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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 25.07.2001
Aktenzeichen: 3Z BR 102/01
Rechtsgebiete: FGG, BGB


Vorschriften:

FGG § 68b Abs. 3
BGB § 1846
Selbst wenn der Betroffene mehrere Tage im Bezirkskrankenhaus untergebracht werden muß, ist die Anordnung, dass er zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zuständige Behörde zur Untersuchung vorgeführt wird, nicht anfechtbar.
Der 3. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Sprau sowie der Richter Dr. Plößl und Dr. Schreieder

am 25. Juli 2001

in der Betreuungs- und Unterbringungssache

auf die Rechtsmittel des Betroffenen

beschlossen:

Tenor:

I. Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 19. Februar 2001 wird verworfen, soweit dieser den Beschluss des Amtsgerichts München über die Bestellung eines vorläufigen Betreuers vom 9. Oktober 2000 betrifft.

II. Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 19. Februar 2001 wird, soweit dieser die Erstbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 9. November 2000 als unbegründet zurückweist, mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Erstbeschwerde als unzulässig verworfen wird.

III. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird unter Abänderung des Beschlusses des Landgerichts München I vom 19. Februar 2001 festgestellt, dass der Eingriff in die Freiheit des Betroffenen durch den Beschluss des Amtsgerichts München vom 21. Dezember 2000 rechtsfehlerhaft war, weil das Amtsgericht seine Entscheidung nicht auf _ 1846 BGB stützen durfte.

IV. Im übrigen werden die Rechtsmittel zurückgewiesen.

V. Der Antrag des Betroffenen auf Erteilung einer Kopie der schriftlichen Stellungnahme des Vorsitzenden Richters am Landgericht vom 2. Februar 2001 wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Mit der für sofort wirksam erklärten einstweiligen Anordnung vom 9.10.2000 bestellte das Amtsgericht befristet bis 1.4.2001 für den Betroffenen eine Rechtsanwältin zur vorläufigen Betreuerin mit den Aufgabenkreisen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Interessenvertretung in Strafverfahren und Zivilverfahren.

Am 9.11.2000 ordnete das Amtsgericht gemäß § 68b Abs. 3, § 70e Abs. 2 FGG die Untersuchung des Betroffenen durch den Arzt im BKH und die Vorführung des Betroffenen zur Untersuchung durch den Sachverständigen an. Es bat den Sachverständigen für den Fall, dass eine abschließende Beurteilung der Untersuchungsbedüftigkeit nicht möglich sei, um Mitteilung, ob zur Vorbereitung des Gutachtens die Unterbringung und Beobachtung des Betroffenen erforderlich sei. Aufgrund dieses Beschlusses wurde der Betroffene am 29.11.2000 im Bezirkskrankenhaus aufgenommen.

Mit dem für sofort wirksam erklärten Beschluss vom 7.12.2000 ordnete das Amtsgericht zur Vorbereitung eines Gutachtens über die Frage der Durchführung einer ärztlichen Zwangsbehandlung die Unterbringung und Beobachtung des Betroffenen im Bezirkskrankenhaus bis 22.12.2000 an.

Mit Beschluss vom 21.12.2000 ordnete das Amtsgericht gemäß § 1846 BGB, § 70h FGG die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 31.1.2001 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Am 9.1.2001 wurde der Betroffene aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen.

Gegen die aufgeführten Entscheidungen des Amtsgerichts legte der Betroffene Rechtsmittel ein. Diese hat das Landgericht mit Beschluss vom 19.2.2001 zurückgewiesen. Hiergegen legte der Betroffene am 12.3.2001 "sofortige weitere Beschwerde" ein.

II.

