. 16). Dies entspricht auch den Grundsätzen, die im Rahmen der der vorliegenden Fallkonstellation am ehesten vergleichbaren Regelung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO maßgebend sind (vgl. Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 18).

5. Das zur Zuständigkeitsbestimmung berufene Gericht ist gemäß den für § 5 FGG maßgebenden Regeln zu bestimmen. Zuständig ist danach das gemeinschaftliche obere Gericht und, falls dieses der Bundesgerichtshof ist, dasjenige Oberlandesgericht (in Bayern das oberste Landesgericht), zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache (hier: einem Spruchstellenverfahren) befasste Gericht gehört (§ 5 Abs. 1 Satz 1, § 199 Abs. 2 Satz 2 FGG, Art. 11 Abs. 3 Nr. 1 AGGVG). Sind danach mehrere Gerichte berufen, weil die Spruchstellenverfahren gleichzeitig anhängig gemacht worden sind, ist das Gericht zuständig, das als erstes mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst wird (§ 4 FGG; vgl. BayObLGZ 1986, 433/434).

III.

1. Nach diesen Grundsätzen ist hier das Bayerische Oberste Landesgericht zur Zuständigkeitsbestimmung berufen, weil die beteiligten Landgerichte in verschiedenen Bundesländern liegen, die Verfahren jeweils am 6.3.2001 und damit gleichzeitig sowohl bei dem Landgericht München I wie auch bei dem Landgericht Frankfurt a. Main anhängig gemacht worden sind und das Bayerische Oberste Landesgericht als erstes Gericht mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst wurde.

2. Dem Senat ist es bei dem derzeitigen Verfahrensstand nicht möglich, nach den dargelegten Grundsätzen zu bestimmen, welches Gericht das gemeinsame Spruchstellenverfahren führen soll.

a) Der Senat hätte zunächst zu prüfen, ob die Bestimmung eines, für die verschiedenen Spruchstellenverfahren örtlich zuständigen gemeinsamen Gerichts zweckmäßig ist. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn die Antragsfristen noch nicht abgelaufen sind, oder wenn die Richtigkeit der Bewertung der Gesellschaft, auf die die anderen Gesellschaften verschmolzen wurden, nicht in Streit ist.

Ist diese Voraussetzung für die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts gegeben, wäre zu erwägen, welches Landgericht zweckmäßigerweise die Verfahren führen soll. Hierbei kann ins Gewicht fallen, welches Verfahren das umfangreichere (z. B. Zahl der Antragsteller) oder das wirtschaftlich gewichtigere ist oder in welchem Verfahren voraussichtlich umfangreichere Ermittlungen und/oder Anhörungen durchzuführen sind.

b) Die Aufklärung des Sachverhalts, der für die rechtliche Beurteilung maßgebend ist, hat das vorlegende Gericht durchzuführen (vgl. BayObLGZ 1987, 463; BayObLG Rpfleger 1996, 344; OLG Karlsruhe Rpfleger 1995, 458; Jansen § 5 Rn. 19). Zur weiteren Aufklärung wird zunächst dem Landgericht Frankfurt a. Main Gelegenheit zur Äußerung zu geben sein, die dortigen Verfahrensakten sind beizuziehen. Ferner ist den Beteiligten in beiden Verfahren rechtliches Gehör zu gewähren. Die Sache wird daher zur Nachholung der erforderlichen Ermittlungen an das Landgericht München I zurückgegeben.

Ende der Entscheidung

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