1. Die weitere Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung vom 9.10.2000 ist unzulässig geworden, da die vorläufige Betreuung, nachdem der Betroffene am 12.3.2001 weitere Beschwerde eingelegt hatte, mit dem 1.4.2001 endete und damit die Hauptsache des Betreuungsverfahrens erledigt war (BayObLGZ 1993, 82; BayObLG FamRZ 2001, 255/256). Hierdurch kam für die weitere Beschwerde das Rechtsschutzbedürfnis in Wegfall, weil sie nicht auf die Kosten beschränkt wurde (vgl. BGHZ 109, 108/110). Eine Entscheidung dahin, dass vom Senat festgestellt wird, die angeordnete Bestellung der vorläufigen Betreuerin sei rechtswidrig gewesen, ist nicht zulässig (BayObLGZ aaO).

2. Im übrigen sind die Rechtsmittel zulässig, insbesondere ergibt sich die Befugnis des Beschwerdeführers zur weiteren Beschwerde aus der Zurückweisung seiner Erstbeschwerden (vgl. BayObLGZ 1998, 195; Bassenge/Herbst FGG/RpflG 8. Aufl. § 27 FGG Rn. 7), dies unabhängig davon, ob die Erstbeschwerden zulässig waren (vgl. BayObLGZ 1993, 253). Sie sind aber nur begründet, soweit sich der Betroffene gegen die einstweilige Anordnung vom 21.12.2000 über seine vorläufige Unterbringung wendet.

a) Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Die Beschwerden seien zulässig, auch insoweit, als sie sich gegen den Beschluss vom 9.11.2000 richten. Dieser Beschluss sei trotz der Regelung in § 68b Abs. 3 FGG anfechtbar, weil er die Grundlage nicht nur für die zwangsweise Vorführung des Betroffenen im Bezirkskrankenhaus am 29.11.2000 gewesen sei, sondern zugleich auch für das zwangsweise Festhalten des Betroffenen dort bis zum Erlass des weiteren Beschlusses am 7.12.2000.

Sämtliche Beschwerden seien jedoch unbegründet.

Im Beschluss vom 9.11.2000 habe sich das Amtsgericht auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt, der eine weitere Heilbehandlung für erforderlich gehalten und sogar die geschlossene Unterbringung des Betroffenen angeregt habe. Das Amtsgericht sei hinter dieser Einschätzung zurückgeblieben und habe zunächst nur angeordnet, dass der Betroffene im Bezirkskrankenhaus untersucht werde. Diese Anordnung sei im Hinblick auf den Inhalt des Gutachtens angezeigt gewesen. Nachdem der Betroffene jede Beteiligung an einer Untersuchung abgelehnt und dadurch den Zweck der Maßnahme zunächst weitgehend vereitelt habe, seien die Verlängerungsbeschlüsse vom 7.12. und 21.12.2000 rechtmäßig gewesen. Soweit überhaupt Untersuchungen hätten durchgeführt werden können, hätten sie das Vorliegen eines schweren paranoiden Syndroms bestätigt. weil allerdings weder eine Selbst- noch eine Fremdgefährdung ersichtlich gewesen sei und weil die zwangsweise Fortführung einer Heilbehandlung nach Auffassung des Sachverständigen keinen Erfolg mehr versprochen habe, sei der Betroffene am 9.1.2001 entlassen worden.

b) Dies hält der rechtlichen Überprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG; § 550 ZPO) nicht in vollem Umfang stand.

aa) Die weitere Beschwerde des Betroffenen ist, soweit sie den Beschluss des Amtsgerichts vom 9.11.2000 betrifft, mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Erstbeschwerde, was der Senat selbständig zu überprüfen hat (BayObLG NZG 2000, 140/141; Keidel/Kahl FGG 14. Aufl. § 27 Rn. 15), unzulässig ist. Die Anordnung der Untersuchung des Betroffenen zur Vorbereitung eines Gutachtens und seiner Vorführung durch die zuständige Behörde ist nicht anfechtbar (§ 68b Abs. 3 Satz 2 FGG).

Die Auffassung des Landgerichts, die Erstbeschwerde sei hier zulässig, weil die Anordnung Grundlage für das Festhalten des Betroffenen bis zum 7.12.2000 gewesen sei, trifft nicht zu. Die Anordnung vom 9.11.2000 deckt lediglich die Untersuchung durch einen Arzt im Bezirkskrankenhaus und die Vorführung, hierzu. Als Rechtsgrundlage für ihren Erlass ist nur die Vorschrift des § 68b Abs. 3 i.V.m. § 70e Abs. 2 FGG angegeben. Die Ermächtigung, den Betroffenen für eine bestimmte Zeit unterzubringen und zu beobachten (vgl. § 68b Abs. 4 FGG), enthält die Anordnung nicht. Der rechtliche Inhalt und die rechtliche Qualität der richterlichen Anordnung wurden nicht dadurch geändert, dass sie möglicherweise als Rechtsgrundlage für ein Handeln der Anstalt oder der Betreuerin angesehen wurde, auf das sie sich nicht bezieht. Daher führt die Beschwerde gegen diese Anordnung nur zu einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung selbst, nicht auch der Freiheitsentziehung zwischen dem 29.11. und 7.12.2000.

bb) Die übrigen vom Betroffenen zum Landgericht eingelegten Rechtsmittel sind zulässig. Die Anordnung der Unterbringung und Beobachtung im Bezirkskrankenhaus gemäß dem Beschluss vom 7.12.2000 konnte vom Betroffenen mit der einfachen Beschwerde angefochten werden (BayObLG FamRZ 1994, 1190), die Anordnung der vorläufigen Unterbringung vom'21.12.2000 mit der sofortigen Beschwerde (§ 70h i.V.m. § 70m Abs. 1 und § 70g Abs. 3 Satz 1 FGG).

Der Zulässigkeit der Erstbeschwerden steht nicht entgegen, dass der Betroffene zum Zeitpunkt ihrer Einlegung nicht mehr auf Grund der angefochtenen Entscheidungen untergebracht war. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet, soweit das Prozessrecht eine weitere Instanz eröffnet, die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle (BVerfG NJW 1997, 2163). In Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf einen Zeitraum beschränkt, in welchem der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung vorgegebenen Instanz kaum erlangen kann, ist daher ein Rechtsschutzinteresse für die gerichtliche Prüfung des Grundrechtseingriffs ungeachtet prozessualer Überholung grundsätzlich zu bejahen (BVerfG EuGRZ 1997, 372/373; NJWE-FER 1998, 163; NJW 1998, 2432/2433).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall das Rechtschutzinteresse für die vom Betroffenen begehrte Feststellung gegeben. Jedenfalls bei einer Unterbringungsdauer von sechs Wochen kann kaum davon ausgegangen werden, dass die gegen die gerichtliche Entscheidung eröffneten Instanzen innerhalb dieses Zeitraums durchlaufen werden können (vgl. BVerfG NJW 1997, 2432; BayObLGZ 1999, 24; 2000, 220; ebenso OLG Schleswig NJW 1999, 222 für eine Unterbringungsdauer von zwei Wochen).

cc) Zu Recht hat das Landgericht die Erstbeschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 7.12.2000 zurückgewiesen. Die Anordnung des Amtsgerichts ist formell und materiell rechtmäßig erfolgt. Sie hat ihre Grundlage in § 68b Abs. 4 Satz 1 FGG. Das Amtsgericht hat den Sachverständigen angehört, den Betroffenen Persönlich. Die Unterbringung des Betroffenen zur Vorbereitung des Gutachtens war erforderlich, weil geringere Maßnahmen, selbst die Anordnung nach § 68b Abs. 3 FGG nicht ausreichten, um dem Sachverständigen die für die Erstellung des Gutachtens notwendigen Erkenntnisse zu vermitteln. Der höchst zulässige Zeitraum für die Unterbringung von sechs Wochen gemäß § 68b Abs. 4 Satz 3 FGG ist selbst dann nicht überschritten, wenn man davon ausgeht, dass der Betroffene bereits seit 29.11.2000, dem Tag seiner Aufnahme auf Grund des Beschlusses vom 9.11.2000, im Bezirkskrankenhaus untergebracht war.

dd) Hingegen ist die Entscheidung des Landgerichts bezüglich des Beschlusses des Amtsgerichts vom 21.12.2000 nicht rechtsfehlerfrei. Die sofortige weitere Beschwerde gegen diesen Beschluss führt zu der Feststellung, dass die vom Amtsgericht angeordnete vorläufige Unterbringung nicht rechtmäßig war.

Der Amtsrichter durfte die vorläufige Unterbringung des Betroffenen nicht gemäß § 1846 BGB, § 70h FGG anordnen. Zum Aufgabenkreis der am 9.10.2000 bestellten Betreuerin gehörte auch die Aufenthaltsbestimmung und die Gesundheitsfürsorge. Die Verfahrensweise des Richters war daher nur zulässig, wenn die Betreuerin verhindert war und mit der Entscheidung nicht zugewartet werden konnte, bis die Betreuerin tätig wird (vgl. BayObLGZ 1999, 269/273 = FamRZ 2000, 566/567; Jürgens Betreuungsrecht 2. Aufl. § 70h FGG Rn. 21). Die Anwendung des § 1846 BGB darf nicht dazu führen, die gebotene Beteiligung des Betreuers am Verfahren zu umgehen. Die Frage, ob ein Fall der Verhinderung des Betreuers vorlag, ist eine Rechtsfrage, die in vollem Umfang der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 19951 637/638).

Das Landgericht hat keine Ausführungen zur Frage gemacht, ob die Voraussetzungen für ein Handeln des Amtsgerichts ohne Einschaltung der Betreuerin gegeben waren. Dies zwingt zwar den Senat, die Entscheidung des Landgerichts aufzuheben, nicht aber die Sache an das Landgericht zurück zu verweisen. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen feststehen (vgl. BGH NJW 1997, 2815/2817; BayObLG FamRZ 1999, 1629; OLG Zweibrücken NJWE-FER 1999, 240). Die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Unterbringung durch das Vormundschaftsgericht gemäß § 70h FGG i.V.m. § 1846 BGB lagen nicht vor. Aus den Akten ergibt sich, dass das Amtsgericht bei seiner Entscheidung nicht beachtet hat, dass dem Betroffenen eine vorläufige Betreuerin mit dem zur Herbeiführung der Genehmigung der Unterbringung erforderlichen Aufgabenkreis bestellt worden war. In den Gründen seines Beschlusses vom 21.12.2000 hat es ausgeführt: "Deswegen wurde die Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 1846 BGB, § 70h FGG erlassen, noch bevor ein (vorläufiger) Betreuer bestellt worden ist." Die Tatsache, dass eine Betreuerin bestellt war, war für den Eildienstrichter aber erkennbar, weil ein entsprechender Vermerk in dem "Antrag auf vormundschaftliche Genehmigung des Klinikaufenthalts" des Bezirkskrankenhauses darauf hinwies.

3. Zuständig zur Entscheidung über den Antrag auf Herausgabe einer Kopie der Stellungnahme des Vorsitzenden Richters am Landgericht ist, solange sich die Akten beim Bayerischen Obersten Landesgericht befinden, jedenfalls auch der Senat (vgl. Bassenge/Herbst § 34 FGG Rn. 7; Keidel/Kahl § 34 Rn. 10).

Der Antrag auf Herausgabe der Kopie der vorbezeichneten Stellungnahme war abzulehnen, weil diese nicht Aktenbestandteil ist. Es handelt sich um eine Äußerung zu einer Landtagseingabe, von der eine Ausfertigung versehentlich in die Akten gelangte. Sie enthielt lediglich eine Darstellung zum Ablauf und Stand des gerichtlichen Verfahrens und keinerlei aktenfremde Tatsachen.

4. Weitere vom Betroffenen angesprochene Dinge sind nicht Gegenstand des Verfahrens der weiteren Beschwerde.

Ende der Entscheidung

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